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Schädler, Emanuel (2019): Kritisieritis. Gastkommentar. Lie-Zeit Nr. 75, Mai 2019.

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04/2019

Überall grassiert heute die Kritik.

Es wird gerne und oft kritisiert.

Kritik, Metakritik, Hyperkritik.

Dabei gerät leider meist aus dem Blick, dass Kritik ein sekundäres Phänomen ist: Sie kann nicht für sich alleine bestehen, sondern muss notwendigerweise auf et- was bezogen sein. Der Kritik vo- raus geht etwas Geschaff enes, Getanes, Bestehendes. Ohne Objekt, auf das sie sich bezieht, kann sie nicht existieren. Das sollte bei aller Kritik öfter be- dacht werden.

Gerade in der Rechtswissen- schaft greift die «Kritisieritis»

– wie ich diese Kritikfreudigkeit nennen will – stark um sich. Kriti- siert werden die Gesetzesfl ut, die Verfahrensdauer, die rechtstech- nische Sprache und so weiter.

Nichts bleibt vor der Kritisieritis verschont. Ein weiteres Beispiel:

Das von Wilhelm Beck verfasste Landesverwaltungspfl egegesetz (LVG) von 1922 regelt hierzulan- de seit nahezu einhundert Jahren das Verwaltungs(beschwerde) verfahren. Es ist eine Verfahren- sordnung mit Ecken und Kanten,

die sich gleichwohl bewährt und bei den Rechtsanwendern einge- lebt hat. Nun aber mehrt sich die Kritik: Das LVG sei völlig unsyste- matisch, redundant, anwender- feindlich – kurzum: Man hätte es besser machen müssen.

Natürlich. Wilhelm Beck hätte es – aus heutiger Sicht – besser machen können. Aber er hätte es auch viel viel schlechter machen können! Vergessen wir nicht: Er hat 1922 als Einzelperson mit dem LVG (übrigens nebst etli- chen anderen Erlassen) in Re- kordzeit eine Verfahrensordnung erstellt, die in ihrem Grunde gut einhundert Jahre erfolgreich be- standen hat. Das verdient aus heutiger Sicht zunächst einmal Lob und Anerkennung, und nicht Kritik. Wie gesagt: Der Kritik geht immer ein Objekt voraus, auf das sie sich bezieht. Sie darf und soll dieses Objekt besprechen, be- werten, beurteilen; doch soll sie dabei nicht vergessen, es auch angemessen zu würdigen. Denn ohne vorangehendes Objekt gäbe es auch die entsprechende Kritik nicht.

Ein befreundeter, ausgezeich- neter Wissenschaftler hat mir einmal erzählt, er überlege, ein grosses Werk zu einem weit- läufi gen Thema zu verfassen; er werde es aber wohl nicht tun. Auf meine Frage hin, warum denn nicht, meinte er sinngemäss, man ernte ohnehin nur Kritik von allen Seiten… Ich sah mich des- halb gezwungen, aus dem Steg- reif ein Aristoteles-Zitat zu erfi n- den. Aristoteles hat das zwar so nie geäussert, er hätte es aber – angesichts von Kritisieritis – durchaus so formulieren können:

«Jedes gut gemeinte Wirken ist besser als ein entsprechendes Nicht-Wirken.» Etwas zu produ-

zieren scheint mir wertvoller, als es von vornherein zu unterlassen, nur weil es daraufhin der Kritik ausgesetzt sein wird. Soweit ich weiss, schreibt mein Kollege zurzeit – zum Glück der Wissen- schaft – an seinem Buch. Pseu- do-Aristoteles hat ihn entgegen aller Kritisieritis ermuntert.

Kritisieritis

reif ein Aristoteles-Zitat zu erfi n- den. Aristoteles hat das zwar so nie geäussert, er hätte es aber – angesichts von Kritisieritis – durchaus so formulieren können:

«Jedes gut gemeinte Wirken ist besser als ein entsprechendes Nicht-Wirken.» Etwas zu produ-

DR. IUR. EMANUEL SCHÄDLER Forschungsbeauftragter Recht am Liechtenstein-Institut

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