A 2552 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 47|
25. November 2011 Vielleicht ist dieses Buch ja das ge-eignete Instrument, um etwas gegen den allseits prognostizierten Ärzte- mangel zu unternehmen. Jede Arzt- praxis bekommt ein Leseexemplar ins Wartezimmer. Und natürlich soll- ten die Patienten dann ein wenig län- ger warten müssen, um sich mit dem Inhalt des Buches befassen zu kön- nen. Dann würden sie daraus etwas mehr Gelassenheit mitnehmen im Umgang mit den vielen gesundheits- relevanten Unwägbarkeiten des Le- bens sowie insbesondere mit den vie- len und oft wenig hilfreichen Tipps für eine gesunde Lebensführung – und so den Ärzten wahrscheinlich so manche unnötige Gesprächstherapie ersparen. Nach Lektüre der „Glücks- medizin“ von Werner Bartens sollte
„die therapiesüchtige Gesellschaft“
ein wenig mehr gewappnet sein ge- gen eine „boomende Befindlichkeits- industrie“ und die Versuche ge- RATGEBER ZUR GESUNDHEIT
Mehr Gelassenheit und Lebensfreude
schäftstüchtiger Ärzte, die „Lebens- läufe von der Wiege bis zur Bahre zu pathologisieren und die Menschen krank zu reden“.
Gesund essen, jeden Tag Sport treiben, Vitamine und Nahrungser-
gänzungsstoffe zu sich nehmen, Idealschlaf mit acht Stunden am Stück, keinen Alkohol, das Idealge- wicht halten – man kann sich viel Stress machen, wenn man den zahl- losen guten Ratschlägen für eine gesunde Lebensführung folgen wollte. Dabei zeigt eine Vielzahl von Studien, aus denen Bartens zitiert, dass Ausgeglichenheit und Zufrie- denheit in der Lebensführung der Gesundheit sehr viel zuträglicher sind. „Wer sich jeden Tag missmu- tig einen Löffel kaltgepresstes Oli- venöl einflößt, lebt nicht gesund“, schreibt Bartens. Gesünder sei, ein paar Freunde zu Schweinebraten, Nudelauflauf oder Eintopf zu sich nach Hause einzuladen. Dann ist es auch gar nicht so schlimm, ein paar Pfunde zu viel mit sich herumzutra- gen oder gelegentlich einmal ein Gläschen Wein zu trinken. Und an- statt von Höchstleistungen am Ran- de des Spitzensports reicht es durchaus, sich regelmäßig moderat zu bewegen. Thomas Gerst Werner Bartens: Glücksmedizin.
Was wirklich wirkt. Droemer, München 2011, 318 Seiten, gebunden, 19,99 Euro
Ein Richter soll seinen Urteils- spruch fällen. „Geben Sie ihm drei Jahre“, ruft ein Besucher dazwi- schen. Obwohl der Richter diese Bemerkung empört zurückweist, wird sein Urteil danach milder aus- fallen, als wenn der Zuschauer fünf Jahre gefordert hätte. Dieser Anker- effekt ist nur einer von zahlreichen Mechanismen für die Entstehung von Interessenkonflikten. Man kann sich kaum einen Lebensbe- reich vorstellen, der frei von ihnen wäre. So sind sie selbstverständlich INTERESSENKONFLIKTE
Veränderungsprozesse anregen
auch im medizinischen Kontext überall vorzufinden.
Wie lassen sich Interessenkon- flikte feststellen? Wie wirken sie sich auf Ausbildung und Kranken- versorgung aus? Nach einer diesem ausführlichen Band zugrunde lie- genden Definition liegt ein Interes- senkonflikt immer dann vor, wenn ein primäres Interesse durch ein se- kundäres beeinträchtigt zu werden droht. Das primäre Interesse gilt hierbei dem Anliegen eines Beru- fes, sekundäre Interessen sind über- all vorhanden, unvermeidbar und können sowohl materieller, psycho- logischer als auch sozialer Natur sein. Liegt ein Interessenkonflikt vor, so ist das zunächst wertneutral und nicht diskreditierend.
Die 30 Wissenschaftler erarbeiten mit großer Sachkenntnis in ihrer Pu- blikation Vorschläge, wie man Inter - essenkonflikte in der Medizin sich- ten, erfassen und mit ihnen umgehen kann. Sie sind davon überzeugt, dass viele Missstände im deutschen Ge-
sundheitssystem auch auf diese be- sondere Art von Konflikten zurück- gehen. In dem trotz der komplexen Aufgabenstellung leicht zugängli- chen Buch wollen sie das Thema im Bewusstsein der Mediziner veran- kern und Veränderungsprozesse im Denken und Handeln anregen. In 19 Kapiteln stellen die Experten aus Psychologie, Medizinrecht, Ethik, pharmazeutischer Industrie, Medi- zinjournalismus, Forschung und Pu- blizistik ihre Sichtweise dar. Aus der Vielzahl von Fragestellungen lassen sich an dieser Stelle nur wenige exemplarisch hervorheben: Wie ge- hen medizinische Fachzeitschriften mit Interessenkonflikten um? Was bedeuten sie für wissenschaftliche Ergebnisse? Wie entsteht Korruption im Gesundheitswesen?
Den Autoren gelingt es, eine bis- her noch tabuisierte Angelegenheit spannend und in gut lesbarer Termi- nologie vorzutragen. Mit der Lektü- re dieses außergewöhnlichen Bu- ches vermag man sein Urteilsver- mögen, ähnlich dem eines Richters, zugunsten primärer medizinischer Interessen zu schärfen. Svenja Ludwig Klaus Lieb, David
Klemperer, Wolf-Die- ter Ludwig (Hrsg.):
Interessenkonflikte in der Medizin.
Springer, Berlin 2011, 300 Seiten, gebun- den, 59,95 Euro