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Archiv "Parasomnien im Erwachsenenalter" (23.08.2004)

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P

arasomnien sind durch unerwünsch- te Symptome, die im Schlaf auftre- ten, gekennzeichnet. Dabei beste- hen unterschiedliche Beziehungen zum REM- („rapid eye movement“-)Schlaf- stadium und den Non-REM-Schlafsta- dien 1 bis 4 (20). Systematische Klassi- fizierungen finden sich in der Inter- national Classification for Sleep Disor- ders (ICSD) (13), ICD-10 und DSM-IV.

Die Kodierungen von ICD-10 und ICSD werden in der Tabelle gegenüberge- stellt.

Die klinischen Gemeinsamkeiten der Arousalstörungen sind Verwirrtheit und Desorientiertheit, automatisches Verhal- ten, herabgesetztes Reaktionsvermögen gegenüber externen Stimuli, geringe Re- aktion auf Bemühungen, Wachheit her- zustellen, eine retrograde Amnesie für viele während der Ereignisse auftreten- de Vorgänge und das Auftreten meist im ersten Nachtdrittel aus dem Tiefschlaf (Non-REM 3 und 4) heraus(6).

Die Prävalenz liegt bei Kindern un- ter zwölf Jahren bei bis zu 12,5 Prozent, bei Erwachsenen bei ein bis vier Pro-

zent. Dabei ist die Rate bei Erwachse- nen eher als zu gering anzusehen, wie die zunehmende Zahl von Betroffenen in Schlaflabors zeigt.

Pavor nocturnus und Somnambulis- mus treten meist gemeinsam auf. Beim Pavor nocturnus kommt es zu einem einfachen Aufrichten, häufig begleitet von einem Schrei und zur Aktivierung des autonomen Nervensystems (Tachy- kardien, Tachypnoen, Hautrötung) mit intensiver Angst, unverständlichen Ver- balisationen, Zerren am Bettzeug oder Bewegungen der Arme. In sel- tenen Fällen erfolgt ein ab- ruptes Aufspringen aus dem Bett. Die Zustände dauern wenige Minuten.

Bei voll ausgeprägtem Som- nambulismus (Schlafwandeln) wird das Bett nach einem Arousal, meist aus dem Tief- schlaf, verlassen. Das Verhal- ten ist zielgerichtet und kom- plex, die Motorik vergröbert, das Reaktionsvermögen her- abgesetzt. Für das Ereignis besteht eine Amnesie, meist wird das Bett wieder aufge- sucht, wenn die Parasomnie in der häuslichen Umgebung auftritt. Da die Orientierung der Schlaf- wandler unvollständig ist, treten bei 20 Prozent der Betroffenen Selbstverlet- zungen auf. Weitere Symptome sind Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit (30 Prozent) und Tagesschläfrigkeit (50 Prozent).

Schlafwandeln ist häufig assoziiert mit anderen parasomnen Ereignissen (1) wie Somniloquie (Sprechen im Schlaf), Bruxismus, Enuresis. Entgegen der Literatur wird von 75 Prozent aller Schlafwandler intensives mit den Ereig- nissen assoziiertes Träumen erinnert.

Polysomnographisch kennzeichnend ist eine vermehrte Schlaffragmentierung, ein verminderter Anteil der langsam- welligen EEG-Aktivität (0,75 bis 4,5 Hz) gegenüber Kontrollen in der zwei- ten Hälfte des ersten Schlafzyklus (9)

Parasomnien im Erwachsenenalter

Zusammenfassung

Die Häufigkeit der Parasomnien und ihre Be- deutung für die betroffenen Patienten wird un- terschätzt. Die geäußerten Beschwerden sind vielfältig. Bei Schlafwandeln und Pavor noctur- nus ist Tagesmüdigkeit infolge von häufigen nächtlichen Arousals vorherrschend. Folgen des Bruxismus werden primär von Zahnärzten und Kieferorthopäden diagnostiziert. Bei Pati- enten mit degenerativen Erkrankungen, Intoxi- kationen und polymorbiden, mit vielen Medi- kamenten behandelten Patienten muss mit Verhaltensstörungen im REM-Schlaf gerechnet werden. Selbst- und Fremdverletzungen im Schlaf bedürfen diagnostischer und differenzi- aldiagnostischer polysomnographischer Ab- klärung. Parasomnien müssen von psychoge- nen dissoziativen Zuständen und Epilepsien abgegrenzt werden. Die nächtlichen Ereignisse sollten aus differenzialdiagnostischen Grün- den interdisziplinär beurteilt werden.

Schlüsselwörter: Somnambulismus, Pavor noc- turnus, REM-Schlaf-Verhaltensstörung, Bruxis- mus, Motorik im Schlaf

Summary

Parasomnias in Adults

The frequency of parasomnias and their im- portance in adults is often underestimated.

Sleepwalking and sleep terror cause daytime sleepiness due to frequent nocturnal arousals.

Dentists and orthodontists mainly diagnose consequences of bruxism. Many patients with degenerative diseases of the central nervous system, intoxication and intake of various medications can develop REM-sleep behaviour disorder. In case of injuries of the patient or their partners during sleep patients have to be examined by polysomnography. Parasom- nias have to be distinguished from psychoge- nic conditions and epilepsy. The nocturnal events should be examined interdisciplinary in order to consider all differential diagnoses.

Key words: somnambulism, pavor nocturnus, REM-sleep behaviour disorder, bruxism, move- ments during sleep

1Hephata Klinik (Direktor: Prof. Dr. med. Geert Mayer), Schwalmstadt-Treysa

2Neurologische Klinik (Direktor: Prof. Dr. med. Jean-Pierre Malin) Berufsgenossenschaftliche Kliniken Bergmanns- heil,Universitätsklinik Bochum

Geert Mayer1 Sylvia Kotterba2

M E D I Z I N

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bei insgesamt vermehrtem Tiefschlaf.

Der Tiefschlaf ist durch vermehrt auf- tretende Arousals unterbrochen (7).

Den Arousals gehen besonders bei jün- geren Individuen in der Polysomnogra- phie oft hochamplitudige Deltawellen (4) voraus (Grafik 1, 2).

Somnambule Ereignisse werden im Schlaflabor relativ selten registriert.

Der Einsatz von Provokationsmetho- den ist daher erforderlich (Schlafentzug über mehr als 24 Stunden mit nachfol- gender Lanzeitregistrierung über min- destens 24 Stunden, Namen rufen, Auf- stellen im Tiefschlaf (19). Viele Schlaf-

wandler kennen einen gewissen zeit- lichen Rhythmus, in dem die Störung auftritt. Zur Erhöhung der diagnosti- schen Sicherheit sollte die Schlaflabor- untersuchung in diesen Phasen gewählt werden.

Therapeutische Interventionen sind nur erforderlich, wenn Tagesschläfrig- keit oder eine Gefährdung durch Selbst- oder Fremdverletzung vorliegt. Eine Verhaltensberatung beinhaltet Schutz vor Verletzungen und Unfällen (Ver- schließen von Fenstern und Türen in der Nacht, Abpolsterungen, Vermeidung von Alkohol). Weitere nichtpharmako-

logische Therapien sind das antizipatori- sche Erwecken eine bis zweieinhalb Stunden nach dem Einschlafen (8) und die Vorsatzbildung mit Entspannungs- techniken (12). Dabei lernt der Patient, auf einen Reiz zu reagieren, der ihm sig- nalisiert, sich wieder ins Bett zu legen, wie zum Beispiel bei Bodenkontakt der Füße.

In der medikamentösen Behandlung wird den Patienten Clonazepam in ei- ner Dosierung von 0,5 mg etwa 30 Mi- nuten vor Schlafbeginn verabreicht, mit dem Ziel der Tiefschlafreduktion in der ersten Nachthälfte.

´ Tabelle ´

Unterschiedliche Formen der Parasomnien

Aufwachstörungen (Arousalstörungen)

ICSD ICD-10

307.46-2 Schlaftrunkenheit F51.8 Sonstige nichtorganische Schlafstörungen

307.46-0 Schlafwandeln F51.3 Schlafwandeln

307.46-1 Pavor nocturnus F51.4 Pavor nocturnus

Störungen des Schlaf-Wach-Übergangs

307.3 Schlafstörung durch rhythmische Bewegung F98.4 Stereotype Bewegungsstörungen

307.47-2 Einschlafzuckungen G47.8 Sonstige Schlafstörungen

307.47-3 Sprechen im Schlaf F51.8 Sonstige nichtorganische Schlafstörungen

729.82 Nächtliche Wadenkrämpfe R25.2 Krämpfe und Spasmen der Muskulatur

REM-Schlaf-assoziierte Parasomnien

307.47-0 Alpträume F51.5 Alpträume (Angstträume)

780.56-2 Schlaflähmung G47.4 Narkolepsie und Kataplexie

780.53-3 Beinträchtigung der Erektionen im Schlaf N48.8 Sonstige näher bezeichnete Krankheiten des Penis 780.56-4 Schmerzhafte Erektionen im Schlaf G47.0 + Ein- und Durchschlafstörungen und sonstige näher

N48.8 bezeichnete Krankheiten des Penis 780.56-8 REM-Schlaf abhängige Asystolie (Sinus-Arrest) I46.8 Sonstiger Herzstillstand

780.59-0 Verhaltensstörung im REM-Schlaf G47.8,G 25.8 Sonstige Schlafstörungen Andere Parasomnien

306.8 Bruxismus F45.8, G47.8 Sonstige somatoforme Störungen

780.56-0 Enuresis nocturna F98.0, G47.8 Nichtorganische Enuresis

780.56-6 Schlafbezogenes abnormes Schlucksyndrom F45.8, G47.8 Sonstige somatoforme Störungen 780.59-1 Nächtliche paroxysmale Dystonie G47.8 Sonstige Schlafstörungen 780.59-3 Syndrom des ungeklärten plötzlichen Todes R96.0 Plötzlich eintretender Tod

780.53-1 Primäres Schnarchen R06.5 Mundatmung

770.80 Kindliche Schlafapnoe P28.3 Primäre Schlafapnoe beim Neugeborenen

770.81 Kongenitales zentrales Hypoventilationssyndrom G47.8 Sonstige Schlafstörungen

798.0 Plötzlicher Kindstod G47.8 Sonstige Schlafstörungen

780.59-5 Benigner neonataler Schlafmyoklonus G47.8 Sonstige Schlafstörungen

780.59-9 Andere Parasomnien G47.8 Sonstige Schlafstörungen

(3)

Schlaf-Wach-

Übergangsstörungen

Schlaf-Wach-Übergangsstörungen tre- ten vorwiegend beim Übergang vom Wa- chen zum Schlafen, das heißt in Leicht- schlafphasen auf. Sie sind bis auf die rhythmischen Bewegungen auch in der Normalbevölkerung sehr häufig. Stress, Medikamente oder Alkohol sind Provo- katoren.

Rhythmische Bewegungsstörungen im Schlaf betreffen meist die großen Muskeln, typischerweise von Kopf und Nacken (13). Es werden mehrere Stö- rungstypen unterschieden:

❃Kopfanschlagen in anterior-posteri- or-Richtung (Jactatio capitis),

❃laterales Kopfrollen in Rückenlage,

❃Körperwiegen auf allen Vieren und

❃laterales Körperrollen auf dem Rük- ken („body rocking“).

Die Bewegungen dauern Sekunden bis Minuten und treten oft in jeder Nacht auf. Sie beginnen um den neunten Le- bensmonat, hören oft um das zehnte Le-

bensjahr auf, bleiben aber häufig bis ins Erwachsenenalter bestehen. Entschei- dend ist die Fremdanamnese und, sofern aufgrund von Verletzungen notwendig, der Nachweis in der Videoaufzeichnung.

Therapeutische Interventionen soll- ten nur durchgeführt werden, wenn ei- ne Selbstgefährdung entweder durch Verletzungen oder durch Tagesschläf- rigkeit vorliegt. Benzodiazepinrezeptor- agonisten und trizyklische Antidepres- siva haben einen positiven Effekt ge- zeigt, verschiedene verhaltensthera- peutische Maßnahmen, wie zum Bei- spiel das Einüben eines konkurrieren- den motorischen Verhaltens (Armbe- wegungen), sind Erfolg verprechend.

REM-Parasomnien

Die Verhaltensstörung im REM-Schlaf kann bei bis zu 0,5 Prozent (18) der Be- völkerung in unterschiedlicher Ausprä- gung auftreten. Sie ist gekennzeichnet durch die Aufhebung der physiologi-

schen Muskelatonie im REM-Schlaf.

Durch das Ausbleiben der motorischen Hemmung im REM-Schlaf kommt es zu motorischer Aktivität, die oft den Traum- inhalten entspricht. Häufiges heftiges Ausagieren der Trauminhalte kann zu er- heblicher Fremd- und Eigengefährdung führen. Die Häufigkeit der Attacken va- riiert von einmal in der Woche bis mehr- fach je Nacht an mehreren aufeinander- folgenden Nächten (21). Dabei unter- scheidet man als Verlaufsformen die aku- te passagere Form von der chronischen Form. Die akute wird meist durch medi- kamentöse Intoxikation oder Entzüge (zum Beispiel Antidepressiva, Alkohol) ausgelöst. Die chronische Form betrifft vorwiegend ältere Patienten. Ein Drittel dieser Patienten weisen ZNS-Schädigun- gen auf (vaskulär, toxisch-metabolisch, infektiös, degenerativ, traumatisch, neo- plastisch [5]). Bei den idiopathischen Formen haben in Verlaufskontrollen bis zu 65 Prozent der Betroffenen Parkin- sonsyndrome oder Demenzen ent- wickelt (22). Polysomnographisch finden

Polysomnographie einer 41-jährigen Patientin mit Somnambulismus Grafik 1

Das Schlafwandeln erfolgt aus Tiefschlaf (Stadium 3) mit > 20 Prozent Theta- und Deltaaktivität >75uV.

(4)

sich entgegen der physiologischen Mus- kelatonie im REM-Schlaf phasische und tonische Muskeltonuserhöhungen des Musculus mentalis, die von Muskelbewe- gungen der Extremitäten begleitet wer- den oder isoliert auftreten. Selbst wenn sich die Patienten verletzen, erwachen sie nicht. Werden sie geweckt, können sie sich aber meist an Träume erinnern, de- ren Inhalt mit dem beobachteten Verhal- ten übereinstimmen kann. Die Träume handeln überwiegend von Angriffen, in deren Folge der Träumer sich verteidigt oder flieht. Häufig wird der Bettpartner fälschlicherweise für den Angreifer ge-

halten und misshandelt. Die Inhalte sind nie sexueller Natur (Grafik 3).

Die Therapie der ersten Wahl besteht in der Gabe niedrigdosierten Clonaze- pams (0,5 mg) vor dem Schlafengehen.

Clonazepam unterdrückt phasische Mus- kelaktivität im REM.Auch bei langjähri- ger Clonazepam-Einnahme treten keine Toleranzbildung oder Wirkverlust ein.

Einige Patienten scheinen von einer The- rapie mit Melatonin zu profitieren (15), das die Muskelatonie im REM-Schlaf wiederherstellen soll.

Unklassifzierte Parasomnien

Die ICSD definiert Bruxismus als eine stereotype Bewegungsstörung, die durch Zähneknirschen oder Zusammenbeißen der Zähne gekennzeichnet ist. Bruxis-

muspatienten werden vorwiegend von Zahnärzten oder Kieferchirurgen behan- delt. Die Prävalenz wird auf sechs bis zwölf Prozent geschätzt (16), am stärk- sten betroffen ist die Altersgruppe der 20- bis 50-Jährigen.

Die diagnostischen Kriterien fordern eines der folgenden Symptome: Zähne- knirschen oder Zusammenbeißen im Schlaf mit abnormer Abnutzung der Zähne, Geräuschen im Rahmen des Bru- xismus oder Schmerzen oder Ermüdung der Kiefermuskulatur, Kopfschmerzen.

Polysomnographisch zeigt sich eine vermehrte Aktivität der Kiefermuskula-

tur im Schlaf (Aktivität von mindestens 20 Prozent der maximalen Willkürkon- tration, im Wachen bei der phasischen Variante mindestens drei Entladungen von 0,25 bis zwei Sekunden, bei fortlau- fender Aktivität Dauer von mehr als zwei Sekunden für tonische Ereignisse).

Zur Therapie empfehlen sich folgende Vorgehensweisen: Okklusale Fehlstel- lungen können erfolgreich operiert wer- den. Aufbissschienen mindern die Ge- räusche, nicht jedoch den Aufbissdruck der Kaumuskulatur und die damit ver- bundenen Schmerzen und Beschwerden.

Biofeedback wirkt nur sehr kurzfristig, akustisches Feedback kann Schlafstörun- gen verschlimmern. Gammahydroxy- buttersäure reduziert Bruxismus deut- lich. Botulinustoxinbehandlungen kön- nen durchgeführt werden, wirken aber nur zeitbegrenzt symptomatisch. Da bei

vielen Bruxismuspatienten die Störung in Stresssituationen verstärkt ist, soll- te bei persistierenden Beschwerden ei- ne psychologische Intervention durchge- führt werden.

Pathogenese der Parasomnien

Vom frühen Fetalstadium bis zu drei Monaten nach der Geburt treten endo- gen generierte generelle Bewegungen auf (10), die Kopf, Extremitäten und Rumpf ohne ein bestimmtes Muster oder eine bestimmte Abfolge einbe-

ziehen. Die Ähnlichkeit fetaler Bewegungsmu- ster mit elektrophysiolo- gischen Mustern der Pa- rasomnien legt nahe, dass ein unzureichender Rei- fungszustand der hem- menden zentralen Zen- tren der Motoneuro- ne besteht. Parasomnien können vom Kindes- bis in das Erwachsenenalter persistieren oder nach vorübergehendem Sistie- ren im Erwachsenenalter erneut auftreten. Plötzli- che Wechsel von Wach/

NREM/REM lassen sich bei Analyse der polysom- nographischen Mikro- struktur nicht nur bei den Parasomnien finden,son- dern auch bei anderen organischen Er- krankungen. Sie reichen von subklini- schen Verhaltensstörungen im REM- Schlaf bei Multi-Systematrophie bis hin zur posttraumatischen Stressstörung. Lo- komotorische Zentren zwischen Medul- la und Mesencephalon zeigen abhängig vom Wachzustand oder REM-Schlaf un- terschiedliches Verhalten bezüglich Inhi- bition und Stimulation der Motoneuro- ne. Stimulation des Nucleus pontis oralis (NPO) und Nucleus gigantocellularis im Tierversuch erregt lumbale Motoneuro- ne im Wachzustand und hemmt sie im REM-Schlaf. Das Hypocretinsystem projiziert in beide Kerne. Experimentell lässt sich darstellen, dass Hypocretin auf segmentalen Ebenen die NPO-induzierte Motoneuroninhibition im REM-Schlaf verstärkt (23). In Tierversuchen zeigte sich, dass Verhaltensstörungen im REM- Hypnogramm einer 41-jährigen Patientin mit Somnambulismus

Schlafstadien links angegeben; Schlafwandeln erfolgt aus Tiefschlaf (Stadium 3) Grafik 2

(5)

Polysomnographie eines Patienten mit Verhaltensstörung im REM-Schlaf

a) REM-Schlaf mit kompletter Hemmung des Muskeltonus (Normalfall); b) Der Muskeltonus ist im REM-Schlaf erhalten (Musculus submentalis, Musculi tibiales) und ermöglicht so eine Bewegung des Patienten.

Grafik 3

(6)

Schlaf Folge kleiner Läsionen des peri- Locus-Coeruleus sind. Beim Menschen kommen Dissoziationen von Kompo- nenten von Schlaf-Wach-Zuständen bei hypothalamischen, thalamischen und Hirnstammläsionen, pharmakogenen In- toxikationen und pharmakogen oder to- xisch bedingten REM-Rebound-Phäno- menen (zum Beispiel Delirien) vor.

Bei SPECT- („single photon emmisi- on computed tomography“-)Untersu- chungen von Schlafwandlern fanden Bassetti et al. (2) eine Verminderung des regionalen Blutflusses in den frontopa- rietalen Assoziationscortex und eine Zu- nahme im Gyrus cinguli und anteriorem Cerebellum. Die Autoren interpretieren den Befund als motorische, vegetative und emotionale Stimulation im Gyrus cinguli mit Verminderung der Selbst- wahrnehmung durch Beeinträchtigung des frontalen Cortex.

Genetik

Kohortenstudien, epidemiologische Un- tersuchungen und Zwillingsforschung geben Hinweise für einen hohen geneti- schen Anteil beim kindlichen und er- wachsenen Somnambulismus (3, 11, 14), bei Schlaflähmungen und der Som- niloquie. Wie Narkolepsie und Verhal- tensstörung im REM-Schlaf scheint Schlafwandeln mit dem Allel DQB1*05 assoziiert zu sein (17).

Diagnostik

Die Parasomnien erfordern eine genaue diagnostische Abklärung, wenn sie zu selbst- oder fremdgefährdenden nächt- lichen Verhaltensweisen führen oder durch die gehäufte nächtliche Aktivie- rung mit einer vermehrten Tagesschläf- rigkeit einhergehen.

Die Diagnostik der Parasomnien ist im Erwachsenenalter schwieriger als im Kindesalter. Bei Kindern besteht eine Assoziation zu gewissen Entwicklungs- stadien (Somnambulismus und Pavor nocturnus vorwiegend im vierten bis achten Lebensjahr, Schlafstörungen durch rhythmische Bewegungen vor- wiegend in den ersten beiden Lebens- jahren). Bei Erwachsenen sind umfang- reiche Differenzialdiagnosen zu beden-

ken. Anamnestisch müssen medika- mentöse, toxische oder psychiatrische (insbesondere dissoziative Störungen) Ursachen ausgeschlossen werden. Es sollte eine zerebrale Bildgebung (vor- zugsweise mit der Kernspintomogra- phie) durchgeführt werden. Neben der Labordiagnostik ist bei unklaren Fällen unter Umständen eine Liquorpunktion zum Ausschluss eines entzündlichen ZNS-Prozesses notwendig.

Insbesondere ist eine Abgrenzung ge- gen komplex-partielle Anfälle erforder- lich. Die polysomnographische Untersu- chung muss daher videokontrolliert mit mindestens 16 EEG-Kanälen zum Aus- schluss von Epilepsien vorgenommen werden. Kanäle für Bewegungen der Ex- tremitäten und Atmung zur Differenzi- aldiagnose von Arousals anderer Ursa- chen (zum Beispiel Restless-Legs-Syn- drom und schlafbezogener Atmungs- störungen) sind obligatorisch. Bei Arou- salstörungen (Schlafwandeln und Pavor nocturnus) sind zur Diagnostik häufig Provokationsmethoden wie Schlafent- zug, sinnvolle verbale Stimulation oder Hinstellen notwendig. Ergänzende In- formationen kann eine mobile 24-Stun- den-EEG-Registrierung unter stationä- ren Bedingungen bringen.

Die Polysomnographie dient auch der Diagnostik weiterer komorbider Schlaf- störungen. Eine Assoziation mit dem ob- struktiven Schlafapnoe-Syndrom ist häu- fig, Parasomnien können sogar durch die Arousal nach den Apnoen ausgelöst wer- den (9). Parasomnien können gelegent- lich die Ursache verbleibender Tagesmü- digkeit trotz suffizienter nCPAP- („nasal continuous positive airway pressure“-) Therapie sein. Sie können aber auch zu einer insuffizienten Nutzung der nCPAP- Therapie führen, wenn die Maske in pa- rasomnischen Phasen unbewusst abge- setzt wird.

Gutachterliche Aspekte

Eine Parasomnie bedingt keine Schwer- behinderung eingestuft nach GdB (Grad der Behinderung) oder Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), weil sie, falls notwendig, adäquat behandelt werden kann. Von Interesse sind seltene nächtli- che Straftaten, für die eine Amnesie be- steht und bei denen das Schlafwandeln

häufig als Ursache angegeben wird, um eine Exkulpierung zu bewirken. Außer einer eindeutigen Fremdanamnese über ein vorbekanntes Schlafwandeln sind zur Abklärung polysomnographische und Langzeit-EEG-Untersuchungen er- forderlich. Straftaten, die eine gezielte Planung voraussetzen, können nicht während „schlafwandlerischer Phasen“

durchgeführt werden, da Schlafwandeln per Definition und Beobachtung kein hochgradig differenziertes Handeln ge- stattet.

Fazit für die Praxis

Die Pathophysiologie und Genetik eini- ger Parasomnien sind in den letzten Jah- ren erfolgreich erforscht worden. Wäh- rend Parasomnien im Kindesalter in der Regel harmlos sind, können sie im Er- wachsenenalter unter bestimmten Um- ständen zu Eigen-, Fremdgefährdung oder zu Leistungsminderung am Tage führen. Psychiatrische Erkrankungen, pharmakologische- und Genussmittel- einflüsse sowie komplex-partielle Anfäl- le müssen differenzialsdiagnostisch aus- geschlossen werden. Polysomnographi- en mit Videokontrolle sollten erst dann stattfinden, wenn die Differenzialdia- gnose klinisch nicht zu stellen ist. Eine Verhaltens- oder medikamentöse Thera- pie ist angezeigt bei beeinträchtigender Symptomatik. Eine medizinische Bera- tung und gegebenenfalls eine Abklärung wird bei allen Erwachsenenparasomni- en empfohlen.

Manuskript eingereicht: 15. 8. 2003, revidierte Fassung an- genommen: 21. 4. 2004

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2004; 101: A 2323–2328 [Heft 34–35]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturver- zeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet un- ter www.aerzteblatt.de/lit3404 abrufbar ist.

Anschrift für die Verfasser:

Priv.-Doz. Dr. med. Sylvia Kotterba Neurologische Klinik und Poliklinik

Berufsgenossenschaftliche Kliniken Bergmannsheil Universitätsklinik

Bürkle-de-la-Camp-Platz 1, 44789 Bochum E-Mail: sylvia.kotterba@ruhr-uni-bochum.de

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Literaturverzeichnis Heft 34–35/2004

Parasomnien im Erwachsenenalter

Geert Mayer1 Sylvia Kotterba2

Referenzen

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