S T A T U S
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as Auslandsangebot an meinen Mann kam nicht überra- schend,das Ziel Singapur war aber exotischer als erwartet. Ich hatte gera- de meine Facharztprü- fung für Innere Medizin abgelegt und war offen für neue Erfahrungen.Die ersten Recher- chen brachten ernüch- ternde Ergebnisse. Die Bundesärztekammer hat- te keine Informationen über Arbeitsmöglichkei- ten in Singapur. Ein Ab- kommen über eine ge- genseitige Anerkennung von Weiterbildungsabschlüssen exi- stierte nicht. Auch ein Kontakt mit der Deutschen Botschaft in Singapur war entmutigend.
Erst eine Anfrage bei der sin- gapurianischen Botschaft in Berlin half weiter. Das Singa- pore Medical Council erkenne bislang nur ausländische Ab- schlüsse von ausgewählten Uni- versitäten an, hieß es. Auf- grund einer zunehmenden Ärzteknappheit sei die restrik- tive Politik aber gelockert wor- den. Ein Deutscher habe sich bislang noch nicht um eine Zu- lassung bemüht. Beim Singa- pore Medical Council erfuhr ich, dass ein Zulassungsantrag erst gestellt werden könne, wenn man einen potenziellen Arbeitgeber habe.
Rasch reifte bei mir der Ent- schluss, nach Singapur zu flie- gen, um mich zu bewerben.
Hierfür kamen nur die großen staatlichen Krankenhäuser in Betracht. Nach Wochen der Ungewissheit kam die Überra- schung: ein Stellenangebot der hämatologischen Abteilung des Singapore General Hospitals.
Das Krankenhaus ist das größte Singapurs. Die hämato- logische Abteilung versorgt rund 80 Prozent aller hämatolo- gischen Patienten Singapurs und gilt in Südostasien für Pati- enten, die es sich leisten kön- nen, als das Zentrum der Wahl.
Die Abteilung verfügt neben zwei großen Stationen inklusive einer Transplantationseinheit mit elf Betten über ein voll aus- gestattetes hämatologisches La- bor, eine Tagesklinik und eine große Ambulanz.
Die nächsten sechs Monate waren ausgefüllt mit zähen Ver- handlungen mit dem Singapore Medical Council über meine Zulassung.Ohne die Unterstüt- zung der Personalabteilung des Singapore General Hospitals, der Landesärztekammer Ba- den-Württemberg und der Universität Heidelberg bei der Beschaffung zahlreicher Be- scheinigungen wären meine Bemühungen wohl gescheitert.
Im November 2002 zog ich nach Singapur, und Anfang Ja- nuar 2003 trat ich meine Stelle als „Clinical Associate“ in der Hämatologie an. Die Position entspricht der eines Medical Officers, der in etwa die Funk- tion eines Assistenzarztes wahrnimmt. Das Gehalt ist al- lerdings nur etwa halb so hoch wie das eines Medical Offi- cers, das mit dem eines Assi- stenzarztes vergleichbar ist.
Beiträge zu einer Alters- oder Krankenversicherung werden vom Arbeitgeber nicht ge- zahlt. Die Arbeitszeit beträgt fünfeinhalb Tage pro Woche mit zusätzlichen zwei bis drei sonntägli- chen Visitendiensten pro Monat und Nacht- diensten ohne Freizeit- ausgleich. Die Wochen- arbeitszeit richtet sich
„nach den Bedürfnis- sen der Abteilung“. Pro Jahr besteht Anspruch auf 21 Urlaubstage.
Der Arbeitstag in der Hä- matologie begann um acht Uhr mit der Stationsvisite. Dort herrschte die Regelung, dass jeder Patient an jedem Arbeits- tag von einem Consultant (Oberarzt) gesehen werden muss. So begann ich meine Vi- site zwar mit dem House Offi- cer (Arzt im ersten klinischen Jahr), der Consultant stieß je- doch immer im späteren Ver- lauf hinzu, um schwierige Fälle zu sehen und zu diskutieren.
Diese Form des Teamworks empfand ich als gute Gelegen- heit zur kontinuierlichen fall- bezogenen Wissensvermittlung.
Da großer Wert auf eine gründ- liche körperliche Untersu- chung der Patienten während der Visite und eine detaillierte Dokumentation der Befunde und der daraus re-
sultierenden An- ordnungen in ei- nem Visitenlog- buch gelegt wur- de, konnte sich ei- ne Visite leicht
über zwei bis drei Stun- den hinziehen. Der wei- tere Vormittag diente dem Fertigstellen der Entlassunterlagen, der Organisation von Un- tersuchungen oder der Tätigkeit in Ambulanz und Tagesklinik.
Meine breite interni- stische Ausbildung stieß auf Erstaunen. Die aus- geprägte Spezialisierung der Ärzte in Singapur zieht eine Flut an Konsul- tationen nach sich. So be- handelte in der hämato- logischen Abteilung der Kardiologe den Hypertonus, der Endokrinologe die Hypo- thyreose und der Gastroente- rologe das Ulcus duodeni – Probleme, die ein deutscher In- ternist alleine zu meistern weiß.
Als positiv empfand ich die bei- nahe täglich stattfindenden Fortbildungsveranstaltungen während der Mittagszeit,die oft mit einem Lunch verbunden wurden.Die Nachmittage dien- ten der Versorgung neu einge- wiesener Patienten und den oft aufwendigen Gesprächen mit den Angehörigen.
Ich habe das Jahr in Sin- gapur genossen.Als erste deut- sche Ärztin ließ sich diese Er- fahrung der Zulassungspro- bleme und der geringen Be- zahlung leider nur mit hohem Aufwand und persönlichen Einbußen realisieren.
Dr. med. Gudrun Tauchmann, E-Mail: dr.tauchmann@web.de
Langfassung im Internet:
www.aerzteblatt.de/plus4204
Als Ärztin in Singapur
Kampf um die Zulassung
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A2844 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 4215. Oktober 2004
Fotos:privat