Ernst Risch
Kleine Schriften
Ernst Risch
Kleine Schriften
zum siebzigsten Geburtstag herausgegeben
von
Annemarie Etter und
Marcel Looser
W
DEG
Walter de Gruyter • Berlin · New York
1981Die D r u c k l e g u n g w u r d e ermöglicht d u r c h Beiträge d e r G e m e i n d e Kilchberg, des Kultur- kredits des K a n t o n s Z ü r i c h u n d der Casinelli-Vogel-Stiftung.
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
R i s c h , E r n s t :
Kleine S c h r i f t e n / z u m siebzigsten G e b u r t s t a g hrsg. von A n n e m a r i e E t t e r u n d Marcel L o o s e r . - Berlin, New Y o r k : de Gruyter, 1981.-
I S B N 3 - 1 1 - 0 0 8 4 1 0 - 4
©
1981 by Walter de G r u y t e r & Co., vormals G. J. G ö s c h e n ' s c h e Verlagshandlung · J. Guttentag, V e r l a g s b u c h h a n d l u n g · Georg Reimer • Veit & Comp., Berlin 30
P r i n t e d in G e r m a n y
Alle R e c h t e , i n s b e s o n d e r e das d e r Ü b e r s e t z u n g in f r e m d e S p r a c h e n , v o r b e h a l t e n . O h n e a u s d r ü c k l i c h e G e n e h m i g u n g des Verlages ist es a u c h n i c h t gestattet, dieses Buch o d e r Teile d a r a u s auf p h o t o m e c h a n i s c h e m Wege ( P h o t o k o p i e , Mikrokopie, X e r o k o p i e ) zu
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Satz u n d D r u c k : U n i o n - P r e s s e Hass & Co., Berlin B u c h b i n d e r : L ü d e r i t z & Bauer, Berlin
Σοί δ' επι μέν μορφή έπέων, ενι δέ φρένες έσθλαί
Homer
Es gibt einen ,Sonderfall Zürich' im Bereich der altsprachlichen Stu- dien nunmehr bereits in der dritten Generation: Vergleichende Indo- germanische Sprachwissenschaft und Klassische Philologie sind hier in Forschung und Lehre zu einer Einheit verbunden. Nach Eduard Schwyzer und Manu Leumann ist diese Tradition in Ernst Risch verkör- pert, der in Zürich vor 50 Jahren sein Studium begann und nun seit fast vier Jahrzehnten als Dozent und rund ein Vierteljahr hundert als Pro- fessor tätig ist.
Irrig freilich wäre es, in ihm darum einfach den Erben und Enkel zu sehen. So sicher Ernst Risch in seiner Schweizerischen und vor allem in seiner Bündnerischen Heimat verwurzelt ist, so fern ist ihm autochthone Selbstgenügsamkeit. Sein Studium führte ihn alsbald nach München, wo Ferdinand Sommer, nach Manu Leumann, der zweite bestimmende Lehrer wurde. Die Verbindung mit den Kollegen in Deutschland, in Italien und insbesondere in Paris ist ihm immer selbstverständlich ge- wesen. In diesem weitgespannten Kraftfeld hat er ein Werk ganz eigener Prägung entwickelt.
Entschiedener als seine Lehrer hat Ernst Risch das Griechische ins Zentrum gestellt. Nachdem Laut- und Flexionssystem der indogermani- schen Sprachen in den Grundzügen festgestellt waren, trat die Wort- bildung als eine noch zu leistende Aufgabe in den Vordergrund. Hier hat Ernst Risch auf bereits gebahnten Pfaden angesetzt und ist sogleich entscheidend vorangekommen in Richtung auf weitere Klärung und Ver- feinerung. Die Dissertation über Homerische Wortbildung ist, zumal in zweiter Auflage, ebenso zu einem Standardwerk geworden wie die Habili- tationsarbeit über Determinativkomposita; viele Einzelstudien sind dazugekommen, und zusätzliche Kapitel zur Wortbildung haben die meisten der von Ernst Risch betreuten Dissertationen beigesteuert. Da- neben stand von Anfang an, nicht ohne Anregung durch die gerade an der Universität Zürich reich entfaltete Dialektforschung in schweizerdeut- schen, rätoromanischen und italienischen Bereichen, das Studium der griechischen Dialekte mit der faszinierenden Perspektive, aus geogra- phischer Abgrenzung und sukzessiver Differenzierung die geschichtliche Entwicklung der griechischen Stämme zu erfassen. Das Problem war
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bereits in Angriff genommen, als mit der Entzifferung von ,Linear B' im Jahre 1952 das mykenische Griechisch schlagartig auf den Plan trat. So konnte Ernst Risch alsbald mit der Arbeit hervortreten, die die weiteste Resonanz und Anerkennung fand, ,Die Gliederung der griechischen Dia- lekte in neuer Sicht' - im Druck erschienen 1955 - . Seither gehörte er auch zum inneren Kreis der ,Colloquia Mycenaea' ; das sechste Colloque Mycénien hat er dann im Jahr 1975 selbst organisiert, geleitet und ediert.
Indem ihm der entscheidende Hinweis zur Lesung eines zunächst un- gedeuteten Zeichens gelang, 90 = dwo, hat er selbst einen bleibenden Baustein ins Fundament der neuen Disziplin eingefügt. Daß alle diese Ar- beiten zur griechischen Sprachgeschichte nicht nur in Schreibtischluft entstanden sind, sondern auf lebhafter Anschauung der geographischen und archäologischen Realitäten von Mykene und Pylos, von Kreta und Thera beruhen, wissen die zahlreichen Freunde und Schüler, die ihn als Griechenlandreisenden erlebt haben.
Dabei haben seine Arbeiten nicht etwa nur den Früh- und Rand- bereichen des Griechischen gegolten. Zu zentralen dichterischen Texten, zu Sappho und zum neuen Archilochos liegen wichtige Studien vor. Zu- gleich blieb das Lateinische stets im Blick, und zwar im Kreis der ver- wandten italischen Sprachen einschließlich des Venetischen; wenn sich dabei Ausblicke aufs Rhätische und Lepontische und damit zur Bündner Heimat ergaben, war dies umso willkommener. Auf der anderen Seite hat Ernst Risch auf den Spuren Ferdinand Sommers auch jenen bedeu- tendsten Zuwachs der Indogermanistik in unserem Jahrhundert ener- gisch in den Griff genommen, das Hethitische; der zweite Lehrauftrag, den er an der Universität Zürich wahrnahm, galt einer Einführung ins Hethitische, wobei Meinrad Scheller, Hansjakob Seiler und Heinrich Wagner zu seinen Schülern zählten. Daß im Hintergrund als solides Fun- dament neben dem Altiranischen das Altindische steht, ist schließlich schon fast selbstverständlich, weniger vielleicht, daß auch Altkirchenslavisch und Litauisch zu den von ihm beherrschten Studien gehören.
Wie reich und stetig die wissenschaftliche Produktion von Ernst Risch in all diesen Jahren war, wird durch den vorliegenden Band zum ersten Mal in vollem Umfang sichtbar. Und doch spiegelt das gedruckte Wort nur die eine Seite einer ungewöhnlichen Forscher- und Lehrerpersönlich- keit. Was Ernst Risch besonders unverkennbar prägt, ist die enge Ver- bindung mit seinen Studenten und, über die Universität hinaus, mit den Schulen des Kantons Zürich. Nicht umsonst war er selbst zwei Jahr- zehnte lang als Gymnasialllehrer tätig, während andererseits so gut wie alle Lehrer der alten Sprachen weitum sich als Schüler von Manu Leumann und Ernst Risch verstehen. Im kleinen Kreis des Seminars ist die
VII Wirkung auf die Studenten besonders zu fühlen. Ernst Risch weiß seine Schüler anzusprechen, zu fordern, aber auch vielfältig zu fördern, und die Verbindung reißt nie wieder ab.
So sind es auch seine Schüler, die den vorliegenden Band in die Wege geleitet und betreut haben. Mit ihnen verbinden sich alle Kollegen, Mitarbeiter und Studenten vom Indogermanischen und Klassisch- Philologischen Seminar in dem Wunsch, daß für Ernst Risch sein otium cum dignitate, das für die Seminare einen heftig fühlbaren Einschnitt bringt, als neues Stadium eines reichen Lebens fruchtbar werde.
Walter Burkert