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Aufhebung des Lastenausgleichs im Bereich der individuellen Sozialhilfe

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Academic year: 2022

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M 192/2007 GEF 31. Oktober 2007 GEF C Motion

1862 Sutter, Grosshöchstetten (FDP) Siegenthaler, Rüti b.Büren (SVP)

Weitere Unterschriften: 35 Eingereicht am: 14.06.2007

Systemwechsel in der Finanzierung der individuellen Sozialhilfe

Der Regierungsrat wird beauftragt, die geltenden Finanzierungsregelungen in der individuellen Sozialhilfe neu zu ordnen:

1. Aufhebung des Lastenausgleichs im Bereich der individuellen Sozialhilfe.

2. Im Rahmen der FILAG-Revision (FILAG 2012) ist durch geeignete Entflechtung der Finanzströme eine sowohl für Stadt-, Agglomerations- und ländliche Gemeinden kostenneutrale Umsetzung anzustreben.

Begründung

Seit anfangs der 90er- Jahre fällt das Wachstum der Sozialhilfekosten markant höher aus als dasjenige der Volkswirtschaft, mit der Folge, dass ein immer grösser werdender Anteil des Staatseinkommens in die Soziale Wohlfahrt umgeleitet werden muss und damit für andere Aufgaben nicht mehr zur Verfügung steht. Die Gemeinden leiden unter der steigenden Soziallast, ohne jedoch unmittelbaren Einfluss auf die bei ihnen anfallenden Kostenentwicklung nehmen zu können. Die Zeichen der Fehlentwicklung sind unübersehbar und weitgehend unbestritten.

Die Gründe dafür sind vielschichtig. Nebst gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen sind insbesondere auch systemische Fehlanreize dafür verantwortlich.

Durch die fehlende Unmittelbarkeit der auf Gemeinde- oder Gemeindeverbandsstufe ausgelösten Leistungen einerseits und der nach erfolgter Lastenverteilung effektiv zu tragenden Kosten andererseits entfällt in der bestehenden Regelung jeglicher Anreiz zu Optimierungen (wie z.B. Zumietung möglichst günstigem Wohnraum, Abschluss der Grundversicherung beim jeweils günstigsten Anbieter usw.). Die Verantwortung und das unmittelbare Interesse einer Gemeinde an einer möglichst optimierten Kostenentwicklung werden durch den heute gültigen Automatismus, der im Widerspruch zu Äquivalenzprinzip steht, verwässert.

Den bestehenden systemischen Fehlanreizen soll durch Aufhebung des Lastenausgleichs in der individuellen Sozialhilfe entgegengesteuert werden mit dem Ziel, die über einen längeren Betrachtungszeitraum manifestierte ungesunde Kostenentwicklung zu dämpfen.

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Antwort des Regierungsrates

Der Motionär fordert, dass der Lastenausgleich in der individuellen Sozialhilfe spätestens mit der kommenden FILAG - Revision aufzuheben und durch eine Entflechtung der Finanzströme eine kostenneutrale Umsetzung anzustreben ist. Jede Gemeinde soll für die von ihr ausgerichtete Sozialhilfe selbst aufkommen. Der Lastenausgleich besteht seit der Einführung des Fürsorgegesetzes im Jahr 1961 und war anlässlich der Einführung des neuen Sozialhilfegesetzes (SHG) im Jahr 2002 unbestritten. Er stellt eine der zentralen Errungenschaften der öffentlichen Sozialhilfe im Kanton Bern dar.

Der Lastenausgleich stellt die Solidarität zwischen dem Kanton und den Gemeinden sowie die Solidarität zwischen den Gemeinden sicher. 50% der anfallenden lastenausgleichsberechtigten Kosten trägt der Kanton, die restlichen 50% die Gesamtheit der Gemeinden gemäss Einwohnerzahl. Dies gewährleistet beispielsweise, dass eine finanzschwache Gemeinde eine vergleichsweise teure Therapie für einen Suchtklienten überhaupt finanzieren kann.

Der Anstieg der lastenausgleichsberechtigten Kosten in der individuellen Sozialhilfe

Der Motionär macht als Begründung vorab geltend, in den 90er – Jahren sei das Wachstum der Sozialhilfekosten markant höher ausgefallen als dasjenige der Volkswirtschaft, weshalb heute dem Staat Steuersubstrat auf Kosten der sozialen Wohlfahrt entzogen werde. Gleichzeitig hätten die für den Vollzug der Sozialhilfe zuständigen Gemeinden keinen Einfluss auf die Kostenentwicklung. Er identifiziert vor diesem Hintergrund Fehlanreize in der Ausgestaltung der Sozialhilfe. Der Hinweis auf das schwache Wirtschafswachstum in den 90-iger Jahren und auch noch später ist im Zusammenhang mit dem Wachstum der Soziahilfeausgaben zutreffend und auch wichtig.

Genau diese Entwicklung bildet den Hauptgrund für das Kostenwachstum:

- Die Zahl der registrierten Arbeitslosen im Kanton Bern ist von 2001 bis 2005 um 145% gestiegen. Unter Einbezug der Daten 2006 beträgt die Steigerung noch 115%.

Insbesondere für weniger gut qualifizierte Personen stehen weniger Nischenarbeitsplätze zur Verfügung. Für sie hat sich die Reintegration in den Arbeitsmarkt massiv erschwert.

- Die Zahl der (nicht mehr ALV-berechtigten) ausgesteuerten Personen ist im selben Zeitraum um 126% (2001 bis 2005) gestiegen. Ein beträchtlicher Teil der Ausgesteuerten muss anschliessend Sozialhilfeleistungen beanspruchen.

- Änderungen bei der Arbeitslosenversicherung (ALV): Die Verkürzung des ALV- Taggeldbezuges von maximal 520 auf 400 Tage, die im Juni 2003 in Kraft trat, führte dazu, dass die arbeitslosen Personen früher aus dem Sozialversicherungssystem der Arbeitslosenkasse fallen und somit häufiger und länger Sozialhilfeleistungen beanspruchen müssen.

- Der steigende Druck auf die Invalidenversicherung macht sich bei der Sozialhilfe direkt bemerkbar.

Diese Beispiele machen sichtbar, dass die wirtschaftliche Hilfe - ursprünglich konzipiert, um kurzfristige Notlagen zu überbrücken - je länger desto mehr strukturelle Armutsrisiken auffangen muss (Kinder, Arbeitslosigkeit, Arbeiten im Tieflohnbereich). Zu diesen strukturellen Risiken gehört unter anderem auch die Zunahme der Scheidungen (seit den 80iger Jahren hat sich die Zahl der Scheidungen ca. verdoppelt).

Der Aufwand in der individuellen Sozialhilfe umfasst jedoch nicht nur die wirtschaftliche Hilfe sondern auch die vormundschaftliche Massnahmen, die Zuschüsse nach Dekret, die Flüchtlingssozialhilfe, die Alimentenbevorschussung sowie Kosten für strafrechtlichen Verwahrungen und den Besoldungsaufwand der Sozialdienste der Gemeinden.

Die Grundlagen zur Bemessung der wirtschaftlichen Hilfe wurden seit 1992 nur einmal um 2% ausgeglichen. Die Anspruchsberechtigten erhalten heute real weniger Sozialhilfe als

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1990. Dies wird auch durch einen Vergleich mit den der Teuerung und Lohnentwicklung angepassten Ergänzungsleistungen zu AHV/IV bestätigt, die heute erheblich höher liegen als die wirtschaftliche Hilfe gemäss SKOS-Richtlinien. Die Kostensteigerung ist deshalb nicht auf die Unterstützungspraxis der Sozialdienste und auf Ermessensentscheide im Einzelfall zurückzuführen. Wesentlich ist viel mehr die Zunahme der Fälle.

Grundlagen der individuellen Sozialhilfe

Mit der individuellen Sozialhilfe werden zentrale verfassungsmässige Grundrechte umgesetzt. Auf der Grundlage der Achtung und des Schutzes der Würde des Menschen werden Sozialrechte wie der Anspruch auf Obdach, auf grundlegende medizinische Versorgung und auf die für ein menschenwürdiges Leben notwendigen Mittel, sowie teilweise der Anspruch jedes Kindes auf Schutz, Fürsorge und Betreuung sichergestellt.

Dabei müssen die Rechtsgleichheit und der Schutz vor Willkür gewährleistet werden.

Diskriminierungen, insbesondere aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Herkunft, Lebensform sowie politischer oder religiöser Überzeugung sind nicht zulässig.

Das Sozialhilfegesetz (SHG) verlangt, dass die Gemeinden bedürftige Personen weder abschieben noch ihnen den Zuzug erschweren oder verwehren dürfen. Für die Bemessung der wirtschaftlichen Hilfe kommen die SKOS-Richtlinien verbindlich zur Anwendung. Die Voraussetzungen zur Gewährung von Integrationszulagen und Einkommensfreibeträgen und deren Höhe sind in der Sozialhilfeverordnung (SHV) festgelegt. Die Sozialbehörden der Gemeinden beaufsichtigen die Sozialdienste und stellen sicher, dass der Vollzug der Sozialhilfe rechtssicher und rechtsgleich erfolgt.

Die individuelle Sozialhilfe strebt auf der Grundlage von „Hilfe zur Selbsthilfe“ die möglichst schnelle und nachhaltige berufliche und soziale Integration der Anspruchsberechtigten an.

Die persönliche Autonomie soll gefördert, die finanzielle Existenzsicherung gewährleistet und durch präventive Massnahmen Verarmung und Ausgrenzung verhindert werden. Die Gewährleistung der Subsidiarität der ausgerichteten wirtschaftlichen Hilfe und die Bekämpfung von Missbrauch sind ebenfalls integrale Aufgaben der Sozialdienste.

Die Wirkung des Lastenausgleichs auf die individuelle Sozialhilfe

Das Willkürverbot und die Pflicht zur rechtsgleichen Behandlung der Anspruchsberechtigten erfordern verbindliche Grundlagen bei der Bemessung der Sozialhilfe. Der Ermessensspielraum für die Sozialdienste im Bereich der Behebung von Notlagen ist deshalb sehr gering. Mehr Ermessensspielraum besteht insbesondere beim Einsatz von spezifischen Massnahmen. Dazu gehören beispielsweise beruflichen Eingliederungsmassnahmen. Die Aufhebung des Lastenausgleichs im Bereich der individuellen Sozialhilfe würde deshalb den Gemeinden keine finanziellen Spielräume schaffen, sondern ihnen den Anreiz schaffen, das Abschiebeverbot zu verletzen oder die geltenden Bemessungsgrundlagen zu unterschreiten. Um die Rechtssicherheit beim Vollzug der individuellen Sozialhilfe gewährleisten zu können und „Armenjagden“ zu verhindern, müsste deshalb die Aufsicht über die Gemeinden erheblich verstärkt werden.

Auch das Konfliktpotential zwischen den Gemeinden würde erhöht und es müsste mit einer Zunahme der Beschwerdefälle gerechnet werden. Der Lastenausgleich in der individuellen Sozialhilfe fördert deshalb die verfassungs- und gesetzeskonforme Ausgestaltung der Sozialhilfe und senkt die Gefahr von Willkür, Abschiebung und Ausgrenzung von Armutsbetroffenen.

Die finanziellen Auswirkungen der Aufhebung des Lastenausgleichs auf die Gemeinden

Die Aufhebung des Lastenausgleichs im Bereich der individuellen Sozialhilfe hat erhebliche Auswirkungen auf die Finanzen der Gemeinden. Bezogen auf die Sozialhilferechnung des Jahres 2006 hätten rund 150 Gemeinden teilweise mit erheblichen Mehrkosten zu rechnen, 250 Gemeinden würden finanziell entlastet.

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Tendenziell würden Städte und grössere Gemeinden zusätzlich belastet, kleine Gemeinden entlastet.

Die grössten Zusatzbelastungen im Bereich der wirtschaftlichen Hilfe hätten die Städte Biel (+ 38 Mio. oder ca. 5.6 Steueranlagezehntel), Bern (+ 36 Mio. oder ca. 1.8 Steueranlagezehntel) und Thun (+ 11 Mio. oder ca. 2.4 Steueranlagezehntel) zu tragen. In 11 Gemeinden mit mehr als 5000 Einwohnenden würde sich der Aufwand für wirtschaftliche Hilfe mehr als verdoppeln (Lyss, Langenthal, Ittigen, Zollikofen, Ostermundigen, Burgdorf, Urtenen-Schönbühl, Moutier, Spiez, Interlaken, Belp) aber auch rund 40 mittlere und kleine Gemeinden müssten mit einer Vervielfachung des entsprechenden Aufwandes rechnen (u.a. Aarberg, Kleindietwil, Rohrbach, Thunstetten, Wynau, Lengnau, Pieterlen, Hindelbank, St. Immier, Tschugg, Moosseedorf, Münchenbuchsee, Brienzwiler, Arni, Pontenet, Reconvilier, Tavannes, Brügg, Wimmis, Kehrsatz, Heiligenschwendi, Walliswil, Wangen, etc.). Rund 100 Gemeinden hätten mit einer Mehrbelastung von 1% bis 100% zu rechnen (an dieser Stelle wurde nicht berücksichtigt, welche Gemeinde bis anhin welches Steuersubstrat zum hälftigen Kantonsanteil beigesteuert hat). Weniger belastet würden demgegenüber insbesondere ländliche Gemeinden mit einem hohen Anteil an Bauernbetrieben, Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen. Einige Kleinstgemeinden würden vollständig von Beiträgen an die individuelle Sozialhilfe entlastet. Auf der andern Seite könnte ein einziger kostenintensiver Fall die entsprechenden Gemeindefinanzen sprengen.

Charakteristisch für die individuelle Sozialhilfe ist ihre Dynamik. Die Fallentwicklung ist schlecht prognostizierbar und auch die Belastung einzelner Gemeinden kann sich durch einzelne sehr teure Fälle sehr schnell massiv erhöhen. Dieser Dynamik trägt der Lastenausgleich Sozialhilfe Rechnung. Die Entflechtung der Finanzströme im Rahmen von FILAG 2012 hätte demgegenüber – soll sich das System wirklich vom Lastenausgleich unterscheiden – statischeren und damit weniger solidarischen Charakter. Inwieweit eine kostenneutrale Umsetzung sowohl für Stadt-, Agglomerations- und ländliche Gemeinden überhaupt möglich ist, wäre noch zu prüfen.

Schlussfolgerungen

Das bestehende System hat sich aus sozialpolitischer Sicht grundsätzlich bewährt und ist keine Ursache der Kostensteigerungen seit den 90er-Jahren. Die Gründe liegen vielmehr in der Arbeitsmarktentwicklung, bei Sparmassnahmen bei vorgelagerten Systemen der sozialen Sicherung sowie gesellschaftlichen Entwicklungen. Die Gemeinden nehmen ihre Aufsichtsfunktion gegenüber den Sozialdiensten wahr. Die Evaluationen im Rahmen von FILAG haben gezeigt, dass gewisse Anreize aus ökonomischer Sicht optimiert werden können, die Sozialdienste indessen vor Ort durchaus kostenbewusst arbeiten. Die Revision/Kontrolle durch die GEF wurde neu und effizienter ausgestaltet. Durch den systematischen Einsatz von verbesserten EDV-Lösungen können in Zukunft der administrative Aufwand gesenkt und vermehrt Grundlagendaten zur zielgerichteten Steuerung des Sozialbereichs erhoben werden. Die Vorteile des Lastenausgleichs überwiegen dessen Nachteile.

Im Rahmen der Revision FILAG 2012 ist die Prüfung von verschiedenen Vorschlägen zur Optimierung des Systems vorgesehen. Die vom Motionär gemeinsam mit der Aufhebung des Lastenausgleichs geforderte Entflechtung der Finanzströme wurde bis anhin nicht vertieft geprüft. Es ist zur Zeit auch nicht klar, wie diese Entflechtung genau aussehen könnte. Daher soll dies auch noch im Rahmen des Projektes FILAG 2012 geprüft werden.

Antrag: Annahme als Postulat An den Grossen Rat

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