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Archiv "Regierungswechsel in Großbritannien: Labour plant die Reform der Reform" (16.05.1997)

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ereits 48 Stunden nach der Wahl zauberte Labour die erste gesundheitspolitische Überraschung aus dem Hut:

der 57jährige Frank Dobson wurde zum neuen Gesundheitsminister er- nannt. Dobson zählt zum linken Flü- gel der Arbeiterpartei und ist der Sohn eines Eisenbahners. Der Politi- ker gehört seit 1979 dem Unterhaus an – dem Jahr, in dem Margaret That- cher Premierministerin wurde und mit der Reform des staatlichen Ge- sundheitsdienstes (National Health Service, NHS) begann. Unter That- cher und später unter ihrem Nachfol- ger John Major erlebte der seit 1948 bestehende NHS die tiefsten Um- strukturierungen seiner Geschichte.

Tenor der Reformen war: mehr un- ternehmerische Eigenverantwortung für die rund 32 000 Allgemeinärzte des National Health Service und we- niger staatliche Lenkung.

Selbstbeteiligung bleibt hoch

Unter den Konservativen wur- de die Selbstbeteiligung der Patien- ten an den Verschreibungskosten stetig erhöht. Mittel der Wahl, um die NHS-Verschreibungskosten nach oben zu begrenzen, waren nicht zuletzt die Rezeptgebühren, die mittlerweile mit umgerechnet rund 15 DM pro Verordnung die höchsten innerhalb der Europäi- schen Union sind. Labour wird

nach Einschätzung gesundheitspoli- tischer Beobachter an den Rezept- gebühren nichts verändern. Der neuen Regierung fehlt das Geld, um die Gebühren senken zu können.

Allerdings ist damit zu rechnen, daß die schon heute großzügigen Aus- nahmeregelungen noch weiter aus- gedehnt werden. Derzeit zahlen we- der Rentner, Schwangere, Jugendli- che noch Arbeitslose Rezeptge- bühren.

Der neue Gesundheitsminister hat bereits angekündigt, den soge- nannten internen NHS-Markt wie- der abzuschaffen. Dieser war von der konservativen Regierung An- fang der 90er Jahre eingerichtet worden. Allgemeinärzte erhielten auf dem internen Markt die Mög- lichkeit, stationäre und fachärztliche Dienstleistungen für ihre Patienten direkt „einzukaufen“.

Dafür teilte die lokale Gesund- heitsverwaltung dem Arzt einen jährlichen Etat zu. Sparte der Arzt Geld ein und schöpfte seinen Etat nicht aus, so durfte ein Teil der ein- gesparten Summe einbehalten und in die Praxisausstattung investiert werden. Umgekehrt galt: Über- schritt der Arzt sein Konto, so droh- ten finanzielle Regresse im kom- menden Jahr. Labour ist nicht zu- letzt aus ideologischen Gründen ge- gen diese begrenzte Form der Marktwirtschaft im staatlichen Ge- sundheitswesen.

Stichwort Privatmedizin: Seit der Regierungsübernahme durch

die Konservativen im Jahr 1979 ge- wannen privatmedizinische Versor- gungsangebote stetig an Bedeutung.

Heute verfügt bereits jeder zehnte Patient in Großbritannien über ei- nen privaten Krankenversiche- rungsschutz. In der Regel handelt es sich dabei um Zusatzversicherun- gen, die dem Patienten zum Beispiel im Fall eines Krankenhausaufent- halts einen gewissen Luxus wie ein Einzelzimmer ermöglichen. Die Beiträge zur privaten Krankenversi- cherung sind bislang steuerlich ab- setzbar. Labour dürfte das ändern.

Die britischen Assekuranzen berei- ten sich auf magere Zeiten vor.

Es geht nicht ohne Privatversicherung Allerdings ist unbestritten, daß es auch in Großbritannien mit sei- nem staatlichen Gesundheitswesen heute nicht mehr gänzlich ohne pri- vaten Krankenversicherungsschutz geht. Viele der rund 2 000 NHS-Kli- niken habe beispielsweise private Belegbetten und -stationen einge- richtet. Die Einnahmen aus der Be- handlung von Privatpatienten wer- den wiederum dazu benutzt, um den staatlichen Sektor zu stützen.

Großbritannien gab 1996 umge- rechnet rund 98 Milliarden DM für die Gesundheitssicherung aus. Im internationalen Vergleich gibt das Königreich pro Kopf der Bevölke- rung deutlich weniger für Gesund- A-1319

P O L I T I K LEITARTIKEL

Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 20, 16. Mai 1997 (15)

Regierungswechsel in Großbritannien

Labour plant die Reform der Reform

Die britische Ärzteschaft bereitet sich auf tiefgreifende Veränderungen vor. Erstmals seit

18 Jahren wird Großbritannien wieder von einer „linken“ Labour-Regierung geführt. Ge-

sundheitspolitisch bedeutet das nicht nur das Ende der Ära Thatcher-Major, sondern auch

die Umkehrung vieler Reformen der Konservativen. „Wir sind alle etwas nervös, was da

auf uns zukommen wird", kommentierte eine Sprecherin der British Medical Association.

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heitsleistungen aus als zum Beispiel Deutschland, Frankreich oder die USA. Labour kündigte an, die jährli- chen Gesundheitsausgaben „minde- stens der Inflationsrate“ anzupassen.

Heißt: mit einem plötzlichen Geldre- gen ist nicht zu rechnen.

Gesundheitsminister Dobson möchte allerdings die NHS-Verwal- tungskosten deutlich reduzieren. La- bour behauptet, die gesundheitspoli- tischen Reformen der vergangenen Jahre hätten in den Arztpraxen und Krankenhäusern zwischen London und Liverpool zu einer teuren Papier- flut geführt. „Mehr Geld für die Be- handlung von Kranken, weniger Geld

für die NHS-Bürokraten“, lautete ei- ne der Wahlkampfparolen.

Interessant ist, daß die Merheit der britischen Ärzteschaft hinter La- bour zu stehen scheint. Der British Medical Association zufolge wählten bei der jüngsten Unterhauswahl mehr als 50 Prozent der Kollegen „links“.

Zum Vergleich: bei der Unterhaus- wahl des Jahres 1987 stimmten nach Angaben des britischen Ärzteverban- des 61 Prozent der Arzte für die da- mals regierenden Konservativen.

Grund für den Stimmungswechsel un- ter den britischen Ärzten ist nicht zu- letzt der Verdruß über die nicht enden wollende Reformwelle. Die gesund-

heitspolitischen Reformen der ver- gangenen Jahre haben nach mehr- heitlicher Meinung der britischen Ärzteschaft nicht die gewünschten Früchte getragen. Die beruflichen Aufstiegs- und Verdienstmöglichkei- ten innerhalb des staatlichen Gesund- heitsdienstes sind heute nicht besser als vor zehn oder 15 Jahren. Dazu kommen lange Arbeitszeiten von bis zu 60 Stunden pro Woche, chronische Bettenknappheit in den Krankenhäu- sern und immer neue Eingriffe in die ärztliche Therapiefreiheit. „Wir ha- ben genug“, so ein Londoner Primär- arzt. „Es ist Zeit für einen politischen Wechsel.“ Kurt Thomas, London

A-1320

P O L I T I K LEITARTIKEL/AKTUELL

(16) Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 20, 16. Mai 1997 Mit einer sogenannten Forschungs-

vorlesung endete am 5. Mai eine De- monstration unter dem Motto „Wir sind keine Versuchskaninchen“ vor der Bundesärztekammer in Köln. Dort wurde zunächst „an einem in einem rol-

lenden Bett mitgeführten Patienten symbolisch von Ärzten in OP-Kitteln geforscht“, so der Veranstalter, die Or- ganisation „Netzwerk Artikel 3 – Bun- deskoordination für die Gleichstellung behinderter Menschen“.

Doch es blieb nicht nur bei reiner Symbolik; dezidiert trugen Politiker, Ärzte und Behinderte ihre Kritik an der Stellungnahme der Zentralen Ethikkommission bei der Bundes-

ärztekammer „Zum Schutz nicht-ein- willigungsfähiger Personen in der me- dizinischen Forschung“ (DÄ, Heft 15/1997) und an der sogenannten Bioethik-Konvention des Europarats vor. „Die persönlichen Rechte eines

Menschen sind wichtiger als ein wirt- schaftlicher oder wissenschaftlicher Nutzen“, stellte Andreas Fritsch, stell- vertretender Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Spina Bifida und Hydrocephalus, fest. Deshalb dürften die Aussagen des Grundgesetzes zur Würde des Menschen durch kein ande- res Recht geschmälert werden. Fritsch kritisierte, daß mit der Stellungnahme der Ethikkommission der Boden für ei-

nen Beitritt der Bundesrepublik zur Bioethik-Konvention bereitet werden könne. Swantje Köbsell vom „Netz- werk“ befürchtete, daß es auch der Bundesärztekammer darum gehe, fremdnützige Forschung an Nichtein- willigungsfähigen zuzulassen.

Prof. Dr. med. Christoph Fuchs, Hauptgeschäftsführer der Bundesärzte- kamme, betonte dagegen, daß die BÄK

„ausschließlich fremdnützige For- schung“ an Menschen keinesfalls für ethisch gerechtfertigt halte. Besonders die Lehren aus der nationalsozialisti- schen Vergangenheit müßten der For- schung auch weiterhin eine ethische Verpflichtung bleiben. Ein ethisches Dilemma trete in der Forschung allerdings dann auf, wenn voraus- sichtlich nicht der Betrof- fene selbst, sondern wenn beispielsweise eine andere Person gleicher Krankheit von den gewonnenen Er- kenntnissen Nutzen haben werde. In diesem Fall stün- de das Instrumentalisie- rungsverbot (fremdnützi- ge Forschung) dem Inter- esse einer ganzen Gruppe entgegen, die anderweitig vom Fortschritt der Forschung gänzlich ausgeschlossen wäre.

Fuchs hält es für problematisch, be- wußt auf Fortschritte in der Erken- nung und Behandlung der Krankheit zu verzichten, vor allem auch deshalb, weil in der Stellungnahme der Ethik- kommission „die Rechtfertigungs- gründe zur Forschung an nichteinwilli- gungsfähigen Personen rigide verfaßt

worden sind“. Kli

Demonstration vor der Bundesärztekammer

„Wir sind keine

Versuchskaninchen“

Bei strömendem Regen demonstrierten Behinderte vor der Bundesärztekammer gegen fremdnützige Forschung an Nicht- einwilligungsfähigen. Der Hauptgeschäftsführer der BÄK, Prof. Dr. med. Christoph Fuchs (r.), diskutierte mit den Teilnehmern.

Fotos: Eberhard Hahne

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