Bayerisches Ärzteblatt 9/2004 539
BLÄK informiert
Erstmalig in Deutschland bildeten sich rund 400 Bürgerinnen und Bürger Bayerns in einem Bürgergutachten eine Meinung über das kranke Gesundheitswesen. Jetzt liegen die Ergebnisse vor. Für Werner Schnappauf, Bayerischer Staats- minister für Umwelt, Gesundheit und Verbrau- cherschutz, sendet das Gutachten ein eindeuti- ges Signal an die Politik. Die Bürger fordern mehr Prävention, mehr Aufklärung und Bonusmo- delle.
Aktive Bürgermitsprache
Nach dem ebenfalls in Bayern durchgeführ- ten Bürgergutachten für Verbraucherschutz in 2002 wurde das Instrument der direkten und gründlichen Mitsprache in der Bundesrepu- blik zum zweiten Mal auf Landesebene ein- gesetzt. Die dafür zufällig ausgewählten Bür- gerinnen und Bürger im Alter von 16 bis 89 Jahren erarbeiteten an vier Tagen Zielvorstel- lungen und Lösungsvorschläge für eine prä- ventionsorientierte Gesundheitspolitik. In acht bayerischen Orten tagten 16 Arbeits- gruppen zu Themenschwerpunkten wie Prä- vention, Gesundheitsaufklärung und -erzie- hung, Gesetzliche Krankenversicherung, Gesundheitspolitik und Selbsthilfe. Zum Ab- schluss des intensiven Meinungsbildungspro- zesses erstellten die Bürger ein Gesamtkon- zept für eine auf Prävention und Gesund- heitsförderung gerichtete Reform des Ge- sundheitssystems. An oberster Stelle der For- derungen für die Gesundheitspolitik stehen mehr Prävention, verstärkte Aufklärung und Förderung der Gesundheitserziehung in Kin- dergärten und Schulen. Bezüglich der Finan- zierung sprachen sich die Bürger dafür aus, dass Beiträge von jedem unabhängig von der Einkommensart gezahlt werden sollen. Die- ser Wunsch wurde jedoch nicht ausdrücklich mit dem Modell „Bürgerversicherung“ ver- bunden, ist aber auch nicht als Befürwortung der Kopfpauschale zu sehen. Regelmäßige Vorsorge sollte über Bonussysteme belohnt werden, in Kauf genommene Gesundheitsri- siken durch zusätzliche Risikoversicherungen abgedeckt werden, wünschen die Bürger.
Bayern auf dem richtigen Weg
Das Umdenken von der Reparaturmedizin zur Förderung von Präventionsverhalten habe bereits begonnen. In den letzten zwei Jahren wurden laut Schnappauf bereits 15 MillionenEuro in den Ausbau der Prävention investiert.
Diesen Weg wolle man konsequent fortset- zen. Nach dem Erfolg der Aktion ‚Bayern ak- tiv’ verliehen die positiven Impulse des Bür- gergutachtens einer neuen Präventions- Initiative, die noch in diesem Herbst starten soll, ordentlich Schubkraft. Alle Kräfte soll- ten gebündelt werden, um zahlreiche Einzel- projekte bayerischer Verbände, Vereinigun- gen, Krankenkassen, Universitäten und Fachhochschulen zusammen zu führen. Bei- spielsweise startet die Nichtraucher-Kampag- ne für Jugendliche ‚Rauchfreie Schule’ und die Kindergarten-Aktion ‚tiger-kids’ zur früh- zeitigen Vermeidung von Fettsucht.
Nicht für den Aktenschrank
Lässt die bayerische Pionierarbeit auf einen viel versprechenden Anfang auf dem Weg zu mehr Eigenverantwortung hoffen? Das Gut- achten sei „nicht für den Aktenschrank“, be- tonte der Gesundheitsminister. Aufgabe sei nun, die „klaren Impulse für den Paradigmen- wechsel“ in politisches Handeln umzusetzen, so Schnappauf weiter, denn die Bürger hätten erkannt, dass die „Ansprüche an den Staat nicht gegen den Himmel zu schrauben seien“.
Offenbart das Gutachten ein gestiegenes Ver-
antwortungsbewusstsein gegenüber der eige- nen Gesundheit? Angesichts der Überalte- rungsproblematik und der Schwerfälligkeit der Reformprozesse können Stimmungsbilder aus der Bevölkerung wegweisend sein, denn was nützt ein perfektes Rechenmodell, wenn die Schnittstelle zur Realität verfehlt wird?
Ob sich ein verändertes Gesundheitsverhal- ten für die Medizin bemerkbar macht und wie das Ruder letztlich herumgerissen werden kann, bleibt abzuwarten.
Das Staatsministerium wird laut Ankündi- gung in ein bis zwei Jahren über die Verwirk- lichung von Maßnahmen berichten.
Christiane Knopp (BLÄK)
Operation Gesund(Krank)heitswesen in Bayern
Deutschlandweit erstes Bürgergutachten für Gesundheit
Das Bürgergutachten kann unter www.buerger- gutachten.com abgerufen oder zum Selbstkos- tenpreis von 7 €über E-Mail bestellt werden bei:
info@buergergutachten.com
Bei der Informationsveranstaltung des ÄKV Straubing zum Thema „Weiterbildungsordnung“ standen Dr. Wolfgang Schaaf, Leitender Oberarzt des Instituts für Anästhesie, Thomas Schellhase, geschäfts- führender Arzt der BLÄK, Prof. Dr. Gerrit Oedekoven, Chefarzt der Chirurgischen Klinik 2 und Ärzt- licher Direktor, und Dr. Wolfgang Bomfleur, Vorsitzender des ÄKV Straubing/Bogen (v.li.), Rede und Antwort.