Das jenisseische Wort für „wollen" und seine Deutung Von Karl Bouda-Berlin
Daß die Begriffe „wollen" und „müssen" einander recht
nahe stehen, kann in vielen Sprachen nachgewiesen werden.
Bask, behar ,, müssen" kommt, namentlich im Instrum.
beharrez, oft in futurischem Sinn, „wollen, wünschen", vor.
jende zahar batzuen gana joan ziren, gaua heien etchean iragan
behar zutela „sie gingen zu alten Leuten, da sie die Nacht in
ihrem Haus verbringen wollten", zer ari zainzkon jakin behar
zuela „da er zu wissen wünschte, was sie machten", norat
gaten den ikhusi beharrez „mit dem Wunsch, in der Absicht
zu sehen, wohin er geht", lehen jinaren arima saWatu beharrez,
hire arima saltzen ,,um die Seele des ersten besten zu retten,
deine Seele verkaufen?" Im Westkaukasischen bietet abch.
tax9 ,, wollen, brauchen" eine brauchbare Parallele. ac°a
c°s9psarc staxaup „ich will den Apfel schälen", sara istaxdup
ipou „ich brauche (eine Nadel), die dünn ist". Das Tscher-
kessische dagegen verwendet verschiedene Wörter. s°e-y°e
,, wollen", wörtl. „im Glauben jmds. recht sein" und fe-je
,, müssen", das ohne fe- „für" nicht vorkommt, wegen fe-
m9-je- „darf nicht" aber so analysiert werden muß. Im Süd¬
kaukasischen wird die 3. Person von ,, wollen" zum Ausdruck
des Müssens verwandt, Deeters, Das karthwel. Verbum,
§ 279. Dem zur Partikel gewordenen und sich nach Tempus
und Numerus nicht verändernden georg. unda „muß" ent¬
spricht cec. ||icz- „müssen, lieben" insofern, als in der ersten
Bedeutung vom begleitenden Verbum abhängt, wie der Täter
ausgedrückt wird. aS [Ergativ] soia jalat) jiezaqa „ihr müßt
es hergeben", xoa txöci varj vieza „du mußt auch mit uns
kommen" Mitt. Sem. Or. Spr. 38 II 42. Im Kürinischen wird
„wollen" und „müssen" durch dasselbe Wort bezeichnet.
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450 K. BoüDA, Das jenisseische Wort f. „wollen" u. seine Deutung
zaz [Dativ] urus käi ejiz kanda „ich will russisch lesen".
za sa k°al awuna kanda „ich muß ein Haus bauen", zaz jad
kanxana „ich wünschte Wasser", zaz pul kanxanawa „ich
hatte Geld nötig".
Diese semantischen Betrachtungen sind geeignet, die Zu¬
sammengehörigkeit eines kottischen und eines jenisseischen
Wortes zu erklären. Sie miteinander za verbinden, hat mich
allerdings zuerst ihre lautliche Übereinstimmung bewogen,
deren Entdeckung ich einem glücklichen und um so merk¬
würdigeren Zufall verdanke, als die beiden Wörter bei
CASTRfiN ganz versteckt stehen. CastrSn gibt zwei kott.
Wörter für ,, wollen" an: 1. rjaiteän ,,ich will", § 178. rjäiteän
199b, 260b. Die Übersetzung ,, wollen" an den beiden letzten
Stellen im Wörterverzeichnis ist nicht richtig, weil die
Endung -teän zu -tar] in hamä-tarj ,,ich bin gut" usw., § 182,
gestellt werden muß. 2. haöd'utar], das als russisches Lehn¬
wort erkannt ist 208a. Das jeniss. Wort für „wollen" scheint
also beiCASTRfiN zu fehlen, wenigstens solange man nur 260 b
zu Rate zieht. Es steht jedoch 190b: bogoi „nötig", besser
„es ist nötig", denn in b-o- ist b- das Personalzeichen der
3. Sing., die im Gegensatz zur 1. Person durch den dunklen
Vokal gekennzeichnet ist. barjtebe „ich schlucke": 3. burjtebe.
batturj ,,ich springe": butturj. bärjso ,,ich sehe": bürjsö 81 ff.
Vgl. di-de-yyf ,,ich handle": du-ja-yyf 77. Es gehören also
ganz sicher zusammen und besitzen vielleicht sogar dieselbe
Bedeutung kott. rjäi, riai ,, wollen", jeniss. goi „nötig sein,
♦wollen". Damit gewinnen wir wieder eine jenisseisch-sino-
tibetische Gleichung, deren Wörter sich auch im Stamm¬
vokal entsprechen, zum Auslaut -s <^ -i bitte ich o. 90, 153
Anm. 1 und Ungar. Jahrb. 15, 405 zu vergleichen: chin, ngjie
{ngjiay'] = tib. d-gos ,, notwendig sein" W. Simon, Tib. -chin.
Wortgleichungen Nr. 337. Vgl. Jäschke, Grammar § 40, 3.
Zur chinesischen
Kulturgeschichte des 3. und 4. Jahrhunderts
von Werner ElcUiorii, Bonn
Für die Kulturgeschichte des zwischen der Han- und
yow^r-Djoiastie liegenden Zeitabschnittes, der im allgemeinen
etwas vernachlässigt zu werden pflegte, ist das Shih-shm
hsin-yü (iö: 18; Ä ^) des Liu I-ch'ing eines der wichtigsten
Werke, zumal es zur Erzählungsliteratur (/J> ift) gehörig
jedenfalls nicht durch die Redaktion des die Geschichts¬
schreibung beherrschenden, konfuzianischen Gelehrtentums
gegangen ist.
Obgleich den Sinologen wohl bekannt, ist es doch bisher
noch nie zum Gegenstand einer ausführhcheren, speziellen
Betrachtung gemacht worden. Außer einigen längeren oder
kürzeren Notizen und seiner Zitierung in mehreren kultur¬
historischen Arbeiten*) ist mir in der europäischen Literatur
nichts weiter darüber vor Augen gekommen.
1) Vgl. z.B. A. Wylie: Notes on Chinese Literature (1922)
S. 189 und P. Pelliot: Manuscrits chinois au Japon (T'oung Pao.
Vol. XXIII Ser. II) S. 21. Die von letzterem genannte, von Lo Chen-
yü ausgeführte, teilweise Rekonstruktion einer 7" ong'-Handschrift
hat mir nicht vorgelegen, das darüber Wesentliche scheint mir jedoch
auch in der Einleitung des Indexes des Harvard-Yenching Institute
gesagt zu sein. Der Wert der Fragmente für Textgeschichte und
Textkritik ist natürlich groß. Merkwürdigerweise gibt Pelliot die
Lebensdaten des 3!j fS^ fil ™it 401—444 an. Ich finde im Sung-ahu
51 S. 8 b und im Nan stUh 13 S. 4a die Angabe, daß der Prinz
Liu I-ch'ing im 21. Jahre der „Dynastie" ( ?) starb. Erstere Quelle
gibt dazu sein Alter an mit 42 Jahren. Nimmt man 420 als das erste
Jahr der „Dynastie" Liu-Sung an, so wäre er um 440 gestorben und
nach chinesischer Rechnung also 399 geboren. Im Li-tai ming-jen
sheng-tzu nien-piao finden sich allerdings unter dem Namen Liu
I-hsing (Slj tl| Ä) Daten 403—444, was ja ebenfalls nach chine¬
sischer Rechnung einer Lebendauer von 42 Jahren entspricht. Soll
daher das ^ im Texte nicht bedeuten „Dynastie", sondern ,, Hof¬
hai tung" (des Wen ti), dann treffen die Daten 403—444 genau zu.
Zitiert findet sich das Shih-shuo hsin-yü z. B. in K. Himly: Die Ab-
ZeltMhrift d. DUO. Bd. 91 (Neue Folge Bd. 16) 31