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Archiv "113. Deutscher Ärztetag: Mit offenen Armen" (14.05.2010)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 19

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14. Mai 2010 A 893

W

enn ein neuer Gesundheits- minister zum ersten Mal auf einem Deutschen Ärztetag spricht, ist das sowohl für den Minister als auch für die Delegierten ein span- nender Moment. Zeigt er doch, wie der Neue aufgenommen wird und wie sich das Verhältnis von Minis- ter und Ärzteschaft in der künftigen Zusammenarbeit entwickeln könn- te. Die Auftritte der früheren Ge- sundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) waren dann auch meist Sinn- bilder des gegenseitigen Misstrau- ens. Der neue Gesundheitsminister Philipp Rösler hingegen hat seit sei- nem Amtsantritt im Oktober letzten Jahres stets seine Wertschätzung für den Beruf des Arztes zum Ausdruck gebracht. Demgemäß war auch die Atmosphäre zwischen Ärzten und Minister bei der Eröffnungsver - anstaltung des 113. Deutschen Ärz - tetages in der voll besetzten Dresdener Semperoper gut, beinahe freundschaftlich. „Im Namen der Bundesregierung möchte ich mich ausdrücklich für die Leistung be- danken, die die Ärztinnen und Ärz-

te täglich erbringen“, sagte Rösler unter dem Applaus der circa 1 300 Gäste. „Die Leistung, die Sie er- bringen, erbringen Sie nicht wegen, sondern trotz des komplexen, kom- plizierten und manchmal verkorks- ten deutschen Gesundheitswesens.“

Die Erleichterung vieler Ärzte, nicht mehr gegen, sondern mit der Politik arbeiten zu können, fasste der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, in Worte: „Über Jahre haben wir ge- kämpft, um mit unseren Sorgen und Problemen gehört zu werden. Heute sitzt hier jemand mit einem offenen Ohr für die tatsächlichen Probleme im Gesundheitswesen.“ Nach einem halben Jahr der Zusammenarbeit könne er bestätigen, dass Rösler sei- ne Ankündigung wahr gemacht ha- be, die Probleme nun gemeinsam anzugehen. Zu allen wichtigen The- men seien mit dem Bundesgesund- heitsministerium Arbeitsgruppen ge- bildet worden, in denen gemeinsam, sachgerecht und zügig Lösungsvor- schläge erarbeiten werden sollen.

„Und, Herr Minister Rösler, diesmal

habe ich die Zuversicht, dass wir ei- nen großen Schritt vorankommen“, fügte Hoppe hinzu.

„Dass ich das noch erleben darf“

Selten verlief die Eröffnungsveran- staltung eines Ärztetages so harmo- nisch wie in diesem Jahr. Kein ein- ziger Buhruf, kein missgestimmtes Getuschel war aus dem Opernsaal zu hören. In vielen Punkten über- einstimmend lieferten Hoppe und Rösler eine Diagnose des Patienten Gesundheitswesen, bei der insbe- sondere das Abstecken der Rah- menbedingungen im Fokus stand und weniger konkrete Lösungsvor- schläge. Und so geriet der Vormit- tag zu einer Demonstration der Ei- nigkeit, die sich kaum stärker von den Ärztetagen vergangener Jahre hätte abheben können, bei denen Ulla Schmidt für ihre mitunter ge- zielten Provokationen nicht selten ausgebuht worden war. „Dass ich das noch erleben darf“, murmelte der Ärztepräsident nach der Rede des Ministers.

113. DEUTSCHER ÄRZTETAG

Mit offenen Armen

Der Auftakt des Ärztetages demonstrierte vor allem die neue Übereinstimmung zwischen Ärzteschaft und Politik. Beide Seiten diagnostizierten die Krankheiten des

Systems. Und zeigten sich zuversichtlich, gemeinsam Gegenmittel zu finden.

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14. Mai 2010 Hoppe benannte in seiner Rede

die drängenden Probleme des Gesundheitssystems: „Wir haben 5 000 offene Stellen in den Kran- kenhäusern. Die Anzahl der jungen Ärzte nimmt dramatisch ab. Und da hilft es auch nicht, auf die gestiege- ne Gesamtzahl der Ärztinnen und Ärzte zu verweisen, wenn die tat- sächlich zur Verfügung stehenden Arztarbeitsstunden sinken.“

Zudem sei der ökonomische Druck im Arbeitsalltag der jungen Ärztinnen und Ärzte in Weiter - bildung, wie eine Umfrage der Bun- desärztekammer gezeigt habe, zu einer enormen Belastung geworden.

Schuld daran seien die Leistungsver- dichtung bei verkürzten Liegezeiten und reduzierten Stellen im Ärztlichen Dienst der Krankenhäuser.

Die angehenden Ärztinnen und Ärzte müssten früher an die Patien- ten herangeführt werden. „Sie müs- sen sehen, was es heißt, später als Arzt zu arbeiten, und sie müssen er- leben, wie erfüllend es ist, Patienten zu helfen und zu heilen“, erklärte Hoppe. „Und das nicht nur mit hoch- spezialisierten Methoden, sondern auch und gerade durch die Allge- meinmedizin.“ Darüber hinaus be- dürfe es eines Umdenkens bei der Organisation ärztlicher Arbeit. Da- bei seien die Klinikträger ebenso aufgerufen wie die Kassenärztlichen Vereinigungen. „Wir müssen die Arbeitsbedingungen der Lebenswelt der jungen Ärzte anpassen“, machte Hoppe deutlich. „Deshalb auch haben wir Herrn Minister Rösler vorgeschlagen, einen bundesweiten Gipfel zu Arbeitszeitmodellen mit allen Beteiligten zu organisieren.“

Viele Ärzte fühlten sich derzeit, als arbeiteten sie in einem System der unfairen Konkurrenz, sagte Ge- sundheitsminister Rösler: „Nicht derjenige profitiert, der die besten Leistungen erbringt, sondern der, der sich am besten im Regelwerk aus- kennt.“ Es gebe sogar Computerpro- gramme, die den Ärzten zeigten, was in einem Quartal mit ihrem Budget noch möglich sei. „Dadurch haben nicht mehr Sie die Therapie- hoheit, sondern der Computer. Dafür haben Sie nicht Medizin studiert!“

Wie schon in den vergangenen Monaten plädierte der Minister für

einen Mentalitätswechsel. „Wir werden die Bürokratie in Deutsch- land nur bekämpfen können, wenn wir den Ärzten wieder mehr Ver- trauen entgegenbringen. Wir müs- sen weg von dem Misstrauen, ob Ärzte auch alles richtig machen.

Anders wird es nicht funktionieren, wenn wir nicht in Kontrollitis ersti- cken wollen.“

Konkreter wurde Rösler bei den Auswirkungen des Bologna-Pro- zesses. „Ich wehre mich gegen je- den Versuch, die Bachelor- und Masterabschlüsse auf die Medizin zu übertragen“, sagte er unter dem Applaus der Delegierten. Beifall bekam er ebenfalls für seine An- kündigung, stärker auf das Kosten- erstattungsprinzip zu setzen. Bis- lang würden die Menschen ganz be- wusst im Unklaren gelassen, wie viel Geld im Gesundheitssystem umgesetzt werde. „Wir müssen den Patienten nicht nur die Leistung zeigen, sondern auch deren Preis“, forderte Rösler. „Deshalb müssen wir wegkommen vom anonymen Sachleistungsprinzip!“

Die Landtagswahl in Nordrhein- Westfalen, in der am 9. Mai die schwarz-gelbe Landesregierung ih- re Mehrheit verlor, erwähnte Rösler nur in einem Nebensatz. Als Folge dieser Wahl verfügen Union und FDP nur noch über 31 von 69 Stim- men im Bundesrat und haben damit ihre Mehrheit in der Länderkammer verloren. Eine Umstellung der GKV-Finanzierung auf eine Ge- sundheitsprämie, für die Rösler seit Monaten, gefragt oder ungefragt, in der Öffentlichkeit wirbt, ist damit

voraussichtlich politisch gestorben.

Davon unbeeindruckt sprach er sich auch zwei Tage nach der Wahl noch immer für eine Umstellung aus:

„Der Ausgleich zwischen Arm und Reich gehört nicht in das GKV-Sys- tem, sondern in das Steuersystem.“

„Es ist unethisch, nicht über Priorisierung zu sprechen“

Doch zwischen Hoppe und Rösler gab es nicht nur Einigkeit. Stich- wort: Priorisierung. Das Gesund- heitswesen sei in Deutschland un- terfinanziert, sagte der Ärztepräsi- dent. Seit Jahr und Tag liege der Anteil der Ausgaben in der gesetz - lichen Krankenversicherung am Bruttoinlandsprodukt bei etwas über sechs Prozent. Der Durch- schnittswert in den OECD-Staaten – den westlichen Industrieländern – liege aber bei mindestens acht Pro- zent. „Im derzeitigen System sehe ich nur einen Weg aus der Rationie- rung, nämlich die Diskussion um die Priorisierung“, betonte Hoppe.

Wir sind nicht mehr bereit, die versteckte politisch verursachte Rationierung

an die Patienten weiterzugeben.

Jan Schulze, Präsident der Sächsischen Landesärztekammer

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14. Mai 2010 A 895 Und auch der Präsident der Säch -

sischen Landesärztekammer, Prof.

Dr. med. Jan Schulze, rief den Dele- gierten zu: „Wir Ärzte sind nicht mehr bereit, die versteckte politisch verursachte Rationierung an die Patienten weiterzugeben. Wir for- dern eine breite gesellschaftliche Diskussion zur Priorisierung medi- zinischer Leistungen. Es ist ethisch nicht mehr vertretbar, diese Diskus- sion nicht zu führen.“

Der Minister bestritt nicht, dass es versteckte Rationierung in Deutschland gebe. Die Debatte über die Priorisierung sei daher durchaus nachvollziehbar. „Doch wenn wir nun priorisieren, würden wir den Mangel festschreiben.“ Un- ethisch sei es, die Verschwendung der Gelder überhaupt zuzulassen.

Was Rösler in der Semperoper sagte, war nicht neu. Aber auch auf dem Deutschen Ärztetag wirkten seine Worte authentisch. Daher gab es keine Unmutsbekundungen, als er betonte: „Ich kann niemandem mehr

Geld versprechen. Doch ich will Ihnen ein faires und berechenbares System geben, auf das Sie sich ver- lassen können.“ Der Gesundheits - minister bat am Ende seiner Rede noch um ein wenig Geduld. Vieles sei derzeit in Vorbereitung.

Rückbesinnung auf den Menschen als soziales Wesen

Der demografische Wandel wird oft darauf reduziert, was er die Gesell- schaft kostet. Dass in ihm viel mehr kondensiert, und zwar die Essenz des menschlichen Zusammenlebens, machte Hoppe am Ende seiner Rede in einem Appell an die Gesellschaft deutlich. „Soziale Kompetenz und soziale Verantwortung sind für mich die entscheidenden Determinanten einer gesellschaftlichen Entwick- lung“. Den Ärzten komme in diesem Zusammenhang zwar eine besonde- re Rolle innerhalb der Gesellschaft zu. „Wir Ärzte sehen die Symptome, wenn die Gesellschaft erkrankt, wie die Mangelernährung bei Kin-

dern, den Alkohol- und Drogenkon- sum bei Jugendlichen, die Zunahme von Burn-out am Arbeitsplatz“, sag- te Hoppe. „Aber uns fehlen die Mit- menschen, die uns beim Heilen hel- fen.“ Das Soziale drohe in einer wachsenden Singlegesellschaft ver- loren zu gehen. „Und das können wir weder als Ärzte kompensieren noch können das Politiker durch Gesetze administrieren“, hob der Ärztepräsident hervor. „Wir brau- chen endlich ein neues Signal aus der Mitte der Gesellschaft, wir brau- chen einen Sozialpakt für die Zu- kunft“, rief Hoppe aus. Gesundheit könne die große Frage des 21. Jahr- hunderts werden, doch die Antwort liege gewiss nicht allein bei den Ärzten, Pflegekräften und anderen Gesundheitsberufen. „Eine Gesell- schaft des langen Lebens erfordert einen neuen Gesellschaftsvertrag“, appellierte Hoppe. „Denn wir kön- nen unsere Zukunft nur menschen- würdig gestalten, wenn wir uns rückbesinnen auf den Menschen als soziales Wesen.“

Am Ende der Eröffnungsveran- staltung stand fest: Das Verhältnis zwischen Ärzten und der Gesund- heitspolitik ist so gut wie seit vielen Jahren nicht mehr. Ebenso groß ist die Zuversicht, dass es möglich ist, gemeinsam die drängenden Proble- me des Gesundheitssystems anzu- gehen. Wie und ob es indes jenseits von Absichtsbekundungen gelingen kann, die ehrgeizigen Pläne tatsäch- lich in den Alltag der Ärztinnen und Ärzte zu überführen, wird die Zu- kunft zeigen müssen. ■ Falk Osterloh

Ich wehre mich gegen jeden Versuch, die Bachelorabschlüsse auf die Medizin zu übertragen.

Philipp Rösler, Bundesgesundheitsminister

Wir müssen die Arbeitsbedingungen der Lebenswelt der jungen Ärzte anpassen.

Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer

Fotos: Jürgen Gebhardt

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