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Nocli einmal die semitisclien Zahlwörter.
Von H. Bauer.
Durch die vor kurzem erschienenen Aufsätze von Barth und
Reckendorf über die Flexion der semitischen Zahlwörter ist wiederum
eine Frage in Fluß geraten, die den Grammatikern von jeher viel
Kopfzerbrechen gemacht hat. Das veranlaßt mich, die folgenden
Zeilen, die ich gern noch eine Weüe zurückgehalten hätte, jetzt 6
schon zu veröffentlichen. Es ist dabei keineswegs meine Absicht,
in die Auseinandersetzungen der beiden genannten Forscher direkt
einzugreifen , sondern ich begnüge mich zunächst damit , meine
Theorie, die schon vor Erscheinen von Barth's erster Abhandlung
abgeschlossen war, kurz darzulegen. lo
Ich gehe mit Barth von der Überzeugung aus , daß die t-
Endung der Zahlwörter kein wirkliches, sondern ein Pseudo¬
Femininum ist, eine vorerst noch unbekannte Größe X , welche
im Laufe der Entwicklung mit der Femininendung zusammengefallen
und als solche aufgefaßt worden ist. In der Bestimmung jener 16
Größe aber scheiden sich unsere Wege.
Was mag also die umstrittene ^-Endung, wenn sie nicht von
Haus aus mit der Femininendung identisch ist, ursprünglich be¬
deuten ? Wenn wir das Verhältnis der Zahlwörter zu den gezählten
Dingen in anderen Sprachen betrachten, so finden wir vielfach ein so
drittes Element, das sich mit den alleinstehenden Zahlen zu ver¬
binden und zwischen Zahl und Gezähltes einzuschieben pflegt, das
sogenannte Numerativ. Bei uns erscheint in solcher Funktion
das Wort „Stück". Ursprünglich nur den Teil eines zerlegbaren
festen Stoffes bezeichnend, („ein Stück Holz, Fleisch, Brot, Kreide" usw.) a
wird es mit einer Art Bedeutungsverschiebung auch für das abge¬
schlossene Einzelding gegenüber dem Kollektiv- oder Gattungswort
gebraucht („drei Stück Vieh, fünf Stück Hasen" usw.). Ähnlich
verhält es sich mit Worte „Mann", welches das Numerativ für
Personen, auch Frauen, abgibt. Wir gebrauchen bekanntlich nicht so
leicht das Zahlwort allein, sondern fast immer in Verbindung mit
dem Numerativ: „Wir sind sechs Mann, wir brauchen zehn Stück*
u. dergl. Ähnliche Verhältnisse finden wir auch in anderen Sprachen.
Zeitschrift der D. M. O. Bd. LXVI. 18
268 Bauer, Noch eiwnal die »emitischen Zahlwörter,
Nach meiner Kenntnis sind, es besonders das Malayische und das
Neuchinesische, welche sich durch reichliche Verwendung der
Numerative auszeichnen. In letzterem ist das gewöhnliche Numerativ ko „Stück" beinahe schon zu einem bloßen Suffix verblaßt, daneben
& fungieren die Worte „Kopf" (bei Tieren , so bekanntlich auch räa im Neuarabischen), „Schwanz* (bei Fischen) usw. Sollte im Semitischen nicht etwas Ähnliches vorliegen, so daß z. B. *hamiä-tu eigentlich bedeutete „fünf Stück"? Es erscheint das um so wahrscheinlicher
als eine andere sprachliche Tatsache in dieselbe Richtung weist,
10 ich meine das sog. nomen unitatis, welches bekapntlich von Kollektiven vermittelst der „Femininendung' gebildet vrird (v,>J>3 „Gold*, iUPi
„Goldstück*, T'lt „Wild', riT'i: „Stück Wild'). Wie gerade die
Femininendung dazu kommen soU, aus dem Gattungsbegriff ein
Einzelding zu machen, ist völlig rätselhaft ; auch die Erklärung von
16 Brockelmann (Vgl. Grammatik 419), daß die /-Endung hier als eine
Art Deteriorativ zu betrachten sei und die „KoUektiva als Gattungs¬
begriffe dem Einzelding gegenüber als das Wertvollere, Wichtigere
erscheinen* ist wenig befriedigend. Hingegen ist alles klar, wenn
hinter der scheinbaren Femininendung sich ein Wort wie „Stück'
80 verbirgt.
Nehmen wir also an, daß das Protosemitische ein Numerativ
besessen habe, mit dessen Hilfe zugleich die Einzelnomina gebildet
wurden, und setzen wir vermutungsweise *tau als den Lautwert
dieses fraglichen Elementes, so ergeben sich zwei Möglichkeiten der
«6 Zählungsweise , die wir am Ausdruck für „5 Stück Vieh* veran¬
schaulichen wollen:
L kamis-tau baqar — fünf-Stück Vieh
oder II. fyimiS baqar-tau = fünf Vieh-Stück.
Wie man sieht, liegen in diesem doppelten Normalschema
»0 bereits alle Keime für die spätere Syntax der Zahlwörter vor. Den
Gang der Entwicklung können wir uns so denken, daß das Numerativ
zunächst zu tu^) oder ta abgeschwächt wurde und so mit der
Femininendung (Nom. tu, Acc. ta) äußerlich zusammenfiel :
I. ^amii-tu baqar. II. JiamiS baqar-tu.
86 War dieser Prozeß einmal vollzogen, so lag es sehr nahe, die
Zählungsweise für nomina unitatis (Schema II) auch auf die ihnen
formell gleichen /-Feminina und schließlich auf die Feminina über¬
haupt zu übertragen, so daß Schema I nur noch für die Maskulina
vorbehalten blieb.
40 Das Ergebnis dieser Entwicklung lag wohl bei der Ausbildung
1) Es Uefie sich denken, daß dieses tu nnr in Verbindung mit dem Ge¬
zahlten gekttrzt, bei alleinstehendem Zahlwort aber als Länge (tü) beibehalten worden wäre. Auf diese Weise wttrde sich gut äthiop. Jfames-tü (eigentlich
„rdnf Stück*) erklären, falla dessen Länge ursprünglich sein sollte, wie Barth annimmt.
Bauer, Noch einmal die »emitischen Zahlwörter. 269
der verschiedenen Pluralbezeichnnngen schon abgeschlossen vor und
wurde festgehalten, wie auch im übrigen die Ausgestaltung dieser
letzteren vor sich gehen mochte. Von den Wandlungen der Folgezeit
war die wichtigste die (nach Barth nur teilweise vollzogene) üm-
deutung des Zahlwortes in ein Substantivum , welches als status 5
constructus mit dem Genetiv des Gezählten verbunden wird. Betreffs
der .Einzelheiten dieses Vorganges in den verschiedenen Sprachen
vergleiche man die Ausführungen von Barth a. a. 0.
Eine kurze Betrachtung verdienen noch die Zahlwörter von
13—19. Alleinstehend hatten dieselben ursprünglich wohl die lo
beiden folgenden gleichwertigen Formen i):
I» *^miä tau 'aiar = 5 Stück -f 10.
II». *hamiS 'a^ar tau = 5 -f 10 Stück.
Vielleicht wurde das Numerativ in der Fuge zwischen den
Einern und der Zehn zu ta abgeschliffen (*^a'miS-ta-'a^ar) und blieb is
in dieser geschützten Stellung auch nach Ausbildung der Kasus¬
endungen unverändert erhalten. Unter solcher Voraussetzung, die
auch an den entsprechenden aramäischen Formen eine Stütze hat,
ließe sich der rätselhafte Akkusativ dieser Zahlen im Arabischen
einfach als Angleichung an dieses ta verstehen. Derselbe Vorgang so
könnte sich dann in mechanischer Weise auch auf die gezählten
Gegenstände selbst erstreckt haben, so daß wir in deren Akkusativ
kein j ,' ,,^»" zu sehen brauchten. Im übrigen war die Verbindung
von Zahl und Gezähltem bei 13—19 dieselbe wie bei 3—9, d. h.
Schema I*, wo die Einer die Femininendung tragen gilt für 25
Maskulina, Schema II» für Feminina.
Wir haben bis jetzt mit dem Numerativ als mit einer unbe¬
kannten oder vielmehr willkürlich angenommenen Größe gerechnet.
Es kommt in der Tat für unsere Rechnung nicht darauf an, ob
wir seinen realen Wert bestimmen, d. h. seine Grundbedeutung in so
den Einzelsprachen noch nachweisen können oder nicht. Man denke
doch nur an die zahlreichen Nominalsuffixe (besonders Abstrakt¬
endungen) in unserer Sprache, die auch einmal eine selbständige
Bedeutung als Substantiva hatten, heute aber als solche gänzlich
verschollen sind und nur noch als Bildungselemente (-heit, -schaft, ss
-tum usw.) fortleben. Dasselbe könnte ja auch mit unserem semi¬
tischen Numerativ der Fall sein. Wenn wir also noch einen Schritt
weiter gehen und jenes. Numerativ zu identifizieren suchen, so ist
das eine Vermutung zweiter Ordnung, von deren Richtigkeit oder
Wahrscheinlichkeit unsere obigen Ausführungen nicht notwendig 40
berührt zu werden brauchen. Ich wage also die Frage zur Er¬
wägung zu stellen, ob wir nicht als Prototyp des semitischen
1) Die abweichende äthiopische Zählungsweise, nach welcher die Zehn vorausgeht und die Einer mit oder ohne „und' folgen ist obne Zweifel eine Neubildung.
18»
270 Bauer, Noch einmal die semitischen Zahlwörter.
Numerativs ein protosemitisches *tau^) .Zeichen" annehmen dürfen,
das im phönikischen Alphabet und im Hebräischen als das bekannte
in vorliegt, im Arabischen aber in der Umbildung s.\jj, nach den
Wörterbüchern .ein den Eameelen eingebranntes Zeichen in Kreuzes-
6 form* (Lisän 18, 114 unten; Tag 20, 54). Die ursprünglichere
G
Form ^ dagegen hat im Arabischen tatsächlich die Bedeutung von
.Einzelding", zahlreiche Beispiele dafür in den Wörterbüchern
a. a. 0. Der merkwürdige Bedeutungsübergang von .Zeichen" zu
.Einzelding, Stück" erscheint unschwer verständlich, wenn wir be-
10 denken, daß die hauptsächlichsten Objekte, welche Hirtenvölker zu
zählen haben, eben ihre Herden sind oder vielmehr die einzelnen
Tiere derselben. Wenn wir nun gesehen haben, wie andere Sprachen
die Tiere nach Köpfen oder Schwänzen zählen, könnten da nicht
die Semiten als zweckmäßigeres und bezeichnenderes Numerativ, das
15 Eigentumszeichen gewählt haben, das ja beim Auszählen in erster
Linie in Betracht kommt?
Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, daß ich die
Theorie von Barth, wonach die Femininendung des Zahlwortes
ursprünglich mit dem tü in äthiop. we'Stü und bab. äü'atü identisch
»0 sein und determinierende Kraft besitzen soll, nicht annehmen kann.
Wohl aber ließe sich denken, daß wir auch in den genannten
Pronominibus das Numerativ .Stück, Individuum" zu erblicken haben.
Wie äthiop. sälas-tü ursprünglich .drei Stück' bedeutete, so wäre
voe'S-tü (aus huwa-tü y kü'atü^)) eigentlich ,er-|- Stück", desgleichen 25 zen-tü .dieser + Stück". Genau der gleiche Fall liegt ja im Neu-
chinesischen (Kiian-chua) vor : san-ko „drei" (eigentlich .drei Stück'), ce-ko .dieser' (eigentlich .dieser + Stück').
1) So erklärt sich dann vielleicht das uralte *tau'äm .Zwilling' als der .Gezeichnete*. Han denke an die Geburt der Zwillinge Perez und Serach,
t
Genes. 38, 27 ff. .fibereinstimmen* wäre dann natürlich, wenn es überhaupt f
mit zusammenhängt, eine denominative Rückbildung.
2) Die Femininendung t% wäre demnach durch einfache Angleichung an
•Ai'o entstanden : *hi'a-tü > *hi'ati > je'etl. Desgleichen bab. *il'atü y il'ati.
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Zu den ägyptischen Mastabagräbem.
Von S. KFanss.
Das Mastabagrab gehört, wie erst jüngst ausgeführt worden i),
zu den bezeichnendsten Schöpfungen der ägyptischen Baukunst. Sein
Wesen ist der Mastaba-Kern, d. i. der freistehende, niedrige, recht¬
eckige Bau, der den eigentlichen, senkrechten Grabschacht bedeckt.
Das Wort und ein entsprechend modifizierter Begriff kommen 6
auch in rabbinischen Schriften der ersten christlichen Jahrhunderte
vor. Denn rmuow, Nn-iaiUOW der Rabbinen deckt sich
entschiedeti mit jbcs^j» der Syrer und juWi/i der Araber 2), und
es ist nur zu bedauern, daß der Ursprung all dieser Wörter nicht
feststeht«). Das rabbinische NmaOM usw. bedeutet eine Bank oder lo
Estrade, die in dem bekannten talmudischen Wörterbuche 'Arukh
des R. Natan aus Rom traditionell wie folgt definiert werden : „Ein
etwa eine Elle breiter und 24—25 Handbreiten hoher Platz, wie
man ihn vor allen Geschäftsläden zu errichten pflegt; und zwar
sind müON und lSU''D'npi< (== yQäßarov) gleich; und manchmal ib
richtet man sie zu einem Sitze für Menschen her"*). Der Begriff
„steinerne Bank" haftet dem Worte mtJON unzweifelhaft an"*), und
zwischen ihm und rmüCtt besteht kein Unterschied. Wenn wir
nun diesem Worte in Bezug auf Grabanlagen begegnen, so bezeichnet
es für uns die bekannten Bankgräber, die in Palästina so 20
häufig sind«).
Eine Vorschrift in dem von Begräbnis und Trauer handelnden
talmudischen Traktat Semachoth (c. 13)') scheint dieses von
1) G. Roeder in ZDMG. 65. 771—780.
2) S. mein Wörterbucli „Griech. u. L»t. Lehnwörter im Talmud" usw., 8. 345; vgl. S. 118.
3) Siegm. Fraenkel, Die aram. Fremdwörter im Arabischen, S. 21 f.
4) Aruch completum, ed. Kohut 1, 167.
5) Folgt aus der Stelle Ü^IW» "'2Sbm mUDN b. 8abb. 7».
6) Benzinger, Archäologie, 1. Aufl., S. 225.
7) Dieser Traktat ist zwar nachtalmndisch , enthält aber recht alte, über¬
aus wertvolle Traditionen. Der Tezt ist oft verderbt, und wir miissen still¬
schweigend nach einigen rezipierten Verbesserungen ubersetzen.
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