M E D I Z I N
Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 97½½Heft 27½½7. Juli 2000 AA1907
BFNC): Durch einen verminderten Ka- liumstrom wird die Repolarisation ge- hemmt, mit der Folge einer Übererreg- barkeit der Kardiomyozyten bezie- hungsweise einer Verlängerung des Ak- tionspotenzials (52). Beim Typ 3 ist der herzmuskuläre, spannungsgesteu- erte Natriumkanal betroffen (Grafik);
die Pathophysiologie ist den skelett- muskulären Natriumkanalerkrankun- gen analog (26, 32, 36).
Das idiopathische Kammerflimmern (Brugada-Syndrom) ist allelisch zu LQT-3, die bisher nachgewiesenen drei Mutationen in SCN5A (Grafik)führen jedoch zu weitaus gravierenderen Funk- tionsänderungen des Natriumkanals, nämlich zu einem Funktionsverlust durch frühen Kettenabbruch oder zu gravierenden Veränderungen der Span- nungsabhängigkeit des Kanals (15).
Da eine Sympathikusaktivierung Hauptursache der Attacken ist, helfen therapeutisch ß-Blocker. Ferner wird die Indikation zur Implantation eines Defibrillators diskutiert, insbesondere nach bereits stattgehabten klinischen Ereignissen, wie Synkopen. Die Inzi- denz des Kammerflimmerns ist beim Long-QT-Syndrom gering, beim Bru- gada-Syndrom jedoch hoch. Deshalb sollte hier auch bei bisher asymptomati- schen Patienten mit nachgewiesener Mutation die Indikation zum Defibril- lator mit dem Patienten diskutiert wer- den (10).
Erworbene Kanalkrankheiten
Neben den erblichen Ionenkanaler- krankungen gibt es erworbene Störun- gen, die zur Gruppe der Autoimmuner- krankungen gehören. In diesen Fällen ist das Autoantigen ein Ionenkanal.
Das bekannteste Beispiel ist die My- asthenia gravis, bei der Autoantikörper gegen den nikotinischen Acetylcholin- rezeptor der neuromuskulären End- platte gebildet werden, was zu einer Mukelschwäche führt. Ein klinisch ähn- liches Bild bietet das paraneoplastische Lambert-Eaton-Syndrom, bei dem sich die Antikörper gegen präsynaptische Calciumkanäle der neuromuskulären Synapse richten. Eine weitere Form der Myotonie wird nicht durch eine Erre- gungsstörung der Skelettmuskelfaser-
Unter zunehmendem Bettendruck müs- sen häufig nachts Patienten von Intensiv- stationen auf Normalstationen verlegt werden. Eine Londoner Untersuchung an über 30 000 Patienten konnte zeigen, dass diese Praxis insgesamt zu einer Ver- schlechterung des klinischen Verlaufs führt. So zeigte sich, dass Intensivpati- enten, die zwischen 22 und 7 Uhr verlegt wurden, eine signifikant höhere Kran-
kenhausmortalität aufwiesen als Pati- enten, die tagsüber verlegt wurden. Als mögliche Konsequenz fordern die Au- toren eine Aufstockung der Intensivka-
pazitäten. acc
Goldfrad C, Rowan K: Consequences of discharges from intensive care at night. Lancet 2000; 355: 1138–42.
K Rowan, Intensive Care National Audit & Research Cent- re, Tavistock House, Tavistock Square, London WC1H 9HR, England.
membran, sondern der peripheren Ner- ven verursacht: Bei der Neuromyotonie werden Antikörper gegen präsynapti- sche Kaliumkanäle der neuromus- kulären Synapse gebildet. Die Rasmus- sen-Enzephalitis, eine Epilepsie des Kindesalters, wird durch Antikörper gegen zentrale Glutamatrezeptoren hervorgerufen.
Genetische Diagnostik
Auch im Zeitalter der Molekulargene- tik steht an erster Stelle in der Diagno- stik aller hier genannten Erkrankungen natürlich das klinische Bild mit Anam- nese und Familienanamnese sowie der Nachweis der genannten typischen kli- nischen Symptomatik. Bei manchen Er- krankungen stehen ferner elektrophy- siologische Zusatzuntersuchungen und/
oder Provokationstests zur Verfügung (zum Beispiel EMG bei den Myotoni- en, hyper- oder hypokaliämische Bela- stung bei den periodischen Paralysen, körperliche Anstrengung zur Auslö- sung von episodischen Ataxien und an- dere). Mit diesen Methoden kann in den meisten Fällen die Diagnose und damit die Prognose zuverlässig geklärt werden.
Durch die Entdeckung der geneti- schen Defekte wurden exaktere Dia- gnosen möglich. Es zeigte sich zum Bei- spiel, dass viele der klinisch vermuteten Chloridkanalmyotonien in Wirklichkeit durch Punktmutationen im Natriumka- nal hervorgerufen werden. Wissen- schaftlich ist die Suche nach Mutatio- nen vor allem bei neueren Ionenkanal- erkrankungen von Interesse, bei denen
bisher nur eine begrenzte Anzahl von Mutationen gefunden wurde und man durch die Charakterisierung der funk- tionellen Defekte neuer Mutationen die Pathophysiologie weiter aufklären kann. Andererseits ist die molekularge- netische Diagnostik sehr aufwendig und kostenträchtig, was ihre Anwen- dung für die Routinediagnostik limi- tiert. Da zum Beispiel für den skelett- muskulären Chloridkanal circa 40 Mu- tationen beschrieben sind, kann für die Routine nur nach den häufigsten Muta- tionen gesucht werden. Für die im La- bor tätigen Wissenschaftler ist dafür ei- ne exakte klinische Beschreibung essen- ziell, damit gezielt im richtigen Gen zu- erst nach den wahrscheinlichsten Muta- tionen gesucht werden kann. Adressen der Labors in Deutschland, die eine ge- netische Diagnostik bei den aufgeführ- ten Erkrankungen anbieten, können über die Verfasser erfragt werden.
Wir danken Herrn Professor Dr. med. Albert Ludolph für wertvolle Diskussionsbeiträge und Herrn Priv.-Doz. Dr.
med. Matthias Kochs für die Durchsicht des Abschnitts
„Familiäre kardiale Arrhythmien“. Die Arbeiten wurden ge- fördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung/Interdisziplinäres Zentrum für klinische For- schung Ulm.
❚Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 2000; 97: A-1902–1907 [Heft 27]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.
Anschrift für die Verfasser:
Prof. Dr. med. Frank Lehmann-Horn Abteilung für Angewandte Physiologie Universität Ulm
Albert-Einstein-Allee 11 89069 Ulm
E-Mail: frank.lehmann-horn@medizin.uni-ulm.de
Nächtliche Verlegung von Intensivstationen
Referiert