Migräne: Prophylaxe und Therapie
Prof. Dr. Manfred Schubert-Zsilavecz
Zentrum für Arzneimittelforschung, Entwicklung und Sicherheit Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main
Pharmazieforum 2010
Migräne: Prophylaxe und Therapie Ausgangssituation
Ludwig van Beethoven
Migräne: Prophylaxe und Therapie Ausgangssituation
Die WHO zählt Migräne zu den 20 Leiden, die das tägliche Leben am meisten einschränken
Migräne ist keine Befindlichkeitsstörung, sondern einen eigenständige Erkrankung mit leidvollen Symptomen Migräne ist mit 10 Millionen Betroffenen eine der größten Volkskrankheiten in Deutschland
Hochrechnungen legen nahe, dass in der BRD täglich 320 000 Migräneanfälle auftreten
Migräne: Prophylaxe und Therapie Ausgangssituation
Apotheker/Innen tragen einen hohes Maß an Verantwortung für die Therapie und Beratung
28 % 72 %
Migräne: Prophylaxe und Therapie
Was soll im Vortrag vermittelt werden?
Migräne
Medikamentöse Migräneprophylaxe
Medikamentöse Akuttherapie
Behandlung von Migräneattacken bei Kindern
Migräne: Prophylaxe und Therapie
Kopfschmerz ist nicht gleich Kopfschmerz!
• Migränekopfschmerz
• Spannungskopfschmerz
• Clusterkopfschmerz
• Medikamenteninduzierter Dauerkopfschmerz
Über 90% aller Kopfschmerzen lassen sich auf Migräne und Spannungskopfschmerz zurückführen.
Migräne: Prophylaxe und Therapie Migräne
Häufigkeit wechselnd, ein- bis sechsmal im Monat Schmerzdauer 4 – 72 h
Lokalisation meist einseitig Schmerzstärke heftige Attacken Schmerzcharakter pochend, hämmernd,
pulsierend
Begleitsymptome Appetitlosigkeit
Übelkeit und Erbrechen
Licht- und Lärmempfindlichkeit
Migräne: Prophylaxe und Therapie Diagnose
Einseitig
Verschlechterung durch Bewegung
Mittelschwer bis schwer Pulsierend
2 Kopfschmerz- kriterien
Übelkeit und/oder Erbrechen
Licht- und
Geräuschempfindlichkeit 1 Kriterium
+ Migräne
Migräne: Prophylaxe und Therapie
Migräne ist eine der häufigsten neurologischen Erkrankungen
Migräne: Prophylaxe unt Therapie Schmerzempfinden des Gehirns
•
Gehirn selbst ist nicht schmerzempfindlich•
schmerzempfindlich sind Wände von Blutgefäßen•
Schmerzsignale werden über den Trigeminusnerv geleitetMigräne: Prophylaxe und Therapie Ablauf einer Migräneattacke
Migräne: Prophylaxe und Therapie
Pathophysiologie des Migränekopfschmerzes
Positronenemissionstomographie (PET)
Während der Migräneattacke gibt es im Hirnstamm und Mittelhirn eine Region mit gesteigerter Durchblutung:
Migränegenerator
Migräne: Prophylaxe und Therapie Pathophysiologie der Aura
Komplex aus fokalen neurologischen Symptomen, der dem Migränekopfschmerz vorangeht
Skotome, Fortifikationen, Flimmerphänomene, Wahr- nehmung von Lichtblitzen; veränderte Farb-, Größen- und Bewegungswahrnehmung oder optische
Halluzinationen.
Sensibilitätsstörungen im Bereich der Extremitäten, Sprachstörungen oder andere neuropsychologische
Ausfälle.
Migräne: Prophylaxe und Therapie Pathophysiologie der Aura
Reiner Bartl, Osteoporose, Thieme 2001
„Cortical Spreading Depression“ (CSD)
Migräne: Prophylaxe und Therapie
Pathophysiologie des Migränekopfschmerzes
Migränekopfschmerz
Erweiterung von Hirnhautgefäßen Erhöhte Trigeminus-Aktivität
Aseptische Entzündungsreaktion Substanz P, CGRP
Serotonin-Defizit
Migräne: Prophylaxe und Therapie
Was soll im Vortrag vermittelt werden?
Migräne
Medikamentöse Migräneprophylaxe
Medikamentöse Akuttherapie
Behandlung von Migräneattacken bei Kindern
Migräne: Prophylaxe und Therapie Migräneprophylaxe
Empfehlung
Bei häufigen Migräneattacken ( > 3 pro Monat) sollte eine Migräneprophylaxe begonnen werden
Bei nicht ausreichendem Ansprechen auf eine adäquate Migränetherapie
Bei nicht tolerablen Nebenwirkungen der Akuttherapie Einnahme von Schmerz- und Migränemitteln an mehr als 10 Tagen pro Monat
Migräne: Prophylaxe und Therapie Migräneprophylaxe
Arzneistoffe der ersten Wahl (gute Evidenzlage)
Betablocker
Metoprolol 50 - 200 mg Propranolol 40 - 240 mg Bisoprolol 5 - 10 mg Calciumkanalblocker
Flunarizin 5 - 10 mg Antiepileptika/Antikonvulsiva Topiramat 25 - 100 mg Valproinsäure 600 – 1800 mg
Migräne: Prophylaxe und Therapie Migräneprophylaxe
Arzneistoffe der zweiten Wahl (weniger gute Evidenzlage)
Amitriptylin 50 – 150 mg Venlafaxin 75 – 150 mg Gabapentin bis 2400 mg Naproxen 500 – 1000 mg
ASS 300 mg
Pestwurz 150 mg
Magnesium 600 mg Vitamin B2 400 mg
Migräne: Prophylaxe und Therapie Migräneprophylaxe
Praxistipps
Schrittweises Aufdosieren um UAW zu vermeiden Einnahme der AM am Abend (Müdigkeit!)
Aufklärung der Patienten (Compliance)
Migränetherapie Migräneprophylaxe
Nicht medikamentöse Prophylaxe
Kontrolle von Triggerfaktoren (Koffein, Stress, Rhythmus)
Ausdauersport (Langlauf, Dauerlauf, Joggen, Radfahren und Schwimmen)
Entspannungsverfahren (progressive Muskelrelaxa- tion nach Jacobson)
Biofeedback-Therapie
Stressbewältigungstraining
Migräne: Prophylaxe und Therapie
Was soll im Vortrag vermittelt werden?
Migräne
Medikamentöse Migräneprophylaxe
Medikamentöse Akuttherapie
Behandlung von Migräneattacken bei Kindern
Migräne: Prophylaxe und Therapie Akuttherapie der Migräne
Analgetika (unspezifische Migränetherapie) ASS, Paracetamol, Ibuprofen, Naproxen
Antiemetika (unspezifische Migränetherapie) Metoclopramid, Domperidon
Mutterkornalkaloide (teilweise spezifsche Therapie) Ergotamintartrat
Triptane (hochspezifische Migränetherapie)
Sumatriptan, Zolmitriptan, Naratriptan, Rizatriptan, Almotriptan, Eletriptan, Frovatriptan
Migräne: Prophylaxe und Therapie
Triptane - Verordnungen 2008 (AVR 2009)
DDD % DDD-Kosten (€) (Mio)
Ascotop® Zomitriptan 3,1 -0,9 6,59 9 Produkte Sumatriptan 7,8 +28,9 3,00 Maxalt® Rizatriptan 2,8 +1,8 8,27 Allegro® Frovatriptan 1,6 +6,2 5,87 Naramig® Naratriptan 0,6 +0,6 8,17 Almogran® Almotriptan 0,6 -4,1 7,21
Relpax® Pfizer 0,4 -0,8 8,82
16,8 +12,3 5,26
Migräne: Prophylaxe und Therapie Analgetika in der Akutherapie
Analgetika (unspezifische
• ASS 1000 mg KI: Ulkus, Asthma, Blutungsneigung, Schwangerschaft
• Paracetamol 1000 mg KI: Leberschäden, Niereninsuffizienz
• Ibuprofen 400-600 mg KI: Ulkus, Asthma, Blutungsneigung, Schwangerschaft
• Naproxen 500-1000 mg KI: Ulkus, Asthma, Blutungsneigung, Schwangerschaft
• Diclofenac 50 mg KI: Ulkus, Asthma, Blutungsneigung,
Mittel der ersten Wahl bei leicht- und mittelgradigen Migränekopfschmerzen
Migräne: Prophylaxe und Therapie Analgetika in der Akutherapie
ASS, Ibuprofen, Diclofenac, Naproxen und Paracetamol sind Arzneistoffe der ersten Wahl
Kombination aus ASS, Paracetamol und Koffein wirksamer als Plazebo und ohne Koffein
Brausetabletten oder Kautabletten sind optimal
Paracetamol wird rektal besser resorbiert als nach oraler Gabe
Maximal 10 Tage/Monat
Migräne: Prophylaxe und Therapie Antiemetika in der Akutherapie
Analgetika (unspezifische
• Methoclopramid
10 - 20 mg
20 mg Supp.
10 mg i.m., i.v., s.c.
• Domperidon
20 - 30 mg
Migräne: Prophylaxe und Therapie Antiemetika in der Akutherapie
Besserung der vegetativen Begleitsymptome Steigerung der Peristaltik des GI-Traktes
MCP verfügt über analgetische Komponente
Überlegenheit fixer Kombinationen von Analgetika und Antiemetika bisher nicht gezeigt
Migräne: Prophylaxe und Therapie
Mutterkornalkaloide in der Akutherapie
Ergotamintartrat 2 mg p.o Wenig prospektive Studien
In allen Vergleichsstudien waren Triptane signifikant besser wirksam
Einsatz nur bei langen Migräneattacken bzw. bei mehrfacher Recurrence
Maximal 10 Tage/Monat
Sumatriptan (Imigran®)
(S)-Zolmitriptan (AscoTop®)
Naratriptan (Naramig®)
Migräne: Prophylaxe und Therapie Chemie der Triptane
Sub-Typ
Familie 5-HT-Rezeptoren
5-HT1B
Verengung cranialer Blutgefäße
Hemmung neurogene Entzündung
5-HT1D 5-HTx
Funktionen: u.a. an glatter Gefäß- und anderer Muskulatur, Signalweiterleitung,
Blutdruckregulation, Blutgerinnung, Regulation von Darmaktivitäten oder Körpertemperatur etc.
5-HT2 5-HT3 5-HT4 5-HT5 5-HT6 5-HT7
Rezeptor-Typ 5-HT1
Migräne: Prophylaxe und Therapie Serotonin-Rezeptoren
Triptane führen zur Vasokonstriktion der während der
Migräneattacke erweiterten Blutgefäße im Bereich der Dura.
Triptane hemmen die Freisetzung vasoaktiver Neuro-
peptide wie z.B. Calcitonin-gene-related-peptide (CGRP).
Triptane hemmen die Transmission von Schmerzsignalen im Nucleus caudalis des Nervustrigeminus.
Migräne: Prophylaxe und Therapie Wirkungen der Triptane
Unterdrücken den Kopfschmerz und die vegetativen Begleiterscheinungen.
Sie bessern die Lärm- und Lichtempfindlichkeit.
Sie sind nicht in der Lage, den eigentlichen Krankheits- prozess der Migräneattacke zu durchbrechen (Migräne- generator bleibt wahrscheinlich unbeeinflusst).
Triptane unterscheiden sich in ihren pharmakologischen Eigenschaften und in der Ausprägung der erwünschten und unerwünschten Wirkungen.
Migräne: Prophylaxe und Therapie Triptane
Migräne: Prophylaxe und Therapie Triptane im Vergleich
Einzeldosis [mg]
Bioverfügbarkeit (%) tmax [h]
t1/2 [h]
Metabolisierung in
50-100 2,5-5 2,5 5-10 12,5 20,40 oder 80
14 40 60-70 40-45 70 50 1,5-2,5 2-3 2-3 1-1,5 1,5-3 1-1,5
2 3 6 2-3 3,5 4-5
ja ja ja (50%) ja ja (60%) ja
Migräne: Prophylaxe und Therapie
Besserung der Kopfschmerzen im Vergleich
Migräne: Prophylaxe und Therapie Triptane - Probleme
“Headache recurrence” (Secondary treatment failure) Recurrence wird definiert als eine Verschlechterung der Kopfschmerzintensität von keinem Kopfschmerz oder
leichten Kopfschmerzen auf mittelschwere oder schwere Kopfschmerzen in einem Zeitraum von 2 bis 24 Stunden nach der ersten Medikamenteneinnahme.
Migräne: Prophylaxe und Therapie Rückkehr der Kopfschmerzen
Menge (mg) % Patienten
Sumatriptan 100 32
Zomitriptan 2.5 31
Zolmitriptan 5 28
Naratriptan 2.5 25
Rizatriptan 5 40
Rizatriptan 10 40
Eletriptan 40 31
Migräne: Prophylaxe und Therapie Frovatriptan
Allegro® 2,5 mg Filmtabletten
Im Vergleich zu allen anderen Triptanen zeigt Frovatriptan die mit 17% niedrigste durchschnittliche Rate an
Wiederkehrkopfschmerz Bioverfügbarkeit 20-30%
Halbwertszeit 26 h
Metabolismus Cytochrom P450 1A2
Migräne: Prophylaxe und Therapie Naratriptan
Naramig® 2,5 mg Filmtabletten, Formigran® 2,5 mg Filmtabletten
Verzögerter Wirkungseintritt Geringere Wirksamkeit
Niedrige Recurrence-Rate Gute Verträglichkeit
Migräne: Prophylaxe und Therapie Naratriptan - Charakteristik
Maximale Plasmakonzentration nach 2 - 3 Stunden Orale Bioverfügbarkeit: 70 % (Sumatriptan: 14 %) Plasmahalbwertszeit: 6 Stunden
Keine Metabolisierung über Monoaminooxidasen (wie bei Sumatriptan, Zolmitriptan, Rizatriptan)
Metabolismus über verschiedene CYP-Enzyme
Migräne: Prophylaxe und Therapie Naratriptan - Charakteristik
Orale Aufnahme
CYP3A4 CYP2D6 CYP2C9 CYP… MAO A/B
Metabolismus Gute Verteilung auf viele versch.
Enzyme WW mit CYP-pflichtigen Substanzen unwahrscheinlich
Keine WW mit MAO Systemen
Migräne: Prophylaxe und Therapie Triptane - Kontraindikationen
Herzinfarkt und Apoplex in der Vorgeschichte Koronare Herzkrankheit (KHK)
Koronare Vasospasmen
Periphere arterielle Verschlußkrankheit (PAVK) Patienten nach Schlaganfall
Transiente ischämische Attacken (TIA)
Migräne: Prophylaxe und Therapie Triptane - Kontraindikationen
Schwere Leberfunktionsstörungen Schwere Nierenfunktionsstörungen Nicht behandelte Hypertonie
Schwangerschaft und Stillzeit
Mehrere vaskuläre Risikofaktoren
Migräne: Prophylaxe und Therapie
Was soll im Vortrag vermittelt werden?
Migräne
Medikamentöse Migräneprophylaxe
Medikamentöse Akuttherapie
Behandlung von Migräneattacken bei Kindern
Migräne: Prophylaxe und Therapie Migräneprophylaxe bei Kindern
Flunarizin 5 mg gesichert Topiramat 15 – 200 mg gesichert Propranolol 80 mg gesichert
Migräne: Prophylaxe und Therapie Akutherapie bei Kindern
Ibuprofen 10 mg/kg gesichert Paracetamol 15 mg/kg gesichert
Triptane > 12 a (Zulassungsstatus!)
Migräne: Prophylaxe und Therapie Volkswirtschaftliche Aspekte
Migräne ist ein volkswirtschaftliches Problem
Durch jeden Euro Behandlungskosten, der wirksam eingesetzt wird, können 13 EURO Folgekosten gespart werden.
Migräne: Prophylaxe und Therapie Internetadressen
Deutsche Gesellschaft für Neurologie http://www.dgn.org
Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft http://www.dmkg.de