DIE MYTHISCHEN NAMEN DER BALESE-EFE-ERZÄHLKUNST (NORDOST-ZAIRE)*
von Anton Vorbichler, Wien
Hier wird ein Teilproblem der Analyse der Oralliteratur der Balese-Efe behandelt.
Es geht um die mythischen Namen, die in den Erzählungen vorkommen. Es wird in
Frage gestellt, ob sie sich aus dem Kontext der Erzählungen oder vielleicht auch
etymologisch oder linguistisch deuten lassen, bzw. ob zwischen dem über diese
Namen Erzählten und ihrer Wortbedeutung ein Zusammenhang besteht. Es sollen in
diesem Zusammenhang die Bereiche des Schöpfergottes, des Tricksters, des Allzer¬
störers und des Heilbringers behandelt werden.
Der Schöpfergött heißt bei den Balese-Efe bari oder, hauptsächlich bei den Pyg¬
mäen, qärica. Bei den Nord-Balese, Nord-Efe und teilweise auch bei den Mamvu
kommt aucht3r£ gelegentlich für Gott vor, meistens aber wird diese Bezeichnung für einen Busch- oder Walddämonen verwendet.
Das Wort bari ließe sich wohl-nur aus dem Bantu heraus deuten. Anders verhält es sich mit qärica oder auch qäriciä, wobei die erste Form in der 3. Silbe eine Assi¬
müation aufweist. Dieser Name stellt einen Relativsatz dar mit der Bedeutung:
„der das Zeugen (bzw. Gebären) verursachen möge", bari und qärica werden beide
als Schöpfer betitelt. Von bari wird gesagt, daß er als Schöpfer ohne Frau oben
wohne, daß er weite Flügel habe und sich auch zur Erde niederlasse und in Felsen¬
höhlen wohne. Er ist im Besitz des Feuers, sein Dorf wird im Mond lokalisiert. Er
blitzt und spaltet durch Blitz, er hat einen großen Bogen, fliegt hinter dem Wind her und treibt es an als Hirte. Er hat viele Namen. Er hat die ersten Menschen,
nämlich den ersten Pygmäen und den ersten Neger und üire beiden Frauen geschaf¬
fen. Er schafft die Menschen immer noch aus dem Menstruationsblut der Frauen.
Von qärka wird nicht gesagt, daß er oben wohne, aber er ist ebenfalls der Geber
menschlicher und tierischer Fmchtbarkeit, wie ja sein Name bereits andeutet. In
seiner Eigenschaft als Wald- und Buschgott kann er auch in eine gewisse Nähe zu
den Waldgeistern und Buschdämonen kommen, obwohl gerade die Pygmäen immer
wieder behaupten, daß der Busch und Waldgott der Schöpfer aller Menschen, auch
der Europäer, sei.tJrf bedeutet wohl „viel und ständig wachsen" und hat auch eine
Beziehung zum Mond. Auch der orkanartige Sturm wird so genannt.
bari ist nicht nur Schöpfer, sondern auch eine Trickster-Gestalt und wird als sol¬
che auch rikuddibo genannt, was heißt ,,ist er etwa ein Beschneidungsbmder?". Als Trickster hat er eine Frau und ist der Aussätzige, der mit der krätzigen Haut. Er ist aber auch der große, unwiderstehliche Trommler beim Tanz. Er ist der große, listen-
* Die vollständige Fassung dieses Beitrags wird in Anthropos 1978, Heft 1, abgedruckt.
xx. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen
Die mythischen Namen der Balese-Efe-Erzählkunst 469
reiche Trickster, der immer schlauer ist als die anderen. Gelegentlich ist er auch dumm und tölpelhaft, und in einer Version enden seine Abenteuer sogar mit seinem
Tod, wonach seine Augensterne daheim bei seiner Frau ankommen. Da die Augen¬
sterne bei den Balese-Efe als Manifestation der Lebensseele betrachtet werden,
deuten auch sie auf das Weiterleben des bari nach seinem Getötetwerden hin. Die¬
ses, wie auch seine kranke, aussätzige Haut haben sicher eine Beziehung zum Mond, der die Tänze der Balese und Efe begleitet und der der eigentliche große Trommler ist, besonders in den Vollmondnächten.
Wir wollen uns jetzt dem Allvernich ter zuwenden, der mit verschiedenen Namen
bezeichnet wird, von dem es jedoch immer heißt, daß er die ganze Menschheit ver¬
schlungen hat. Er entstand aus einer Art Vogelei, das „Mutter Immerkrank" beim
Fischen der Frauen und Mädchen unten am Fluß gefunden hatte. Der einheimische
Name für diese Frauengestalt kann aber auch mit „die des Zerstörens" übersetzt
werden. Jedenfalls ging aus dem von ihr gefundenen Vogelei der hervor, der die
ganze Menschheit verschlang. Der Allvernichter wird teilweise auch mit dem
Schmied, der oben wohnt, mit Donner und Blitz identifiziert. Er wird auch „gewal¬
tiges Ding" oder einfach „Ding" genannt. Im Mamvu nennt man ihn ,,Dorfvernich- ter". Mit demselben Namen werden auch asoziale Elemente bezeichnet, die durch
ihr Verhalten dem Dorf oder der Sippe schaden. Auch der Regenbogen, der als
mythische Wasserschlange beschrieben wird und mit dem Krebs identisch ist, wird
mit dem Blitz gleichgesetzt und kann als das menschenvernichtende Ungeheuer in
Erscheinung treten. Als solches tritt es besonders als abgewiesener Freier, der sich rächt, auf Sogar bäri selbst kann der abgewiesene Freier sein; in einer Erzählung
heiratet der menschenfressende Schmied die Blitztochter und in einer anderen ist
es bäri selbst, der die Tochter des Blitzes zur Frau nimmt.
Man ist der Auffassung, daß sich hinter dem sichtbaren Regenbogen eine Schlan¬
ge verbirgt, die niemand zu Gesicht bekommt. Die Balese-Efe gehen nicht zu der
Stelle hm, wo der Regenbogen „Wasser trinkt". Am Tag nach einem Regenbogen
geht man nicht zur Jagd und auch zu keinem anderen Unternehmen aus, weil all
dies von vornherein zum Mißerfolg bestimmt wäre. Wenn der Regenbogen jemand
anschaut, muß er sterben. Sieht jedoch jemand den Regenbogen bevor dieser ihn
sieht, dann stirbt er nicht. Er ist vielmehr dann selbst ein Regenbogen.
Der vierte Komplex, der hier behandelt wird, befaßt sich mit dem Kulturheros
und Heilbringer. Diese beiden Namen bezeichnen für den Bereich der Balese-Efe
zwei verschiedene Persönlichkeiten, beide jedoch sind Pygmäen. Der eine ist der
erste von bäri geschaffene Pygmäe. Mit ihm zusammen wurde auch der erste Neger
geschaffen, makafiri, der erste Pygmäe, wußte Bescheid über den Zusammenhang
zwischen Geschlechtsakt und Menschenzeugung und klärte auch den dummen
Neger darüber auf, indem er mit dessen Frau ein Kind zeugte, makafiri ist auch der erfolgreiche Blutschänder, der mit der eigenen Schwester schläft, dafür getötet wird,
aber wieder gesund aus den Augensternen des Mädchens hervorgeht. Er ißt die Le¬
ber, die geopfert werden soll selber auf; er raubt das Himmelsfeuer für die Men¬
schen, was jedoch den Tod für diese zur Folge hat, er ist der Entdecker der Banane,
ohne diese für sich ausnützen zu können, makäfiri ist ein großer Mensch im guten
und schlechten Sinn. Demgegenüber ist der HeUbringer ein großer Mensch im guten
Sinn. Er ist den Himmlischen irgendwie wesensverwandt. Sein Name ist „Pygmäen-
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kind". Durch Kniegeburt ging er aus seiner Mutter hervor und befreite aUe Men¬
schen und Tiere aus dem Bauch des Ungeheuers. Er arbeitet nicht mit einem Neger
zusammen, obwohl auch diese ihm alles verdanken. Seine Tante mütterlicherseits ist die Kröte, die den Tod in die Welt gebracht hat. „Pygmäenkind" macht wieder gut, was diese Tante schlecht gemacht hatte.
Es zeigt sich, daß in der Mythologie der Balese-Efe die Komplexe des Schöpfer¬
gottes, des Tricksters, des Allvernichters und des Kulturheros/Heilbringers inein¬
ander verwoben sind und daß eine rein innersprachliche Analyse der diesbezüglichen mythischen Namen viel zum besseren Verständnis des Inhaltes beitragen kann.
SEKTION XII: KUNST UND ARCHÄOLOGIE DES ORIENTS
SEKTIONSLEITER: K. PARLASCA
DIE BILDBIOGRAPHIEN DER SHÖTOKU TAISHI EDEN
UND IHRE SZENENFOLGE
von Gisela Armbruster, Mannheim
Bildbiographien, detaillierte Schilderungen vom Leben bedeutender Persönlich¬
keiten, vor allem buddhistischer Sektengründer und Patriarchen, stellen eines der
wichtigsten Themen der erzählenden Bildkunst Japans dar. Das früheste bekannte
Beispiel, die fünf DoppelbUder aus der edono, der Bilderhalle des Höryü-ji bei Nara,
1069 von Hata Chishin gemalt, schildert das Leben des großen Kulturheroen, des
Prinzregenten Shötoku Taishi (573-622) und unterscheidet sich in der Anordnung
der einzelnen Szenen in erstaunlicher Weise von der Menge der späteren Priester¬
biographien in der Form von QuerbUdroUen (emaki) aus dem 12. bis 15. Jahrhun¬
dert. Während in den Büdstreifen der emaki die Darstellungen grundsätzlich in chro¬
nologischer Abfolge nebeneinander gesetzt werden, ist auf den Bildfeldern der
edono des Horyü-ji auf eine chronologische Ordnung keinerlei Wert gelegt. Die
Ereignisse sind zwar durch Kartuschenbeischriften, die der schriftlichen Biographie
des Prinzen von 917 wörtlich entnommen sind, auf sein jeweüiges Lebensalter fest¬
gelegt, aber innerhalb der großen Landschaftspanoramen der DoppelbUder frei
verstreut. Auf dem ersten BUd z.B. fmden Empfängnis und Geburt des Prinzen in
der Mitte der rechten BUdhälfte statt, getrennt durch Szenen aus dem 2. und 4.
Lebensjahr. Der Besuch des Kaisers bei dem Neugeborenen ist darunter dargestellt, Ereignisse, bei denen der Prinz 2 und 11 Jahre alt ist, darüber. Ganz oben links in
der Ecke eine Szene aus dem 10. Lebensjahr, unten hnks weitere Szenen mit dem
26 und 27jährigen Helden.
Eine so regellose Anordnung erstaunt bei einem Künstler, der sich in der Darstel¬
lung des panoramischen Landschaftsraumes sowie im erzählerischen Detail als hoch¬
qualifiziert erweist. Eine Erklärung ergibt sich aus der Funktion dieser ursprünglich auf Schiebetüren montierten Bilder, die sich erschließen läßt, wenn man die späte¬
ren zahlreichen Shötoku Taishi eden betrachtet.
Erst aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts haben wir weitere BUdbiogra-
phien mit diesem Thema, und zwar in großer Fülle seit 1322, als der Shötoku-
Taishi-Kult nach der 700sten Wiederkehr seines Todesjahres neuen Aufschwung
nahm, vor allem in Klöstern der Amida-Shin-Schule. Neben wenigen eden in emaki-
Fprm wurden nur noch Serien von vier bis zehn kakemono (HängeroUen) gemalt;
das Großformat der Schiebetüren (fusuma-e) des 11. Jahrhunderts wurde nicht
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen