DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Aktuelle Politik
F
ür den Deutschen Gewerk- schaftsbund hat die amtliche Kostendämpfungspolitik im Gesundheitswesen wenig oder nur Negatives bewirkt. Ein von der DGB-eigenen Hans-Böckler- Stiftung finanziertes Gutachten über die „Bilanz der Kosten- dämpfungspolitik von 1977 bis 1984", für das das Wissenschaft- liche Institut der Ortskranken- kassen (WIdO) in Bonn-Bad Go- desberg verantwortlich zeichnet, kommt zu vier Schlußfolgerun- gen:„Die Krankenkassen wurden durch Kostenverschiebungen in einer Größenordnung belastet, die heute rund zwei Beitragspro- zenten entspricht.
Ein Teil dieser Verschiebungen wurde durch erhöhte Selbstbe- teiligung und andere Maßnah- men unmittelbar auf die Patien- ten und Versicherten in Höhe von etwa sechs Milliarden DM pro Jahr verlagert (1977: ledig- lich zwei Milliarden DM direkt zu Lasten der Beitragszahler und Versicherten).
Von der gesunkenen Primärin- anspruchnahme der ambulanten Versorgung gingen keine bei- tragsdämpfenden Wirkungen aus, da die Leistungsanbieter dies durch Ausweitung der Men- gen und Preise kompensierten.
Noch ehe die Vorarbeiten für die Strukturreform im Gesundheitswesen seitens des Bundesarbeitsministeri- ums begonnen wurden, hat sich der Deutsche Gewerk- schaftsbund mit Forderungen und Wünschen zu Wort ge- meldet — unter dem Motto:
„Von der Kostendämpfung zur Strukturreform im Ge- sundheitswesen". Der DGB plädiert für ein „mittelfristi- ges Krankenversicherungs- budget", das gesundheitspo- litische Prioritäten vorgibt.
Der Beitrag der Leistungsanbie- ter ist hingegen bescheiden ge- blieben."
Daraus zieht der DGB den Schluß, daß die Selbstbeteili- gung zur Kostendämpfung „un- tauglich und wegen der überpro- portionalen hohen Belastung unterer Einkommensgruppen als sozial unverträglich" zu bezeich- nen sei. Demgegenüber sei auf- grund der Einkommens- und Umsatzentwicklung bei den als
„Leistungsanbieter" apostro- phierten Gruppen genügend Luft für „echte Kostendämp- fungsmaßnahmen" vorhanden.
Überhaupt stößt sich der Ge- werkschaftsbund daran, daß die bisherigen amtlich dirigierten Maßnahmen zu einem erheb- lichen Teil lediglich der Konsoli- dierung des Bundeshaushaltes gedient hätten. Eine umfassende Strukturreform im Gesundheits- wesen, die von der Bundesregie- rung für die kommende Legisla- turperiode bereits avisiert wor- den ist, muß sich nach Darlegun- gen des stellvertretenden Vorsit- zenden des DGB, Gerd Muhr, Düsseldorf, auf drei Ansatzpunk- te konzentrieren: nämlich auf ei- ne Intensivierung der Prävention und Rehabilitation, auf die Be- seitigung angeblicher bestehen- der Versorgungsgleichgewichte (wie zum Beispiel der Pflegebe- dürftigkeit und der psychisch Kranken) sowie eine nachhaltige Verbesserung der Versorgungs- qualitäten. Der DGB bietet die sachverständige Mitberatung bei der Weiterentwicklung der Krankenversicherung und der Strukturreformen im Gesund- heitswesen auf der Basis der Er- gebnisse einer DGB-eigenen ge- sundheitspolitischen Struktur- kommission an, deren Zwischen- bericht der DGB in Düsseldorf vor der Presse erläuterte.
Die Forderungen und Wunsch- vorstellungen lassen auffällige Affinitäten zu gleichlautenden Forderungen und Thesen vor al- lem aus Kreisen der Ortskran- kenkassen und der Sozialde- mokraten sowie der Grünen er- kennen.
So präferiert der DGB ein „mit- telfristiges Krankenversiche- rungsbudget" und eine sektora- le Strukturierung für alle Ausga- benbereiche der Krankenkas- sen, um das „nutzlose, alljähr-
DGB Arm in Arm mit den Krankenkassen:
Kostendämpfung
über ein Strukturbudget
Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 18 vom 30. April 1986 (13) 1265
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Strukturbudget
liche Herumwursteln" an der Ausgabenentwicklung im Ge- sundheitswesen zu beenden.
Der Clou: Das Budget soll ge- sundheitspolitische Prioritäten unter Einbeziehung sowohl me- dizinischer als auch wirtschaft- licher Daten und Ziele vorgeben (soweit so gut). Aber: Nach DGB- Gusto soll das Krankenversiche- rungsbudget mit den Empfeh- lungen der Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen abge- stimmt, durch das Parlament be- raten und ausschließlich von ihm sanktioniert werden. Also: Von der medizinischen zur politi- schen Orientierung des Gesund- heitswesens. Und so einfach ist es (laut Muhr): Durch ein so kon- zipiertes „flexibles mittelfristi- ges Budget" soll eine sinnvollere Mittelverwendung und ein höhe- rer Grad an politischer Verbind- lichkeit erzielt werden, als dies bisherige Appelle der Selbstver- waltung erzielt haben.
Mit Hilfe eines so gearteten staatsdirigierten Budgets sollen zugleich die „verfestigten Struk- turen" des Gesundheitswesens aufgelockert und grundsätzlich geändert werden, kommentiert Muhr.
Um den Politikern etwas Ver- schnaufpause zu gönnen und
Luft für die in Angriff zu nehmen- de Strukturreform zu verschaf- fen, empfiehlt der Gewerk- schaftsbund die Einführung ei- ner „Beitragsobergrenze" von 15 Prozent, allerdings als ledig- lich zeitlich befristete Über- gangsmaßnahme. Gleichwohl soll die Dauer-Kostendämpfung dabei nicht aus den Augen verlo- ren werden. Zur Zeit liegen die Beitragssätze bei den RVO-Kran- kenkassen zwischen fast 11 und 14,6 Prozent, bei den Ersatzkas- sen knapp über zehn bis über 12 Prozent.
Die so anvisierte Beitragshöchst- grenze soll aber nach DGB-Inter- pretationen kein Freibrief dafür sein, diese möglichst schnell und ohne Sanktionen zu errei-
chen. Dabei sollten Ausgaben, die nicht mehr durch die Grenz- marke des Beitragssatzes abge- deckt werden können, etwa nach dem Vorbild des Finanzaus- gleichs der Krankenversiche- rung der Rentner (KVdR) „umge- legt" werden. Dieser Finanzaus- gleich sollte aber keine Aus- gleichautomatik auslösen und nicht gleichsam „mit dem Ra- senmäher über alle Krankenkas- sen und Kassenarten" gehen.
Für die Bereiche der ambulanten ärztlichen und zahnärztlichen Versorgung fordert der DGB ei- ne Angleichung der „hohen Ein- kommensdifferenzen" bei den Ärzten sowie eine gleichmäßige- re regionale Verteilung und nicht zuletzt eine Stärkung der allge- meinärztlichen Tätigkeiten. Für den zahnärztlichen Bereich müs- se für einen bestimmten Zeit- raum ein Schrumpfen der Ko- stenentwicklung angestrebt wer- den. Dies sollte in erster Linie durch einen weiteren Abbau der (angeblichen) „Überbewertung zahnärztlicher Leistungen bei Zahnersatz und in der Kieferor- thopädie erfolgen".
Wie bereits zuvor die SPD und die Krankenkassenverbände, fordert auch der DGB die Errich- tung eines „unabhängigen Insti- tuts für Arzneimittelforschung und -information". Dessen Auf- gabe soll es sein, Transparenzli- sten zu erstellen, regelmäßige Stellungnahmen zum therapeuti-
schen Nutzen und zur Wirt- schaftlichkeit abzugeben und laufende Markt- und Preisanaly- sen für pharmazeutische Pro- dukte vorzunehmen.
Eine wesentliche Voraussetzung für eine „rationale Arzneimittel- therapie" muß nach Meinung des Deutschen Gewerkschafts- bundes auch die Weiterentwick- lung der Preisvergleichsliste zu einer „verbindlichen Empfeh- lungsliste" bilden. Zugleich wer- den als wesentliche Vorausset- zungen für eine Kostendämp- fung im Pharmabereich „gesetz- lich vorgeschriebene Preisver- handlungen zwischen den Kran- kenkassen und den Herstellern von Arzneimitteln" empfohlen (wiewohl Sondierungen auf oberster Verbandsebene bereits gescheitert und inzwischen auch auf den Widerspruch der Kartell- behörde gestoßen sind).
Und um diese Chose politisch abzurunden, schlägt der DGB vor, die Arzneimittelwerbung einschließlich der Abgabe von Ärztemustern drastisch zu be- schränken oder diese ganz zu verbieten. „Arztgruppenspezifi- sche Arzneimittel-Höchstbeträ- ge im Rahmen der Gesamtvergü- tung für Ärzte" könnten dazu beitragen, unwirtschaftliche Ver- ordnungsweisen einzugrenzen, falls die so ausgestaltet wird, daß sich „überzogene" Verord- nungsweisen honorarmindernd auswirken... HC
die Situa- tion im Gesund- heitswesen läßt sich folgender- maßen zusam- menfassen: Wir brauchen weni- ger Medizinstu- denten und mehr Kranke!"
Karikatur:
Die Ersatzkasse
1266 (14) Heft 18 vom 30. April 1986 83. Jahrgang Ausgabe A