Zur Fortbildung Aktuelle Medizin KONGRESSBERICHT
Inwieweit Arzneimittel ursächlich für Verkehrsunfälle verantwortlich zu machen sind, ist unklar. Man- che Autoren sprechen von 20 Pro- zent, andere von 60 Prozent. Ge- nau kann man das nicht sagen, weil es keine verläßlichen Zahlen gibt. Hingegen muß festgestellt werden, daß die Wirkung von Arz- neimitteln von den Verkehrsteil- nehmern (und dazu gehören nicht nur Autofahrer, sondern auch z. B.
Radfahrer und Fußgänger) sicher viel zuwenig beachtet wird. Auf- klärend zu wirken ist Sache von Ärzten, Zahnärzten, Apothekern.
Pharmakologen, Mediziner und Juristen haben in Würzburg, Frankfurt und Münster überein- stimmend die Eigenverantwort- lichkeit des Kraftfahrers in den Vordergrund gestellt.
Für körperliche und geistige Män- gel in bezug auf die Verkehrssi- cherheit sei immer der Fahrer ver- antwortlich, betonte auch Bundes- richter a. D. Dr. Spiegel. Allerdings setze diese Eigenverantwortlich- keit Kenntnisse voraus, die zu ver- mitteln seien.
Erster Informant ist der Arzneimit- telhersteller, der Hinweise auf dem Beipackzettel angeben muß, so- fern die Fahrsicherheit durch das betreffende Medikament beein- trächtigt werden könnte. Ob es ei- ne Art „Produkthaftung" oder
„Produzentenhaftung" gibt, ist strittig. Der Standpunkt des Her- stellers ist hier anders als der des Juristen. Entsprechende Informa- tionen muß auch der Arzt vermit- teln; inwieweit dieser verkehrsme-
dizinische Risiken abzuschätzen weiß, hängt sicherlich mit seinen pharmakologischen Kenntnissen zusammen. Sind Medikamente nicht verschreibungspflichtig, liegt die Informationspflicht beim Apotheker.
Vielleicht wird die Gefahr auch überschätzt. So wies Pharmakolo- ge W. Forth, München, darauf hin, daß sich mit dem Alter der Medika- mentenverbrauch zwar mehre, die über 60jährigen laut Statistik aber kaum Unfälle verursachten, hinge- gen sei die Unfallzahl bei den 20- bis 25jährigen, die in der Regel weniger oder keine Medikamente erhielten oder einnähmen, am größten..
M. R. Möller und H. J. Wagner, Institut für Rechtsmedizin der Saar-Universität in Homburg, ha- ben, wie sie in Münster mitteilten, im Rahmen eines Forschungspro- jektes zum Nachweis von Medika- menteneinnahme bei verkehrsauf- fälligen Verkehrsteilnehmern in 18,2 Prozent aller Fälle verkehrs- medizinisch relevante Arzneimittel nachweisen können. Meist lag Me- dikamenteneinnahme in Kombina- tion mit Alkohol vor.
Möller und Wagner kommen zu dem Schluß, daß in der Bundesre- publik Deutschland vermutlich 20 bis 25 Prozent der festgestellten Unfälle, bei denen den verantwort- lichen Fahrern eine Blutprobe mit weniger als 0,8 Promille Blutalko- holgehalt entnommen wurde, im wesentlichen auf Arzneimittelein- fluß zurückgehen dürften. Sie for- derten daher, daß — konsequenter-
weise — alle verkehrsauffälligen Kraftfahrer über Arzneimittelein- nahme und Erkrankungen befragt werden sollten, damit bei entspre- chend positiven Angaben in ver- mehrtem Maße Urin- und Blutpro- ben zur Aufdeckung des wahren Ausmaßes einer Arzneimittelbe- einflussung entnommen werden könnten.
G. Hildebrandt und L. Pöllmann, Institut für Arbeitsphysiologie und Rehabilitationsforschung der Uni- versität Marburg, die die „Tages- rhythmische Änderung der Zahn- schmerzschwelle" untersucht ha- ben, führten zum Gesichtspunkt
„Arzneimitteleinnahme und Ver- kehrssicherheit" aus, daß ganz spontan nachts die Empfindlich- keit gegen Zahnschmerz erhöht sei, während die Wirksamkeit schmerzlindernder Tabletten oder von Lokalanästhesie-Injektionen vermindert sei.
Das verführe zur Einnahme über- großer Mengen von Schmerzmit- teln, wodurch die Nebenwirkun- gen erheblich ansteigen müßten.
Schmerzmittel aber linderten nicht nur den Schmerz, sondern verlangsamten oder dämpften auch andere wichtige Körperfunk- tionen, was sich im Straßenver- kehr negativ bemerkbar machen könne. Schon die Medikation
„einfacher" Zahnschmerzen müs- se daher genau bedacht werden.
Daß die Einwirkung von Psycho- pharmaka, Antirheumatika, Seda- tiva und dergleichen — z. B. im Rahmen gegenseitiger Wechsel- wirkungen oder in Verbindung mit Alkohol — weit höher eingeschätzt werden muß, liegt zwar klar auf der Hand, bedarf indes noch der Erforschung, um verkehrsmedizi- nisch relevante Daten vorlegen zu können.
Die Tagungen in Würzburg bzw. in Frankfurt und in Münster gaben zwar mancherlei Antworten, vor allem aber zeigten sie die ganze Spannweite eines Problems auf, bei dem jeder Lösungsschritt neue Fragen aufwirft. GM
Medikamenteneinnahme
und Sicherheit im Straßenverkehr
Bericht über die Klausurtagung „Medizin und Verkehr"
der Medizinisch-Pharmazeutischen Studiengesellschaft in Würzburg, die anschließende Pressekonferenz der Gesellschaft in Frankfurt am Main und über das 4. Verkehrssymposium Verkehrsmedizin des ADAC in Münster
Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 12 vom 25. März 1983 65