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Archiv "Behandlung der Tumor-Hypercalciämie" (21.06.1985)

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Behandlung

der Tumor-Hypercalciämie

Reinhard Ziegler

Aus der Abteilung für Innere Medizin VI- Endokrinologie (Ärztlicher Direktor: Professor Dr. med. Reinhard Ziegler) der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Vorkommen, Häufigkeit Wenn eine Osteapathie eine schwerwiegende Grundkrankheit begleitet, wird sie erst in Erschei- nung treten und für den Kranken bedeutsam werden, wenn die Ver- langsamung und das Überleben der Grundkrankheit gelingt. So wurde die renale Osteapathie zum Behandlungsproblem, nach- dem niereninsuffiziente Patienten mit Hilfe der künstlichen Niere überleben konnten.

Die therapeutischen Fortschritte der Onkologie lassen ein ähn- liches Phänomen stärker bewußt werden: die Tumor-Osteapathie und (damit verbunden) Tumor-Hy- percalciämie.

Eine Statistik aus jüngerer Zeit (1) gibt folgende Zahlen an: Unter 16 887 Krebspatienten, die im Jahre 1978 im M. D. Anderson- Hospital and Tumor Institute, Hou- ston!Texas, registriert wurden, wiesen 7,8 Prozent fallweise eine Hypercalciämie auf. Führend wa- ren Tumoren des unteren Re- spirationstraktes; sie gingen in 10,2 Prozent mit Hypercalciämie einher, gefolgt vom Brustkrebs mit 9,1 Prozent. Die geringste Häufigkeit der Begleithypercalci- ämie hatten Hauttumoren (4,7 Prozent).

Wenn man die Frage stellt, wie häufig eine Hypercalciämie im kli- nischen Krankengut beobachtet wird, hängt dies von der fachli- chen Ausrichtung der Institution

ab; im durchschnittlichen interni- stischen Krankengut dürfte wei- terhin mit einer relevanten Hyper- calciämie unter 1000 Patienten gerechnet werden (2). Die Zahl steigt, sobald ein onkologisches oder endokrinalogisches Kran- kengut im Vordergrund steht.

Die Aufgliederung der diagnosti- zierten Hypercalciämien läßt in der Statistik von Lafferty aus dem Jahre 1966 (3) erkennen, daß nur 20 Prozent der Kranken an einer operierbaren Ursache der Hyper- calciämie (= primärer Hyperpara- thyreoidismus) leiden; 70 Prozent der damaligen Patienten litt an malignen Neoplasien.

An dieser Aufteilung hat sich in 15 Jahren wenig geändert: Burkhardt und Kistler fanden 1981 (4) unter ihren hypercalciämischen Patien- ten trotz verstärkter Aufmerksam- keit für den primären Hyperpara- thyreoidismus in den letzten Jah- ren diese Erkrankung immer noch nur in 22,1 Prozent der Fälle, wäh- rend 55,8 Prozent Tumor-Hyper- calciämien waren.

Die Hypercalciämie des Patienten ist für den Arzt aus folgenden Gründen beachtenswert:

...,. Sie kann eine akute, teils lebensbedrohliche Gefährdung darstellen; sie mag eine Progres- sion der Tumorerkrankung signa- lisieren; sie vermag einen primä- ren Hyperparathyreoidismus in ei- nem früheren Stadium zur Manife- station zu bringen.

ÜBERSICHTSAUFSATZ

Als Komplikationen maligner Er- krankungen können Tumor-Hy- percalciämie und Tumor-Ostea- pathie auftreten. Sie gefährden den Patienten zusätzlich zur Grunderkrankung. Die Verken- nung dieser Komplikation ist lei- der nicht selten. Der symptomati- schen Therapie dienen Diurese- steigerung, Mithramycin, Diphos- phonate. Kontraindiziert sind Digi- talis und Hydrochlorothiazide.

Entstehung

Zur Hypercalciämie kommt es im Verlauf einer Tumorerkrankung, wenn die durch Osteolyse freige- setzte Kalziummenge die homöo- statische Kapazität des Organis- mus für eine endogene Kalzium- belastung (vermehrte Kalzi- umausscheidung und Suppres- sion der Parathormonsekretion) überschreitet. Früher eine Hyper- calciämie manifestierende Fakto- ren können zusätzlich sein: Ein koinzidenter, latenter pnmarer Hyperparathyreoidismus, die Ein- nahme von Vitamin D oder D-artig wirksamen Präparaten; die Ein- nahme von Hydrochlorothiaziden.

Zwei Mechanismen sind bei der gesteigerten Skelettresorption möglich. Zum einen kann es sich um eine lokalisierte Skelettre- sorption handeln. Solitärtumoren können in der Regel nicht genü- gend Kalzium freisetzen, um die Homöostase zu überfordern - in der Regel liegen multiple Tumo- ren oder diffuse Tumorabsiedlun- gen vor. Zum anderen kann die Osteolyse und damit die Hypercal- ciämie humoral induziert sein. Da- mit ähnelt die Erkrankung einem primären Hyperparathyreoidis- mus, und aus diesem Grunde wur- de der Terminus "Pseudohyper- parathyreoidismus" eingeführt.

Folgende Substanzen können hu- moral eine paraneoplastische Hy- percalciämie unterhalten: Parat-

e

Fortsetzung siehe Seite 1448

(2)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

EDITORIAL

Die Medizin im Lichte neuerer Logiken

Grundlagen

Die angewandte Medizin — in Diagnostik, Prognostik und Therapie — besteht im Grun- de aus folgenden Schritten:

0 der vorurteilsfreien, von Wunschdenken nicht beein- flußten Feststellung der Tat- sachen;

49 der logischen Bearbei- tung dieser Tatsachen über Akkumulation, Analyse, Ge- wichtung bis zu induktiven oder (zuverlässiger, aber in praxi seltener:) deduktiven Schlüssen (Lit. u. a. bei [1]

und [2]);

der Anwendung der unter (1) und (2) genannten Prinzi- pien auf den speziellen Kranken mit seinen Beson- derheiten, mit seinem psy- chosozialen Hintergrund, mit seiner Einmaligkeit, um das Beste gerade für ihn daraus zu machen.

Zwar wird die Medizin mit der ständig sich ausweiten- den Bedeutung physikali- scher, chemischer, immuno- logischer, morphologischer Verfahren immer mehr von einer Kunst oder von der In- tuition zur angewandten Wis- senschaft. Gleichzeitig ha- ben aber einige „neuere" lo- gische Verfahren die Frage aufgeworfen, ob und wie ein Arzt auch diese Methoden in den Dienst seiner Tätigkeit am Krankenbett stellen

kann. Zu einigen dieser

„aty- pischen"

Logiken („deviant logics" [4]) sei betont, daß der Ausdruck „neu" hin- sichtlich ihrer Erfindung si- cher nicht zutrifft: So hat z. B. Lukasiewicz seine mehrdimensionale Logik schon 1920 vorgelegt, ja schon Aristoteles Zweifel an den heute überwiegend gül- tigen binären Systemen — den Sätzen vom ausge- schlossenen Dritten — ge- äußert (Lit. u. a. bei [6]). Neu wäre eine breitere Anwen- dung, für die sich über die sogenannten exakten Wis- senschaften hinaus vielleicht kein Fach mehr eignet als die Medizin. Zweifellos führt die konventionelle Logik — die weitere Entwicklung und der bisherige Abschluß der Aristotelischen Syllogistik — zu einer kaum mehr zu über- treffenden Präzision. Ob aber nicht vagere Vorstellun- gen und Schlüsse der Rea- lität näherkommen, wie Du- hem schon 1904 für die theo- retische Physik annahm (zit.

n. 4): ist,gerade in der Medi- zin mit ihrer unübersehbar großen Zahl von Variablen, mit ihrer Zuwendung zum In- dividuum durchaus offen.

Verschwommenes Denken

(„fuzzy thinking")

„Fuzzy thinking" (am besten übersetzt mit undeutlichem oder verschwommenem

Denken) wurde von

dem amerikanischen Ingenieur Zadeh (z. B. 7, 8) entwickelt, um Probleme zu lösen, de- ren Komplexität einer exak- ten Logik nicht zugänglich erschien. In der fuzzy set- Theorie gibt es alle Grade von Wahrscheinlichkeit zwi- schen 1 (= sicher) und 0 (=

ausgeschlossen), s. a. bei (1). Die Wahrheitswerte schwanken sinngemäß — wie bei anderen Systemen die- ser Art — von absolut sicher über ziemlich sicher, mehr oder minder sicher, wenig si- cher, unwahrscheinlich bis zu ausgeschlossen.

Die heute überwiegend sub- jektiv interpretierte Wahr- scheinlichkeitslehre als

„Maß vernünftigen Glau- bens" oder als „Einsatz bei einer fairen Wette" (1) reicht demgemäß über Werte von 1,0 bis 0. Zadeh und Bellman (8) gingen einen Schritt wei- ter und verzichteten — min- destens teilweise — auf Axio- me, Vollständigkeit, Konsi- stenz, wechselseitigen Aus- schluß (durchweg „heilige Kühe" der klassischen Lo- gik). Damit ist auch der Schritt getan von der physi- kalisch notwendigen Wahr- heit über die (rein formal be- gründete) grammatikalische Wahrheit bis zur semanti- schen (durch ihren Inhalt be- gründeten) Wahrheit als be- stimmendem Kriterium. Die Logik von Freges „Be- griffsschrift" (1867)

sowievon Russell und White-

heads „Principia mathemati-

ca" (1910) wurde damit auf-

geweicht. Ebenso wie die

noch zu besprechende

mehrdimensionale Logik

(3)

EDITORIAL

kommen solche Abschwä- chungen aber der Anwen- dung in der Praxis entgegen und machen eine Aussage auf der Grundlage der in der Medizin bis dato vorliegen- den Kenntnisse und Informa- tionen leichter und vielleicht wirklichkeitsnäher. Dies soll- te allerdings in meiner Sicht zur Vermeidung der häufi- gen Konfusionen an Bedin- gungen geknüpft sein:

• Man sollte sich bewußt sein, daß man einen Schritt weg von der klassischen Lo- gik oder ihrer modernen Fortentwicklung geht und daß man nicht aus Ignoranz oder aus den in der Medizin so beliebten ad hoc-Taktiken heraus handelt.

O Man sollte auch in diesen Fällen zunächst versuchen, durch Präzision, etwa im Sinne der klassischen Logik, weiterzukommen.

Mehrdimensionale Logiken

Obwohl zum Teil älter, unter- scheiden sie sich von der

„fuzzy logic" nicht grundle- gend. Die einfachste Form erweitert eine wahre Aussa- ge wie „vorhanden" und

„nichtvorhanden" um den Zwischenbegriff „möglich".

Dies ist schon der Kern der seit Aristoteles bekannten und benutzten sogenannten Modallogik. Auch hier wird der Arzt sofort die Bezie- hung zur Situation in der Praxis erkennen. Unter den vielen moderneren Formen seien beispielhaft nur Priors 4 Dimensionen (5) genannt:

O wahr, auch rein mathe- matisch (oder: wahr und als wahr bekannt);

• wahr, aber mathematisch nicht erwiesen (oder: wahr, aber nicht bekannt, ob wahr);

(i) falsch, aber mathema- tisch nicht widerlegt (oder:

falsch, aber nicht als falsch bekannt);

• falsch, auch rein mathe- matisch (oder: falsch und als falsch bekannt).

Darüber hinaus gibt es eine ganze Anzahl von mehrdi- mensionalen Logiken. Sie kommen gerade der Anwen- dung in Diagnostik und The- rapie sehr entgegen. Wir müssen uns daher fragen, weshalb sie sich gegenüber der klassischen, zweiwerti- gen Logik (richtig — falsch oder: vorhanden — nicht vor- handen) so wenig durchge- setzt haben.

Grenzen

mehrwertiger Logiken

O Der erste Einwand be- steht darin, daß sie von ein- zelnen mit ganz verschiede- ner Nomenklatur und ver- schiedener Bedeutung ein- geführt wurden, wohl des- halb auch auf jeweils wenig Resonanz stießen.

43 Auf der gleichen Ebene liegt, daß sie nicht annä- hernd so gut ausgearbeitet wurden wie die zweidimen- sionale, durch ihren Satz vom „ausgeschlossenen Dritten" gekennzeichnete Logik. Mehrdimensionale Lo-

giken werden in den meistem Standardwerken sozusagen mit erwähnt, sie bilden aber nicht die einheitliche Be- griffssprache der Logiker, sozusagen ihre Basis.

(;) Obwohl sich Computer in der Medizin aus Gründen, die wir an anderer Stelle mehrfach behandelt haben (z. B. 3) noch keineswegs als Universalmaschinen durch- gesetzt haben, sind alle wichtigen Anwendungen zur Zeit (und vermutlich auf lan- ge Zeit!) auf binäre Systeme (1 oder 0) eingerichtet. Die Umstellung auf multidimen- sionale Logiken würde eine heillose Verwirrung schaffen und den technischen Fort- schritt in der Praxis hem- men. Dies allerdings sollte Ärzte nicht hindern — und die meisten tun es schon mehr oder minder bewußt —, in ihren persönlichen Urtei- len mehrdimensionale Logi- ken zu gebrauchen. Auch darin ist das menschliche Gehirn zur Zeit eben den Maschinen überlegen.

Literatur

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Professor Dr. med.

Rudolf Gross

Haedenkampstraße 5

5000 Köln 41

(4)

Tumor-Hypercalciämie

• Fortsetzung von Seite 1443 hormon; parathormonartig wir- kende, aber immunologisch nicht mit PTH-Radioimmunoassays er- faßbare Proteine (zum Beispiel Epidermal Growth Factor = EGF);

der den Lymphokinen zugerech- nete, Osteoklasten aktivierende Faktor (OAF); Prostaglandine; an- dere, noch unbekannte Faktoren.

Die Messung erhöhter PTH-Spie- gel bei der Tumor-Hypercalciämie gelingt verhältnismäßig selten;

derartige Fälle sind der Diagnose- stellung besonders gut zugäng- lich (5). Vor allem bei Brustkrebs- patientinnen mit Hypercalciämie fanden sich bei supprimiertem endogenem PTH häufig erhöhte Prostaglandin - Ausscheidungen (6); naturgemäß war zum Teil ein befriedigendes Ansprechen der Hypercalciämie auf Prostaglan- din-Synthesehemmer zu beob- achten. Verwirrend war zunächst, daß ein Teil der Patienten mit Tu- mor-Hypercalciämie trotz nicht meßbarem PTH eine erhöhte Aus- scheidung von zyklischem Adeno- sinmonophosphat (cAMP) erken- nen ließ; bis dato hatte die gestei- gerte cAMP-Ausscheidung als ver- läßliches Kriterium eines Hyper- parathyreoidismus gegolten. Die- se Vorstellung mußte revidiert werden: Tumoren vermögen of- fenbar humorale Faktoren zu se- zernieren, die PTH-Rezeptoren anregen, ohne jedoch mit Parat- hormon identisch zu sein; es könnte sich um Faktoren wie EGF handeln (7). Eher fraglich sind die früher vermuteten steroidalen osteolytischen Faktoren (8).

Erwähnenswert ist noch, daß Fälle von Brustkrebs durch eine Thera- pie mit Tamoxifen „aktiviert" wer- den können, so daß es zur Hyper- calciämie kommt (9); diese Mög- lichkeit ist bei der entsprechen- den Tumortherapie zu beachten.

Ob es sich beim echten Pseudo- hyperparathyreoidismus, das heißt der Sekretion auch radioim- munologisch meßbaren PTHs durch ein kleinzelliges Bronchial-

karzinom und ähnliches um die Derepression des PTH-Gens in ei- ner Tumorzelle handelt, die ur- sprünglich dem Bronchialsystem zuzuordnen war, oder ob eine im Bronchialsystem sitzende Zelle des diffusen neuroendokrinen Sy- stems (10) entartete, muß noch of- fenbleiben.

Erscheinungsbild

Wann ist an die Möglichkeit einer Tumor-Hypercalciämie von seiten der Klinik des Tumorpatienten zu denken? Selbstverständlich im Spätstadium, wenn die Tumor- osteopathie so ausgeprägt ist, daß Skelettschmerzen, Frakturen oder Deformierungen auf das Über- greifen der Tumorerkrankung auf den Knochen aufmerksam ma- chen.

Eine Hypercalciämie kann aber bereits bei noch scheinbar intak- tem Knochen auftreten und sich als Hypercalciämie-Syndrom äu- ßern. Dieses Syndrom tritt bei Hy- percalciämien aller Ursachen auf, es ist um so ausgeprägter und auch charakteristischer, je höher der Serum-Kalziumspiegel an- steigt. Zu nennen sind renale, in- testinale, nervale und psychische sowie kardiale Symptome.

In der Niere bewirkt die Hypercal- ciämie eine Polyurie (mit Polydip- sie), die verstärkte Kalziurie be- dingt auch verstärkte Natriurie und Kaliurie, letztere führt häufig zur Hypokaliämie. Eine stärker- gradige Hypercalciämie behindert die Ausscheidungsfunktion der Niere — bei Exsikkose kann eine kritische Oligurie/Anurie zur Akut- gefährdung führen.

Appetitlosigkeit, Übelkeit und Er- brechen gehören zum intestina- len Symptomenkomplex; die Be- schwerden tragen zur Gewichts- abnahme des Tumorkranken, aber auch des Hypercalciämikers benigner Ursachen bei.

Neurologische Symptome der Hy- percalciämie sind Adynamie, Re-

flexabschwächung; als endokri- nes Psychosyndrom zeigen sich Verstimmungen, Antriebsverlust, depressive Züge — stärkergradige Hypercalciämien induzieren eine Somnolenz oder gar ein Koma: In Verbindung mit der renalen Insuf- fizienz signalisiert die Eintrübung die hypercalciämische Krise.

Kardial können Rhythmusstörun- gen auftreten. Auch die Hypokali- ämie kann sich hier bemerkbar machen. Als diagnostisches Zei- chen findet sich eine Verkürzung der QT-Zeit seltener als erwartet.

Je mehr Zeichen des skizzierten Spektrums auftreten, desto eher sollte eine aktuelle Serum-Kalzi- umbestimmung erfolgen um fest- zustellen, ob eine Hypercalciämie für die Symptomatik verantwort- lich ist oder nicht. Selbstverständ- lich kann auch eine Hypercalci- ämie völlig asymptomatisch ver- laufen, insbesondere im Grenz- oder nur gering erhöhten Bereich.

Diagnostik

Aufgrund der doch häufigeren Be- gleithypercalciämie einer Tumor- erkrankung, als gemeinhin ange- nommen, sollte der Serum-Kalzi- umspiegel bei der Kontrolle der Patienten zumindest in mehrmo- natigen Abständen in das Pro- gramm eingeschlossen werden.

Engermaschige Kontrollen sind anzuraten, wenn sich ein Betrof- fensein des Skelettes abzeichnet

— selbstverständlich sind akute Kalziumkontrollen indiziert, wenn die oben dargelegten Symptome auftreten. Findet sich eine Hyper- calciämie, sind folgende Fragen zu beantworten:

Ist die Störung Folge der Tumor- erkrankung? Kommen exogene

Faktoren in Betracht: Therapie mit Kalzium und/oder Vitamin-D- Präparaten? Gabe von Tamoxifen (Nolvadex®, Tamofen®) bei Brust- krebs? Verordnung von Hydro- chlorothiaziden (Di-Chlotride®, Esidrix®), die die Kalziumaus- scheidung im Urin vermindern

(5)

Tu mor-Hypercalciämie

und auf diese Weise eine Tendenz zur Hypercalciämie manifestieren können? Schließlich muß auch bedacht werden, ob ein koinzi- denter primärer Hyperparathy- reoidismus vorliegt.

Nach Feststellung der Hypercalci- ämie bieten sich folgende ergän- zende laborchemische Parameter an: Der Serum-Phosphorspiegel neigt beim primären und beim Pseudohyperparathyreoidismus zur Erniedrigung, die sich jedoch auch bei einer nicht durch PTH bedingten Hypercalciämie finden kann. Eine Erhöhung der alkali- schen Serumphosphatase deutet (nach Ausschluß einer Leberer- krankung) auf einen gesteigerten Knochenanbau hin. Die vermehrte Hydroxyprolinausscheidung ist ein Zeichen der gesteigerten Osteolyse (ebenfalls unspezi- fisch). Eine gesteigerte Ausschei- dung von cAMP im Urin kann man beim primären und beim Pseudo- hyperparathyreoidismus finden — nach neueren Erkenntnissen je- doch auch bei Tumor-Hypercalci- ämie durch Faktoren wie etwa EGF (12). Als dynamischer Test zur Beeinflußbarkeit der Hyper- calciämie kann der Kortison-Test nach Dent (13) von Nutzen sein.

Der Suche nach Umbauherden im Skelett dient das Knochenszinti- gramm, ergänzt durch Röntgen- untersuchungen. Die Knochen- biopsie (Beckenkamm) liefert un- terstützende Aussagen: Bei koin- zidentem primärem Hyperpara- thyreoidismus kann bei einem Teil der Fälle der Nachweis der Fi- broosteoklasie gelingen, die Be- urteilung des Knochenmarkes ge- stattet Aussagen zum Nachweis oder Ausschluß von Systemer- krankungen oder diffuser Meta- stasierung.

Bei meßbar erhöhtem Parathor- mon (oder nicht supprimiertem PTH) vermag die Körper- und Halsvenenkatheterisierung Hin- weise zu liefern, ob die PTH-Über- produktion eutop vom Halse aus- geht oder ektop von einem nicht- parathyreoidalen Tumor (5).

Endziel der Diagnostik ist es, die Hypercalciämie mit ausreichen- der Wahrscheinlichkeit der Tu- morerkrankung zuweisen zu kön- nen, exogene Faktoren auszu- schließen und einen koinzidenten primären Hyperparathyreoidis- mus nicht zu übersehen (14).

Therapie

Nach Erkennen der Situation, daß beim Patienten eine Hypercalci- ämie vorliegt (sei es bei bereits bekannter Tumorerkrankung oder auch als Leitsymptom innerhalb der klinisch-chemischen Parame- ter), vergeht nicht selten eine An- zahl von Tagen bis Wochen, bis eine Zuordnung im Hinblick auf die stets angestrebte Kausalthera- pie gelungen ist. Diese Kausal- therapie wird bei einer durch die Tumorerkrankung bedingten Hy- percalciämie von eingeschränkter Erfolgsaussicht sein, während ein primärer Hyperparathyreoidismus besonders in der Hand des erfah- renen Chirurgen praktisch immer die Möglichkeit der Heilung die- ser Krankheitskomponente bein- haltet.

Somit besteht der therapeutische Bedarf einmal in Wegen zur symp- tomatischen Senkung des Serum- Kalziumspiegels, ohne Rücksicht auf die Herkunft der Hypercalci- ämie, zum anderen sind Möglich- keiten erwünscht, eine chroni- sche Hypercalciämie als Beglei- tung einer kausal wenig angehba- ren Tumorerkrankung auch über längere Zeiten unter Kontrolle zu behalten.

An erster Stelle zur akuten Kalzi- umsenkung steht ein ausreichen- des Flüssigkeitsangebot, um die Diurese in Gang zu halten und die Gefahr der Verschlechterung der Nierenfunktion durch Exsikkose zu vermindern. Bei mäßiger Hy- percalciämie reicht es aus, den Patienten zu reichlichem Trinken (2 bis 3 Liter pro Tag) anzuhalten.

Zu beachten ist, daß zahlreiche, in Krankenhäusern übliche Mineral- wässer reichlich Kalzium enthal-

ten! Der Zweck der Diurese, Kalzi- um auszuschwemmen, wird dann verfehlt, indem im Mineralwasser gerade eben die Kalziummenge nachgetrunken wird, die durch die Nieren ausgeschieden wird.

Schafft der Patient die Flüssig- keitsmenge oral nicht oder wird das Trinken durch gleichzeitige Übelkeit verhindert, bieten sich intravenöse Infusionen von phy- siologischer Kochsalzlösung als

Mittel der Wahl an. Die kalzium- senkende Wirkung dieser Maß- nahme ist ausgezeichnet:

Natriumionen werden unter der Infusion vermehrt ausgeschieden, und sie nehmen Kalziumionen mit sich. Eine in Stunden sichtbare Senkung des Serum-Kalziumspie- gels ist die Folge. Pro 24 Stunden können drei bis sechs, in schwe- ren Fällen sogar zehn Liter infun- diert werden. Herz und Kreislauf tolerieren diese Flüssigkeitsmen- ge überraschend gut.

Die gute Verträglichkeit der Flüs- sigkeitsbelastung beruht auch darauf, daß der Patient mit Hyper- calciämie sozusagen gleichsam bereits digitalisiert ist. Dies will besagen, daß die zusätzliche Ga- be normaler Digitalisdosen bei Hypercalciämie die Gefahr der Di- gitalis-Intoxikation und des Herz- todes in sich birgt. Aus diesem Grunde ist zu empfehlen, nach Er- kennung einer Hypercalciämie ei- ne eventuell laufende Digitalisthe- rapie bis zur erfolgreichen Sen- kung des Kalziumspiegels abzu- setzen.

Kommt es unter der Verstärkung der Trinkmenge oder auch der Kochsalzinfusion zur Flüssigkeits- retention, bietet sich als Diureti- kum der Wahl Furosemid (zum Beispiel Larix®) an. Es kann sei- nerseits die Kalziumausscheidung fördern, allerdings erfordert die direkte kalziuretische Wirkung der Substanz hohe Dosen von et- wa 100 mg Furosemid pro Stunde.

In der Regel reichen die üblichen, niedrigeren, diureseanregenden Dosen beim Patienten aus.

(6)

Tumor-Hypercalciämie

Adjuvant zur Diurese-Therapie kann Calcitonin (Calcitonin-San- doz8 ) verabreicht werden (z. B.

100 i. E. alle 4 bis 6 Stunden sub- kutan [auch eine intravenöse Dau- erinfusion ist möglich] ). Calcito- nin kann eine sehr günstige, zu- sätzliche kalziumsenkende Wir- kung entfalten, aber in Einzelfäl- len auch völlig wirkungslos blei- ben. Daher ist es nicht als Medika- ment der ersten Wahl zu empfeh- len, jedoch als hilfreiches Adju- vans. ohne relevante Nebenwir- kungen (passagere Übelkeit, sel- ten Erbrechen, sind möglich). Al- lerdings kann die kalziumsenken- de Wirkung des Calcitonins recht rasch (innerhalb weniger Tage) verlorengehen. Beobachtet wur- de, daß sich diese Adaptation des Organismus an die Wirkung des Calcitonins durch Glukokortikoid- gabe aufhalten läßt (7).

Die Wirkung der Glukokortikoide selbst ist durchaus unterschied- lich: Manche Tumoren sprechen sehr günstig darauf an, insbeson- dere etwa das multiple Myelom.

Einige M.yelom-Patienten lassen jedoch diesen Effekt vermissen.

Für die akute Kalziumsenkung kommen Glukokortikoide kaum in Betracht.

Bei kritischer Hypercalciämie und gestörter Nierenfunktion sowie auch auf die bisher genannten Maßnahmen resistent werdender Hypercalciämie hat sich die Gabe des Zytostatikums Mithramycin bewährt. Mithramycin hemmt auch die gesteigerte Aktivität von Osteoklasten, die durch gutartige Erkrankungen, wie etwa den pri- mären Hyperparathyreoidismus, stimuliert sind. Somit ist bei al- len Hypercalciämien, die durch Osteoklasten stimulierende Fak- toren vermittelt werden, ein gutes Ansprechen zu verzeichnen. Man verabreicht 25 1.1g/kg Körperge- wicht in intravenöser Dauerinfu- sion (500 ml Glukose 0,5 Prozent) über acht Stunden an drei bis vier aufeinanderfolgenden Tagen.

Mögliche Nebenwirkungen sind Knochenmarksdepression, Anhe- bung der Leberenzyme im Blut

sowie intestinale Schleimhaut- schädigung. Trotz der theoreti- schen Erwartung, daß ein Teil der

paraneoplastischen Hypercalci- ämien prostaglandin-bedingt ist, entfalten Substanzen wie Indome- tacin keine besonders verläßliche Wirksamkeit.

Bei kritischer Hypercalciämie kann natürlich auch eine calcium- freie Hämodialyse als Akutmaß- nahme Anwendung finden.

Eine interessante Neuentwick- lung für die Zukunft stellen die so- genannten Diphosphonate dar.

Diese Substanzen hemmen Mine- ralisationsprozesse, aber auch überaktive Osteoklasten. Das Di- phosphonat EHDP findet bei Kno- chenerkrankungen, wie Morbus Paget, mit Erfolg Anwendung —als oral einnehmbares Präparat kann es auch gelegentlich eine Hyper- calciämie senken. Allerdings ist sein Effekt bei intravenöser Ver- abreichung wesentlich zuverlässi- ger und stärker; das entsprechen- de Präparat steht jedoch noch nicht zur allgemeinen Verfügung.

Gleiches gilt für das Diphospho- nat APD, das auch bei oraler Ein- nahme Tumor-Hypercalciämien sehr verläßlich zu senken vermag.

Eigene Beobachtungen haben sehr zuverlässig eine Normocalci- ämie unter der Therapie innerhalb von drei bis acht Tagen erkennen lassen. Gravierende Nebenwir- kungen haben sich nicht abge- zeichnet, so daß über diese Sub- stanzgruppe in Zukunft eine deut- liche Verbesserung der akuten Möglichkeiten zu erhoffen ist.

Dies gilt auch für die Therapie der chronischen Tumor-Hypercalci- ämie. Bisher wurde die kalziumar- me Ernährung angewendet, er- gänzt durch orale Phosphatga- ben; neben intestinalen Unver- träglichkeiten war auch die Aus- prägung von Weichteilverkalkun- gen möglich. Die Langzeit-Gluko- kortikoidtherapie mit ebenso fall- weise guter Wirksamkeit birgt das Nebenwirkungsrisiko dieser Hor- mongruppe. Auch hier scheint

das oral wirksame APD längerfri- stig eine Verbesserung der thera- peutischen Möglichkeiten aufzu- weisen.

Abschließend sei nochmals darauf hingewiesen, daß Hydrochloro- thiazide bei Hypercalciämie kei- nesfalls angewendet werden soll- ten, da sie die Ausscheidung von Kalzium vermindern und auf diese Weise die Hypercalciämie ungün- stig verstärken können. Daß Digi- talispräparate bei Hypercalciämie nicht erforderlich und sogar ge- fährlich sind, wurde bereits er- wähnt.

Literatur

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Med. 80 (1974) 1365-68 - (15) Minne, H. W., R.

Ziegler: Paraneoplastische Hypercalciämien.

Therapiewoche 32 (1982) 6383-87

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med.

Reinhard Ziegler Abt. Innere Medizin VI

— Endokrinologie — Universität Heidelberg Luisenstraße 5

6900 Heidelberg

Referenzen

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