DEUTSCHES — ÄRZTEBLATT
anthroposophische Schulungsweg zur Erkenntnis der „höheren Wel- ten" kein rein rationales Erkenntnis- system, worin man wie in den neuzeit- lichen Wissenschaften durch begriff- liche Abstraktion und empirische Verifikation zum Ziel kommt; er ist vielmehr — wie im Buddhismus — ein Heilpfad der Meditation, dessen Vor- aussetzung die rechte Glaubensan- sicht und dazu der Wille zur „Reini- gung", das heißt Umgestaltung des ganzen Lebens im sittlichen Tun ist.
Dieser Glaube wird erst am Ende des Pfades zur „Erkenntnis" des Zusam- menhangs von Mensch und Welt.
Die mir entgegengehaltene Be- hauptung, es bedürfe einer Schu- lung, bis Anthroposophie verstan- den werden kann, nicht anders, wie es einer Schulung bedürfe, bis Na- turwissenschaft verstanden werden kann, verkennt, daß die Herkunft und Methode jenes erlösenden Wis- sens nichts zu tun hat mit der uns al- len akademisch vertrauten Tradition wissenschaftlichen Wissens. Viel- leicht rührt die inhaltliche Unergie- bigkeit der Diskussion zwischen normaler Wissenschaft und anthro- posophischer „Geisteswissenschaft"
letztlich daher, daß deren übersinn- liche „Erkenntnis" über den Men- schen für den wissenschaftlichen Be- obachter zwar als Lehre rational faß- lich erscheint, aber diese rationale Fassung nur ein Abglanz der Wir- kung ist, die sich für den „geistes- wissenschaftlichen" Teilnehmer in der Versenkung der Meditation er- geben kann
In einem wissenschaftlichen Rundgespräch über Aspekte der anthroposophischen Medizin, zu dem Frau Dr. Michaela Glöckler als Leiterin der medizinischen Sektion der Freien Hochschule für Geistes- wissenschaft am Goetheanum in Dornach eingeladen hat, sehe ich ei- ne Möglichkeit, durch die weitere Klärung der gegensätzlichen Stand- punkte das gegenseitige Verstehen zu fördern.
Es ist dabei selbstverständlich, daß ich mich als Mitglied der phil- osophischen Fakultät nach wie vor nur zu methodologischen Fragen der medizinischen Anthropologie äu- ßern kann.
Dr. phil. Heiner Ullrich
Platt-deutsche Attacke
Das Mittelstandsinstitut Nieder- sachsen e. V., wissenschaftlicher Überbau der mittelständischen Un- ternehmer, veröffentlichte kürzlich im CDU-treuen Bonner Mittel- standsverlag die Broschüre „Spiel- hallen in der Kontroverse". Darin werden — streng sachlich — die Argu- mente der Gegner einer weiteren Ausbreitung dieser Casinos des klei- nen Mannes zerpflückt und verwor- fen.
Doch der gelehrte Anstrich be- kommt schon im Vorwort Risse, wenn der Wissenschaftliche Leiter des Instituts, Professor Dr. Eber- hard Hamer, die Fronten klarstellt:
Den „Ökonomen, welche auf die zunehmende Bedeutung des Frei- zeitmarktes hinweisen", stehen nämlich „selbsternannte Moralapo- stel" gegenüber, und mit denen ma- chen die Mittelständler kurzen Pro- zeß: Durch Spielhallen werde das Straßenbild beeinträchtigt? Ein emotionales Argument und daher nur vorgeschoben. Lärmbelästi- gung? Kaum möglich, da dort ja kein Alkohol ausgeschenkt wird.
Jugendgefährdung? „Kommunika- tion und Kreativität" werden nicht beeinträchtigt, da moderne Video- spiele und Fahrsimulatoren schließ- lich „Hypothetisches Denken, tech- nische Kompetenz und Körperbe- herrschung" fordern.
Und schließlich die Suchtgefahr Schon das Wort Sucht ist ein rotes Tuch, denn davon, so das Institut, könne wissenschaftlich keine Rede sein. Allgemein verstehe man dar- unter die Abhängigkeit von auf den Organismus stofflich einwirkenden Substanzen, wie etwa Nikotin. Man dürfe schließlich die „Betroffenen"
unter den Spielern nicht durch das schreckliche Wort zu „lebensläng- lich Kranken und Unheilbaren"
stempeln.
Daß es in der Bundesrepublik mittlerweile Dutzende von Thera- piegruppen für Geldspiel-Abhängi- ge gibt, daß diese Patienten alle kör- perlichen Merkmale einer Sucht auf- weisen, daß deswegen angesehene
Forscher sehr wohl von Sucht-Er- scheinungen sprechen, übersieht das Institut geflissentlich. Ursache für
„Verhaltensexzesse" seien, da sind die Verfasser einmal realistisch,
„Langeweile, innere Leere und Pro- bleme". Daß sich aber diese Fakto- ren in Spielhallen bis zum Ruin der Spieler ausbeuten lassen, ist aus Sicht der Ökonomen wohl nur eine Randerscheinung.
Ganz am Rande bleibt anzumer- ken, daß eine solch eindeutige Ver- harmlosung der Spielhallen-Flut ge- rade aus Hannover kaum verwun- dert, begeistern sich dort bekanntlich sogar Spitzenpolitiker fürs Glücks- spiel — wenn auch von der feineren Sorte, dem in Spielbanken OD
Akü-Vornamen
Da kommt ein hochwissen- schaftliches, didaktisch gutes und überhaupt großartiges Manuskript von mehreren Autoren: Prof. D.
Schneider, Priv. Doz. G. Müller, Dr. A. König et al. Die Sache fängt damit an, daß der Redakteur mit den drei et al. korrespondieren muß.
Meist weiß man, wer der „Korre- spondenzautor" ist Ihm (oder ihr) muß also ein Brief geschrieben wer- den. Tja, ist es nun Frau Dr. König?
Oder Herr Dr. König?
Wegen dieser Vornehmheit deutscher Medizinautoren kauft die Redaktion zweimal im Jahr alle Vor- lesungsverzeichnisse deutscher Uni- versitäten. Und wenn einer Prof. S.
Unverzagt heißt, dann findet sie ihn dort auch. Aber es können durchaus unter „Prof. A. Müller" Agnes Müller, Alfred Müller, Alice Müller und Andreas Müller vorhanden sein
— sogar in derselben Klinik
Warum eigentlich verstecken sich deutsche Wissenschaftler hinter Anfangsbuchstaben? Der Name ist Bestandteil der Persönlichkeit — der Vorname ebenso wie der Familien- name. Warum verhalten sich Auto- ren so, als ob sie nur im Literatur- verzeichnis vorkommen? Dort wer- den Vornamen immer auf den An- fangsbuchstaben reduziert. Aber wenn ich das Original lese, dann will ich doch mehr über den oder die Au- tor(in) wissen! bt A-2894 (38) Dt. Ärztebl. 85, Heft 42, 20. Oktober 1988