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Die Neuregelungen im Einzelnen

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B Die Neuregelungen im Einzelnen

1 § 1901a BGB – Patientenverfügung

1.1 § 1901a Abs. 1 BGB

1.1.1 Gesetzestext

Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schrift- lich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar be- vorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung), prüft der Betreuer, ob diese Fest- legungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Eine Patientenver- fügung kann jederzeit formlos widerrufen werden.

1.1.2 Anwendungsvoraussetzungen

1.1.2.1 Allgemeines

Grundsätzlich darf ein Patient vom Arzt nur dann behandelt werden, wenn er in die vorgese- hene Behandlung eingewilligt hat.1 Solange der Patient einwilligungsfähig ist, entscheidet er also selbst, ob er (weiter-)behandelt werden möchte oder nicht. Der Patient kann die Einwilli- gung zu einer Behandlungsmaßnahme ausdrücklich oder stillschweigend erklären. Aus dem Selbstbestimmungsrecht eines Patienten folgt allerdings nur ein Abwehrrecht, das heißt der Patient kann nicht verlangen, dass ein Arzt eine bestimmte ärztliche Maßnahme durchführt, wenn sie nicht indiziert oder gar kontraindiziert ist.2

In der Patientenverfügung macht der Patient den behandelnden Ärzten für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit Vorgaben für konkrete Behandlungssituationen, die im Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung noch nicht unmittelbar bevorstehen (müssen). Der Patient legt in einer Patientenverfügung individuell fest, ob und ggf. welche Heilbehandlungen, ärztliche Un- tersuchungen oder Eingriffe in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation vorge- nommen oder unterlassen werden sollen. Unter einer Patientenverfügung versteht man dem- entsprechend eine vorsorgliche Verfügung für eine spätere medizinische Betreuung. Nach der Definition des BGH (vgl. FamRZ 2003, 748) versteht man unter einer Patientenverfügung die individuelle Willensäußerung eines Menschen zu seiner künftigen medizinischen Behandlung im Falle seiner eigenen künftigen Äußerungsunfähigkeit.

1.1.2.2 Personenbezogene Errichtungsvoraussetzungen

Voraussetzung für die Errichtung einer Patientenverfügung ist zunächst, dass der Verfügende einwilligungsfähig und volljährig ist.

1 Voll, Die Einwilligung im Arztrecht, 1996.

2 Zimmermann, Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung, Patientenverfügung, 2007, S. 221, Rn. 378.

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18 § 1901a BGB – Patientenverfügung

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Ärztliche Behandlungen stellen regelmäßig einen Eingriff in die körperliche Integrität des Be- troffenen dar. Nach der Rechtsprechung des BGH und des BVerfG erfüllt der ärztliche Heil- eingriff sogar den Tatbestand einer Körperverletzung nach § 223 ff. StGB. Willigt der Patient jedoch in die beabsichtigte Behandlungsmaßnahme ein, bleibt der Arzt straffrei, weil sein Verhalten durch die Einwilligung des Patienten gerechtfertigt ist. Demnach muss der Patient wissen und verstehen, worin er einwilligt. Unter dem Begriff der Einwilligungsfähigkeit ver- steht man im Hinblick auf ärztliche Behandlungsmaßnahmen daher die Fähigkeit eines Patien- ten, Art, Bedeutung und Tragweite der ärztlichen Maßnahme zu erfassen.3

Für die Frage der Einwilligungsfähigkeit einer Person kommt es somit nicht darauf an, ob die- se geschäftsfähig oder volljährig ist. Auch ein Minderjähriger kann durchaus in der Lage sein, die Risiken eines ärztlichen Eingriffs zu erkennen. Gleichwohl kann auch ein Volljähriger einwilligungsunfähig sein.

Behandlungsverbote eines einwilligungsfähigen Patienten sind vom Arzt zu beachten, und zwar unabhängig davon, wann sie erklärt werden. Ein einwilligungsfähiger Patient darf gegen seinen Willen nicht behandelt werden. In Fällen, in denen eine medizinische Behandlungs- maßnahme indiziert ist, muss der Arzt über die Behandlung und deren Risiken, aber auch über mögliche Behandlungsalternativen aufklären, um so eine Entscheidung des Patienten herbei- führen. Entscheidet sich der einwilligungsfähige Patient gegen die Behandlung, ist dieses Be- handlungsverbot vom Arzt zwingend zu beachten. Im Umkehrschluss darf ein Arzt einen ein- willigungsunfähigen Patienten auch dann nicht behandeln, wenn dieser antizipiert seine Zu- stimmung zu der ärztlichen Behandlungsmaßnahme nicht erteilt hat. Jedoch wird für den Ein- willigungsunfähigen in der Regel ein amtlicher Betreuer bestellt, der an seiner Stelle die Ein- willigung zu der beabsichtigten Behandlungsmaßnahme erteilen kann. Hat der Einwilligungs- unfähige in Zeiten seiner Einwilligungsfähigkeit eine Patientenverfügung errichtet, ist der Be- treuer oder auch ein Bevollmächtigter an die Vorgaben in der Patientenverfügung gebunden, sofern sie auf die aktuelle Behandlungssituation zutreffen.

Wie oben bereits ausgeführt, muss derjenige, der eine Patientenverfügung errichten will, nicht nur einwilligungsfähig, sondern auch volljährig sein. Wann eine Person volljährig ist, regelt

§ 2 BGB. Nach dieser Vorschrift wird die Volljährigkeit mit Vollendung des 18. Lebensjahres erlangt.4 Vor Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelungen zur Patientenverfügung war allge- mein anerkannt, dass auch Minderjährige eine Patientenverfügung errichten können, sofern sie in der Lage sind, die Bedeutung und Tragweite ihrer Entscheidung zu erkennen. Jedoch durfte der in einer Patientenverfügung geäußerte Wille eines Minderjährigen von den Ärzten nicht gegen den Willen seiner Sorgeberechtigten umgesetzt werden. Nach der Neuregelung können Minderjährige nun keine Patientenverfügung mehr errichten, was im Ergebnis nicht sachge- recht erscheint und auch nicht nachvollziehbar ist. Von Minderjährigen errichtete Patienten- verfügungen sind ebenso wichtig und effektiv wie solche von Erwachsenen. Sie haben die gleiche Zielrichtung und können insbesondere in Fällen, in denen die Eltern des Minderjähri- gen in akuten Entscheidungssituationen nicht gefragt werden können, vor übereilten oder von falschen Emotionen geprägten Entscheidungen bewahren. Eltern sind vor dem Hintergrund ih- rer Erziehungsaufgabe gehalten, die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbstständigem, verantwortungsbewusstem Handeln zu berücksichtigen und mit dem Kind angepasst an dessen Entwicklungsstand Fragen der elterlichen Sorge mit dem Ziel, Einvernehmen herzustellen, zu besprechen, § 1626 Abs. 2 BGB. Hierzu gehört auch die Erzie- hung zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Krankheiten. Das Kind soll in die Lage ver- setzt werden, ärztliche Entscheidungen zu verstehen und über solche mitzuentscheiden. Gera-

3 BGH NJW 1972, 335.

4 Zum 1.1.1975 wurde das Alter der Volljährigkeit von 21 Jahren auf 18 Jahre herabgesetzt.

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§ 1901a BGB – Patientenverfügung 19 de weil den Eltern Entscheidungen betreffend ihr schwer krankes Kind schwerfallen und von

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dem Wunsch geprägt sein können, es nicht zu verlieren, und Eltern daher häufig motiviert sind, alle möglichen Behandlungsmaßnahmen auszuschöpfen, was nicht immer mit dem Kin- deswohl vereinbar ist, ist nicht nachvollziehbar, warum nunmehr nach den Neuregelungen zur Patientenverfügung es nur noch Volljährigen gestattet ist, eine Patientenverfügung zu errich- ten. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil Kinder mit erstaunlicher Weitsicht eine schwere Krankheit akzeptieren und häufig besser in der Lage sind, mit dieser umzugehen als Erwach- sene.

1.1.2.3 Formale Errichtungsvoraussetzungen

Eine Patientenverfügung muss schriftlich niedergelegt werden. Die Patientenverfügung muss nicht insgesamt handschriftlich errichtet werden. Es können daher grundsätzlich auch vorge- fertigte Formulare verwendet werden. Zur Wahrung des Schriftformerfordernisses muss die Patientenverfügung vom Aussteller aber eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigtem Handzeichen unterzeichnet werden. Dies ergibt sich aus § 126 Abs. 1 BGB. Die Unterschrift muss eigenhändig geleistet werden, das heißt, sie muss mit eigener Hand geschrieben sein. Es reicht für die Eigenhändigkeit der Unterschrift aus, wenn eine Schreibhilfe verwendet wird, sofern der Aussteller beim Leisten der Unterschrift lediglich un- terstützt wird und der Schriftzug selbst von seinem Willen bestimmt wird. Eigenhändigkeit liegt aber nicht mehr vor, wenn der Verfasser der Patientenverfügung bei der Leistung seiner Unterschrift überhaupt nicht aktiv mitgewirkt hat. Eine eigenhändige Unterschrift liegt ferner dann nicht vor, wenn die Unterschrift mit der Schreibmaschine geschrieben, durch Eingabe des Namens auf der Tastatur des PC erfolgt oder ein Stempel, ein Faksimile oder eine einge- scannte Unterschrift verwendet wird.

Die Unterschrift muss durch Nennung der Person des Erklärenden durch Angabe des eigenen Namens unterhalb der Erklärung erfolgen. Sofern die Identifizierung des Erklärenden möglich ist, kann auch mit einem Pseudonym unterschrieben werden. Eine Paraphierung hingegen reicht nicht aus.

Die Unterschrift muss leserlich sein. Es dürfen jedoch an das Schriftbild keine überhöhten An- forderungen gestellt werden. Empfehlenswert ist es, den eigenen Namen unter der Unterschrift nochmals in Druckbuchstaben zu wiederholen. Wird ein Handzeichen, wie beispielsweise ein Kreuz oder nur ein einzelner Buchstabe, verwendet, so muss dieses notariell beglaubigt sein, damit eine wirksame Unterschrift vorliegt. Das Handzeichen darf nur in Gegenwart des No- tars, der es beglaubigt, geleistet werden. Der Notar muss sich von der Identität des Leistenden positiv überzeugen. Ebenso wie die Unterschrift müssen die notariell beglaubigten Handzei- chen räumlich unterhalb der Erklärung angebracht werden.

Notariell beglaubigte Handzeichen kommen insbesondere für Personen in Betracht, die nicht zu einer Unterschrift fähig sind, sei es wegen einer körperlicher Behinderung oder sei es, weil sie des Schreibens unkundig sind. Eine weitere Möglichkeit der Errichtung einer Patientenver- fügung für Menschen mit körperlicher Behinderung, wie beispielsweise Blinde, findet sich durch Rückgriff auf § 126 Abs. 3 BGB. Nach § 126 Abs. 3 BGB kann die Schriftform nämlich durch notarielle Beurkundung ersetzt werden. Personen, die nicht lesen und/oder schreiben können oder blind sind, sind also nicht gehindert, eine Patientenverfügung zu errichten. Sie müssen jedoch, um das Schriftformerfordernis einzuhalten, ihre Patientenverfügung vor einem Notar errichten oder zumindest in Anwesenheit des Notars ein Handzeichen vollziehen, das sodann notariell beglaubigt wird. In anderen Fällen ist eine notarielle Beurkundung der Patien- tenverfügung nicht erforderlich, aber dennoch möglich.

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20 § 1901a BGB – Patientenverfügung

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Eine im Zeitpunkt der Einwilligungsfähigkeit mündlich erklärte Patientenverfügung ist formell unwirksam. Unbeachtlich kann sie aber dennoch nicht sein. Sie muss bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens des Patienten unbedingt berücksichtigt werden.

Neben der Schriftform sieht § 1901a BGB keine weiteren formalen Voraussetzungen vor. Ziel des Gesetzgebers war es, keine zu hohen Hürden für die Wirksamkeit einer Patientenverfü- gung, und damit für die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts, aufzustellen. Bedenk- lich ist, dass der Gesetzgeber davon abgesehen hat, die Wirksamkeit einer Patientenverfügung von einer vorangegangenen ärztlichen Beratung abhängig zu machen. Der medizinische Laie wird vielfach aus reinem Pragmatismus heraus ein Formular zur Errichtung seiner Patienten- verfügung verwenden, ohne dass er die von ihm letztlich erklärten Verfügungen versteht. Oh- ne ärztliche Beratung dürften nur die wenigsten Menschen in der Lage sein, im Voraus Ent- scheidungen für bestimmte Krankheitssituationen zu treffen und insbesondere zu entscheiden, in welche Behandlungsmaßnahme sie einwilligen oder welche sie untersagen möchten. Die ärztliche Beratung ist nach Auffassung der Verfasserinnen unbedingt erforderlich, weil einer- seits nur auf diese Weise erreicht wird, dass Behandlungssituationen konkret beschrieben wer- den, der wahre Patientenwille erkennbar ist und es somit dem Betreuer oder Bevollmächtigten des Patienten ermöglicht wird, diesen Willen umzusetzen, und weil andererseits – ohne ärztli- che Beratung – die begründete Gefahr besteht, dass das mit der Patientenverfügung verfolgte Ziel nicht erreicht wird. Wenig hilfreich dürfte es sein, von einer ärztlichen Beratung Abstand zu nehmen und stattdessen – wie in der Begründung zum Gesetzestext vorgeschlagen – die Beratungsangebote von nichtärztlichen, im Umgang mit Patientenverfügungen erfahrenen Ein- richtungen oder Personen in Anspruch zu nehmen. Diese Einrichtungen oder Personen sind wohl kaum in der Lage, eine adäquate und medizinisch fundierte Beratung zu erbringen, und zwar insbesondere deshalb, weil ihnen in der Regel die notwendige Sachkunde fehlen dürfte.

Zurecht wird in den Empfehlungen des Bundesärztekammer und der Zentralen Ethikkommis- sion bei der Bundesärztekammer darauf hingewiesen, dass Patienten häufig erst nach einer fachkundigen Beratung in der Lage sind, ihre persönlichen Vorstellungen hinreichend nach- vollziehbar und umsetzbar zu formulieren.

Für die Wirksamkeit einer Patientenverfügung ist nicht entscheidend, ob auf der Verfügung der Ort und/oder das Datum der Errichtung angegeben sind. Allerdings können anhand der Angabe von Zeit und Ort der Erstellung der Patientenverfügung Rückschlüsse gezogen wer- den, ob die Erklärungen in der Patientenverfügung (noch) auf die aktuelle Lebens- und Be- handlungssituation zutreffen. Je aktueller die Patientenverfügung im Behandlungszeitpunkt ist, desto mehr spricht dafür, dass der in ihr erklärte Wille noch gewollt ist. Die Patientenverfü- gung sollte daher regelmäßig dahingehend überprüft werden, ob sie noch der aktuellen Situati- on entspricht und vom eigenen Willen des Patienten gedeckt ist.

Es empfiehlt sich, die Patientenverfügung regelmäßig durch erneute Unterschrift zu aktualisie- ren und an die eigenen Wertvorstellungen anzupassen. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll zwar allein der Zeitraum zwischen der Erstellung und dem Behandlungszeitpunkt nicht die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass die abgegebenen Erklärungen nicht mehr gelten sollen mit der Folge, dass auch ältere Patientenverfügungen ihre Wirksamkeit behalten. Es sollte in- soweit jedoch das Aufkommen von Zweifeln an der Wirksamkeit der Patientenverfügung bzw.

ihrer Gültigkeit unbedingt vermieden werden. Dieses Ziel kann unschwer durch eine regelmä- ßige Kontrolle und erforderlichenfalls durch eine Aktualisierung der Patientenverfügung an neue Lebensumstände erreicht werden. Der Gesetzgeber weist in der Begründung zum Geset- zestext zu Recht darauf hin, dass sich bei wesentlichen Änderungen der Lebensumstände die Frage stellen kann, ob die Erklärungen in der Patientenverfügung noch auf die aktuelle Le-

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§ 1901a BGB – Patientenverfügung 21 bens- und Behandlungssituation zutreffen, und dies insbesondere dann, wenn eine wesentliche

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Änderung der Lebensumstände oder des Gesundheitszustandes eingetreten ist.

1.1.2.4 Inhalt der Patientenverfügung und Prüfungspflicht des Betreuers

Gemäß § 1901a Abs. 1 S. 1, 2. HS BGB hat der Betreuer zu prüfen, ob die in der Patientenver- fügung enthaltenen Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen.

Ist dies der Fall, hat der Betreuer dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu ver- schaffen, § 1901a Abs. 1 S. 2 BGB.

Besondere Wichtigkeit kommt in diesem Zusammenhang dem Inhalt der Patientenverfügung zu. Der Betreuer kann nur prüfen, ob die in der Patientenverfügung enthaltenen Anordnungen für die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation einschlägig sind, wenn die Verfügung ein- deutig formuliert ist. Es ist unabdingbar, die medizinischen Behandlungen oder Maßnahmen, die durchgeführt bzw. unterlassen werden sollen, in der Verfügung so genau wie möglich zu beschreiben. Dies gilt selbstverständlich auch für die Lebenssituationen, in der die Patienten- verfügung Wirkung entfalten soll. Je ungenauer oder pauschaler die Patientenverfügung for- muliert ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihr bedingungslos Ausdruck verlie- hen wird und der Betreuer den individuellen Patientenwillen auch durchsetzen kann. Die Pati- entenverfügung muss „medizinisch brauchbar“ sein und darf nicht widersprüchlich formuliert sein. Der Auslegung zugängliche oder inhaltsleere Formulierungen wie „Apparatemedizin“,

„qualvolles Leiden“ oder „menschenwürdiges Leben“ sollten nicht verwendet werden. Be- schränkt der Verfasser den Inhalt seiner Verfügung auf solche allgemeinen Richtlinien für sei- ne spätere Behandlung, liegt hierin keine Patientenverfügung. Sie sind aber als Indiz für den mutmaßlichen Willen des Verfassers zu berücksichtigen.

Bedenklich kann auch die Verwendung von Formularen sein, in denen die einzelnen Behand- lungsalternativen angekreuzt werden können. Wie oben ausgeführt, ist eine solche Verfügung, wenn sie eigenhändig unterschrieben ist, zwar wirksam. Die Verwendung von Mustern birgt jedoch regelmäßig die Gefahr in sich, dass eine Patientenverfügung mal eben zwischen „Tür und Angel“ errichtet wird, sich der Verfasser jedoch nicht ausreichend Gedanken über den In- halt seiner Verfügung gemacht hat und bei reiflicher Überlegung in diversen Punkten anders entscheiden hätte.

Der Verfasser einer Patientenverfügung kann in dieser auch regeln, dass die Verfügung nicht unmittelbar gelten soll, sondern der Betreuer oder der Bevollmächtigte über die vorzunehmen- de Behandlung (nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten) zu entscheiden hat. Vorausset- zung für die Prüfungspflicht des Betreuers ist, dass eine Situation eingetreten ist, in der der Pa- tient willens- und/oder handlungsunfähig ist. Erst dann muss der Betreuer beim Vorhandensein einer Patientenverfügung prüfen, ob diese auf die aktuelle Behandlungssituation zutrifft. Bevor der Betreuer jedoch eine Entscheidung auf Basis der Patientenverfügung überhaupt treffen darf, muss zunächst eine medizinische Indikation im Sinne eines Behandlungsangebots der Ärzte vorliegen. Die medizinische Indikation und der Patientenwille bedingen einander: Je er- folgsversprechender eine Behandlungsalternative ist, umso bedeutender ist der Wille des Pati- enten und umgekehrt. Kann nämlich der Patient aus der Behandlung keinen Benefit mehr zie- hen, gibt es keine Indikation mit der Folge, dass der Patientenverfügung auch keine Bedeutung zukommt. Auf die Meinung des Betreuers kommt es in diesen Fällen nicht an. Der Betreuer hat dann noch nicht einmal eine Prüfungskompetenz. Im Ergebnis bedeutet das, dass die Prü- fungspflicht des Betreuers nur dann besteht, wenn es in der konkreten Situation ein Behand- lungsangebot der Ärzteschaft gibt.

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22 § 1901a BGB – Patientenverfügung

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Wird von den Ärzten eine Behandlung angeboten, stellt sich die Frage, wie der Betreuer über- prüfen soll, ob die Patientenverfügung auf die konkrete Lebens- und Behandlungssituation zu- trifft. In den meisten Fällen wird der Betreuer ein medizinischer Laie ohne Fachwissen sein.

Dies erschwert seine Entscheidungsfindung, zumal die Patientenverfügung in einer Vielzahl von Fällen der Auslegung zugänglich sein wird. Der Betreuer muss sich medizinischen Rat einholen, um überhaupt eine Entscheidung treffen zu können. An dieser Stelle des Gesetzes zeigt sich deutlich, wie wichtig es gewesen wäre, die Wirksamkeit der Patientenverfügung ab- hängig zu machen von einer Pflichtaufklärung und Beratung durch einen Arzt. Um dem Be- treuer die Entscheidungsfindung zu erleichtern, wurde stattdessen der ursprüngliche Entwurf durch die Einfügung einer weiteren Vorschrift (§ 1901b BGB n.F.) ergänzt. Ergebnis ist, dass der Betreuer nun nachträglich im Gespräch mit dem Arzt versuchen muss, den konkreten Pati- entenwillen zu ermitteln, so wie er in der Patientenverfügung niedergelegt ist. Je fremder der Patient für den Betreuer ist, desto schwieriger bis nahezu unmöglich ist das. Doch auch ein be- stehendes Nähe- oder gar Verwandtschaftsverhältnis des Betreuers zum Patienten macht die Sache nicht besser. Es dürfte gerade für Verwandte aus moralischen Gründen äußerst schwie- rig sein, über den Abbruch medizinischer Maßnahmen zu entscheiden bzw. die Festlegungen ihres Angehörigen in der Patientenverfügung als auf die Lebens- und Behandlungssituation zutreffend zu erkennen, zumal eine infauste Prognose nach dem Gesetz nicht weiter Voraus- setzung für die Durchführung eines Behandlungsabbruchs ist. Es grenzt an „seelische Grau- samkeit“, wenn beispielsweise von einem Elternteil als amtlich bestellter Betreuer seines Kindes verlangt wird, über den Abbruch medizinischer Maßnahmen beim diesem zu entschei- den.

In der Praxis wird dies zu immensen Komplikationen führen, weil mit an Sicherheit grenzen- der Wahrscheinlichkeit eigene Interessen der Eltern bei der Entscheidungsfindung in den Vor- dergrund treten, die im Widerspruch zum Interesse und/oder Wohle des Kindes stehen. In der Beratungspraxis sollte daher insbesondere alleinstehenden Personen davon abgeraten werden, einen Elternteil zum Betreuer bzw. Bevollmächtigten zu bestimmen.

Kommt der Betreuer zu dem Ergebnis, dass die Patientenverfügung einschlägig ist, muss er dafür sorgen, dass sie um- bzw. durchgesetzt wird.

1.1.2.5 Widerruf einer Patientenverfügung

Die Patientenverfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden, § 1901a Abs. 3 BGB. Sie kann also schriftlich oder mündlich, auch durch schlüssiges Verhalten, wie beispielsweise durch Kopfschütteln oder -nicken, jederzeit, auch noch in der akuten Behandlungssituation, widerrufen werden. Eine nach außen kundgegebene Willensänderung, die im Widerspruch zu den Vorgaben in der Patientenverfügung steht, ist somit ebenfalls als Widerruf derselben zu bewerten.

Nach dem Wortlaut der Vorschrift („jederzeit“) könnte man davon ausgehen, dass eine Patien- tenverfügung auch noch im Zustand der Einwilligungsunfähigkeit widerrufen werden kann.

Der Gesetzgeber hat offengelassen, ob auch der einwilligungsunfähige Patient noch widerru- fen kann oder es nicht vielmehr Voraussetzung für einen wirksamen Widerruf der Patienten- verfügung sein muss, dass der Patient einwilligungsfähig ist. Nicht nachvollziehbar ist, warum der Gesetzgeber hier nur das „Wie“ des Widerrufs geregelt hat und es unterlassen hat, die per- sonenbezogenen Widerrufsvoraussetzungen eindeutig festzulegen. Man kann hier nur vermu- ten, was der Gesetzgeber erreichen wollte. Grundsätzlich muss für den Widerruf dasselbe gel- ten wie für die Errichtung der Patientenverfügung (Kehrseitentheorie). Eine Rechtsunsicher- heit bleibt. Konsequenterweise muss der Patient analog den Errichtungsvoraussetzungen auch

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§ 1901a BGB – Patientenverfügung 23 für den Widerruf der Patientenverfügung einwilligungsfähig sein. Dies ergibt sich bereits aus

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den allgemeinen Voraussetzungen für die Behandlung eines Patienten, nach welchen ein Pati- ent nur (weiter) behandelt werden darf, wenn er in die Behandlung eingewilligt hat. Da die Pa- tientenverfügung Vorgaben für die Behandlung im Zustand der Einwilligungsunfähigkeit macht, die der Patient im Zustand der Einwilligungsfähigkeit festgelegt hat, Ärzte einen Pati- enten, der einwilligungsunfähig ist, aber auch nach dessen Zustimmung nicht behandeln dür- fen, kann der Widerruf einer Patientenverfügung nur im Zustand der Einwilligungsfähigkeit erklärt werden.

Die Formfreiheit des Widerrufs wirkt auf der einen Seite anwendungsfreundlich. Sie ist auf der anderen Seite aber im Hinblick auf die formalen Errichtungsvoraussetzungen nur wenig konsequent. Das fehlende Formerfordernis für den Widerruf einer Patientenverfügung führt im Ergebnis dazu, dass trotz der gesetzlichen Neuregelung weiter der sogenannte mutmaßliche Wille des Patienten erhebliches Gewicht behält, wenn nicht sogar entscheidend ist. Das ist grundsätzlich zu befürworten. Der in einer Patientenverfügung formgerecht, weil schriftlich, fixierte Wille des Patienten ist jedoch im Zweifel nicht verbindlich, sodass die Regelung der Formerfordernisse für die Errichtung einer Patientenverfügung im Ergebnis auch hätte unter- bleiben können.

Wegen des fehlenden Formerfordernisses für den Widerruf muss, bevor dem schriftlich fixier- ten Willen des Patienten Ausdruck verliehen wird, regelmäßig geprüft werden, ob dieser nicht in irgendeiner Form die Patientenverfügung wieder widerrufen hat. Den wahren Willen des Patienten herauszufinden, ist für einen „fremden“ Betreuer somit praktisch ein Ding der Un- möglichkeit. Die Erforschung des mutmaßlichen Willens ist daher weiterhin – auch bei Vor- liegen einer schriftlichen Patientenverfügung – wegen der Möglichkeit des in der Zwischenzeit erfolgten formlosen (!) Widerrufs eine der zentralen Hauptaufgaben des Betreuers bzw. des Bevollmächtigten.

Für die Praxis empfiehlt es sich daher, die Patientenverfügung regelmäßig zu überprüfen und zu aktualisieren und einen Widerruf möglichst schriftlich zu erklären. So lange keine Zweifel an der Wirksamkeit der Patientenverfügung bestehen, wird grundsätzlich zwar wohl weiter von einem Nichtwiderruf auszugehen sein. Jede vom Inhalt der Patientenverfügung abwei- chende Erklärung des Patienten, die er jedoch beispielsweise unüberlegt oder auch bewusst gegenüber anderen Personen geäußert hat, kann bzw. muss als Widerruf der Patientenverfü- gung auszulegen sein.

Die schriftliche Patientenverfügung verliert ihre Wirkung, wenn der Betreuer oder der Be- vollmächtigte des Patienten zu dem Ergebnis kommt, dass in dessen (unüberlegten) Äußerun- gen ein Widerruf zu sehen ist. Hierneben birgt die Formfreiheit des Widerrufs auch die Gefahr in sich, dass eine erfolgte Willensänderung des Patienten unberücksichtigt bleibt, weil sie zwar mündlich erklärt, aber nicht publik geworden ist. Andererseits darf ein Kopfnicken des Patien- ten im Zustand der Einwilligungsunfähigkeit nicht einfach ignoriert werden. Es muss hier überlegt werden, ob die Patientenverfügung tatsächlich, trotz eindeutiger schriftlicher Formu- lierung, die konkrete Behandlungssituation trifft. Schließlich könnte dieses Kopfnicken ein (an sich unwirksamer) Widerruf sein, der formaljuristisch wegen der fehlenden Einwilligungsun- fähigkeit des Patienten eigentlich nicht möglich ist. Der Betreuer oder Bevollmächtigte des Pa- tienten muss sich in solchen Situationen die Frage stellen, was der Patient gewollt hätte, wenn man ihn im Zustand der Einwilligungsfähigkeit hierzu hätte befragen können. Hier wird bzw.

muss der Anwendungsbereich für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens des Patienten er- öffnet sein, da sein Verhalten im Zustand der Einwilligungsunfähigkeit darauf hindeutet, dass

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24 § 1901a BGB – Patientenverfügung

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die Vorgaben in seiner Patientenverfügung offensichtlich die konkrete Behandlungssituation nicht erfassen.

Der Widerruf richtet sich an Ärzte, Betreuer etc., muss aber nicht diesen gegenüber erklärt werden. Die Patientenverfügung ist keine empfangsbedürftige Willenserklärung, sondern eine reine Willensäußerung. Nach der Kehrseitentheorie muss für den Widerruf der Patientenverfü- gung dasselbe gelten. Ein Widerruf der Patientenverfügung durch den Betreuer oder Bevoll- mächtigten des Verfassers ist nicht möglich. Der Betreuer bzw. der Bevollmächtigte muss bei Zweifeln an der Wirksamkeit der Patientenverfügung den mutmaßlichen Willen des Betroffe- nen ermitteln und aufgrunddessen eine Entscheidung treffen, die auch im Widerspruch zu der Patientenverfügung stehen kann. Im Ergebnis steht dies faktisch einem Widerruf der Verfü- gung gleich.

1.2 § 1901a Abs. 2 BGB

1.2.1 Gesetzestext

Liegt keine Patientenverfügung vor oder treffen die Festlegungen einer Patientenverfügung nicht auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zu, hat der Betreuer die Behand- lungswünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten festzustellen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er in eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 einwilligt oder sie untersagt. Der mutmaßliche Wille ist aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu ermitteln. Zu be- rücksichtigen sind insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen des Betreuten.

1.2.2 Anwendungsvoraussetzungen

Die Vorschrift regelt die Vorgehensweise des Betreuers für die Fälle, in denen entweder keine Patientenverfügung vorliegt oder eine vorhandene Patientenverfügung die konkrete Lebens- und Behandlungssituation nicht trifft.

Satz 1 der Vorschrift wurde als Reaktion auf die Sachverständigenanhörung in das Gesetz auf- genommen. Sie soll die Bindung des Betreuers an die Behandlungswünsche des Patienten auch in den Fällen sicherstellen, in denen ein konkreter, auf die Situation bezogener Patien- tenwille zwar festgestellt wird, aber nicht schriftlich fixiert ist. Der im Zeitpunkt der Einwilli- gungsfähigkeit früher mündlich geäußerte Wille eines Patienten ist für die Ärzte in der akuten Behandlungssituation weiterhin nicht bindend, wenn der Patient ihn infolge seiner Einwilli- gungsunfähigkeit nicht wiederholen kann. Die Ärzte bindet nach den Neuregelungen zur Pati- entenverfügung unmittelbar nur der in einer solchen Verfügung schriftlich festgehaltene Wille.

Auch vor Inkrafttreten der Neuregelungen war der Betreuer bereits gemäß § 1901 Abs. 3 BGB an die Behandlungswünsche des Betreuten gebunden. Die Vorschrift hat somit lediglich klar- stellende Funktion. Vorauszuschicken ist, dass der mutmaßliche Wille eines Patienten nur in Fällen zu ermitteln ist, in denen seine (Weiter-)Behandlung ärztlich indiziert ist. Eine Behand- lung oder Therapie darf von Ärzten aus rechtlichen und menschlichen Gründen nicht mehr an- geboten werden, wenn sie nicht indiziert ist, weil sie dem Patienten keinen Benefit mehr bringt.

Ist eine Indikationsstellung gegeben, hat der Betreuer beim Fehlen einer Patientenverfügung den mutmaßlichen Willen des Patienten zu ermitteln. Er muss die Frage klären, was der Pati- ent in der konkreten Situation wollen würde und wie er entscheiden würde, wenn er noch ge-

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