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Archiv "Der Arzt darf niemals ein Komplize beim Suizid sein" (22.09.1988)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

TAGUNGSBERICHTE

Der Arzt darf niemals ein Komplize beim Suizid sein

Zeichen der Zeit

Im Verlaufe seines nunmehr 25jährigen Bestehens hat sich der Kongreß christlich-katholischer Ärz- te zu einer Instanz medizinisch-ethi- scher Vigilanz entwickelt. Ein euro- päischer Kongress katholischer Ärz- te gewinnt seine innere Berechti- gung dadurch, daß er in der immer- währenden abendländischen Gei- stigkeit begründet ist. Aus dieser läßt sich unschwer ein für die Medi- zin verpflichtendes Menschenbild ableiten, zumal die Medizin selbst a priori eingebunden ist in die abend- ländische Geistigkeit als integrieren- der Faktor, um Krankheiten zu ver- hindern oder zu heilen.

„Die Zeichen der Zeit zu ver- stehen" im Sinne des Vaticanum II, und mit Wissen und Gewissen die ethisch-moralische Problematik mo- derner Medizin zu analysieren, ist vordringlich Aufgabe christlicher Ärzte, Philosophen, Juristen und Theologen. In der Folge früherer Kongresse sowie deutscher Jahresta- gungen der „Katholischen Ärztear- beit Deutschlands" kam es in Ver- sailles zu einer Ergänzung und Fort- führung anstehender, hochbrisanter Probleme in der heutigen Medizin.

„Zeichen der Zeit" sind das Gerede von mehr Menschlichkeit und der Prozeß einer Anonymisie- rung andererseits, die greifbare Vi- sion einer totalen Informationsge- sellschaft und der Verlust an religiö- sem Grundwissen, eine Betonung des Lustprinzips und die Ausgren- zung jeglichen Leids. Leid und Tod, zwei menschliche Grunderfahrun- gen, verschwinden hinter weißen Gemäuern, den Augen einer bunten Macher-Welt entzogen. Im Glauben an die Machbarkeit des Unmög- lichen durch die Manipulation mit der Gen-Technologie erklärt sich der Mensch zum Schöpfer und wirft sich auf zum Herrn über Leben und Tod. Millionen von Abtreibungen und Tausende gerichtlich nicht ver-

Mit Fragen der medizini- schen Ethik haben sich zwei christliche Ärztevereinigun- gen in größerem Kreis aus- einandergesetzt. Der erste Bericht behandelt den VI.

Kongreß der Europäischen Föderation der Vereinigun- gen Katholischer Ärzte in Pa- ris/Versailles. Der zweite Be- richt geht auf Vorträge der

15. Tagung der Arbeitsge- meinschaft Christlicher Me- diziner in Mauloff/Taunus ein.

folgte Euthanasiefälle bestätigen fa- tal, wie neuerdings „das Recht, über sein Leben zu verfügen" , entgleist ist. Eine solche Freiheit bedrängt die wissenschaftliche und moralische Vernunft. Aus den Abhandlungen und Arbeitskreisen aller Sprach- gruppen des Kongresses ergab sich ein für ganz Europa fast einheit- liches Problem-Panorama, dem sich der christliche Arzt in voller Verant- wortung stellen muß.

In vitro Fertilisation: Der

„Ehebruch im Reagenzglas" und auch die heterologe Insemination kann ethisch nicht vertreten werden.

In der Herrschaft von Menschen über Menschen wird das Leben zur Ware, das Kind zum Produkt. Des- halb müssen auch Embryotransfer, Leihmutterschaft, Kryokonservie- rung und Experimente mit überzäh- ligen Embryonen abgelehnt werden.

Diesen fehlt auch jeglicher Rechts- rahmen zur Verhinderung von Ma- nipulationen. Oberstes Gesetz muß der Schutz des Kindes bleiben.

• Abtreibung: Kein Arzt muß abtreiben. Auch der angestellte (ab- hängige) Arzt ist gesetzlich frei; dies auch in seiner Weigerung ärztlichen Mitwirkens an einer extrakorpora- len Befruchtung. Trotz Legalisie- rung der Abtreibung aus sozialer In- dikation in den meisten europä- ischen Ländern bleibt es bei der strengen Ablehnung dieses „Tötens, um zu helfen". Besonders gefordert ist das Gewissen des Arztes und der

Ethik-Kommission bei der Gravidi- tät einer Aidskranken Frau, die mit einiger Wahrscheinlichkeit die Krankheit auf das Kind überträgt.

Noch schwieriger werden die Über- legungen bei der Beurteilung von Sexualität und Heirat Schwerbehin- derter mit offensichtlichen Erbde- fekten. Grundsätzlich ist auch kran- kes Leben ein hohes Gut, dessen Weitergabe im Namen der Näch- stenliebe durchaus möglich ist.

Strenge erbbiologische Analyse und eingehende Beratung muß die Indi- kation zur Sterilisation erwägen können.

• Aktive und passive Euthana- sie: Sterben lassen, also passive Eu- thanasie, ist aus der Sicht mensch- licher Freiheit und medizinischer Moral, aber auch strafrechtlich mög- lich. Aktive Euthanasie, also Töten ist es nicht, auch nicht auf Verlan- gen. Die „Unverfügbarkeit mensch- lichen Lebens" kann die dem Arzt gebotene Sterbehilfe nie zum Recht oder gar zur Pflicht zu einer Tö- tungshandlung ausufern lassen. Der Arzt darf nie Komplize in Suizid oder Euthanasie sein Ihm obliegt die Aufklärungspflicht des Kranken.

Dabei geht es um die Mitteilung der Wahrheit, die allerdings abhängig sein soll von der Kapazität des Tod- kranken für eine einfühlende Auf- klärung. Denn Wahrheit ohne Liebe kann brutal sein.

Fast alle Erörterungen der aku- ten medizinischen Probleme der Ge- genwart bestätigen den Consensus christlicher Ärzte in der Wertung der Gefahren für die Freiheit des Kranken und des Arztes bei der be- denklichen Entwicklung der Medi- zin zur Präponderanz liberal-mate- rialistischer Forschung und deren Umsetzung in die medizinische Pra- xis. Die Freiheit vom Bösen und die Freiheit zum Guten ist gleichsam der Tenor aller Kongreßüberlegungen, was eine abschließende Betrachtung dieser Freiheit in medizinisch-phi- losophisch-theologischem Aspekt rechtfertigen soll.

„Menschliche Freiheit ist Herr- schaft über das eigene Wollen, um es in seiner ursprünglichen und we- sentlichen Zielhaftigkeit zum uni- versalen Guten zu verwirklichen"

(Thomas v. Aquin). Zur Gewissens- Dt. Ärztebl. 85, Heft 38, 22. September 1988 (23) A-2571

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freiheit gehört aber auch der An- spruch, selbst zu bestimmen, was Gewissensfall ist. Dabei gibt es eine objektive Gültigkeit sittlicher Nor- men, die im allgemeinen unter den für sie gegebenen Bestimmungen gelten. Diese erhalten aber, selbst durch eine lehramtliche Bestätigung und Verkündigung, keinen Absolut- heitscharakter. In der medizinischen Ethik stellt sich das Problem der Achtung vor dem Gewissen des Pa- tienten bei gleichzeitiger Verpflich- tung des Arztes zur eigenen Gewis- sensentscheidung. Zwei Fragen drängen sich auf: Kann das Leben oder auch der Willen des einzelnen Patienten allein vom ärztlichen Han- deln bestimmt sein, oder muß sich eine Behandlung am Einzelnen am größtmöglichen Nutzen für viele orientieren? Der Sinn ärztlichen Handelns kann keine Therapie um jeden Preis sein. Der Arzt muß zu- sammen mit dem Patienten die für diesen richtige Behandlung finden.

Dabei kann der Kosten-Nutzen-Ge- sichtspunkt nicht über die individu- elle Hilfe für den Kranken entschei- den. Angesichts der Kostenexplo- sion im Gesundheitswesen kann sich diesem Problem weder der Arzt noch der Patient verschließen. Von diesem kann man jedenfalls eine der Gesundheit dienliche Lebensfüh- rung verlangen. Das bedeutet keine Freiheit vom Guten, sondern eine Freiheit zum Guten.

Referenten des Kongresses: Prof. Gagey, Paris, Dr. Bompiani, Rom, Prof. Serrau, Lissa- bon, Prof. Verspieren, Frankreich, Dr. Steven, Holland, Dr. Massons, Spanien, Prof. Lhermi- te, Frankreich, Dr. Spencer, Großbritannien, Priv.-Doz. Dr. Roth, Wien, Dr. Amarca, Schweiz, Dr. Jungo, Schweiz, Prof. Dr. Franz Böckle, Bonn, Prof. Dr. v. Eiff, Bonn, Prof.

Dr. Würmeling, Erlangen, Mdme. Dr. Fran- coise Pinguet, Frankreich.

Präsidium des Kongresses: Dr. Kluyskens, Belgien, Dr. Köhne, Deutschland, Prof. Fran- ciscis, Italien, Dr. Massons, Spanien, Frau Dr.

Gontard, Frankreich.

Schirmherrschaft des Kongresses: S. Em.

Jean-Marie Cardinal Lustiger, Erzbischof von Paris; S. Exc. Msgr. L. Simonneaux, Bischof von Versailles; Premierminister J. Chirac, Bür- germeister von Paris; Mr. A. Damien, Bürger- meister von Versailles.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Hannes Sauter-Servaes Am Rebberg 8

7700 Singen (Hohentwiel)- Bohlingen

Krankheit und Tod

Über 400 Ärzte und Angehörige sowie Medizinstudenten nahmen an der diesjährigen inzwischen 15. Ta- gung der Arbeitsgemeinschaft christlicher Mediziner (ACM) unter dem Thema „Krankheit und Tod"

teil. Die Arbeitsgemeinschaft ist ei- ne überkonfessionelle Vereinigung von Ärzten, die es als ihre Aufgabe ansehen, die ärztliche Tätigkeit an christlichen Maßstäben auszurich- ten.

Die Vorträge in Mauloff/Taunus waren durch eine besondere Betrof- fenheit gekennzeichnet: Der Arzt kämpft bei seinen Patienten gegen Krankheit und Tod, er kann ihr bezie- hungsweise ihm aber in seinem eige- nen Leben nicht entgehen. So ist er (wie Cheiron, der Heilgott der grie- chischen Mythologie) ein „verwun- deter Heiler", wie Prof. Beinert aus Regensburg in seiner theologischen Einführung mit dem Thema „Krank- heit zum Tode nach Zerstörung der Gottesbeziehung" ausführte.

Der Tod sei einerseits natür- liches und notwendiges Ende alles Lebenden. Für den Menschen habe er aber auch „Strafcharakter", denn er sei nach den Aussagen des Neuen Testaments das „Entgelt" der Sün- de. Durch Jesu Tod ist dem Tod zwar die Macht genommen, das Sterben aber nicht beseitigt worden.

Daß die Intensiv-Medizin nicht nur Segen, sondern auch Fluch sein kann, daß die Technik leicht zur Un- menschlichkeit führen kann, zeigte Privat-Dozent Seeger aus Gießen.

Der akut kranke Mensch dürfe nicht entmündigt werden, seine Würde sei stets zu achten. Auch bei reduzierter Bewußtlosigkeit sollte dem Patien- ten mitmenschliche Nähe vermittelt werden, wobei den Angehörigen ei- ne wichtige Rolle zukomme.

Der Patient habe ein Recht zu sterben. Der Arzt sollte auf lebens- verlängernde Maßnahmen verzich- ten, wenn die Möglichkeit eines sinnvollen Lebens nicht mehr beste- he. Dies sei bei Hirntod gegeben.

Schwieriger sei eine Grenzziehung jedoch bei Apallischem Syndrom oder zunehmender Aussichtslosig- keit des Krankheitsbildes. Maßstab

allen ärztlichen Handelns sollte die Liebe sein.

Zur Problematik der chroni- schen Krankheiten führte Dr. Fried- rich aus Karlsruhe aus, daß es eine wachsende Tendenz gebe, das Lei- den eines Menschen irgendwann für so groß zu halten, daß nicht mehr von einem lebenswerten und men- schenwürdigen Leben gesprochen werden könne. Angesichts dieser Entwicklung komme es darauf an, neu zu erkennen, daß das Leben ein Geschenk Gottes sei und damit letztlich nicht in der Verfügbarkeit des Menschen stehe. Auch mit sei- nen „Behinderungen" sei der Mensch von Gott geschaffen und ge- liebt. Chronisch Kranken gelte es ein neues Bewußtsein zu vermitteln:

Sie seien nicht krank, sondern „be- dingt gesund". Aufgabe der Medi- zin sei häufig, nicht eine Krankheit zu heilen, sondern angemessen zu behandeln.

Beziehung Arzt/Patient darf nicht leiden

Prof. Lennert aus Oberhausen sprach über das Thema „Auftrag des Arztes angesichts der Unaus- weichlichkeit des Todes". Er wies auf die Gefahr hin, daß durch die Apparate-Medizin der Patient oft nicht mehr im Mittelpunkt der ärzt- lichen Bemühungen stehe. Die per- sönliche Beziehung zwischen Arzt und Patient sei durch Mammutklini- ken, Ärzteteams, Wissenschaft und medizinische Technik bedroht. Zu den Krankheitsgruppen, in denen der Arzt mit seiner Therapie die Not des Patienten nicht mehr entschei- dend wenden könne, gehörten Krebskranke, alte und sterbende Menschen. In den letzten Phasen des Lebens sollte der Arzt seine Hilflosigkeit nicht durch Medika- mente vertuschen, sondern dem Pa- tienten das Gefühl des Für-ihn-Da- seins vermitteln.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. B. Warkentin Oberarzt der Frauenklinik des Städtischen Krankenhauses 7850 Lörrach

A-2572 (24) Dt. Ärztebl. 85, Heft 38, 22. September 1988

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