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Keine Frage: Trotz gestiegener

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Frankfurter Stadtbote

Frankfurt (Oder)

Montag, 21. September 2020 A 12167 1,70 €

31. Jahrgang · Nr. 221

4 191216 701709

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Blick ins Blatt

Beim Konzert sitzen Ehepartner auf Abstand

Unter besonderen Hygieneregeln gab das Brandenburgische Staatsorches- ter in der Messehalle ein Konzert.

Rund 500 Gäste waren zugelassen.

Gespielt wurde die „Leningrader Sin- fonie“ von Schostakowitsch. Seite 13

Ein Mekka für Technikfans

Das Museumsfest und 1. Ostblock Meeting lockte mehr als 1000 Besu- cher aus ganz Deutschland nach Neu- hardenberg auf den Flugplatz. Unter anderem gab es einen MT 77 zu be-

staunen. Seite 16

Mit Zittersieg

an die Tabellenspitze

Dank eines späten Tores siegte der 1. FC Frankfurt in der Fußball-Bran- denburgliga gegen Union Kloster- felde und übernahm damit die Tabel- lenführung. Das 4:3 fiel erst in der Nachspielzeit. Seite 22

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15230 Frankfurt (Oder)

Gesetze und Corona: Warum die Krankenversicherung teurer wird — Seite 4

Mit jedem Pinselstrichkommt die Farbkraft zu- rück. Dirk Zacharias aus Dresden gehört zu einem Restauratoren-Team, das vor etwa 30 Jahren be-

malte Steine im Findlingspark Henzendorf wieder schick macht. Ilona Weser vom betreibenden Landschaftspflegeverband lässt es sich nicht

nehmen, den Experten über die Schulter zu schauen. Das Kunstwerk auf dem Bild trägt den Namen Blauzahn. Foto: Janet Neiser

Blauzahns Behandlung

K

eine Frage: Trotz ge- stiegener Zahl von Corona-Neuinfektio- nen hält sich der An- sturm auf die Krankenhäuser sehr in Grenzen. Knapp 260 Covid-19-Patienten müssen in- tensivmedizinisch behandelt werden. Bundesweit sind 9000 Betten auf Intensivstationen nicht belegt. Da muss man sich nicht wundern, dass die Län- der die Pflicht-Quoten für frei zu haltende Betten Stück für Stück reduziert haben. Sie aber auf Null zu stellen, wie auch in Brandenburg gesche- hen, ist ein Fehler. Die vom Ärztepräsidenten angemahn- ten zehn Prozent sind eine dringende Reserve für den Fall, dass schwere Erkrankun- gen plötzlich stark ansteigen.

Schließlich liegen die zur- zeit so leichten Fälle am nied- rigen Durchschnittsalter. Doch die Zahl der Älteren steigt.

Das muss aufhorchen lassen.

Ja, die regionalen Unterschie- de sind groß. Gerade die Ost-Flächenländer sind viel weniger von Corona betroffen als Bayern, Nordrhein-Westfa- len, Baden-Württemberg – oder auch Berlin. Spanien und Frankreich zeigen uns, wie schnell sich die Lage in den Kliniken verschlechtern kann.

Wir haben es noch nicht über- standen. Denn Herbst und Winter kommen erst noch.

Eine Reserve ist nötig

Kommentar Hajo Zenker zur Zahl der Corona-Betten

Schweinepest Bundesregierung sagt Hilfe zu

Neuzelle. Das Bundesagrarmi- nisterium hat Brandenburg nach dem Ausbruch der Afrikani- schen Schweinepest Unterstüt- zung im Kampf gegen die Tier- seuche zugesagt. Die Suche nach toten Wildschweinen wur- de verstärkt. Am Sonnabend wa- ren nahe Neuzelle (Oder-Spree) Suchtrupps unterwegs, die von 20 Kräften des Technischen Hilfswerks unterstützt wurden.

Fünf Kadaver wurden gefunden, teilte der Kreis mit. dpa Seite 7

Polen weist Kritik zurück

Warschau/Frankfurt. Die Kritik des Brandenburger Umweltmi- nisteriums sowie von Umwelt- organisationen an den polni- schen Plänen zur Vertiefung der Oder stößt bei den verantwort- lichen Stellen im Nachbarland auf Unverständnis. Die Maß- nahmen dienten dem Hochwas- serschutz und seien bereits vor fünf Jahren in einem gemeinsa- men Regierungsabkommen mit Deutschland vereinbart worden.

Das erläutert der zuständige Abteilungsleiter aus dem Warschauer Ministerium für Binnenschifffahrt, Przemysław

Zukowski. ds

BrandenburgSeite 8

Oder-AusbauGeplante Vorhaben schon 2015 mit Deutschland vereinbart.

B

randenburger müssen in dieser Woche mit Warn- streiks in Behörden, Ki- tas und bei der Müllab- fuhr rechnen. Nachdem die zweite Verhandlungsrunde im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen am Sonntag aus Sicht der Gewerkschaft Verdi ergebnislos geblieben ist, hat Verdi Warnstreiks angekündigt.

Erste Ausstände in einzelnen Regionen beginnen am Diens- tag, wie die Gewerkschaft am Sonntag in Potsdam ankündig- te. Wo und in welchen Branchen gestreikt wird, werde erst An-

fang der Woche klar, hieß es.

Wie aus Verhandlungskreisen bekannt wurde, müssen sich auch die Eltern von Kita-Kin- dern auf Ausstände einstellen.

Es sei aber damit zu rechnen, dass Erzieherinnen nicht mehr als ein bis zwei Tage ihre Arbeit niederlegen.

„Die öffentlichen Arbeitgeber haben sich zwei Runden lang eingemauert“, sagte Verdi-Chef Frank Werneke laut einer Mit- teilung. In zentralen Punkten lä- gen die Verhandlungsparteien noch weit auseinander. Als

„skandalös“ kritisierte Werneke

es, dass eine Ost-West-Anglei- chung bei der Arbeitszeit erst 2025 verwirklicht werden solle.

Bereits der Chef des Beam- tenbunds dbb, Ulrich Silber- bach, hatte Warnstreiks etwa in Kitas und Pflegeeinrichtungen nicht ausgeschlossen. Es sei ein

„Unding“, dass die Arbeitgeber eine Tariflaufzeit von 36 bis 40 Monaten anstrebten, kritisierte Silberbach. Verdi und der Deut- sche Beamtenbund fordern 4,8 Prozent mehr Lohn. und eine Vertragslaufzeit von zwölf Mo- naten. Der kommunale Arbeit- geberpräsident und Verhand-

lungsführer der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberver- bände (VKA), Ulrich Mädge, be- gründete das ausstehende Ar- beitgeberangebot damit, dass zunächst bei separaten Ver- handlungen über die Sondersi- tuation bei Sparkassen, der Pfle- ge und in Kliniken eine Einigung erzielt werden müsse. Bundes- innenminister Horst Seehofer (CSU) kündigte als Verhand- lungsführer für die Angestellten des Bundes ein Arbeitgeberan- gebot noch vor der dritten Ta- rifrunde am 22. und 23. Oktober

an. dpa/afp

Gewerkschaften kündigen Warnstreiks an

Öffentlicher Dienst Nachdem die Verhandlungen in Potsdam gescheitert sind, drohen Verdi und Beamtenbund mit Ausständen. Auch Kitas könnten betroffen sein.

Potsdam.Die Krankenhäuser in Brandenburg sollen für den Fall eines plötzlichen Anstiegs der Corona-Infektionen je nach Be- darf flexibel Bettenkapazitäten bereitstellen – aber ohne festen Anteil. Die Krankenhäuser müssten innerhalb von 48 bis 72 Stunden weitere Behandlungs- möglichkeiten für Covid-19-Pa- tienten organisieren, wenn ein Anstieg der Infektionen dies er-

fordere, erklärte das Gesund- heitsministerium am Sonntag.

Ministerin Ursula Nonnema- cher (Grüne) hatte im Juni eine feste Vorgabe für das Freihalten von Betten aufgehoben, weil die Reserven den Bedarf deutlich überstiegen. Die Zahl neuer An- steckungen im Land stieg in den vergangenen Wochen teils wie- der. Die „Frankfurter Allgemei- ne Sonntagszeitung“ berichtete,

dass trotz steigender Infektions- zahlen deutsche Kliniken weit weniger Betten für Corona-Pa- tienten freihielten als noch vor einigen Wochen. Lediglich Rheinland-Pfalz bleibt bei ei- nem Anteil von 20 Prozent. In Berlin seien bereits seit Juni nur noch zehn Prozent der Betten für Covid-Patienten reserviert.

Die Bundesärztekammer be- zeichnete einen Zehn-Pro-

zent-Anteil als richtig: Es gebe trotz leicht gestiegener Zahlen keine erhebliche Belastung der Intensivstationen.

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) twitterte ange- sichts steigender Infektionen:

„Aktuell kann unser Gesund- heitssystem gut mit der Situati- on umgehen, aber die Dynamik in ganz Europa besorgt.“ dpa Kommentar

Weniger Betten für Covid-Fälle reserviert

Corona-Pandemie Gesundheitsministerium fordert flexible Kapazität in Brandenburg.

Heute Morgen Übermorgen

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Das Wetter

Seite 6

Ottawa.Weil er schlief, während sein auf Autopilot gestellter Wagen gut 140 Stundenkilometer schnell auf der Autobahn fuhr, wird gegen einen 20-jährigen Fahrer in Kanada ermittelt. Der Mann müsse sich we- gen gefährlichen Fahrens verantwor- ten, teilten die Strafverfolgungsbe- hörden mit. Nach Angaben des Sen- ders CBC fuhr er einen Tesla und war schneller als erlaubt unterwegs. Im Autopilot-Modus können Tes- la-Fahrzeuge selbstständig die Spur halten, beschleunigen und bremsen.

Der Autopilot erfordert aber eine

„aktive Überwachung durch den Fahrer“, wie Tesla auf seiner Website

klarstellt. dpa

DAS GIBT’SAUCH NOCH

Tadej Pogacar gewinnt die Tour de France

Paris.Mit einem triumphalen Zeitfah- ren hat der Slowene Tadej Pogacar noch seinem Landsmann Primoz Ro- glic den Sieg entrissen und wurde im Ziel in Paris als zweitjüngster Sieger aller Zeiten gefeiert. Seite 19 bis 21

Freunde: Tadej Pogacar (rechts) um- armt Primoz Roglic. Foto: dpa

Privatschulen im Osten zunehmend beliebter

Berlin.Im Osten Deutschlands ist der Anteil der wohlhabenderen Familien gewachsen. Vor allem Akademiker schicken ihre Kinder auf private Schu- len. Ihr Anteil liegt höher als in den alten Bundesländern. Seite 3

Im Trend: Zunehmend mehr Kinder besuchen private Schulen. Foto: dpa

Die Hitsder 70er, 80er und das Beste von heute“ – bla bla bla.

Wer kennt diese Radiowerbe- spots nicht? In der Corona-Pan- demie erlangte dieses Konzept aber wachsende Bedeutung.

Denn: Der mehr oder weniger starke Lockdown hat in europä- ischen Ländern eine musikali- sche Nostalgie-Welle ausgelöst.

Timothy Yu-Cheong Yeung von der belgischen Universität Löwen fand heraus, dass die Nutzer der Musik-Strea- ming-Plattform Spotify nach der Verhängung strikter Coro- na-Maßnahmen ihre Songaus-

wahl änderten. Der Anteil ge- streamter Lieder, die älter als drei Jahre waren, lag teils dop- pelt so hoch wie im Vorjahr, also bevor Corona den Leuten die Stimmung verhagelte.

Statt „Blinding Lights“

war plötzlich „Bohemi- an Rhapsody“ angesagt.

Yeung vermutet den Grund darin, dass Men- schen sich in schwierigen Situationen gern an die „gute alte Zeit“ erinnern. Das ist ein normaler psychischer Vorgang:

Negative Empfindungen lösen Nostalgie aus. Doch während

diese früher mit Schwermütig- keit und Depressionen in Ver- bindung gebracht wurde, sieht die moderne Forschung in ihr eher den Auslöser positiver Folgewirkungen, Musik wird ja sogar therapeu-

tisch eingesetzt.

Wie lange die Spo- tify-Nutzer die ohnehin schon unendlich oft ge- hörten alten Ohrwürmer durchnudeln werden, lässt sich schwer voraussagen. Aber da maskierte Sänger zurzeit schwer in Mode sind, könnte es noch eine Weile dauern. Stefan Kegel

Früher war alles besser

FOTOUI/SHUTTERSTOCK.COM

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2 THEMEN DES TAGES/POLITIK

Montag, 21. September 2020

Kommentar Peter DeThier

zur Ernennung einer neuen Obersten Richterin in den USA

D

er plötzliche Tod der bereits zu Lebzeiten legendären Richterin Ruth Bader Gins- burg hat das ohnehin schon turbulente Rennen um die US-Präsi- dentschaft noch chaotischer gemacht.

Denn während die Nation um eine Verfassungsrichterin trauert, die sich als Ikone der politischen Liberalen profiliert hatte, planen Präsident Do- nald Trump und die Republikaner be- reits, möglichst schnell eine erzkon- servative Juristin für den Obersten Gerichtshof zu ernennen. „Es wird eine Frau!“, verkündete der US-Präsi- dent am Wochenende.

Ginsburgs Tod in Folge einer Krebserkrankung hinterlässt jeden- falls ein Vakuum im Supreme Court, der in politischen Grundsatzfragen wie Abtreibung, Religionsfreiheit, Gleichbehandlung, Waffenkontrollen und der Todesstrafe das letzte Wort hat. Von den acht verbleibenden Rich-

tern, alle auf Lebenszeit im Amt, wur- den nämlich fünf von republikani- schen Präsidenten ernannt. Nun will Trump, voraussichtlich schon in we- nigen Tagen, eine republikanische Frau für den Supreme Court bestim- men.Damit könnten Grundsatzurteile, die das Leben jedes Amerikaners prä- gen, über Generationen hinweg die Handschrift der Erzkonservativen tra- gen. Trump geht dabei voll auf Risiko.

Zwar könnte sich die Berufung einer Richterin für ihn deswegen auszahlen, weil er bei weiblichen Wählern deut- liche Rückstände ausgleichen muss.

Doch trotzdem könnte der Schritt sechs Wochen vor der Wahl zum Ei- gentor werden. Denn es ist durchaus möglich, dass er mit einer überaus konservativen Kandidatin die letzte Chance verspielen würde, politisch gemäßigte Wechselwähler für sich zu gewinnen.

Trump setzt auf Tempo

Schon seit Tagensoll der CDU-Politiker Armin Schuster als möglicher Kandidat für die Leitung des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe im Ge- spräch sein. Der Vorsitzende des für die Geheimdienste zu- ständigen Parlamentarischen Kontrollgremiums ist Ex-Bundespolizist. Er war nach der Abberufung des Verfas- sungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen als dessen Nachfolger gehandelt worden. Schuster vertritt den ba- den-württembergischen Wahlkreis Lörrach-Müllheim.

Beim ersten bundesweiten Warntagwar am 10. Sep- tember einiges schief gelaufen. Unter anderem kam die Meldung der Warn-Apps Nina und Katwarn erst mit einer guten halben Stunde Verspätung auf den Smartphones an.

Wäre es tatsächlich ein Ernstfall gewesen, hätten viele Bür- ger nichts mitbekommen. Das Bundesinnenministerium hatte den Probealarm deshalb als „fehlgeschlagen“ be-

zeichnet. dpa

STICHWORTBBK-CHEF Leitartikel

Igor Steinle zum FDP-Parteitag

V

or allem Ältere kennen das Bild der Frau, die auf dem Boden kniend einen jungen Baum ein- pflanzt. Es ist das mo- dern nachgezeichnete Motiv der 50-Pfennig-Münze, das die FDP sich als Leitbild für ihren Partei- tag ausgesucht hat.

Es verweist auf eine gute alte Zeit, in der, so sieht es zumindest der frisch gekürte Generalsekretär Volker Wissing, Deutschland mit wenig Staat und viel unternehmerischer Freiheit einen Wirtschaftsaufschwung erlebt hat. Das würde man gerne wiederho- len: Zurück zu den Wurzeln mit dem liberalen Markenkern Wirtschaft und Steuern lautet das neue alte Motto.

Vor allem ältere Wähler will man da- mit wieder ansprechen. Denn die wählen die FDP seltener als Jüngere.

Verkörpert wird dieser Anspruch vom rheinland-pfälzischen Wirt- schaftsminister Wissing. Die Aura des Juristen und gelernten Kirchenmusi- kers strahlt etwas gediegen Bürgerli- ches aus. Wenig mitreißend fiel seine Bewerbungsrede aus: sehr viel Öko- nomie, dazu ein bisschen Freiheit. Die Delegierten quittierten das dennoch freundlich-wohlwollend mit knapp 83 Prozent Zustimmung. Nach dieser Rede bleibt abzuwarten, wie der nüchterne Wissing sich als Generalse- kretär schlagen wird – ist seiner Vor- gängerin Linda Teuteberg, die ihrer- zeit zehn Prozentpunkte mehr erhal- ten hatte, doch gerade ihre sachliche Natur vorgeworfen worden. Zumal die Personalie unter besonderer Beobach- tung steht: Vielen hat der Stil, mit dem Teuteberg aus dem Amt gedrängt wurde, nicht gefallen. Der Vorgang verfestigte das Image einer Männer- partei, in der es Frauen schwer haben.

Daran ändert auch die Wahl zweier Bewerberinnen ins Präsidium nichts.

Davon abgesehen ist es nicht ohne Risiko, derart stark auf Wirtschafts-

themen zu setzen. Der Krisenzeitgeist spricht gegen die Liberalen. In Zeiten wirtschaftlicher Not ist den meisten Menschen nach mehr Staat, nicht nach weniger. Gerade der Beweis der Handlungsfähigkeit während der Mi- grationskrise und Corona-Pandemie hat zuletzt das Vertrauen in die De- mokratie gestärkt. Insofern ist die Strategie der Liberalen ein gewagtes Experiment mit offenem Ausgang.

Und dann wäre da noch ein unbere- chenbarer Möchtegern-Ministerpräsi- dent Kemmerich, der mit einer erneu- ten Kandidatur in Thüringen Partei- chef Lindner böse in den Wahlkampf grätschen könnte.

Das wäre symptomatisch für die Performance der Partei, die trotz soli- der Oppositionsarbeit regelmäßig über die eigenen Beine stolpert. So wird nach dem Parteitag nicht über Inhalte, sondern eine missglückte Äu- ßerung Lindners diskutiert. Während einer ansonsten hervorragenden Rede sprach er bei der Verabschiedung Teutebergs von 300 gemeinsam be- gonnenen Tagen, womit er Telefonate zur politischen Lage meinte. Das konnte man aber auch anders verste- hen, was in den sozialen Medien na- türlich bereitwillig getan wird. Nur davon ist nun die Rede, nicht etwa vom Ziel, das Wahlalter auf 16 Jahre herabzusenken. Aufbruchsstimmung für das Ziel Regierungsbeteiligung, an das Lindner seinen Vorsitz geknüpft hat, kommt da nicht auf.

leserbriefe@moz.de

Holpriger Aufbruch

Berlin.Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen hält das Rechts- hilfeersuchen Russlands im Fall Nawalny für problematisch, weil der Kremlkritiker so von russi- schen Ermittlern befragt werden könnte. „Es ist Alexej Nawalny nicht zumutbar, von russischen Ermittlern befragt zu werden, nachdem er in Russland mit ei- nem hochkomplexen Nervengift vergiftet wurde. Sein Schutz und seine Gesundheit haben oberste Priorität“, sagte Röttgen der

„Frankfurter Allgemeinen Sonn- tagszeitung“.

Außerdem könne man nicht davon ausgehen, dass Russland eine ernsthafte Strafverfolgung beabsichtigt. „Dafür gibt es in die- sem Fall keinen Grund zur An- nahme – schließlich ermitteln die russischen Behörden noch immer nicht in Russland, wo das Verbre- chen geschehen ist.“ Röttgen, der Vorsitzender der CDU werden möchte, sprach sich für eine in- ternationale Untersuchung aus.

Diese könne etwa im Rahmen der UN erfolgen. Zuletzt hatten sich

unter anderem auch die Nato und das EU-Parlament für eine solche Untersuchung stark gemacht.

Nawalny wird seit dem 22. Au- gust in der Charité behandelt.

Wochenlang lag er in einem künstlichen Koma. Die Bundesre- gierung hält es nach Untersu- chungen von Speziallaboren für

erwiesen, dass er mit einem in- ternational verbotenen Nerven- kampfstoff der Nowitschok-Grup- pe vergiftet wurde. Russland be- streitet Vorwürfe, etwas mit dem Fall zu tun zu haben. In Deutsch- land sind inzwischen zwei Rechtshilfeersuchen Russlands eingegangen.

Unterdessen erholt sich Alexej Nawalny weiter. Er veröffentlich- te auf Instagram ein Bild, das ihn stehend auf einer Treppe in der Berliner Universitätsklinik Cha- rité zeigt. Der 44-Jährige dankte den „brillanten Ärzten“ der Kli- nik. „Sie haben mich von einem

„technisch lebendigen Men- schen“ zu jemandem gemacht, der alle Chancen hat, wieder eine Hohe Lebensform der Modernen Gesellschaft zu werden“, schrieb er. Er werde zu jemandem, der wieder rasch Instagram nutze und

„ohne nachzudenken versteht, wo ein Like hingehört“. „Jetzt bin ich ein Kerl, bei dem die Beine zit- tern, wenn er die Treppen läuft“, schrieb er passend zu dem Bild

auf den Stufen. dpa

Moskau will Nawalny befragen

Gift-Anschlag CDU-Außenpolitiker Röttgen hält Rechtshilfeersuchen russischer Ermittler für problematisch.

FDP Lindner knüpft Amt an Wahlerfolg

Berlin. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hat sein Amt an eine zukünftige Regierungsbe- teiligung geknüpft. „Mein Partei- vorsitz, um den ich mich im Mai nächsten Jahres wieder bewerben werde, der ist ganz eng geknüpft an das Ziel, die FDP in die Regie- rung zu führen“, sagte er am Ran- de des FDP-Parteitages am Sams- tag. Auf dem Parteitag wurde der neue Generalsekretär Volker Wis- sing mit knapp 83 Prozent der Stimmen gewählt. igs Leitartikel

Washington. Kann US-Präsident Donald Trump die konservative Mehrheit im Obersten Gericht auf Jahre oder sogar Jahrzehnte ze- mentieren? Derzeit sieht es ganz danach aus. Denn nur kurz nach dem Tod der Verfassungsrichte- rin Ruth Bader Ginsburg, die eine Ikone der Liberalen war, machte er klar, die Stelle schnell neu be- setzen zu wollen: „Es wird eine Frau sein“, legte sich Trump bei einem Wahlkampfauftritt fest.

Seine wahrscheinlichste Kandida- tin soll die Bezirksrichterin Amy Coney Barrett aus Chicago sein, berichtete unter anderem der Sender ABC. Sie ist als klare Ab- treibungsgegnerin bekannt. Mit ihrem Alter von 48 Jahren hätte Barrett potenziell eine lange Zeit

im neunköpfigen Gremium vor sich – die Posten werden auf Le- benszeit vergeben. Der Supreme Court ist nicht nur das höchste Gericht der USA. Er fungiert zu- gleich als Verfassungsgericht und kontrolliert den Gesetzgeber und den Präsidenten.

Ginsburg gehörte dem Su- preme Court 27 Jahre an. In den letzten Jahren war sie dabei im- mer mehr zu einer pop-kulturel- len Ikone der liberalen und femi- nistischen Juristen geworden.

Ginsburg, die ursprünglich eher scheu wirkte, hatte später durch- aus Spaß an ihrer Rolle als Star gefunden. Ginsburg erkrankte ab 1999 mehrfach an Krebs, nun starb sie mit 87 Jahren an Bauch- speicheldrüsenkrebs.

Als Tochter jüdischer Eltern in New York geboren, war Ginsburg davon geprägt, nach dem Ju- ra-Studium als Frau zunächst kei- nen Job gefunden zu haben.

Schließlich arbeitete sie für die Bürgerrrechtsorganisation ACLU und kämpfte gegen die Diskrimi- nierung von Frauen. Sie stieg bis zum Bundesberufungsgericht auf, wo der damalige Präsident Bill Clinton auf sie aufmerksam wur- de und 1993 in das Oberste Ge- richt holte.

Dort machte sich die Richterin einen Namen als leidenschaftli- che Vorkämpferin für die Gleich- behandlung von Frauen und eth- nischen Minderheiten sowie für das Recht jeder Frau auf Schwan- gerschaftsabbruch. Als sich im Supreme Court ein Rechtsruck vollzog, rebellierte sie nach um- strittenen Urteilen mit den Wor- ten „I dissent!“ („Ich widerspre- che!“). Damit stieg sie zum Inter- netstar auf. Ihr Gesicht findet sich auf Souvenirs und als Graffiti.

Die Demokraten fordern, dass Trump Traditionen respektiert und dem nächsten Präsidenten die Entscheidung überlässt.

Trump ficht das nicht an, er will Nägel mit Köpfen machen. Im- merhin: Für Ginsberg, die ihn mehrmals scharf attackiert hatte, fand er nun freundliche Worte: Er nannte sie eine „Titanin des Rechts“ und ordnete an, dass Flaggen auf dem Weißen Haus und Staatsgebäuden für einen Tag auf halbmast gesetzt wurden.

Peter DeThier (mit dpa) Kommentar

Trump strebt rasche Nachfolge am Obersten Gericht an

USA Nach dem Tod der liberalen Justiz-Ikone Ruth Bader Ginsburg will der Präsident für die Neubesetzung des Postens nicht die Wahl abwarten. Im Gespräch ist eine strikte Abtreibungsgegnerin.

Ruth Bader Ginsburg, Rich- terin am Obers- ten Gericht der USA, ist im Al- ter von 87 Jah- ren gestorben.

Foto: Patrick Se- mansky/AP/dpa

Der Platzmacher. Karikatur: Paolo Calleri

Nicht über

Inhalte wird nun gesprochen, sondern über eine missglückte Äußerung Lindners.

BBK-Leitung Schuster soll Unger ablösen

Berlin.Der CDU-Bundestagsabge- ordnete Armin Schuster soll Be- richten zufolge neuer Chef des Bundesamts für Bevölkerungs- schutz und Katastrophenhilfe (BBK) werden. Er soll den nach Pannen beim bundesweiten Warntag in die Kritik geratenen Amtschef Christoph Unger ablö- sen, wie „Stuttgarter Nachrich- ten“ und ARD berichteten. Zuvor war bekannt geworden, dass Bun- desinnenminister Horst Seehofer (CSU) Unger ablösen wolle. afp Stichwort

Alexej Nawalny zeigte sich am Samstag auf Instagram.

FOTO:UNCREDITED/NAVALNYINSTAGRAM/AP/DPA

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3 THEMEN DES TAGES/POLITIK

Montag, 21. September 2020

Im neuen provisorischen Flüchtlingslagerauf der giriechischen Insel Lesbos wurden mittlerweile mehr als 200 Migranten positiv auf Corona getestet. Für sie wurde eine Quarantänezone eingerichtet. Foto: Manolis Lagouratis/afp

Quarantänezone im Lager

Horst Seehofer, Bundesinnenminis- ter (CSU), zu den anstehenden Ver- handlungen über eine Reform der Asylpolitik in der Europäischen Union.

„Wir sollten nicht als Vormund Europas auftreten, sondern als Partner.“

SATZDES TAGES

„Alan Kurdi“

114 Geflüchtete an Bord

Regensburg. Das deutsche Ret- tungsschiff „Alan Kurdi“ hat am Samstag 114 Geflüchtete in See- not gerettet. Die Menschen seien auf zwei Booten im Mittelmeer unterwegs gewesen, teilte die Re- gensburger Hilfsorganisation Sea-Eye mit, die das Rettungs- schiff betreibt. Es war der erste Einsatz der „Alan Kurdi“ nach ei- ner viermonatigen Zwangspause, nachdem das Schiff von italieni- schen Behörden wegen angeblich technischer Mängel festgesetzt

worden war. dpa

Erdgas-Streit

Türkei erbost über Schlagzeile

Istanbul.Eine griechische Zeitung hat im erbitterten Gasstreit zwi- schen Athen und Ankara Öl ins Feuer gegossen. Das Blatt „Demo- kratia“ veröffentlichte ein Foto des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan mit der Über- schrift „Verpissen Sie sich, Herr Erdogan“. Damit die Botschaft an- kommt, stand sie auch in Englisch dabei. Das türkische Präsidialbü- ro beschwerte sich in einem Brief an die griechische Regierung dar- über, berichtete Regierungsspre- cher Stelios Petsas. afp

US-Sanktionen Iran spricht von Propaganda

Teheran.Aus Sicht des Irans kön- nen die USA die vor Jahren aus- gesetzten Sanktionen gegen Te- heran nicht im Alleingang in Kraft setzen. Ihr Vorstoß in diese Rich- tung sei ungültig und nur ein

„Propagandatrick“ vor der US-Präsidentschaftswahl im No- vember, sagte Außenminister Mo- hammed Dschawad Sarif. Der UN-Sicherheitsrat unterstütze die behauptete Auslösung des Snapback-Mechanismus nicht, weil die USA nicht mehr Teil des Atomabkommens seien. afp

A

mdy blickt konzen- triert auf die Ma- theaufgaben auf seinem Schreib- tisch. Der 12-Jähri- ge hat vor ein paar Wochen die siebte Klasse begon- nen und soll zeigen, was er in den Vorjahren gelernt hat. Er hat erst ein paar Aufgaben gelöst und ist gerade mit der Bruchrechnung beschäftigt, als Lehrer Uwe ihm sagt: „Wir machen jetzt eine Sportpause.“

Dass die Schüler innerhalb ei- ner Unterrichtsstunde erst Auf- gaben lösen und dann Sport trei- ben, ist eine Besonderheit an der privaten freien Sekundarschule Peppermont in Berlin. Eltern mö- gen verschiedene Motive haben, ihre Kinder auf Privatschulen zu schicken. Dass dort ungewöhnli- che, experimentelle Unterrichts- konzepte öfter vorkommen als an staatlichen Schulen, ist eines davon.

Bundesweit ist die Zahl der Pri- vatschüler deutlich gestiegen.

Laut Statistischem Bundesamt be- suchten im Schuljahr 2018/2019 etwa eine Million Kinder und Ju-

gendliche eine solche Schule – je- des elfte Kind. Seit 1990 hat sich der Anteil sogar verdoppelt. Teil- weise bestimmt das Einkommen der Eltern, wer auf eine Privat- schule gehen kann. Experten be- unruhigt dieser Trend – sie war- nen davor, dass Kinder aus den oberen sozialen Schichten von staatlichen zu Privatschulen ab- wandern könnten.

„Wir betrachten unsere Schu- le als Parallele zum Leben“, sagt

Lehrer Uwe von der Pepper- mont-Schule. Jeder solle auf die Art lernen, die für ihn am besten sei. Der Unterricht ist größten- teils fächerübergreifend und die Schüler arbeiten häufig in Grup- pen. „Als sie sich mit dem Plane- ten Erde beschäftigt haben, muss- ten sie Wissen aus dem Physik-, Chemie- und Geografie-Unter- richt anwenden“, sagt der Pädago- ge. Der 59-Jährige unterrichtete zuerst an einer staatlichen Schu- le. Dort stünden die Prüfungen zu sehr im Fokus, danach würden die Schüler vieles wieder vergessen.

An den Privaten Kant-Schulen in Berlin orientiert man sich stär- ker am staatlichen Lehrplan. Die Oberschule legt einen Schwer- punkt auf Wirtschaft und Eng- lisch. „Wir richten uns an die Schüler und Eltern, die sich für die Schwerpunkte interessieren oder denen das staatliche Ange- bot nicht ausreicht“, sagt Ge- schäftsführer Andreas Wegener.

Ermäßigungen auf das Schulgeld Beide Einrichtungen erheben un- terschiedlich hohes Schulgeld: An den Privaten Kant-Schulen sind monatlich 430 bis 470 Euro fällig.

Für Geschwister und „einkom- mensschwache Familien“ kann es Ermäßigungen geben. Auch an der Freien Sekundarschule Pep- permont bestimmt das Einkom-

men der Eltern die Gebühren: Sie bezahlen mindestens 160 und ma- ximal 300 Euro pro Monat. Im Grundgesetz steht, dass Gebüh- ren nicht dazu führen sollen, dass es allein vom Einkommen der El-

tern abhängt, ob ihre Kinder eine Privatschule besuchen können. Es gibt aber keine bundesweite Obergrenze für Schulgeld.

Eine Studie des Deutschen In- stituts für Wirtschaftsforschung

(DIW) hat ergeben, dass vor al- lem in Ostdeutschland überwie- gend Akademiker ihre Kinder auf Privatschulen schicken. Im Jahr 2015 besuchten 23 Prozent dieser Kinder eine Privatschule – und nur vier Prozent der Kinder von Nicht-Akademikern. In West- deutschland betrug das Verhält- nis 17 zu sieben Prozent.

„In Ostdeutschland kommt ein Einkommenseffekt dazu. Dort hat der Anteil der Kinder aus den wohlhabenderen Haushalten deutlich zugenommen“, sagt DIW-Bildungsökonomin Kathari- na Spieß, die an der Studie betei- ligt war. Stipendien und einkom- mensabhängige Finanzierungen hätten daran bisher noch nichts geändert.

Sie geht aber nicht davon aus, dass sich an den deutschen Schu- len eine Zwei-Klassen-Gesell- schaft gebildet hat. „Dafür ist der Anteil der Privatschüler an allen Schülerinnen und Schülern zu ge- ring. Wir müssen aber aufpassen, dass es nicht zu einer weiteren Spaltung kommt.“ Spieß fordert auf Länderebene einheitliche Re- gelungen für Privatschulen. Sie sollten außerdem bei Eltern, die weniger verdienen, stärker auf sich aufmerksam machen. Umge- kehrt müssten staatliche Schulen gezielt um Kinder aus „bildungs- nahen Haushalten“ werben.

Hintergrund

Die meisten Schulenwurden von der Corona-Pademie unvorberei- tet getroffen.Eltern berichteten, dass nur ein Teil des Unterrichts digital stattgefunden habe. Eini- ge Lehrer verfügten nicht über die nötige technische Ausstat- tung. Deshalb hat der Bund 500 Millionen Euro bereitgestellt, mit denen die Länder Laptops für Lehrer finanzieren sollen.

Viele Privatschulen waren schon vor Corona besser digital ausgestattet als staatliche. Das könnte ein Grund sein, dass im- mer mehr Eltern ihre Kinder auf Privatschulen schicken. Genauso möglich ist, dass einige nach den Erfahrungen aus der Corona-Zeit jetzt darüber nachdenken.

Unter Wissenschaftlern gibt es unterschiedliche Ansichten, in welchem Alter Kinder beginnen sollen, den Umgang mit digitalen Medien zu lernen. Die Bildungs- wissenschaftlerin und Lehrerin Uta Hauck-Thum findet, dass Kin- der schon in der Grundschule da- mit arbeiten sollen. „Es geht aber nicht darum, den Unterricht, wie man ihn kennt, zu digitalisieren“, sagt die 44-Jährige. Digitale Ge- räte erleichterten den Kindern je- doch, verschiedene Aspekte eines Themas darzustellen.

Zusammen mit Studenten or- ganisiert Hauck-Thum Projekte an einer staatlichen Grundschu- le in München. „Dort produzie- ren die Schüler unter anderem kleine Fernsehsendungen und Er- klärfilme und gestalten damit ei- gene Webseiten. Zum Beispiel zum Thema Wald.“

Ralf Lankau bevorzugt dagegen weiter den Präsenzunterricht.

„Das deutsche Schulsystem ist auf Präsenz ausgelegt, weil Lernen ein individueller und sozialer Prozess ist“, sagt der Professor für Digitaldesign an der Hoch- schule Offenburg. Er lehnt digita- le Geräte an Schulen nicht grund- sätzlich ab – Grundschüler seien dem aber noch nicht gewachsen:

Die Sinne der Kinder würden we- niger gefordert, wenn der Unter- richt vorwiegend am Bildschirm stattfinde.

Die Lernplattformen kommer- zieller Anbieter sieht Lankau ebenfalls kritisch: Die Firmen würden kein pädagogisches Kon-

zept verfolgen, sondern unter- stützen, dass die Schüler mög- lichst passgenau für den Arbeits- markt ausgebildet würden. Oft würden zudem persönliche Daten erhoben. So auch bei der Schul- Cloud des Hasso-Plattner-Insti- tuts (HPI), die schon einmal ge- hackt worden sei.

Eine HPI-Sprecherin teilt mit, dass personenbezogene Daten in Einzelfällen einsehbar waren. Si- cherheitslücken seien innerhalb weniger Stunden geschlossen worden. Die Daten müssten erho- ben werden, damit die Wissens- stände der Schüler gespeichert werden könnten. Daniel Wydra

Digitale

Grundschule?

Privatschulen –

teuer, aber beliebt

Bildung Immer mehr Kinder besuchen eine private Bildungsstätte. Die Mehrheit der Schüler kommt aus Akademiker-Haushalten. Experten warnen, dass mittelfristig nicht mehr alle sozialen Schichten an staatlichen Schulen vertreten sein könnten. Von Daniel Wydra

Viele Privatschulen haben alternative Lernkonzepte. Die Kinder werden teilweise fächerübergreifend unterrichtet und arbeiten gemeinsam an Projekten. Foto: Uwe Anspach/dpa

Neue Bundesländer holen auf

Anzahl der Schüleran Privatschulen in Deutschland nach Bundesländern im Schuljahr 2018/2019

Saarland 9782

Schleswig-Holstein 16 846

Mecklenburg-Vorpommern 22 052

Hamburg 22 489

Bremen 6996

Thüringen 26 998

Brandenburg 31 813

Rheinland-Pfalz 41 051

Berlin 54 064

Sachsen-Anhalt 25 878

Hessen 54 665

Niedersachsen 72 763

Baden-Württemberg 160 791

Bayern 178 212

Nordrhein-Westfalen 208 111

Sachsen 70 221

GRAFIK PETERS / QUELLE: STATISTA

Ralf Lankau be- mängelt fehlen- de pädagogische Konzepte im digi- talen Unterricht.

FOTO:HOCHSCHULE

Wir müssen aufpassen, dass es nicht zu einer weiteren Spaltung kommt.

Katharina Spieß Bildungsökonomin

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4 POLITIK

Montag, 21. September 2020

Ankara.Devlet Bahceli, Vorsitzen- der der ultra-nationalistischen Partei MHP und Partner in der Regierung von Staatschef Recep Tayyip Erdogan, hielt die Ab- schaffung der Todesstrafe schon immer für einen Fehler. In einer Rede sprach sich der Chef der be- rüchtigten „Grauen Wölfe“ nun erneut für eine Wiedereinführung aus. Er verspricht sich davon eine

„abschreckende Wirkung“ bei

„barbarischen und primitiven Verbrechen“ wie Mord, Vergewal-

tigung und sexuellem Missbrauch von Kindern. Aber auch den „Ver- such, die Verfassungsordnung ge- waltsam zu zerstören“ will er mit dem Tode bestrafen lassen.

Unter diesem Vorwurf sitzen Zehntausende Regierungsgegner in Haft. Auch mehr als vier Jahre nach dem Putschversuch gegen Erdogan gehen die „Säuberun- gen“ unvermindert weiter. Allein vergangene Woche erließ die Staatsanwaltschaft Haftbefehle gegen mindestens 260 mutmaßli-

che Anhänger des Predigers Fethullah Gülen. Er gilt als Draht- zieher des Putschversuchs.

Dass Bahceli gerade jetzt die Forderung nach Wiedereinfüh- rung der Todesstrafe erhebt, könnte mit der Wirtschaftslage zu tun haben. Die türkische Lira tau- melt von einem Tief zum nächs- ten, die Devisenreserven der Zen- tralbank schmelzen dahin, Infla- tion und Arbeitslosenzahlen stei- gen. „Die Frage der Todesstrafe wird von den Regierenden immer

dann zur Sprache gebracht, wenn das Land in Schwierigkeiten ist“, sagt Faik Öztrak, der Sprecher der Oppositionspartei CHP.

Auch Erdogan hat sich immer wieder für die Rückkehr zur To- desstrafe ausgesprochen. Dabei war er es, der sie abschaffte:

Nachdem es in der Türkei bereits seit 1984 keine Hinrichtungen mehr gab und das Parlament die Todesstrafe 2001 in Friedenszei- ten aussetzte, ließ Erdogan sie 2004 komplett aus der Verfassung

streichen. Damit ebnete die Tür- kei den Weg zu Beitrittsverhand- lungen mit der EU.

Eine Wiedereinführung würde den Bruch mit der EU und dem Europarat bedeuten, dem die Tür- kei seit 1949 angehört. Für eine Rückkehr zur Todesstrafe wäre allerdings eine Verfassungsände- rung nötig. Dazu brauchen die Regierungsparteien die Unter- stützung der Opposition – die sie zumindest im derzeitigen Parla- ment nicht hat. Gerd Höhler

Die Türkei liebäugelt mit der Todesstrafe

Justiz Opposition sieht Ablenkungsmanöver von wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Land.

Thailand

Proteste gegen das Königshaus

Bangkok.In Thailands Hauptstadt Bangkok haben am Wochenende Tausende an der größten Protest- aktion seit Jahren gegen die Re- gierung und das thailändische Kö- nigshaus teilgenommen. „Nieder mit dem Feudalismus, lang lebe das Volk“, rief am Sonntag der Or- ganisator, Parit Chiwarak, vor sei- nen Anhängern.

Es war die größte Versamm- lung von Demonstranten seit dem Staatsstreich 2014, der Regie- rungschef Prayut Chan-O-Cha an die Macht brachte. afp

Belarus

Zehntausende demonstrieren

Minsk. Sechs Wochen nach der umstrittenen Präsidentschafts- wahl in Belarus hält die Opposi- tion den Druck auf Staatschef Alexander Lukaschenko aufrecht.

Zehntausende beteiligten sich am Sonntag in Minsk an einem

„Marsch der Gerechtigkeit“. Im ganzen Land wurden mehr als 150 Menschen von der Polizei festge- nommen, wie die Menschen- rechtsgruppe Wiasna am Sonn- tagabend mitteilte. Oppositions- nahe Medien sprachen von 150.000 Demonstranten. afp

ThüringenNach langen Querelen hat die Thüringer CDU einen neuen Chef. Der frü- here Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Christian Hirte (44), bekam dabei am Samstag gerade 67,6 Prozent der Stimmen. Foto: Michael Reichel/dpa

Lediglich 67,6 Prozent Rassismus

Studie für ganze Gesellschaft

Berlin.Innenminister Horst See- hofer (CSU) plant laut „Bild am Sonntag“ eine breit angelegte Stu- die zu Rassismus in der Gesell- schaft. Eine Untersuchung, die sich „ausschließlich mit der Poli- zei und dem Vorwurf eines struk- turellen Rassismus innerhalb der Polizei beschäftigt, wird es mit mir nicht geben“, sagte Seehofer.

Das werde dem Problem nicht ge- recht. „Hier bedarf es eines we- sentlich breiteren Ansatzes für die gesamte Gesellschaft und an diesem arbeiten wir.“ epd

Weihnachtsmarkt Söder will

weniger Alkohol

Berlin.Bayerns Ministerpräsident Markus Söder kann sich Weih- nachtsmärkte in diesem Jahr trotz Corona-Pandemie vorstellen – mit Maskenpflicht und weniger Alkohol. „Man kann beispielswei- se Laufwege mit Eingang und Ausgang definieren, man muss mit Maskenpflicht operieren und man wird den Alkoholkonsum stark reduzieren müssen“, sagte der CSU-Chef der „Welt am Sonn- tag“. Dann könne er sich die Christkindlmärkte vorstellen.

dpa

Ende einer

Kandidatur

La Paz.Nun endet das, was nie hät- te beginnen dürfen, sagt der bo- livianische Präsidentschaftskan- didat Jorge „Tuto“ Quiroga. „Ihre Kandidatur war gegen den Geist dieses Mandats gerichtet und sie hat ihr Wort gebrochen.“ Gemeint ist Boliviens rechtskonservative Interims-Übergangs-Verlegen- heitspräsidenten Jeanine Anez, die die Wirren im Anschluss an die Präsidentschaftswahlen im Oktober 2019 an die Macht spül- ten. Anez versprach zu Beginn, ihr Amt für die Organisation von Neuwahlen zu nutzen. Eine eige- ne Kandidatur schloss sie aus.

Doch Anez gefiel sich selbst in der neuen Rolle so sehr, dass sie bald mehr wollte und das Ver- sprechen brach. Anez stieg eben- falls ins Präsidentschaftsrennen ein und nutzte den Machtapparat zur Eigenwerbung. Das sorgte für heftige Proteste auf den Straßen.

Doch dann kam Corona und ein Chaos, das Anez als überforderte Politikerin entlarvte. Nun zog Anez die Konsequenzen. Kata- strophale Umfragewerte halfen sicher zu der Erkenntnis zu kom- men, das Unweigerliche zu akzep- tieren: ihren Rückzug als Präsi- dentschaftskandidatin.

Bolivien wurde nach der Prä- sidentschaftswahl von heftigen Unruhen erschüttert. Vertreter der Zivilgesellschaft, von Men- schenrechtsorganisationen und der Kirche hatten Hinweise auf Wahlbetrug moniert. Eine Kom-

mission der Organisation Ameri- kanischer Staaten bestätigte dies, empfahl Neuwahlen. Der sozialis- tische Präsident Evo Morales, der sich zum Wahlsieger erklärt hat- te, trat daraufhin zurück und flüchtete ins Exil. Morales weist alle Vorwürfe zurück.

Das ganze Chaos ausgelöst hat- te aber Morales selbst mit dem ersten großen Wortbruch: Vor ei- nem Referendum über eine Ver- fassungsänderung, die für eine er- neute Kandidatur Morales not- wendig war, hatte der Präsident versprochen, das Ergebnis anzu- erkennen. Doch nach der Nieder- lage setzte Morales seine Kandi- datur auf juristischem Wege durch. Seitdem ist die politische Lage vergiftet. Dabei wäre Mora- les bei einem sauberen Abtritt an- gesichts seiner Erfolge wohl als einer der größten Präsidenten seines Landes in die Geschichte eingegangen. Tobias Käufer BolivienInterims-

Präsidentin Jeanine Anez wirft als Kandidatin das Handtuch. Gut für die Demokratie.

Jeanine Anez, bisher Übergangs- präsidentin Foto: Presidencia/afp

E

s war lange abzusehen: Für die gesetzliche Kranken- versicherung wird es 2021 teurer. Schließlich fließen mehrere Milliarden weniger an Beiträgen: Dafür sorgen Millio- nen von Kurzarbeitern und stei- gende Erwerbslosigkeit. Viele Fir- men lassen zudem ihre Beiträge stunden, um wirtschaftlich über die Runden zu kommen.

Gleichzeitig steigen die Ausga- ben. Das liegt zunächst einmal an diversen Gesetzen von Minister Jens Spahn (CDU), der das Ge- sundheitswesen für Patienten und Personal attraktiver machen will.

Allein zwei davon, das Termin- service- und Versorgungsgesetz und das Pflegepersonal-Stär- kungsgesetz, sorgen nach Anga- ben des GKV-Spitzenverbandes, der Dachorganisation aller 105 Kassen, für jährliche Mehrausga- ben von fünf Milliarden Euro.

Dazu kommt Corona. Zwar hat die Krise bisher den Kassen mehr eingespart als gekostet, weil etwa viele planbare Operationen ver- schoben wurden, viele Praxen halbleer blieben und jede zweite Reha-Maßnahme unterblieb, doch wird es da nicht nur Nach- holeffekte geben. Ein großer zu- sätzlicher Brocken ist die hohe Zahl von Corona-Tests. Insge- samt, da sind sich Kassen und Bundesgesundheitsministerium einig, dürften im kommenden Jahr bis zu 16,6 Milliarden Euro in der gesetzlichen Krankenversi- cherung fehlen.

Der Kassen-Gesamtbeitrag, der paritätisch, also je zur Hälfte von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, finanziert wird, setzt sich zusam- men aus dem allgemeinen Bei- tragssatz von 14,6 Prozent und dem Zusatzbeitrag. Wie hoch letzterer ausfällt, legt jede Kasse selbst fest. So variieren die Zu- satzbeiträge derzeit zwischen 0 und 2,7 Prozent, im Schnitt sind es 1,1 Prozent. Nun hat die Bund- regierung eine Steigerung für 2021 um 0,2 Punkte beschlossen – das soll drei Milliarden bringen.

Zusätzlich wurden die Kassen verpflichtet, aus ihren Reserven in Höhe 20,6 Milliarden Euro acht Milliarden locker zu machen, um das Loch zu stopfen.

Für Franz Knieps, Vorstand des Dachverbandes der Betriebskran- kenkassen, „ist dies nichts weni- ger als eine Sozialisierung eines

Teils der Beiträge der gesetzlich Versicherten und ihrer Arbeitge- ber“. Dabei benötigten die Kas- sen ausreichend Rücklagen, um für die anstehenden Herausforde- rungen gewappnet zu sein. Be- troffen sind besonders finanzstar- ke Kassen wie AOK Plus, AOK Sachsen-Anhalt, TK oder hkk.

Der Vizechef des GKV-Spit- zenverbandes, Gernot Kiefer be- klagt „einen massiven Eingriff in die Finanzautonomie“. Dass ein Großteil der Mittel „allein vom Beitragszahler aufgebracht wer- den soll, halten wir für falsch“, sagt auch der Chef des AOK-Bun- desverbands, Martin Litsch. Und für DGB-Vorstand Anja Piel ist es gar „skandalös, ungerecht und un- seriös“, trotz der vorhersehbaren pandemiebedingten Kostenwelle acht Milliarden aus den Kassen- rücklagen zu entnehmen und den Zusatzbeitrag um 0,2 Punkte an- zuheben. „Am Ende zahlen die Beitragszahler für die Krise – und

nicht, wie versprochen, der Steu- erzahler. Das ist völlig inakzepta- bel.“

Das sieht Achim Kessler, ge- sundheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion, ganz ähnlich.

„Die Bekämpfung der Pandemie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und muss deshalb aus Steuermitteln finanziert werden.“

Die Erhöhung des Beitrages „trifft Menschen mit kleinen und mitt-

leren Einkommen mitten in einer Wirtschaftskrise hart.“

Dass es zu solchen Konstruk- tionen kommt, hat einen Grund:

Der heißt „Sozialgarantie 2021“.

Die GroKo hatte sich verpflichtet, im Wahljahr die Sozialversiche- rungsbeiträge bei maximal 40 Prozent zu halten. Mit dem Kassenpaket bleibt die Quote of- fiziell bei 39,95 Prozent. Für Kin- derlose aber fällt die 40-Pro-

zent-Grenze, weil sie mehr in die Pflegekasse einzahlen.

Einen Beitrag hat aber auch Fi- nanzminister Olaf Scholz (SPD) geleistet. Er gibt fünf Milliarden zusätzlich für die Krankenversi- cherung. Was der Staat zuschießt, war jahrelang höchst unterschied- lich: 2008 etwa 2,5 Milliarden Euro. In Folge der Finanzkrise 2009 schon 7,2 Milliarden und 2010 bereits 15,7 Milliarden, vier Jahre später aber nur noch 10,5 Milliarden. Seit 2017 wurden kon- stant 14,5 Milliarden in den gro- ßen Topf namens Gesundheits- fonds geworfen, der auch die Bei- träge von Arbeitgebern und Ar- beitnehmern sammelt und nach bestimmten Kriterien an die Kas- sen verteilt. Olaf Scholz legt nun für 2021 fünf Milliarden oben- drauf – als einmalige Aktion. Da- mit scheint klar, wohin es mit den Beiträgen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber in Zukunft gehen wird – weiter nach oben.

Warum die Krankenkasse mehr kostet

Finanzloch Die Bundesregierung hat festgelegt, wer im kommenden Jahr wieviel bezahlen muss, um die Lage zu stabilisieren. Viel Kritik gibt es am sparsamen Einsatz von Steuermitteln. Von Hajo Zenker

Sozialversicherung 2021

Die Beiträgezur Sozial- versicherung werden hälftig vom Arbeitneh- mer und Arbeitgeber ge- zahlt und beziehen sich auf das Bruttoeinkom- men. Die GroKo hatte vereinbart, im Wahljahr 2021 die Sozialversiche- rungsbeiträge bei maxi-

mal 40 Prozent zu stabi- lisieren. Mit dem jetzt vereinbarten Paket, um das für 2021 erwartete Finanzloch in der Kran- kenversicherung zu fül- len, bleibt laut Regie- rung die Quote bei 39,95 Prozent. Derzeit sind es 39,75 Prozent: 18,6 Pro-

zent für die Rente, 2,4 Prozent für die Arbeits- losen-, 15,7 Prozent für die Krankenversiche- rung, 3,05 Prozent für die Pflege. Kinderlose aber zahlen 3,3 Prozent in die Pflegekasse ein, sie kommen 2021 auf 40,2 Prozent. hz

Höhere Beiträge für die Krankenkasse – das hat die Bundesregierung festgelegt. Foto: imago images

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5 WIRTSCHAFT

Montag, 21. September 2020

Schachbrettaus Mais, Weizen und Rüben. Diese Früchte werden auf Feldern des Instituts für Zuckerrübenforschung der Universität Göttingen angebaut. For- scher untersuchen die Entwicklung der Kulturen. Foto: dpa

Rübenforschung aus der Luft

Homeoffice

Krawattenverkauf zurückgegangen

Krefeld.Ausgefallene Familienfes- te und der Trend zu mehr Home- office in der Corona-Krise set- zen Krawattenherstellern in Deutschland zu. Krawatten wur- den zuletzt immer weniger ver- kauft, wie der BTE Handelsver- band Textil mitteilte. Insgesamt habe der stationäre Mode-Fach- handel zwischen März und Au- gust 2020 rund fünf Milliarden Umsatz eingebüßt – das sei ein Drittel weniger. Auch bei Herren- mode sanken die Umsätze um bis zu geschätzte 50 Prozent. dpa

Trump

verkündet Deal

Washington.Die Zukunft der Vi- deo-App Tiktok in den USA scheint gesichert, nachdem Prä- sident Donald Trump einen Deal zwischen dem chinesischen Ei- gentümer Bytedance und US-Un- ternehmen gebilligt hat. Das welt- weite Geschäft von Tiktok kom- me in eine neue Firma mit Sitz in den USA, „wahrscheinlich in Te- xas“, sagte Trump in der Nacht zum Sonntag. Eine formelle Auf- hebung der US-Maßnahmen ge- gen Tiktok steht noch aus. Das US-Handelsministerium schob den Download-Stopp für die App, der für Nutzer ab Montag greifen sollte, um eine Woche auf.

Trump hatte Tiktok als Sicher- heitsrisiko bezeichnet, weil die App dem chinesischen Byte- dance-Konzern gehört. Aus seiner Sicht hätten chinesische Behör- den über die App an Daten von Amerikanern kommen können.

Tiktok und Bytedance entgegne- ten vergeblich, dass Daten von US-Nutzern in den USA gespei- chert würden und nicht nach Chi- na gingen. Nach dem Deal soll der Software-Konzern Oracle, dessen Gründer Larry Ellison einer der prominentesten Trump-Unter- stützer im Silicon Valley ist, alle Daten von US-Nutzern verarbei- ten und sich um die dazugehöri- gen technischen Systeme küm- mern. In den USA würden 25 000 Jobs entstehen, kündigten Trump und Tiktok an.

Eine zentrale Forderung Trumps war auch, dass US-Inves- toren eine Mehrheit an Tiktok halten. Vor einem Börsengang von Tiktok Global soll Oracle ei- nen Anteil von 12,5 Prozent über- nehmen, der Supermarkt-Riese Walmart 7,5 Prozent. Trump hat- te zuvor verkündet, die Firma werde „nichts mit China zu tun haben.“ Neu ist, dass Tiktok nun fünf Milliarden Dollar an einen Bildungsfonds in Texas überwei- sen werde, wie Trump sagte. Er hatte verlangt, dass die US-Regie- rung eine Art Kommission be- kommen müsse, weil sie den Deal herbeigeführt habe.

Derweil wird die chinesische Kommunikations-App WeChat vorerst für amerikanische Nutzer verfügbar bleiben. Eine Richterin in Kalifornien setzte die Sanktio- nen der US-Regierung am Sonn- tag mit einer einstweiligen Ver-

fügung aus. dpa

TiktokDie Video-App bleibt vorerst doch auf dem US-Markt. Das weltweite Geschäft zieht in die USA um.

BDA Kramer gibt

Amt vorzeitig ab

Berlin. Nach sieben Jahren gibt Arbeitgeberpräsident Ingo Kra- mer sein Amt vorzeitig ab. Laut der Bundesvereinigung der Ar- beitgeberverbände (BDA) will Kramer sein Amt zur nächsten Mitgliederversammlung im No- vember niederlegen. Als Nachfol- ger schlug er Gesamtmetall-Prä- sident Rainer Dulger vor. Mit dem Rücktritt solle der Nachfolger ge- nügend Zeit zur Einarbeitung ha- ben, um sich „an der Debatte über Schwerpunkte der neuen Legisla- turperiode“ zu beteiligen. dpa

Sanierungen erleichtern

Berlin.Unternehmen in finanziel- len Schwierigkeiten sollen weite- re Möglichkeiten zur Sanierung außerhalb eines Insolvenzverfah- rens erhalten. Das sieht ein Refe- rentenentwurf von Bundesjustiz- ministerin Christine Lambrecht (SPD) zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts vor. Das Gesetz soll Anfang 2021 in Kraft treten. Unternehmen, die eine realistische Perspektive auf- zeigen könnten, sollen ihr Sanie- rungskonzept auch außerhalb ei- nes Insolvenzverfahrens durch- setzen können, sagte Lambrecht.

Dazu genüge es, eine Mehrheit der Gläubiger davon zu überzeu- gen: „Von den neuen Möglichkei- ten werden insbesondere Unter- nehmen profitieren können, die unter den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie leiden, ob- wohl sie weiterhin über ein über- zeugendes Geschäftsmodell ver- fügen.“ Für diese werden laut Ministerium weitergehende Erleichterungen geschaffen. dpa FirmenpleitenMinisterin Lambrecht plant Lösungen ohne Insolvenzverfahren.

Konflikt verschärft sich Der Streit über die Kosten zur Nutzung des Mobilfunknetzes von Telefónica Deutschland durch 1&1 Drillisch verschärft sich. 1&1 wirft dem Konkurrenten vor, die Kosten für die Nutzung bereits vor Abschluss der laufen- den Verhandlungen erhöht zu ha-

ben. dpa

Handel plant Beschwerde Der Handelsverband Deutschland (HDE) will im Kampf um Sonn- tagsöffnungen eine Verfassungs- beschwerde einreichen. Sollte diese ohne Erfolg bleiben, will der HDE eine Grundgesetzänderung anstreben, erklärte HDE-Präsi- dent Josef Sanktjohanser. dpa Prozentweniger Ausbildungsverträge

haben die Handwerksbetriebe bis Ende August im Vergleich zu 2019 abge- schlossen. Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer appellierte deshalb nun an Schulabgänger, noch in diesem Jahr eine Ausbildung im Handwerk zu begin- nen. „Wir haben noch Kapazitäten: Zur- zeit sind allein im Handwerk noch 29 000 Ausbildungsplätze frei.“ dpa

ZAHLDES TAGES

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Börsenparkett

Gerade mal dreiNeuemissionen verzeichnet die Deutsche Börse bislang 2020. Bescheidenes Vo- lumen: 329 Millionen Euro, so wenig wie zuletzt 2009. Jetzt sollen mit dem Wohnmobil-Her- steller Knaus Tabbert und dem Rüstungszulieferer Hensoldt zwei weitere dazu kommen.

Knapp eine Milliarde Euro könnten beide Unternehmen zu- sammen an der Börse erlösen.

Nicht einmal das auch schon schwache Emissionsvolumen von 2019 von vier Milliarden Euro dürfte so erreicht werden.

Dagegen boomt das soge- nannte IPO-Geschäft in New York und Shanghai. 200 Börsen- gänge zählen beide Börsen bis- lang in diesem Jahr mit Erlösen von rund 35 Milliarden Dollar.

Vor allem Technologie- und Biotech-Firmen drängen dort aufs Parkett. Generell aber braucht sich auch der Deutsche Leitindex nicht zu verstecken.

Im September legte der Dax bis- lang um fast 2 Prozent zu – ob- wohl die Folgen der Pandemie längst nicht ausgestanden sind.

Es fehlen die Anlage-Alternati- ven zu soliden Aktien.

Aber es bleiben Risiken: Ab- gesehen von Corona und einer möglichen Pleitewelle, sind das der drohende vertragslose Bre- xit, die Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China und den USA und Europa. Doch selbst die derzeit deutlich stei- gende Zahl der Corona-Infektio- nen schreckt die Börsianer nicht wirklich, glaubt Robert Halver von der Baader Bank. „Selbst eine Verschärfung der Virus-Si- tuation im Winterhalbjahr kann die gute Aktienlaune nicht trü-

ben.“ Rolf Obertreis

Flaute bei

Börsengängen

Die angeschlageneLuftverkehrsbranche darf auf weitere Unterstützung hoffen. Bundesverkehrsmi- nister Andreas Scheuer (CSU) kündigte an, ein Hilfskonzept für die deutschen Flughäfen zu prü- fen. „Wir werden über einen gewissen Zeitraum

nicht mehr die ganze Bandbreite der Mobilität in der Luft haben.“ Daher werde der Bund auch wei- terhin helfen müssen. „Wir bereiten gerade ein Konzept für die Regionalflughäfen vor und thema- tisieren die großen Verkehrsflughäfen.“ Das Ziel sei

es, Strukturen zu erhalten. Scheuer will zudem zu einem Luftverkehrsgipfel einladen. Die Verluste der deutschen Flughäfen summierten sich laut Flugha- fenverband bis Ende 2021 auf über 2,2 Milliarden

Euro. Foto: Boris Roessler/dpa

Minister kündigt Hilfen für Flughäfen an

Oracle-Gründer Larry Ellison zählt zu Trumps Unterstützern.

FOTO:JOHNG.MABANGLO/DPA

D

ie klassische Lebensver- sicherung lohnt sich nicht mehr, kritisieren Vermögensverwalter.

Die Kosten von Renten und Le- bensversicherungen seien zu hoch. Zudem könnten die Kunden keine angemessene Rendite er- warten, sagen Verbraucherschüt- zer und empfehlen alternative Geldanlagen, um fürs Alter vor- zusorgen. Axel Kleinlein, Vor- standssprecher der Bundes des Versicherten und einer der här- testen Kritiker der Branche hält die Lebensversicherung als Al- tersvorsorge für ungeeignet.

86 Milliarden Euro ausgezahlt Doch bei den Verbrauchern in Deutschland sind Versicherungs- produkte – neben dem Sparbuch – die beliebteste Form der Vor- sorge. Knapp 30 Prozent ihres Geldvermögens sind bei Versi- cherungen angelegt, heißt es in einer Auswertung der DZ Bank.

Die Zahl der Lebensversiche- rungsverträge geht war seit eini- gen Jahren zurück, zuletzt auf 82,2 Millionen. Doch deren wirt- schaftlicher Stellenwert bleibt enorm. So kletterten 2019 die Bei- tragseinnahmen der Lebensversi- cherungen, Pensionskassen und Pensionsfonds um 11,5 Prozent auf den Rekordwert von 103 Mil- liarden Euro. Die ausgezahlten Leistungen erhöhten sich nach den Angaben des Branchenver- bandes GDV um 7,4 Prozent auf 86,2 Milliarden Euro.

Diese Zahlen umfassen sowohl Altverträge mit einem Garantie- zins von 4 Prozent pro Jahr, als auch neue Verträge, bei denen die Anbieter nur noch 0,9 Prozent zu- sichern. Infolge der Niedrigzins- politik der EZB könnte der Min- destrechnungszins 2021 auf 0,5 Prozent, vielleicht sogar noch tie- fer, sinken, sagt Timo Veeneman, Vermögensbetreuer bei Spieker- mann & CO AG in Osnabrück.

„Allerdings fällt diese Verzinsung nur auf die Sparquote an und das sind, je nach Vertrag, manchmal nicht mehr als 90 Prozent des ein- gezahlten Kapitals“, erklärt Vee- neman.

Was unter dem Strich übrig bleibt, hat Uwe Eilers von der FV Frankfurter Vermögen nachge- rechnet: Eine Police müsste bei einem Garantiezins von 0,5 Pro- zent 40 Jahre lang angespart wer- den, damit der Kunde auf den ein- gezahlten Betrag kommt. So we- nig Rendite über 40 Jahre bei ei- ner jährlichen Inflation von 1,5 Prozent im Schnitt bedeuten jedoch einen realen Geldverlust von rund 50 Prozent. Die Lebens- versicherung sei daher „klinisch tot“, sagt Eilers und ist sich mit Veenemann einig: Die besseren Alternativen für den langfristigen Vermögensaufbau biete der Ka- pitalmarkt.

Hinzu komme, dass etliche Ge- sellschaften darüber nachdenken würden, ihr Lebensversiche- rungsgeschäft abzustoßen. Für die Versicherten ändere das, ab-

gesehen vom Absender auf dem Briefkopf, erst einmal nichts“, sagt Vermögensverwalter Jan Phillip Kühme. Denn die aufkau- fende Gesellschaft dürfe weder am Vertrag noch am Garantiezins etwas verändern. Doch könne sich der Service verschlechtern.

Die pauschale Kritik will Vol- ker Priebe, Produktvorstand der Allianz Leben so nicht stehen las- sen. Die Allianz Leben ist mit ei- nem Marktanteil von 28,6 Prozent Marktführer in Deutschland. Die Nummer zwei, die R+V Allgemei- ne, kommt auf knapp 6 Prozent.

Bei der Allianz Leben spielen bei den Neuabschlüssen klassi- sche Lebensversicherungen mit Garantiezins nur noch eine unter- geordnete Rolle. Branchenweit haben die Verträge mit modifi- zierten Garantien und höheren Renditenchancen laut GDV in- zwischen einen Anteil von 60 Prozent. Die Allianz, so Prie- be, habe mit Blick auf die Zinsen- twicklung vor Jahren damit be- gonnen, neue Produkte zu entwi- ckeln. Mit ihren weltweiten Ka- pitalanlagen ermögliche sie Kunden Investments, „die ein Einzelner so nicht tätigen könn- te“. Dazu gehörten beispielswei- se Investitionen in Infrastruktur wie Gasnetze, in Immobilien wie Studentenwohnheime und in nachhaltige Anlagen. Ziel sei es, Sicherheit und Renditechancen auszubalancieren.

„Unsere Kunden haben das in den vergangenen Jahren mit einer Rekordnachfrage nach unseren Angeboten honoriert“, sagt Prie- be. Gerade in Zeiten, die für vie- le Unsicherheit mit sich bringe, sei es wichtig, den Menschen Mut zu machen, für ihr Alter vorzu- sorgen und in ihre eigene Alters- vorsorge zu investieren.

Streit um Sparers Liebling

Geldanlage Vermögensverwalter raten vom Abschluss neuer Kapitallebensversicherungen ab. Branchenführer Allianz weist die Kritik zurück. Von Gerd Hübner und Alexander Bögelein

Ein so geringer Garantiezins bedeutet über die Jahre einen hohen Verlust an Kaufkraft.

Uwe Eilers Vermögensverwalter

Rentenpolicen sind am beliebtesten

Mehr als 50 Prozentder Lebensver- sicherungen entfallen auf Renten-, 30 Prozent auf Kapitallebens-und 16 Prozent auf Risikolebens-Policen.

Letztere diesen als Absicherung für den Fall des Todes oder einer Erwerbs- unfähigkeit. Mit Kapitallebens-Policen sparen Kunden Kapital an und sichern sich gegen existenzielle Risiken ab.

Laut dem Bundder Versicherten (BDV) haben 22 von 84 Lebensversi- cherern eine zu geringe Zahlungsfä- higkeit oder eine negative Gewinner- wartung. Der Verband GDV wirft dem BDV bei dessen Rating handwerkliche Fehler und Intransparenz vor.

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