A 740 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 15|
13. April 2012B
eobachter sind sich einig:Die Gesundheitsreform von US-Präsident Barack Obama kam vor dem Supreme Court, dem obersten Gerichtshof der USA, un- erwartet heftig unter Beschuss. Vor allem die vier konservativen Rich- ter unter den neun Juroren setzten den Vertretern der Obama-Regie- rung zu. Was der Staat noch alles dürfe, wenn er seine Bürger sogar dazu verpflichte, eine Krankenver- sicherung abzuschließen, fragte ei- ner der Richter skeptisch. Könne er sie gar dazu zwingen, Brokkoli zu kaufen? Fest steht: Es läuft auf eine knappe 5:4-Entscheidung hinaus, wenn der Supreme Court sein Urteil spricht. Mit der Entscheidung wird im Juni gerechnet.
26 US-Bundesstaaten hatten Klage gegen das „Obamacare“ ge- taufte Gesetz eingereicht, das der Präsident vor zwei Jahren mit hauchdünner Mehrheit durch den amerikanischen Kongress geboxt hatte. Der Widerstand richtet sich vor allem gegen das zentrale Ele-
ment des Gesetzes, wonach die US- Bürger von 2014 an zum Abschluss einer Krankenversicherung ver- pflichtet sind. Wer sich nicht versi- chert, muss eine Strafe zahlen.
Die Gegner der Reform vertreten die Ansicht, dass die Regierung da- mit in die individuellen Freiheits- rechte der Amerikaner eingreift und gegen die Verfassung verstößt. Die Obama-Seite argumentiert: Der Ge- sundheitsmarkt sei ein besonderer Markt, dem sich niemand entziehen könne. Jeder Amerikaner sei auto- matisch im „Gesundheitsgeschäft“
tätig, da er früher oder später Leis- tungen in Anspruch nehme. Dieses Geschäft könne der Staat regulieren.
Versicherungspflicht verstößt gegen Freiheitsrechte
Verschiedene Szenarien sind mög- lich, wenn die Richter im Sommer ihr Urteil sprechen: Der Supreme Court weist die Reform vollständig zurück, oder er unterstützt das Ge- setz in seiner Gesamtheit. Denkbar ist auch, dass das Oberste Gericht
lediglich die Pflicht zur Versiche- rung kippt. Andere Bestandteile, wie beispielsweise die Regelung, dass Menschen mit Vorerkrankun- gen nicht mehr von den Versiche- rern abgelehnt werden dürfen, blie- ben bestehen. Letztere Variante ist nach Ansicht des Obama-Lagers in der Praxis jedoch nicht haltbar.
Kranke zu versichern sei nur mög- lich, wenn durch eine Pflicht zur Versicherung Gesunde in den Versi- cherungsmarkt einträten.
Zünglein an der Waage wird wohl Richter Anthony Kennedy sein. Er ist ein Konservativer, der in der Vergangenheit jedoch vermehrt liberal geurteilt hatte. Doch auch Kennedy reihte sich bei der Anhö- rung in Washington in die Riege der Richter ein, die den Verteidigern der Reform harte Fragen stellten. Nicht wenige glauben deshalb, dass der Supreme Court die Gesundheitsre- form gänzlich zurückweisen wird.
Republikaner machen Reform zum Wahlkampfthema
Obama war mit dem Ja zur ver- pflichtenden Krankenversicherung gelungen, woran andere Präsiden- ten bislang gescheitert waren.
Durch die Reform sollen mehr als 30 Millionen US-Amerikaner eine Krankenversicherung erhalten, zum Teil mit staatlicher Unterstützung.
Obwohl Teile des Gesetzes in der Bevölkerung beliebt sind, lehnt ei- ne knappe Mehrheit der US-Bürger die Reform im Ganzen bis heute ab.
Der Streit um die Verfassungs- mäßigkeit von „Obamacare“ gilt als einer der bedeutendsten Fälle, über die der Supreme Court seit Jahr- zehnten zu entscheiden hat. Noch aus einem anderen Grund ist der Gesundheitsreform in den kom- menden Monaten Aufmerksamkeit gewiss. Die Republikaner wollen Angriffe auf das Gesetz zum Mit- telpunkt im laufenden Präsident- schaftswahlkampf machen. Ganz leicht dürfte ihnen die Argumen - tation nicht fallen: Mitt Romney, Obamas voraussichtlicher Heraus- forderer, hatte als Gouverneur von Massachusetts eine Gesundheits - reform durchgesetzt, die der von Obama sehr ähnlich ist.
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Nora Schmitt-Sausen Lautstarke Unter-
stützung: Befürwor- ter der Gesundheits- reform demonstrieren am 26. März vor dem Obersten Gerichtshof in Washington.
Foto: dapd
US-GESUNDHEITSWESEN
Obamas Reform wankt
Ist die Gesundheitsreform von US-Präsident Barack Obama
verfassungskonform? Diese Frage beschäftigt zurzeit das Oberste Gericht der USA. Bei der mündlichen Anhörung wurden Zweifel laut.