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Archiv "Interview mit Hans-Olaf Henkel „Ich möchte ein Anwalt für die Wissenschaft sein“" (06.07.2001)

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Sie sind der erste Repräsen- tant aus der Wirtschaft, der nun einer großen Wissenschaftsgemein- schaft vorsteht . . .

Henkel:Nicht ganz. Karl Bosch hatte in den 20er-Jahren die Kaiser-Wilhelm- Gesellschaft – die heutige Max-Planck- Gesellschaft – geleitet. Allerdings bin ich heute der einzige Nicht-Wissen- schaftler, der eine derartige Organisa- tion führt.

DÄ:Welche Ziele haben Sie sich für Ihre Amtszeit gesetzt?

Henkel:Ich möchte im wesentlichen drei Punkte verfolgen: Erstens werde ich mich für die langfristigen Interessen der einzelnen Institute einsetzen. Dafür wurde ich gewählt. Dazu ein aktuelles Beispiel: Ein international renommier- ter Forscher eines unserer Institute im Osten Deutschlands hat einen Ruf aus dem Ausland erhalten. Sein Abwandern wäre ein schwerer Schlag für das Institut, die Leibniz-Gemeinschaft und vor allem für den Osten, denn dort haben wir so- wieso viel zu wenig Wissenschaftler. Al- so versuche ich in zahlreichen Ge- sprächen, auch mit dem Ministerpräsi- denten, das entsprechende Bundesland zu bewegen, das Institut finanziell adä- quater auszustatten, um den Forscher in letzter Minute noch zu halten.

Ein mehr strategisches Beispiel: Der Wissenschaftsrat hat die Mehrheit der Institute mit „gut“ oder sogar „sehr gut“

beurteilt und Vorschläge für eine weitere Verbesserung ihrer Arbeit gemacht. Ich möchte dafür sorgen, dass diese auch in die Tat umgesetzt werden und über- haupt mehr Wettbewerbselemente in die Forschungsarbeit eingeführt werden.

Zweitens ist mir aufgefallen, dass nur wenige Leute mit dem Begriff Leibniz-

Gemeinschaft etwas verbinden können, sie assoziieren es bestenfalls mit dem Leibniz-Preis oder den Leibniz-Kek- sen, aber nicht mit 78 hochkompeten- ten Wissenschaftsinstituten. Es ist an der Zeit, die Bedeutung der WGL auch gegenüber den Zuwendungsgebern und der Öffentlichkeit darzustellen. Und

schließlich möchte ich mich auch als Anwalt der gesamten Wissenschafts- szene in Deutschland engagieren. Für jedes Anliegen der Gesellschaft gibt es einen oder mehrere eloquente Sprecher – für die Banken, die Versicherungen, den Fußball und auch für die Ärzte – aber es gibt bisher niemanden, der re-

gelmäßig und mit klarer Sprache die langfristigen Interessen der Wissenschaft vertritt. Als Externer und ehrenamtlich Tätiger bin ich viel unabhängiger.

DÄ:Wo liegen die Stärken der WGL?

Henkel:Zum Beispiel in ihrer Vielfalt.

Die WGL unterscheidet sich von den drei anderen großen Forschungsgemeinschaf- ten (Max-Planck, Helmholtz und Fraun- hofer) dadurch, dass sie mit ihren 78 hochkarätigen Instituten fast das gesamte wissenschaftliche Spektrum abdeckt. Die gute Beurteilung durch den Wissen- schaftsrat hat die meisten, auch die ande- ren Wissenschaftsorganisationen, die im- mer gern auf die WGL als einen „Ge- mischtwarenladen“ herabgeschaut ha- ben, positiv überrascht. Die Beurteilung ist insofern besonders bemerkenswert, als die WGL die einzige Wissenschaftsge- meinschaft ist, deren Institute systema- tisch, zum großen Teil bereits mehrfach extern, begutachtet wurden.

Als weitere Stärke der WGL erachte ich, dass sie von den Wissenschaftsge- meinschaften am weitesten dem födera- len Prinzip der Bundesrepublik ent- spricht. Da die Finanzierung im Schnitt jeweils zur Hälfte durch Bund und Län- der erfolgt, haben auch die Länder eine Stimme und damit großes Interesse an ihrer Arbeit.

DÄ: Ergaben sich bei der externen Beurteilung für einige Institute auch ne- gative Konsequenzen?

Henkel: Ja, es wurden ein halbes Dutzend Institute geschlossen, drei wur- den drastisch umstrukturiert und ver- kleinert. Dadurch konnte die WGL noch weiter an Qualität gewinnen.

Auf der anderen Seite stehen zahl- reiche Institute auf der Warteliste für ihren Eintritt in die WGL.

DÄ:Welche Schwächen hat die WGL Ihres Erachtens?

Henkel: Die Schwächen liegen mei- stens auf der Kehrseite der Stärken. Dies betrifft unter anderem die Finanzierung, wie ein aktuelles Beispiel zeigt. Wenn das Land Berlin aus Ersparnisgründen nur eine Mark von den 16 WGL-Institu- ten, die im Berliner Raum installiert sind, abzieht, müssen der Bund und die übrigen an der Finanzierung beteiligten Bundesländer aufgrund der Kofinanzie- rung zwei Mark zurückziehen. In diesem Fall verkehrt sich die Stärke der Bund- Länder-Finanzierung in eine Schwäche.

P O L I T I K

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A1800 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 27½½½½6. Juli 2001

Interview mit Hans-Olaf Henkel

„Ich möchte ein Anwalt für die Wissenschaft sein“

Der kämpferische und präzise formulierende Industriemanager hat am 1. Juli die Präsidentschaft der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz (WGL) übernommen.

DÄ:

Hans-Olaf Henkel über Gottfried Wil- helm Leibniz: „Er war ein Universalge- nie, das sich in fast allen Bereichen der Wissenschaften auskannte, und ein ge- schätzter Gesprächspartner aller Mäch- tigen seiner Zeit. Durch Aufklärung wollte er einen Beitrag zur Entwicklung der Gesellschaft leisten.“

Foto: ddp

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Ich rede bereits darüber mit der neuen Berliner Senatorin Frau Göhler.

DÄ:Von 78 WGL-Instituten liegen 34 in den neuen Bundesländern . . .

Henkel: Ja, trotzdem kommen in Ostdeutschland auf 1 000 Menschen nur ein Wissenschaftler, in Westdeutschland vier und in Japan acht. Meines Erach- tens ist dies einer der Gründe, weshalb sich der Aufholprozess in den östlichen Bundesländern so dahinschleppt. Wir müssen uns mehr um die Wissenschaft im Osten kümmern. Die Öffentlichkeit und die nicht mit Forschungsfragen be- fassten Politiker haben die Bedeutung von Forschungsinvestitionen für die Ge- sundung der ostdeutschen Wirtschaft noch nicht begriffen. So sollten wir in Zukunft im Osten nicht mehr die Milli- arden nach dem Gießkannenprinzip für ABM-Maßnahmen oder durch künstli- che Infrastrukturinvestitionen vertei- len. Die produktivste Investition für den dortigen Arbeitsmarkt sind Investitio- nen in Forschung und Entwicklung.

Außerdem verhindern solche Arbeits- plätze die anhaltende Abwanderung der kompetenten jungen Leute.

DÄ:Mit ihrem Namen verbindet man effizientes Industrie-Management. Wol- len Sie verkrustete Forschungsstruktu- ren in Deutschland aufbrechen?

Henkel:Da gäbe es sicherlich das eine oder andere zu tun. Aber ich bin nicht angetreten, um das gesamte Forschungs- system in Deutschland zu ändern. Das ist zunächst Aufgabe der Forschungsge- meinschaften und in zweiter Linie der Verantwortlichen im Bund und in den Ländern. Aber ich werde mich für die nötigen Veränderungen überall einset- zen, gefragt und ungefragt. Und das nicht nur bei der Politik, sondern auch bei meinen ehemaligen Kollegen. Die Industrie hat selbst viel zu wenig Investi- tionen in Forschung und Entwicklung im Osten des Landes vorgenommen.

DÄ:Gab es denn auch Bedenken ge- gen einen Industriemanager an der Spit- ze einer Wissenschaftsorganisation?

Henkel: Klar, einige fürchten, ich würde die Produktforschung für wich- tiger halten als die Grundlagenfor- schung. Das ist unbegründet. Die Be- deutung der Grundlagenforschung ist mir nicht zuletzt während meiner Tä- tigkeit bei IBM bewusst geworden.

Schließlich hatten wir fünf Nobel-

preisträger im Konzern, die alle für die Leistungen in der Grundlagenforschung ausgezeichnet wurden. Keine Angst, ich bin nicht das Trojanische Pferd der Industrie in der WGL.

Nicht nur die Grundlagenforschung ist wichtig, sondern auch die Bedeutung des Staates in diesem Bereich. Denn in einem marktwirtschaftlich orientierten System wird man Grundlagenforschung kaum privat organisieren können. Un- ternehmer, selbst die ausgewiesenen Strategen unter ihnen, denken doch kaum in Zeiträumen wie Dekaden. In der Forschung muss man das aber.

DÄ: Strebt die WGL internationale Kooperationen an?

Henkel:Auf jeden Fall. Wir müssen aber präsenter in Brüssel sein. In der Vergangenheit wurde so manche Fi- nanzspritze aus dem Topf der Europäi- schen Union vergeben. Ich werde mei- ne persönlichen Kontakte auch in Brüs- sel nutzen.

DÄ:Der WGL gehören auch nam- hafte Institute aus den Lebenswissen- schaften an. Welche Position beziehen Sie hinsichtlich der derzeitig geführten Diskussion um die embryonale Stamm- zellforschung?

Henkel: Ich bin auf diesem Gebiet kein Spezialist. Bei Gesprächen mit vie- len aus der Wissenschaftsszene habe ich jedoch feststellen müssen, dass die Rede von Bundespräsident Johannes Rau ei- nen seltsamen Eindruck in der For-

schungslandschaft hinterlassen hat. Man fragt sich, wieso man sich mit Selbstver- ständlichkeiten wie, dass nicht alles öko- nomisch Mögliche auch gemacht werden muss, auseinandersetzt. Das ist in der Wirtschaft und der Wissenschaft eine Selbstverständlichkeit. Ich habe mich in meinem alten Job immer wieder darüber geärgert, dass sich oft Politik an Positio- nen abarbeitet, die kein ernst zu nehmen- der Vertreter in der Wirtschaft oder in der Wissenschaft einnimmt. Übrigens, nach meiner Empfindung hat Hubert Markl, der Präsident der Max-Planck- Gesellschaft, dazu eine gute und ausge- wogene Position bezogen.

DÄ:Welche Bereiche der Forschung interessieren Sie persönlich?

Henkel: Alles Neue. Letzte Woche war ich im WGL-Institut für Kri- stallzüchtung. Obwohl ich mich in der IBM auch jahrelang mit Chips, Silizi- um-Wavern und Gallium-Arsenid be- fasst habe, habe ich jetzt zum ersten Mal gesehen, wie man Kristalle züch- tet. Faszinierend, aber verstanden habe ich den Prozess nicht. Kurz danach ha- be ich mir in einem anderen Leibniz-In- stitut erklären lassen, wie man Tomaten ohne gentechnische Veränderungen re- sistenter gegen Schädlinge macht. Ich werde wohl mit vielen neuen Welten konfrontiert. Mir ist – entsprechend der Aussage von Sokrates – noch nie so deutlich geworden, wie wenig ich weiß.

DÄ-Fragen: Dr. med.Vera Zylka-Menhorn P O L I T I K

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A1802 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 27½½½½6. Juli 2001

Die Gottfried Wilhelm Leibniz Gesellschaft (WGL)

Gegenwärtig sind 78 Forschungseinrichtungen und Einrichtungen mit Service- funktion mit etwa 12 000 Mitarbeitern in der Wissenschaftsgemeinschaft Gott- fried Wilhelm Leibniz zusammengeschlossen. Davon nehmen 34 Einrichtun- gen, die in den neuen Ländern liegen, eine Schlüsselrolle für die wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland ein. Zur Finanzierung stellten im Jahr 2000 Bund und Länder zu je 50 Prozent zusammen mit Drittmitteln 1,6 Milliarden DM zur Verfügung. Die verschiedenen Institute – von den Wirtschafts- und Gei- steswissenschaften bis zu den Lebens- und Naturwissenschaften – arbeiten an zukunftsweisenden Fragestellungen mit überregionaler Bedeutung. Dazu gehören unter anderem: Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, Diabetes- Forschungsinstitut Düsseldorf, Heinrich-Pette-Institut für Experimentelle Viro- logie und Immunologie Hamburg, Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam, Deutsches Primatenzentrum Göttingen, Forschungszentrum Borstel für Medizin und Biowissenschaften, Institut für Molekulare Biotechnologie Je- na, Forschungsinstitut für molekulare Pharmakologie Berlin, Leibniz-Institut für Neurobiologie Magdeburg, Institut für Arbeitsphysiologie Universität Dort- mund, Deutsche Zentralbibliothek für Medizin Köln (Internet: www.wgl.de).

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