Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 27⏐⏐3. Juli 2009 A1419
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ilfreiche medizinische Infor- mation oder Sensationsgier?Die Meinungen über die Liveüber- tragung von vier Operationen im britischen Privatsender Channel 4 gingen vor der Ausstrahlung am 25.
bis 28. Mai 2009 auseinander. Da- nach zeichnete sich ein eher positi- ves Bild ab: Die Mehrheit der Zu- schauer war von der Miniserie „The Operation: Surgery Live“ angetan, nicht zuletzt, weil sie die Ärzte live über die elektronischen Foren Twit- ter oder Facebook befragen konnte.
Selbst britische Chirurgen spende- ten Lob, blieben jedoch skeptisch, ob Chirurgie für das Reality-TV wirklich geeignet ist. Etwas mehr Didaktik hätte den Sendungen zu- dem gutgetan.
Jeweils knapp eine Million Zuschauer
Zu noch akzeptabler Sendezeit ab 21.30 Uhr sahen sich jeweils knapp eine Million Zuschauer die zwei- stündige Operation an. Operiert wurden Patienten mit defekter Herz- klappe, Hirn- und Hypophysen- tumor sowie einer Ösophagus-Her- nie, bei der die minimalinvasive
Chirurgie eingesetzt wurde. Ge- schickt hatte man das Geschehen auf zwei Standorte verlagert: Im Au- ditorium des Wellcome Collection Trust in London präsentierte ein be- kannter Nachrichtenmoderator zu- sammen mit einem Chirurgen der jeweiligen Klinik vor Zuschauern die Operation und beantwortete Fra- gen, wenn der Operateur gerade zu beschäftigt war. Am zweiten Stand- ort im OP erklärte der Chirurg sein Vorgehen, begleitet von zum Teil spektakulären Aufnahmen aus dem Operationsfeld.
Der Wellcome Trust – größter bri- tischer Sponsor für Medizinfor- schung und medizinische Informati- on – bietet schon länger Live-OP- Veranstaltungen an, bislang aller- dings nicht vor laufender Kamera.
Für die TV-Premiere konnten renom- mierte Chirurgen aus Cambridge, Southampton und London und ihre Patienten gewonnen werden. Diese erzählten ihre Krankengeschichte und erklärten, warum sie gerne an der medizinischen Aufklärung mitwirken würden. Denn darum war es dem Sender Channel 4 nach eigenem Be- kunden gegangen, der sich ansonsten
eher bei Realityshows wie „Big Brother“ engagiert. „Wir hoffen, dass die Serie dazu beiträgt, Chirurgie zu entmystifizieren, möchten aber auch die hohe Qualität moderner Chirurgie zeigen“, teilte der Sender mit.
Etwas mehr gut aufbereitete visu- elle Information zum Ablauf der Operationen hätte dazu beitragen können, denn der Zuschauer benö- tigte einige Anatomiekenntnisse, um die komplexen Innenansichten des menschlichen Körpers begrei- fen zu können. „Die Abläufe zu ver- folgen, ist eine Sache, sie aber wirk- lich zu verstehen, eine andere“, kommentierten Roger Kneebone und Rajesh Aggarwal, beide Chirur- gen am Imperial College London, die Sendung im „British Medical Journal“ vom 6. Juni 2009.
Ihr Urteil fiel jedoch insgesamt po- sitiv aus: „Die Sendungen wurden mit großem Geschick und menschli- chem Einfühlungsvermögen profes- sionell umgesetzt.“ Allerdings blie- ben sie skeptisch, ob Chirurgie sich regelmäßig zu einer „Reality-Show“
entwickeln sollte. Der Wellcome- Trust hat jedenfalls derzeit keine Plä- ne, die Serie fortzusetzen, ist aber mit der Premiere durchaus zufrieden. Das Ziel sei erreicht worden, eine breitere Bevölkerungsgruppe aufzuklären und für die Möglichkeiten der moder- nen Chirurgie zu begeistern.
Wenn überhaupt, dann verborgener Thrill
Bleibt noch die Frage: Wo blieb der Thrill der Live-Op? Gab es Momen- te, wo dem Zuschauer der Atem stockte, weil etwas im OP schiefzu- gehen drohte? Eigentlich nicht. Nur einmal bat der Herzchirurg, vom Sender gehen zu dürfen – wie sich später zeigte, um über den weiteren Verlauf der Operation nachzuden- ken, die etwas anders als geplant durchgeführt werden musste, aber dennoch erfolgreich verlief. I Annette Tuffs
TV-KRITIK „THE OPERATION: SURGERY LIVE“
Im OP auf Sendung
Der Privatsender Channel 4 berichtete in Großbritannien live aus dem Operationssaal über schwierige Eingriffe.
Zuschauer verfolgen live eine Herzoperation per Fernsehübertragung.
Foto:Wellcome Library,London