• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Beteiligung der Medizin am Entschädigungsfonds" (02.11.2001)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Beteiligung der Medizin am Entschädigungsfonds" (02.11.2001)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

für Stadtverwaltungen, Privatbetriebe und Einzelhaushalte. Nicht zuletzt auch für die – zunehmend kriegsrelevanten – Krankenhäuser sollten billige Arbeits- kräfte verfügbar sein. So gab das Reichsarbeitsministerium am 27. No- vember 1942 ein Merkblatt über den

„Einsatz von Ostarbeiterinnen in Haus- haltungen, Krankenanstalten, Lazaret- ten, Pflege- und Erholungsheimen so- wie im Gaststättengewerbe“ heraus.

Dort heißt es unter anderem: „Bei dem Mangel an deutschen Hausgehilfinnen erscheint es zweckmäßig, solche bevor- zugt einem Einsatz in Familienhaushal- tungen, [. . .] zuzuführen und Kranken- anstalten, Lazaretten, Pflege- und Er- holungsheimen weitgehend ausländi- sche Arbeitskräfte, darunter insbeson- dere hauswirtschaftliche Ostarbeiterin- nen, zur Verfügung zu stellen“ (2).

Für den Bereich des Gesundheitswe- sens liegen nur wenige Einzelstudien vor (3, 4, 8), die vorläufige Schätzungen kaum erlauben. Über die Beschäftigung von Zwangsarbeitern und Zwangsarbei- terinnen in staatlichen und kirchlichen Krankenanstalten hinaus sollten noch drei weitere Bereiche einer genaueren Betrachtung unterzogen werden: die Krankenversorgung von Zwangsarbei- terinnen und -arbeitern, die Situation ihrer ebenfalls nach Deutschland ver- schleppten oder hier geborenen Kinder (6, 9) sowie ihr Missbrauch als Untersu- chungsobjekte oder Zwangsprobanden in Klinik und Forschung.

Zwangsarbeit und Medizin am Beispiel Göttingen

Für eine Klärung der genannten For- schungsfelder bedarf es vor allem wei- terer Untersuchungen auf lokaler Ebe- ne. Derartige Mikrostudien können Aufschluss über die Praxis von Zwangs- arbeit in der Medizin jenseits allgemei- ner Erlasse und Verordnungen des NS- Regimes geben. An der Universität Göttingen werden daher am Beispiel der dortigen Universitätskliniken seit zwei Jahren Nachforschungen zu die- sem Thema durchgeführt. Dabei hat sich die Annahme bestätigt, dass hier – wie in vielen anderen Krankenhäusern in Deutschland – Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter eingesetzt wurden.

Nach Unterlagen vom Juni 1944 und Januar 1945, die nach einer Recherche beim Internationalen Suchdienst des Roten Kreuzes ermittelt wurden, und einer im Göttinger Stadtarchiv überlie- ferten Lagerliste der Göttinger Poli- zeidirektion vom September 1944 schwankte die Zahl der in den Univer- sitätskliniken beschäftigten Zwangsar- beiterinnen und -arbeiter in diesem Zeitraum zwischen 21 und 30 Personen;

diese waren in Lagern untergebracht.

Dabei handelte es sich zum größten Teil um Frauen aus der Sowjetunion und aus Polen – geführt als „Ostarbeiterin-

nen, Ukrainerinnen und Polinnen“ –, aber auch um acht Niederländer. In den Kuratorialakten des Universitätsar- chivs Göttingen findet sich der Hinweis, dass im Juli 1943 die polnischen und ukrainischen Frauen im Waschhaus der Universitätsfrauenklinik, die Niederlän- der in der Augenklinik untergebracht waren (Abbildung). Bislang konnten mithilfe dieser Akten für einige Perso- nen Einsatzorte und Arbeitsgebiete er- mittelt, teilweise auch ihre Identität ge- klärt werden, so etwa für eine Ukraine- rin, die als Reinigungskraft am Patholo- gischen Institut eingesetzt wurde, sowie je eine Russin in der Zentralküche und dem Materiallager der Kliniken. Dar- über hinaus wurden in bisher unbe- kanntem Umfang auch westeuropäi- sche Fremd- und Zwangsarbeiter in der Klinik oder privat untergebracht.

Wie Unterlagen des Oberpräsiden- ten der Provinz Hannover belegen, benutzte die Universitätsfrauenklinik schwangere Zwangsarbeiterinnen aus einem der großen „Gemeinschaftsla- ger“ der Göttinger Industrie- und Ge-

werbebetriebe für Lehrzwecke. Im April 1944 hatte Heinrich Martius, Göttinger Ordinarius für Gynäkologie und Geburtsmedizin, beim Amt für Volkswohlfahrt um die Zuweisung von „Hausschwangeren“ nachgesucht.

Der Einsatz von Frauen in dieser

„Funktion“ – Heranziehung zu Haus- arbeiten und Verwendung als Lehr- und Untersuchungsobjekte, im Ge- genzug Gewährung von Unterkunft und medizinischer Versorgung – wur- de, wenn auch unter ganz anderen Vorzeichen, bereits in früheren Pha- sen der Göttinger Geburtshilfe durch-

geführt. Martius wollte in diesem Fall Frauen aus dem Heim der Nationalso- zialistischen Volkswohlfahrt (NSV) in Göttingen rekrutieren. Der Kreislei- ter des NSV-Heimes protestierte je- doch resolut gegen dieses Ansinnen mit der Begründung, diese Frauen sei- en zu „wertvoll“. Er unterbreitete gleichzeitig den Vorschlag „. . . als Ver- suchsobjekt fremdvölkische Frauen heranzuziehen“, die – so der Kreislei- ter – „in genügender Zahl zur Verfü- gung stehen“. Nachdem der Plan, eine Baracke für schwangere „Ostarbeite- rinnen“ zu errichten, verworfen wor- den war, wies man die Schwangeren in das genannte „Gemeinschaftslager“

ein und brachte sie zu Lehrzwecken in die Universitätsklinik. Dieses Verfah- ren erwies sich als erfolgreich, einzig die Quantität war offensichtlich noch nicht zufriedenstellend: Ein Oberarzt der Frauenklinik sowie der Kurator der Universität baten in der Folge den Oberpräsidenten der Provinz Han- nover um die verstärkte Zuweisung von schwangeren Zwangsarbeiterinnen T H E M E N D E R Z E I T

A

A2868 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 44½½½½2. November 2001

Beteiligung der Medizin am Entschädigungsfonds

Im Internet ist das aktuelle Verzeichnis der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ mit den zum Entschädigungsfonds beigetretenen Firmen und Personen unter www.stiftungsinitiative.de einzusehen. Dort werden derzeit über 6 000 Institu- tionen und Personen aufgeführt, jedoch nur diejenigen, die dies wünschen. Recher- chen und Anfragen bei der Stiftungsinitiative ergaben bis zum Dezember 2000 le- diglich elf Kliniken, einige niedergelassene Ärzte und einen Tierarzt, die dem Ent- schädigungsfonds beigetreten waren. Bis zum 10. August 2001 erhöhte sich die Zahl der Ärztinnen und Ärzte auf etwa 20 (mit Zahn- und Tierärzten) sowie die Anzahl der Krankenhäuser auf circa 13. Darüber hinaus ist noch eine Reihe von beigetrete- nen Versicherungen und Apotheken zu erwähnen. Für den Bereich des Gesund- heitswesens gibt es derzeit fünf anonyme Spender, die wegen diverser Faktoren nicht exakt anzugebenden Zahlen differieren daher nur geringfügig. Andreas Frewer

(2)

(Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv, vgl. auch 5).

Krankenbaracken für schwangere Ostarbeiterinnen sind auch an anderen Orten Deutschlands nachweisbar (6, 9).

Noch wenig erforscht ist die erhöhte Sterblichkeit der in diesen Einrichtun- gen geborenen Kinder. Eine gezielt her- beigeführte Mangelsituation für die mehrfach instrumentalisierten Frauen und ihre Säuglinge, die meist zwischen dem ersten und dritten Lebensmonat starben, ist im Kontext der rassenhygie- nischen Programmatik des NS-Staates zu sehen. Geburten von Zwangsarbei- ter-Kindern lassen sich für Göttingen anhand der „Geburtsbücher“ der Uni- versitätsfrauenklinik und der Einwoh- nermeldekartei der Stadt Göttingen so- wohl in der Frauenklinik als auch in ei- ner Entbindungsbaracke auf dem dama- ligen Universitätssportfeld nachweisen.

Des Weiteren lässt sich anhand von Akten des Oberpräsidenten zum Ge- sundheitswesen (Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover) und Un- terlagen des Universitätskurators zu den

„Lohnempfängern“ der Kliniken der Einsatz französischer und niederländi- scher Medizinstudenten belegen. Diese wurden überwiegend in der Pflegear- beit, aber auch im Labor verschiedener Abteilungen eingesetzt, so in der Hals- Nasen-Ohren-Klinik, der Frauen- und der Nervenklinik. Anfang Juni 1943 ließ der Oberpräsident durch das staatliche Gesundheitsamt in einem Fernschrei- ben in Aussicht stellen: „Es sind Anfang Juli zu bekommen franz. Medizinstu- denten als krankenpflegerische Hilfs- kräfte zu beliebiger Arbeitsverwen- dung . . .“ (handschriftliche Notiz des Kurators, Universitätsarchiv Göttingen).

Bei der ärztlichen Versorgung der Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter spielten die Universitätskliniken eine wichtige Rolle. So behandelten sie mehrfach verletzte und erkrankte Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterin- nen (sowie auch deren Kinder) – aller- dings wohl oft in gesonderten Räumen.

Nach der Errichtung spezieller „Sa- nitätsbaracken“ übernahm ein an die Chirurgische Universitätsklinik not-

dienstverpflichteter Arzt aus dem an- nektierten „Protektorat Böhmen und Mähren“ die Betreuung der Kranken;

Befragungen eines tschechischen Zwangsarbeiters zeigten, dass dort bei der Versorgung auch Operationen durchgeführt wurden.

Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist notwendig

Der lange Streit um die im Entschädi- gungsgesetz verlangte Feststellung „aus- reichender Rechtssicherheit“ durch den Bundestag ist beendet; mit den Auszah- lungen wurde begonnen. Gerade vor diesem aktuellen Hintergrund ist die Rekonstruktion persönlicher Schicksale von Zwangsarbeitern im Gesundheits- wesen ein wichtiges Forschungsziel, um Betroffenen wenigstens eine finanzielle Entschädigung zu ermöglichen. Dies ist nur noch bis zum Ende des Jahres 2001 möglich. In diesem Kontext ist auch der Beitritt von Verbänden, Ärztekammern und Kliniken zum Entschädigungsfonds wünschenswert und längst überfällig.

Langfristig geht es außerdem um die noch ausstehende Aufarbeitung und hi- storische Analyse des Einsatzes von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsar- beitern im Gesundheitswesen im Rah- men einer offenen Auseinandersetzung von Medizin und Ärzteschaft mit der nationalsozialistischen Vergangenheit.

Nachdem sich der 99. Deutsche Ärzte- tag in Köln 1996 mit dem Nürnberger Ärzteprozess befasst hatte, wurde auf dem diesjährigen Ludwigshafener Ärz- tetag mit dem Problem „Zwangsarbeit in der Medizin“ ein weiteres wichtiges Thema auf die Tagesordnung gesetzt. Es bleibt zu hoffen, dass nach langer Verzö- gerung weitere Schritte in Richtung hi- storischer Aufklärung und differenzier- ter Wahrnehmung getan werden.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2001; 98: A 2866–2870 [Heft 44]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser:

Dr. med. Andreas Frewer Ethik und Geschichte der Medizin Georg-August-Universität Göttingen Humboldtallee 36, 37073 Göttingen E-Mail: afrewer@gwdg.de.

T H E M E N D E R Z E I T

A

A2870 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 44½½½½2. November 2001

„Wir empfehlen Rückverschickung, da sich der Arbeitseinsatz nicht lohnt“

Zum Thema „Zwangsarbeit und Krankheit in Schleswig-Holstein“ ist soeben eine umfassende Darstellung in der Schriftenreihe des Instituts für schleswig-holsteini- sche Zeit- und Regionalgeschichte an der Universität Flensburg (IZRG) erschienen.

Grundlage für die Publikation war ein von der AOK Schleswig-Holstein finanziertes Forschungsprojekt unter der Leitung von Prof. Dr. med. Annette Grewe, Fachbe- reich Pflege und Gesundheit an der Fachhochschule Fulda, und Prof. Dr. phil. Uwe Danker, IZRG.

Verschiedene Aspekte der gesundheitlichen Versorgung von Zwangsarbeitern werden hier von einem Autorenteam untersucht, wobei besonders hervorzuheben ist, dass in diesem Zusammenhang bisher noch nicht ausgewertete historische Quellen- bestände für die Untersuchung ausgewertet wurden. Ein Fazit der Untersuchung lau- tet: Die gesundheitliche Versorgung der Zwangsarbeitenden blieb stets dem Kernziel der totalen Ausbeutung der Arbeitskraft untergeordnet. Solange ein ausreichendes Arbeitskräftereservoir im Osten zur Verfügung stand, wurden russische Zwangsar- beitende bereits nach kurzer Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ohne hinreichen- de medizinische Betreuung in die Heimat zurücktransportiert. Erst als nach der Nie- derlage in Stalingrad die Ware „menschliche Arbeitskraft“ knapp wurde, erfuhren die erkrankten „Ostarbeiter“ eine etwas bessere medizinische Versorgung.

Untersucht wird auch der Einsatz von Fremdarbeitern in der Krankenversorgung.

Während für die Betreuung deutscher Patienten aus rassenideologischen Gründen nur als „artverwandt“ betrachtete holländische oder tschechische Ärzte infrage ka- men, wurden Polen oder „Ostarbeiter“ in der Hauswirtschaft der Krankenhäuser ein- gesetzt. Patienten in den Ausländerbaracken der Krankenhäuser wurden allerdings – so weit wie möglich – durch Pflegekräfte und Ärzte gleicher Herkunft betreut. TG Uwe Danker, Annette Grewe, Nils Köhler, Sebastian Lehmann (Hrsg.): „Wir empfehlen Rückverschickung, da sich der Arbeitseinsatz nicht lohnt“. Zwangsarbeit und Krankheit in Schleswig-Holstein, Verlag für Regionalgeschichte, Gütersloh, 2001, 344 Seiten, 21 Abbildungen, gebunden, 58 DM

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

In einem Appell an die Politiker fordert die Landesärzte- kammer, daß sich die Einreise- und Einstellungsuntersuchungen für die ausländischen Arbeitnehmer nicht nur auf

Noch kurioser geht's zu, wenn der behandelnde Arzt der Ehefrau eines beamteten Kollegen nicht nur das Nutzungsentgelt, sondern eine Rechnung in voller Höhe ausstellt. In

2) In höheren Fachsemestern werden die freien Studienplätze durch den Vergleich der endgültig einge- schriebenen Studierenden in einzelnen Fachsemestern, Studienjahren

Friedrich Wilhelm I., schenkte 1716 Zar Peter I. von Rußland bei dessen Besuch das „Bernsteinzimmer". Das Kunstwerk wurde in 18 riesigen Kisten verpackt und nach

Doch gleichzeitig gab es Verständnis und sogar Lob: Schwabe verwies darauf, dass die Ausgaben für umstrittene Arzneimittel von 4,8 Milli- arden Euro in 1992 auf 1,9 Milliarden Euro

Im Zusammenhang mit der Behandlung der im Land Tirol anfallenden Abfälle in entsprechenden Anlagen außerhalb Tirols hielt die Kon- trollabteilung fest, dass die AAG

A ngehende Ärzte werden im Rahmen des klinischen Unterrichts als Famulan- ten oder Studenten im Praktischen Jahr (PJ) auf den Statio- nen tätig. Wenn sie voller Erwartun- gen

Patienten sollen ebenfalls eine Entschädigung erhalten, wenn Ärztefehler nachgewiesen würden, die Verursacherfrage jedoch nicht eindeutig geklärt werden könne. Die AG Gesundheit