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Milic, Thomas (2021): Das Liechtensteiner Stimmwunder. Gastkommentar. Lie-Zeit Nr. 101, Dezember 2021.

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Academic year: 2022

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12/2021

Wenn Schweizerinnen und Schweizer von Wahlen und Ab- stimmungen in Liechtenstein le- sen, staunen sie über einen Wert immer wieder: Die Beteiligungs- quote. Regelmässig werden bei Liechtensteiner Wahlen und Ab- stimmungen Partizipationsraten von 70 bis 80 Prozent erzielt. Zum Vergleich: Bei den Schweizer Na- tionalratswahlen beteiligt sich in der Regel gerade einmal die Hälf- te der Stimmberechtigten. Wenn sich, wie bei der Abstimmung vom 28. November 2021, rund 65 Prozent beteiligen, dann ist in der Schweiz bereits euphorisch von einer «massiven Mobilisierung»

die Rede. Die EWR-Abstimmung von 1992 wird in der Schweiz gar als «Jahrhundertabstimmung»

bezeichnet, weil sie sagenhafte 78,7 Prozent der Stimmberech- tigten an die Urnen lockte. In Liechtenstein beteiligten sich bei der letzten Landtagswahl prak- tisch gleich viele (78 Prozent), und kaum jemand wunderte sich hierzulande gross darüber. Wie ist das Liechtensteiner Stimm- wunder zu erklären?

Wenn wir die Beteiligung in Liechtenstein mit derjenigen der Deutschschweizer Kantone his- torisch vergleichen, fallen ver- schiedene Dinge auf: Bis in die 1930er-Jahre sind die Diff eren- zen gering. Danach gehen die Beteiligungsraten auseinander.

Diese Beteiligungskluft vertieft sich 1971 schlagartig: Dannzu- mal wurde in der Schweiz das Frauenstimmrecht eingeführt.

Das Frauenstimmrecht folgte in Liechtenstein erst 1984, hatte aber – im Gegensatz zur Schweiz – nur einen vergleichsweise ge- ringfügigen Rückgang der Wahl- beteiligung zur Folge. Auff allend ist zudem, dass ein Schwei- zer Kanton eine vergleichbare Stimmbeteiligungsentwicklung durchgemacht hat wie Liechten- stein, zwar nicht auf dem gleich hohen, aber auf einem immerhin vergleichbaren Beteiligungsni- veau. Dieser Kanton ist Schaff - hausen. Schaff hausen hat viele

Ähnlichkeiten mit Liechtenstein (Sprache, Bevölkerungszahl, Ur- banisierungsgrad, direkte Demo- kratie, Kollegialregierung etc.), aber das haben andere Deutsch- schweizer Kantone auch. Einzig- artig ist Schaff hausen, weil er der einzige Schweizer Kanton ist, der nach wie vor eine Stimm- pfl icht kennt. Erst kürzlich wurde die Busse für einen verpassten Urnengang von 3 auf 6 Franken erhöht. Diese Stimmpfl icht be- schert Schaff hausen regelmäs- sig die mit Abstand höchsten Beteiligungsraten in der Schweiz.

Die Schaffhauserinnen und Schaff hauser selbst sagen, dass ihre hohe Partizipation nicht pri- mär auf die Busse als solches zurückzuführen sei, sondern da- rauf, dass die Beteiligung stärker als anderswo als «erste Bürger- pfl icht» wahrgenommen werde.

Der Umstand, dass die Betei- ligung als gesetzliche Pfl icht

festgeschrieben sei, helfe zwar.

Aber die hohen Beteiligungsraten seien das Resultat einer Soziali- sation, welche die regelmässige Teilnahme als selbstverständ- lich erscheinen lasse. Liechten- stein kennt keinen sanktionier- ten Stimmzwang. Aber diese Pfl icht zur politischen Teilnahme wird hierzulande ähnlich wie in Schaff hausen von Generation zu Generation «weitervererbt», ohne aber dass eine rechtliche (und sanktionierte) Stimmpfl icht dabei ein wenig «nachhelfen» muss.

Wie genau geschieht dies?

Auf vielfältige Art und Weise. Beispielsweise mithilfe der Tradition der Jungbürgerfeier. Dort werden die gerade erst Volljährigen im Kreis der Stimmberechtigten willkommen geheissen und dabei auch auf die

«Bürgertugend des Wäh- lens» aufmerksam gemacht.

In Liechtenstein ist dies ein gros- ser, landesweiter Anlass, in fei- erlicher Atmosphäre, wo meist der Regierungschef zugegen ist.

Solche Jungbürgerfeiern gibt es auch in der Schweiz, aber kaum je wird es so zelebriert wie hier- zulande. Die Feiern sind lokal, werden eher mässig besucht und den Bundesrat sucht man auch vergebens. Der Einstieg in das politische Leben fi ndet weni- ger feierlich statt. (Manche) Men- schen brauchen aber auch

eine Auff orderung zur politischen Teil-

nahme. Und in Liechtenstein

gelingt dies off ensichtlich gut und ohne sanktionier- ten Stimm- zwang.

Das Liechtensteiner Stimmwunder

GASTKOMMENTAR

pfl icht kennt. Erst kürzlich wurde die Busse für einen verpassten Urnengang von 3 auf 6 Franken erhöht. Diese Stimmpfl icht be- schert Schaff hausen regelmäs- sig die mit Abstand höchsten Beteiligungsraten in der Schweiz.

Die Schaffhauserinnen und Schaff hauser selbst sagen, dass ihre hohe Partizipation nicht pri- mär auf die Busse als solches zurückzuführen sei, sondern da- rauf, dass die Beteiligung stärker als anderswo als «erste Bürger- pfl icht» wahrgenommen werde.

Der Umstand, dass die Betei- ligung als gesetzliche Pfl icht

wird hierzulande ähnlich wie in Schaff hausen von Generation zu Generation «weitervererbt», ohne aber dass eine rechtliche (und sanktionierte) Stimmpfl icht dabei ein wenig «nachhelfen» muss.

Wie genau geschieht dies?

Auf vielfältige Art und Weise. Beispielsweise mithilfe der Tradition der Jungbürgerfeier. Dort werden die gerade erst Volljährigen im Kreis der Stimmberechtigten willkommen geheissen und dabei auch auf die

«Bürgertugend des Wäh- lens» aufmerksam gemacht.

und den Bundesrat sucht man auch vergebens. Der Einstieg in das politische Leben fi ndet weni- ger feierlich statt. (Manche) Men- schen brauchen aber auch

eine Auff orderung zur politischen Teil-

nahme. Und in Liechtenstein

gelingt dies off ensichtlich gut und ohne sanktionier- ten Stimm- zwang.

Gewinnsumme:

CHF 1000.–

DR. THOMAS MILIC

Forschungsbeauftragter Politik am Liechtenstein-Institut

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