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Archiv "US-Gesundheitswesen: Obamas Reform unter Druck" (08.04.2011)

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A 758 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 14

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8. April 2011 Die Reformversuche im Gesundheitswesen haben

jahrzehntelang zu kontroversen Diskussionen in den USA geführt und Politik und Gesellschaft ge- spalten. Bevor Präsident Obama im März 2010 das Gesetz unterzeichnete, lieferten sich Befür- worter und Gegner ein Jahr lang einen hitzigen Schlagabtausch. Die Reform ging ohne jede repu- blikanische Stimme durch den US-Senat.

Durch das Gesetz soll für mehr als 30 Millio- nen Amerikaner der Zugang zur Gesundheitsver- sorgung möglich gemacht werden. Dazu soll vor allem das staatliche Hilfssystem „Medicaid“ für sozial Schwache ausgeweitet werden. Außerdem gibt es staatliche Unterstützung für Geringverdie- ner und Amerikaner aus der Mittelklasse, damit sich diese einen Krankenschutz kaufen können.

Die Unternehmen werden ebenfalls in die Pflicht genommen: Sie müssen ihre Angestellten künftig versichern. Auch anderweitig stärkt das Gesetz

den Versicherten den Rücken. So können bei- spielsweise junge Erwachsene bis zum Alter von 26 Jahren bei ihren Eltern mitversichert sein, die Versicherer dürfen Kinder mit Vorerkrankungen nicht mehr ablehnen, Senioren erhalten Zuschüs- se bei Medikamenten.

Die Reform kostet in den ersten zehn Jahren etwa 940 Milliarden Dollar, soll aber gleichzeitig die Ausgaben im Gesundheitswesen senken.

Nach unabhängigen Schätzungen wird das Gesetz das US-amerikanische Haushaltsdefizit im selben Zeitraum um 130 Milliarden Dollar verringern.

Obama geht mit der Reform in die Geschichts- bücher ein. Seit 1935 haben demokratische Präsidenten versucht, einen universellen Kran- kenversicherungsschutz für die Amerikaner durchzusetzen. Zuletzt scheiterte Bill Clinton spektakulär an der Einführung eines kollektiven Versicherungsschutzes.

DIE ECKPUNKTE DER REFORM

US-GESUNDHEITSWESEN

Obamas Reform unter Druck

Vor einem Jahr hat US-Präsident Barack Obama die Reform des Gesundheitswesens auf den Weg gebracht. Doch die Republikaner möchten das Jahrhundertgesetz immer noch stoppen.

S

o gut wie nichts hat sich in den vergangenen zwölf Mo- naten verändert. Die Fronten zwi- schen Demokraten und Republika- nern sind verhärtet. Während das linke Lager die Gesundheitsreform anlässlich des einjährigen Geburts- tags als „Meilenstein in der Ge- schichte dieser Nation“ feiert, tor- pedieren die Konservativen Oba- mas Prestigeobjekt unermüdlich.

Ihre Kernargumente gegen die Re- form: Sie vernichte Jobs, sei ein teures, bürokratisches Monster und gebe der Regierung zu viel Einfluss auf das Alltagsleben der Amerika- ner. Der Widerruf des Jahrhundert- gesetzes ist eines der zentralen Zie- le republikanischer Politik.

Dafür nutzen die Konservativen die neuen Kräfteverhältnisse in den USA. Seit der Kongresswahl im November 2010 haben sie die Mehrheit im Repräsentantenhaus.

Mit dieser Stärke im Rücken wollen sie das Gesetz stoppen und durch eine andere Reform ersetzen. Zum Jahresanfang stimmten die Repu- blikaner für den Widerruf der Re- form. Das war zwar ein Akt ohne Folgen, da der demokratisch domi- nierte Senat die Reform nicht zur Debatte stellte – doch einer von hohem symbolischem Wert.

Die Opposition blockiert die nötigen Finanzmittel

Jüngst blockierten die Konservati- ven Geldzuflüsse, die für die Um- setzung des Gesetzes notwendig sind. Der Republikaner John Boeh- ner, Sprecher des Repräsentanten- hauses, machte deutlich, dass diese Schritte erst der Auftakt für weitere Manöver sein sollen, die das Ziel hätten, das Gesetz zu Fall zu brin- gen: „Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, um sicherzu-

stellen, dass ObamaCare niemals vollständig umgesetzt wird.“ Für die kommenden Wochen kündigte Boehner weitere Abstimmungen und Anhörungen an, um das Gesetz

„Schritt für Schritt zu zerlegen“.

Argumente der Demokraten, die Reform mache Gesundheitsversor- gung zu einem Recht für alle und nicht mehr nur zu einem Privileg für diejenigen, die es sich leisten könnten, stoßen bei den Republika- nern auf taube Ohren.

Auch auf legislativer Ebene ist der Streit um das Gesetz in vollem Gange. Mehr als 20 Klagen wurden gegen die Reform eingereicht, vie- le darunter von republikanischen Gouverneuren. Landesweit sorgten zwei Entscheidungen für Aufsehen:

Richter in Florida und Virginia er- klärten, Teile von Obamas Reform verstießen gegen die Verfassung.

Drei Richter stellten sich in ihren Urteilen dagegen hinter das Gesetz.

Die konträren Urteile machen eines deutlich: Das juristische Tauziehen um die Reform wird wohl erst vor dem Supreme Court enden, dem höchsten US-Gericht. Rechtsexper- ten sagen eine knappe Entschei- dung voraus, erwarten einen Ur- teilsspruch aber erst in zwei Jahren.

Die vergangenen Monate haben noch etwas offenbart: Die Reform ist nicht in Stein gemeißelt. Die Obama-Regierung räumte einigen Bundesstaaten Ausnahmeregelun- gen bei der Umsetzung ein. So er- hält beispielsweise der Ostküsten- staat Maine einen dreijährigen Aufschub, um eine strikte Vorgabe der Reform umzusetzen: Laut Ge- setz sind die Versicherer verpflich- tet, 80 Prozent der Einnahmen für medizinische Leistungen auszuge- ben. Dieser neue Standard führte in Maine dazu, dass sich ein großer Versicherer vom Markt hätte zu- rückziehen müssen – und Tausende Menschen unversichert zurückge- blieben wären. Um das zu verhin- dern, setzte die Obama-Regierung diesen Standard für Maine herab.

Fünf andere Bundesstaaten erwä- gen, sich um die Genehmigung von Sonderregelungen zu bemühen.

Noch dazu wurde mehr als 1 000 Einzelanträgen von Unternehmen stattgegeben. Sie konnten darle-

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8. April 2011 gen, dass sie in der Kürze der Zeit

nicht die Anforderungen an die Ausweitung des Versicherungs- schutzes für ihre Angestellten er- füllen können.

Die Republikaner interpretieren die Befreiungen von der Regel als Indiz für die Schwäche des Geset- zes. Für die Obama-Regierung ist es eine „pragmatische Lösung“, um die Umsetzung der Reform zu ge- währleisten. Es solle sichergestellt sein, dass niemand seinen Versiche- rungsschutz verliere oder die Kos- ten für die Policen stiegen.

Die US-amerikanische Bevöl- kerung betrachtet die Reform wei- ter skeptisch: 42 Prozent der US- Bürger befürworten einer Erhe- bung der gemeinnützigen Kaiser Family Foundation zufolge die Reform, 46 Prozent sind dagegen.

Die parteipolitische Sichtweise ist auch hier offenkundig: 71 Pro- zent der de mokratisch gesinnten Wähler stehen hinter dem Gesetz, 82 Prozent der konservativen leh- nen es ab.

Lieber Strafe zahlen als die Versicherungsprämie

Das Kernelement der Reform – die Pflicht zur Krankenversicherung – tritt erst im Jahr 2014 in Kraft. Und deshalb droht weiteres Ungemach.

Nach Berichten des Insider-Maga- zins „Politico“ macht in Washing- ton die Befürchtung die Runde, dass der Versicherungspflicht das Scheitern drohe. Der Grund: Die per Gesetz vorgesehene Strafe für diejenigen, die sich nicht versichern wollten, sei zu niedrig angesetzt.

Viele Amerikaner, vor allem junge und gesunde, könnten sich dazu entschließen, die günstigere Strafe statt der teureren Versicherungs - police zu zahlen, spekulieren Polit- experten in der Hauptstadt.

Sollte dieses Szenario eintre- ten, wackelte das gesamte Reform- gebilde. Wenn sich nicht genug gesunde Menschen krankenversi- chern, ist es nur schwer möglich, die Mehrkosten des ausgeweite- ten Versicherungsschutzes für al- le zu decken, ohne dass die Ver - sicherungsprämien in die Höhe

schnellen. ■

Nora Schmitt-Sausen

RISIKOKOMMUNIKATION

Sterblichkeitsstatistik als valides Maß

Fünfjahresüberlebensraten sind nicht

geeignet für die Beurteilung der Wirksamkeit von Krebsfrüherkennung.

H

äufig werden steigende Über- lebensraten mit sinkenden Sterblichkeitsraten gleichgesetzt und als untrügliches Zeichen für den Er- folg von frühem Erkennen und Be- handeln von Krebs gewertet (1). Im Kontext der Krebsfrüherkennung ist diese Annahme jedoch falsch.

Der Zusammenhang zwischen Fünf- jahresüberlebensraten und krank- heitsspezifischen Sterblichkeitsra- ten ist für die 20 häufigsten Tumo- ren gleich null (2). Der nachfolgen- de Beitrag wird erklären, warum dies so ist.

Die Krebsfrüherkennung macht Zellabnormalitäten oft schon zu ei- nem sehr frühen Zeitpunkt sichtbar.

Diese Eigenschaft führt zu zwei systematischen Verzerrungen in der Statistik der Überlebensraten (3):

dem Vorlaufzeit(lead time)-Bias und dem Überdiagnose(overdiagnosis)- Bias.

Zum besseren Verständnis des Phänomens des Vorlaufzeit-Bias (Grafik 1) kann man sich eine Gruppe von Männern vorstellen,

die derzeit nicht an der PSA-Früh- erkennung teilnehmen. Nimmt man nun an, dass bei allen im Alter von 67 Jahren anhand von Symptomen Prostatakrebs diagnostiziert und der Tod drei Jahre später eintreten wür- de, dann beträgt die Fünfjahres- überlebensrate dieser Gruppe null Prozent (Grafik 1, oben). Stellt man sich nun jedoch vor, dass dieselbe Gruppe von Männern an der PSA- Früherkennung teilnimmt und da- mit der Prostatakrebs deutlich frü- her, sagen wir im Alter von 60 Jah- ren, diagnostiziert würde, wobei wieder alle Männer im Alter von 70 Jahren gestorben wären, so be- trüge hier die Fünfjahresüberle - bens rate 100 Prozent (Grafik 1, un- ten). Obwohl sich die Fünfjahres- überlebensrate von null auf 100 Pro - zent verbessert hätte, hätte sich dennoch nichts am Zeitpunkt des Todes geändert: Unabhängig davon, ob die Diagnose bei Männern mit 60 oder 67 Jahren gestellt würde, im Alter von 70 Jahren wären sie an der Krebserkrankung gestorben.

GRAFIK 1

Vorlaufzeit-Bias

Ohne Screening Diagnose aufgrund von Symptomen im Alter von 67 Jahren

Krebs beginnt

Tod mit 70 Fünfjahresüberlebensrate = 0 %

Mit Screening Diagnose durch Früherkennung im Alter von 60

Krebs beginnt

Tod mit 70 Fünfjahresüberlebensrate = 100 %

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Referenzen

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