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A432 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 7⏐⏐17. Februar 2006
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er Fall: Eine Ärztin be- wirbt sich um eine Anstel- lung bei einer Klinik und wird zu einem Bewerbungsge- spräch eingeladen. Sie befürch- tet, nicht eingestellt zu werden, wenn die Klinikleitung von ih- rer Schwangerschaft erfährt.Außerdem möchte sie verhin- dern, dass der Arbeitgeber von ihrem Engagement beim Mar- burger Bund erfährt. Welche Folgen hat es, wenn sie die da- hingehenden Fragen wahr- heitswidrig beantwortet?
Nach der ständigen Recht- sprechung des Bundesarbeits- gerichts (BAG) darf der Ar- beitgeber nur Fragen stellen, an deren Beantwortung er ein so berechtigtes Interesse hat, dass die Belange des Bewer- bers zurücktreten müssen. Ein solches Überwiegen des Inter- esses ist nur anzunehmen, wenn die Frage einen direkten Bezug zum Arbeitsplatz hat.
Unzulässig sind dagegen Fra- gen, die die Privat- oder gar In- timsphäre des Bewerbers be- treffen und in keinem Zusam- menhang mit den zu erfüllen- den Aufgaben stehen.Zulässig sind hingegen alle Fragen zum Berufs- und Ausbildungsweg.
Der Bewerber muss auf Nach- frage auch angeben, bei wel- chen Arbeitgebern er in wel- chem Zeitraum beschäftigt war und welche Tätigkeiten er dort ausgeübt hat. Hinsichtlich der Höhe seines bisherigen
Gehaltes muss differenziert werden: Lässt das bisherige Einkommen keine Rück- schlüsse auf die Eignung für den angestrebten Arbeitsplatz zu, ist die Frage unzulässig. Sie ist zulässig, wenn alter und an- gestrebter Arbeitsplatz zumin- dest vergleichbare Fähigkeiten erfordern und das bisherige Einkommen daher Aussage- kraft für die neue Stelle hat.
Unzulässig sind Fragen nach persönlichen Lebensver- hältnissen, also etwa nach der sexuellen Orientierung, Hei- ratsabsichten, dem Bestehen einer nichtehelichen Lebens- gemeinschaft oder politischen Anschauungen. Gleiches gilt für die Religionszugehörigkeit (eine Ausnahme besteht aber für Krankenhäuser in kirchli- cher Trägerschaft).
Nach Vorstrafen darf der Arbeitgeber nur insoweit fra- gen, wie dies nach Art des Ar- beitsplatzes von Bedeutung ist.
Bei einem Kinderarzt ist etwa eine Vorstrafe wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger relevant, bei einer Arzthelferin zum Beispiel eine Vorstrafe wegen Diebstahls von Arbeit- geber- oder Patienteneigen- tum. Dagegen hat in diesen Fällen eine Vorstrafe wegen ei- nes Verkehrsdeliktes keinen Bezug zum Arbeitsplatz.
Fragen nach Krankheiten stellen einen erheblichen Ein- griff in das Persönlichkeits-
recht dar. Daher darf nur nach solchen Krankheiten gefragt werden, die die Eignung für die angestrebte Tätigkeit auf Dauer oder in periodisch wie- derkehrenden Abständen auf- heben oder beeinträchtigen.
Dies ist insbesondere auch der Fall, wenn die Gefahr der An- steckung von Patienten oder Kollegen besteht. Deshalb darf im Gesundheitsdienst auch nach einer HIV-Infektion ge- fragt werden.
Nach neuer Rechtspre- chung des BAG ist die Frage nach einer bestehenden Schwangerschaft im Falle ei- nes unbefristeten Arbeitsver- trages immer unzulässig und stellt einen Verstoß gegen das Verbot der geschlechtsbezoge- nen Benachteiligung nach
§ 611a BGB dar.Der Europäi- sche Gerichtshof hält die Fra- ge auch bei einem befristeten Arbeitsvertrag für unzulässig, und zwar auch dann, wenn die vereinbarte Tätigkeit wegen der Schwangerschaft während des größten Teils der Vertrags- laufzeit nicht ausgeübt werden kann. Es ist anzunehmen, dass das BAG dieser Rechtspre- chung des EuGH folgen wird.
Ebenfalls als unzulässige Geschlechtsdiskriminierung ist die Frage nach zukünftigem Wehr- oder Ersatzdienst anzu- sehen. Denn diese Frage kann nur männliche Bewerber be- treffen. Eine höchstrichterliche Entscheidung zu dieser Frage steht jedoch noch aus. Ob in der Vergangenheit Wehr- oder Zivildienst geleistet wurde, darf wegen der grundrechtlich geschützten Gewissensfreiheit ebenfalls nicht gefragt werden.
Seit Einführung des neuen
§ 81 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX ist da- von auszugehen, dass die Fra- ge nach der Schwerbehinder- teneigenschaft als solche eben- falls stets unzulässig ist. Zuläs- sig sind jedoch Fragen nach der Erfüllung arbeitsplatzbe- zogener Anforderungsprofile.
Wenn der Arbeitgeber ein Fragerecht hat, kann der Be- werber verpflichtet sein, eine relevante Information auch ohne Nachfrage des Arbeitge- bers von sich aus zu offenba- ren. Eine solche Offenbarungs- pflicht besteht dann, wenn die
fraglichen Umstände die Er- füllung der arbeitsvertragli- chen Leistungspflicht unmög- lich machen oder sonst für den in Betracht kommenden Ar- beitsplatz von ausschlaggeben- der Bedeutung sind. Von sich aus muss der Bewerber etwa mitteilen, dass er demnächst ei- ne Haftstrafe antreten muss.
Gleiches gilt,wenn er wegen ei- ner Krankheit dauerhaft ar- beitsunfähig ist. Auch ein alko- holkranker Chirurg müsste sei- ne Abhängigkeit wegen der Gefährdung der Patienten von sich aus offenbaren.
Beantwortet der Bewerber eine zulässige Frage wahr- heitswidrig (oder offenbart er einen Umstand trotz entspre- chender Pflicht nicht von sich aus) und wird er aufgrund sei- ner Lüge eingestellt, so stellt dies eine arglistige Täuschung im Sinne des § 123 BGB dar.
Der Arbeitgeber ist dann be- rechtigt, sich durch Anfech- tung vom Vertrag zu lösen. Zu- dem kann er einen entstande- nen Schaden einklagen.
Stellt der Arbeitgeber hin- gegen eine unzulässige Frage, darf der Bewerber die Ant- wort verweigern. Hiermit al- lein ist dem Bewerber aller- dings kaum gedient. Denn kei- ne Antwort kann bekanntlich auch eine Antwort sein. Die Antwortverweigerung gefähr- det den Vertragsschluss daher genauso wie die wahrheits- gemäße Beantwortung der un- zulässigen Frage. Deshalb ist in der Rechtsprechung aner- kannt, dass dem Bewerber in- soweit ein ,,Recht zur Lüge“
zusteht:Die wahrheitswidrige Beantwortung einer unzulässi- gen Frage hat rechtlich keine negativen Konsequenzen für den auf Basis der Lüge einge- stellten Arbeitnehmer. Die Lüge kann weder eine Kün- digung des Arbeitsvertrages rechtfertigen noch dessen An- fechtung. Beantwortet der Be- werber eine unzulässige Frage des Arbeitgebers trotz seines ,,Rechts zur Lüge“ wahrheits- gemäß und wird deshalb nicht eingestellt, kommt ein Scha- densersatzanspruch gegen den Arbeitgeber in Betracht.
Dr. jur. Jörg Laber CBH-Rechtsanwälte, Köln
Bewerbungsgespräch
Lügen erlaubt
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