Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 107|
Heft 20|
21. Mai 2010 A 953K
onfrontation und Krach sind Selbstläufer in den Medien. Dass auch ohne diese Zutaten über den 113. Deutschen Ärztetag in Dresden breit berichtet wurde, ist deshalb bemerkenswert. Mit Ausnahme ei- nes maschinenstürmerisch-emotionalen Aussetzers bei der elektronischen Gesundheitskarte verliefen die Be- ratungen in Dresden sachlich und konstruktiv. Das Ge- neralthema des Ärztetags und der vorausgehenden Ver- treterversammlung der Kassenärztlichen Bundesverei- nigung (KBV) war die Frage, wie angesichts der demo- grafischen Veränderungen und des sich verschärfenden Ärztemangels eine gute flächendeckende medizinische Versorgung zu sichern ist. Die erste Dresdner Nachricht dazu lautet: Das ist kein Zukunftsproblem mehr, Politik und Ärzteschaft sind sich einig, dass die Lösungen heu- te gefunden werden müssen.Garant einer ambulanten medizinischen Versorgung für Versicherte aller Kassen von Aachen bis Frankfurt (Oder), von Flensburg bis Garmisch ist bisher die Kas- senärztliche Vereinigung. Diese Aufgabe kann sie nicht mehr erfüllen, wenn die hausärztliche Versorgung au- ßerhalb der KV abgewickelt wird. Die Politik hat ver- säumt, klare Wettbewerbsregeln für das Nebeneinander von Kollektiv- und Selektivverträgen aufzustellen. Ein weiteres Mal hat die KBV-Vertreterversammlung des- halb eindringlich gefordert, Selektivverträge nicht als Ersatz, sondern in Ergänzung des Kollektivvertrags zu- zulassen, um bessere Versorgungsmodelle zu erproben.
Zudem hat sich die KBV das Ziel gesetzt, bundesweit die gleiche Vergütung für die gleiche Behandlung zu realisieren, und zwar innerhalb von fünf Jahren. Das bedingt in den kommenden Jahren eine ungleiche Ver- teilung etwaiger Honorarzuwächse.
Konsens besteht bei den Delegierten von KVen und Ärztekammern darüber, dass die derzeitigen Planungs- instrumente nicht geeignet sind, einer Unterversorgung in ländlichen Regionen und in städtischen sozialen Brennpunkten wirksam zu begegnen. Gemeinsam tritt man für eine sektorenübergreifende Analyse des medi- zinischen Bedarfs und der Morbiditätsentwicklung ein.
Einmütig plädiert die Ärzteschaft dafür, dass sich KV, Kammer, Krankenhausgesellschaft, Landesministeri- um, Kassen und Patientenvertreter zusammensetzen, um regionale Versorgungsprobleme gemeinsam anzu- gehen. Der Ärztetag hat bekräftigt, dass die niederge- lassenen Fachärzte nicht nur nicht entbehrlich sind, sondern für die Versorgung eher wichtiger werden. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass sich erst der Marburger Bund und dann das Parlament der
Ärzteschaft mit großer Mehrheit gegen die Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung ausge- sprochen haben, wie sie heute gesetzlich geregelt ist.
Einer konstruktiven Zusammenarbeit zwischen nieder- gelassenen Fachärzten und Krankenhausfachärzten ist nach Ansicht des Ärztetags eher gedient, wenn das ur- sprüngliche Ziel des Gesetzgebers wieder in den Blick- punkt rückt: die Ergänzung der ambulanten Versorgung durch Kliniken bei hochspezialisierten Leistungen, sel- tenen Erkrankungen und Erkrankungen mit besonde- rem Verlauf. Ein konkreter Formulierungsvorschlag für den § 116 b SGB V, der eine Einbeziehung der ärztli- chen Selbstverwaltung in die Entscheidungen über die Öffnung von Kliniken sowie den Vorrang der persönli- chen Ermächtigung von Krankenhausärzten vor der in- stitutionellen Öffnung vorsieht, liegt den Politikern vor.
In Kliniken und Praxen fehlen schon heute Ärzte.
Deshalb stand der ganze Strauß von Vorschlägen, der eine kurative Tätigkeit für Absolventen des Medizin- studiums attraktiver machen soll, in Dresden zur Dis- kussion. Die Selbstverwaltung ist aufgefordert, die Evaluation der Weiterbildung nicht nur fortzusetzen, sondern ihr auch konkrete Verbesserungen folgen zu lassen. Zu den guten Nachrichten aus Dresden gehört, dass eine gründliche Überarbeitung der (Muster-)Wei- terbildungsordnung fest zugesagt ist. Der weitere Wunschzettel ist lang: Medizinstudierende sollen früh- zeitig an die Berufsrealität herangeführt werden, die Arbeitszeiten sollen familienfreundlicher und die Füh- rungskultur in den Kliniken kollegialer werden. Nicht zuletzt sollen die Arzneimittelregresse mit ihrer Ab- schreckungswirkung auf Niederlassungswillige fallen.
Manches klingt nach frommen Wünschen. Immerhin diskutieren Politiker und Ärzte inzwischen über die gleichen Themen.
113. DEUTSCHER ÄRZTETAG
Dresdner Nachrichten
Heinz Stüwe
Heinz Stüwe Chefredakteur