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Bemerkungen über die Agausprache
von F. Praetorius.
Herr Prof. Pott hat S. 484 ff. des 23. Bandes dieser Zeit¬
schrift Waldmeiers Wörtersammlung aus der Agausprache einer ein¬
gehenden üntersuchung unterworfen ; ich erlaube mir, im Folgenden
einige wenige Bemerkungen zu der Arbeit des berühmten Sprach¬
forschers zu geben.
Prof Pott schliesst seine Arbeit mit den Worten: „Bezüge
des Agau zu anderen ostafrikanischen Sprachen aufzusuchen über¬
lasse ich Anderen". Ein solcher Versuch ist bereits gemacht von
dem Reisenden J. Halevy, wenigstens schreibt er in seinem Aufsatz
Excursion chez les Falacha (im Bulletin de la societ6 de geographie
V. serie, tome 17, S. 284. — Paris 1869): Dans mon „Essai" sur
les Falacha, j'ai täch6 d'etablir que l'idiome agaou occupe une place
parmi les langues du nord-est de l'Afrique, dont le berber et le
galla forment les extremes limites connues jusqu'ä present, et qu'il faudra desormais classer sous le nom de langues hamito-semi- tiques. Es ist mir trotz eifriger Nachfrage leider nicht gelungen,
dieses Essai's habhaft zu werden. Dieser Classifikatiou Hal6vys
kann ich mich durchaus ansehliessen, nur würde ich den einfacheren
und bestimmteren Namen Hamitische Spracben vorziehen; bei
einer weiteren Classification würde ich das Agau mit seinen Depen¬
denzen (Bilen, Falascha, Djewaressa) zu dem Bega, Sabo, Dankali,
Somali und Galla als secbste Sprache in die Aethiopische
Gruppe dieser hamitischen Sprachen einreihen. — Da die Agaus
besonders au drei von einander getrennten Strichen Süd- Mittel-
und Nordabessiniens wohnen, und da Waldmeier nirgends angiebt
wo er seine Notizen gemacht hat, so bemerke ich, dass eine Ver¬
gleichung mit früher von Beke gesammelten Agauglossaren (Journal
of the philol. soc. II No. 33) es mehr als wahrscheinlich macht,
dass Waldmeiers Sammlungen ein Specimen von der Sprache der
Agaus geben, welche den im engeren Sinne Agaulaud, AKD^'.
f^^Ci» genannten Landstrich bewohnen, im Südwesten des
Zanasees zwischen Mätscha und Damot.
S. 486 unteu. Herr Prof. Pott berührt hier sowie S. 488
einen sehr ausgedehnten Gebrauch des Genitivs. Es scheint in der
Praetorius, Bemerlcungen üher die Agausprache. 643
That, als ob der durch Anhängung von s gebildete Genitiv im Agau
die Stelle eines sehr allgemeinen Casus obliquus vertritt. Zu den
an ersterer Stelle aufgeführten Beispielen kann man noch hinzufügen
den Accus, elitza (aliam) — elitis + a (elitis Genitiv von eliti).
Auch in dem von Ahbadie (Journal asiat. 1841 p. 388 ff.) mitge¬
theilten Agauspecimen ^) lässt sich dieser Gebrauch des Genitivs
deutlich erkennen , so k'örnga ^) der Stein , Genitiv k'örfigayz (yz
ganz entsprechend dem — s bei Waldmeier), Dativ k'örnga_yzöra,
pour la pierre: k'örnga_yawa, ex petra : k'örüga^afich , par la
pierre: k'örfigayzk'ay. Dieses — s oder — yz scheint übrigens
dem - ti des Galla anch etymologisch zu entsprechen.
S. 487. Die Wortstellung des Agau in der Composition als
charakteristischen Unterschied vom Aethiopisch-Semitischen zu fassen,
wie Herr Prof Pott thut, ist doch nur mit einiger Beschränkung
richtig, s. Z. d. D. m. Ges. Band 23, S. 467 u. 471.
S. 489. Mit dem Suffix — tini ist wohl das Gallasuffix — tiana
identisch.
S. 490 bis zu Ende handelt Herr Prof. Pott über das Verbum;
er bemerkt mit Recht, dass das Passivum formell im Agau fehlt
und deckt eine Menge von W. bei der Aufstellung der Coujugations-
paradigmen begangener Irrthümer und Nachlässigkeiten auf, wegen
welcher wir vor der Hand noch nicht tiefer in den Organismus des
Agauverbums blicken köunen. Bei dem jedoch, was er als posi¬
tiv aus der Flexion erkannt hat, scheint er manches anders gefasst
zu haben, als es sich mir aus der Vergleichung mit den verwandten
Sprachen darstellt. Ich werde daher hier meine Ansicht über das
Agauverbura kurz entwickeln. Die Verwandtschaft desselben mit
dem Gallaverbura ist auffallend. Es kennt wie dieses nur durch
Suffixe gebildete Perfektformen (im semitischen Sinn), während sich
im Bega, Sabo, Somali (Dankali?) sowohl Perfekt- wie Imper¬
fektformen finden. Das Fehlen dieser Imperfektformen ira Galla
nnd Agau ist bei der nahen Verwandtschaft, in der diese Sprachen
zu dem Bega u. s. w. stehen, eine interessante Parallele zu dem
so grossen Anstoss erregenden Fehlen des Perfektums im Assyrischen.
Freilich dürfen wir hierbei nicbt vergessen, dass der lose Zusam¬
menhang der den Wurzelbegriff modificirenden Affixe mit der Wur¬
zel selbst und in Folge dessen der häufige Ortswechsel dieser un¬
selbstsländigen Wörtchen gerade das charakteristische Merkmal der
hamitischen Sprachen ist. Dieses Gesetz hat meines Wissens zuerst
Steinthal (Charakteristik der hauptsächlichsten Typen des Sprach¬
baus, S. 234) aus der geschichtlichen Entwickelung des Aegyp-
1) Ich vermuthe, es ist dies ein Specimen der Sprache der Agaus am oberen Taliaze.
2) Ebeuso bei Beke im Waagagau, entsprechend dem charing bei W.
644 PrMtorius , Bemerkungen üher die Agausprache.
tischen allein erkannt. Es findet dieses Gesetz aher seine voll¬
kommene Bestätignng in den übrigen hamitischen Sprachen. Fr.
Müller hat in seiner vergleichenden Uebersicht dieser Sprachen
(im linguistischen Theil der „Reise der Oesterreichischen Fregatte
Novara". — Wien 1867) dieses Gesetz meines Erachtens viel zu
wenig betont.
Waldmeier führt nur e i n unzusammengesetztes Tempus an *),
welches er Conditionalis oder Conjunktiv nennt; es lautet von in¬
kaningi lieben, und kasingi gehen.-
Sing. 1. an inkanus u. kasus.
ünt inkantus u. katus.
engi inkanus u. kasus.
Plur. 1. anu inkanus u. kanus.
antu inkantanas u. katanas.
uninga inkananas u. kasanas.
Diese Formen sind folgendermassen zu zerlegen:
S. inkan-u -|- s. kas-u -f s.
inkan-tu -f- s. ka(s)-tu -f s.
inkan-u -|- s. kas-u s.
PI. inkan-nu + s. ka(s)-nu-|-s.
inkan-tana s. ka(s)-tana -f- s.
inkan-ana -}- s. kas-ana -f- s.
Die Identität dieses Modus mit dem gallanischen Conjunktiv
od. Modus auf u liegt auf der Hand. Die Endungen desselben sind
S.: — u, — tu, — u PL: — nu, — tani, — ani, sind also mit Aus¬
nahme der 2. u. 3. P. PI. dieselben wie im Agau; das charak¬
teristische u dieses Modus fehlt in beiden Sprachen in diesen beiden
Personen. Sehr erwünscht ist es mir, dass diese -tana, -ana und
nicht wie im Galla — tane, —ani endigen; schon längst war mir
das Umschlagen des Galla in der 2. u. 3. P. PI. dieses Modus in
die durch i gekennzeichneten Perfektformen verdächtig vorgekommen ;
man wird also in dem — tani, - ani des Galla eine vielleicht durch
falsche Analogie der Perfektformen begünstigte Schwächung aus
— tana, — ana (— tanu, — anu?) zu sehen haben; wären es wirk¬
liche ursprüngliche Perfektformen, so sollte man wenigstens im
Agau die Endungen — ten, — en erwarten. Was nun das endende s
dieses Modus im Agau betrifit, so gehört dies nicht zur Endung,
sondern entspricht offenbar der gallanischen Partikel (?) — ti, welche
also im Agau, gerade wie die schon oben erwäbnte Postposition
— ti, als s (yz) auftritt. Dieses — ti heftet sich im Galla nach
1) Es scheint mir in Folge dieses durchgreifenden Gesetzes aucli ganz unnöthig, die Präfixe des einfachen koptischen Präsens als ursprüngliche Suffixe zu erklären , wie dies Schwarze (Grammat. Theil II. § 147 u. § 15U No. IV) uud nach ihm Brugsch uud Fr. Müller wollen.
2) Ahgesehen von deu Hülfsverben , welche zu besprecheu auch ich mich der von H. Prof. Pott erörterten Grüude wegeu enthalte.
Praetorius , Bemerkungen Über die Agausprache. 645
gewissen Conjunktionen (bauptsächlich solchen der Absicht) regel¬
mässig dem Modus auf u an, so dass Tutschek (a grammar of the
galla lang. § 116) einen besonderen „Modus auf ti" anführt.
Dass das Tempus, welches Waldmeier an erster Stelle als Prä¬
sens und zugleich als Futurum aufführt, ein zusammengesetztes ist,
hat Herr Prof. Pott, wie es scheint, nicht erkannt. Das Tempus
lautet:
Dasselbe Tempus findet sich im Galla als Perfektum nur mit
dem Unterschiede, dass dort auch noch das Hülfsverbum era flektirt
wird, welches im Agau erstarrt in der 3. P. sing, stehen bleibt.
In dieser Hinsicht ähnelt das Agauterapus amharischen Formen wie
^Ö^VA." stetisti, '^(fi'^'i.A'. stetistis. Dass durch dieselbe
Verbalverbindung im Galla das Perfektum, im Agau Präsens und
Futnrum ausgedrückt wird , erregt zahlreicher ') Analogien halber
nicht den geringsten Anstoss. Das betreffende Gallatempus lautet:
Sing. 1. ademera = adem-e-|-er-a.
2. ademterta — adem-te -}- er-ta.
3. ademera = adem-e -(- er-a.
Plur. 1. ademnerra — adem-ne + er-na.
2. ademtanirtu = adem-tani-J-er-tu.
3. ademaniru = adem-ani-f-er-u.
Es besteht also aus dem einfachen Präteritum in Verbindung
mit dem Präsens des Hülfsverbi era. Ob nun unser Tempus im
Agau ganz genan dieser Verbindung im Galla entspricht, oder ob
es vielleicht aus zwei Präsensformen zusammengesetzt ist (d. h. ob
die Formen inkanera, inkantera u. s. w. zu zerlegen sind in in-
kan-e+era, inkan-te-|-era u. s. w. oder in inkan-a-f era , inkan¬
ta-}- era u. s. w.) lässt sich mit Gewissheit nicht sagen; für die
letztere Auffassung spricht die 3. P. sing, inkanauwi, für welche
man im entgegengesetzten Falle inkaneuwi erwarten sollte, hingegen
macht die 2. u. 3. P. pl. die Perfektauffassung ziemlich gewiss; die
Enduugen — ten, — en sind aus ursprünglichem, im Galla erhaltenem
— tani, — ani durch Eindringen des schliessenden den Perfektbegriff in sich tragenden i-Lautes in die vorletzte Silbe entstanden ; eben¬
so lauten im Sabo die Perfektendungen der 2. u. 3. P. pl. — ten,
— en im Gegensatz zu den Präsensendungeu — tan, — an, desgl. im
Somali, doch nur in der 3. P. pl. deutlich zu erkennen*), Perf.:
1) Man erinnere sieli nur daran, dass im Aethiopisehen XJ./V I gendem Imperfekt die Dauer sowohl iu der Vergangenheit wie in der Zukunft ausdrückt.
2) Wenigstens in der Somali-Handschrift der D. M. G. (acc. 106). Eigby's Grammatik im 9. Bande des Journal of the Bombay geograph. soc. ist mir leider unzugänglich.
Sing. 1. inkanera.
2. inkantera.
3. inkanauwi.
PI. inkanera.
inkantenera.
inkanenkwi.
Bd. X.XIII. 42
646 Praetorius, Bemerhungen üben- die Agausprache.
— en, Präs.: — an. In dem anderen Paradigma kasingi (S. 22)
schreibt Waldmeier die 2. P. pl. dieses Tempus katenera = ka(s)-
ten + era, dagegen die 3. P. pl. kasankwi = kas-an + kwi. Auch
die unten zu erwähnende negative Form inkanatinkwi setzt ein
affirmatives inkanankwi voraus. Wahrscheinlich sind die von W.
als Präsens oder Futurum bezeichneten Paradigma Vermengungen
mehrerer Zeitformen, wie wir denn überhaupt bei W. nie vor sol¬
chen Vermengungen und Verwechselungen sicher sind. — Dass die
dritten Personen unseres Agautempus participial aufzufassen sind,
hat H. Prof. Pott bereits bemerkt. In dem von Ahbadie mitgetheilten
Agauspecimen findet sich genau dieselbe Ausdrucksweise: ataw il
sera = ata + wi, atakw ils seront = ata(n)-|-kwi.
Ich erwähne noch der Negation, welche dem zusamraengesetzten
Tempus infigirt wird; sie lautet ti, aus den verwandten Sprachen
weiss ich 'nichts zu vergleichen ; z. B. inkana^ira non arao, inkanaft'vi
non amat. Die beiden Formen sind = inkan-a(!)-ti-f- era, in-
kan-a(!)-ti-|-(u) wi. Noch eine merkwürdige Form ist inkana<«ukwi
non amant; es ist anzunehmen, dass sie für inkan-au (!) -ti-f-kwi
steht; sie ist offenbar durch falsche Analogie entstanden, iudem die
Sprache die für die 3. P. pl. des affirmativen Verbums charak¬
teristische Lauthäufung nkwi auch beim negativen Verbum beizube¬
halten bestrebt war.
Auch das Causativum bildet sich ganz wie ira Galla durch
nachgesetztes za z. B. iukaua-uwi der welcher liebt, inkantza-uwi
der welcher lieben macht; Galla: gua trocken sein, guza trocken
machen. Die diesem za auch etymologisch entsprechende Silbe es
(es) wird ira Sabo zum Ausdruck des Causativs ebenfalls suffigirt,
während sie zu demselbeu Zweck im Bega prä- oder infigirt wird.
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Bemerkungen zu J. Roediger's Notiz Ueber eine
arabische Handschrift der K. Bibliothek zu BerHn
(Ztschr. d. D. M. G. XXIII. S. 302—306).
Von W. Ahiwardt.
Als ich vor einigen Jahren mit der Catalogisirung des poeti¬
schen Theils der arabischen Handschriften der K. Bibliothek zu
Berlin beschäftigt war, verzeichnete ich, während kurzer Zeit in
Berlin anwesend , nach den vorhandenen vorläufigen und sehr sum¬
marischen Handschriften-Verzeichnissen der verschiedenen Samm¬
lungen, diejenigen Nummern, die angeblich poetische Stücke enthal¬
ten sollten, und darunter auch Cod. Wetzst. II, 274. Nach einiger
Zeit wurde mir die Handschrift nebst anderen überschickt und einer
genauen Prüfung unterworfen. Das Resultat derselben weicht vou
dem des Hrn. J. Roediger einigermassen ab uud sehe ich mich, zur
Vermeidung von Irrthümern, veranlasst, dasselbe an dieser Stelle
mitzutheilen, obgleich ich es lieber für den Berliner Handschriften- Cataiog aufgespart hätte.
Der ursprüngliche Titel des Werkes ist verblasst, mehr noch
als durchschnittlich das ganze Werk, besonders am Ende-, er ist
jedoch von späterer Hand nacbgeschwärzt, und heisst jetzt s-iLäJ'
j«.i:.Jl , In Bezug auf den Nanien des Verfassers gilt dasselbe ;
ausserdem ist derselbe zu sehr ausradirt worden, um erkannt wer¬
den zu können. Die spätere Hand hat jetzt dafür hingesetzt:
^^UJi
Der Titel des Werkes ist entschieden falsch, gleichviel, wer
der Verfasser sei. In dem Werke wird nicht von der Poesie oder
Poetik oder Poeten gehandelt ; sein Inhalt ist rein grammatischer
Art, Formlehre und Syntax betreffend, und der Verfasser führt zum
Beleg für seine Auffassung sprachlicher Erscheinungen nicht Stellen
aus Prosaikern, sondern Verse bekannter und mustergültiger Dicbter
an , wie das ja überhanpt, und mit Recht, Sitte war; und nicht
bloss das, sondern er beginnt fast jeden Absclinitt mit Anführung
von Versen (so den ersten mit 8 Versen), um an dieselben seine
Bemerkungen zu knüpfen. ^Ein solches Werk heisst nicht Buch der
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