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ahezu 30 000 Personen erkranken jährlich in Deutschland an einem nichtkleinzelligen Bronchial- karzinom (NSCLC). Bei der Diagnose befinden sich zwei Drittel der Patienten bereits in einem metastasierten Sta- dium. Trotz systemischer The- rapie mit modernen Zytosta- tika leben die Betroffenen im Durchschnitt nur noch neun Monate. Große Hoffnungen werden daher in molekulare Therapieprinzipien gesetzt.ATP-Bindungsstelle blockiert Der Tyrosinkinase-Inhibitor Gefitinib (Iressa®) ist der Er- ste dieser neuen „biological targets“ mit nachgewiesener klinischer Wirksamkeit bei nichtkleinzelligem Bronchial- karzinom. Iressa blockiert die spezifische ATP-Bindungsstel- le im katalytischen Zentrum des EGF-Rezeptors (Epider- mal Growth Factor). Dadurch werde die Signalkaskade zum Zellkern unterbrochen und die Aktivität des Nukleus zur Zellproliferation gestoppt, er- klärte Dr. Karl-Matthias Dep- permann (Berlin-Buch).
Im Rahmen klinischer Stu- dien wurden Effektivität und Verträglichkeit von Iressa be- legt. In den IDEAL-Studien 1 und 2 (Iressa Dose Evalua- tion in Advanced Lung Can- cer) hatten chemotherapeu- tisch vorbehandelte Patien- ten entweder 250 oder 500 mg Iressa einmal täglich erhal- ten, um die notwendige Dosis zu ermitteln. Die 209 Patien- ten der IDEAL-1-Studie wa- ren mit einer oder zwei pla- tinhaltigen Therapieregimen vorbehandelt. Bei den 216 Pa- tienten der IDEAL-2-Studie waren zwei oder mehr Che- motherapien vorangegangen, darunter Regime mit Cispla- tin und Docetaxel.
Zehn bis 18 Prozent der Pro- banden sprachen im Durch- schnitt auf die Behandlung an. Diese bezeichnete Prof.
Christian Manegold (Heidel- berg) als vielversprechend.
Bei nichtkleinzelligem Bron- chialkarzinom ist bisher nur in der Firstline-Therapie eine entsprechend hohe Rate der
erwarteten Reaktionen be- kannt. Gefitinib hingegen be- wirkt noch in der Second- und Thirdline-Therapie eine ver- gleichbar hohe Ansprechrate.
Patienten mit fortgeschrit- tenem NSCLC leiden mei- stens unter starkem Husten und belastender Dyspnoe.
Die Behandlung mit Iressa mindert bereits in der zweiten Therapiewoche diese Sym- ptome. Wie sich herausstellte, korreliert diese Symptomlin- derung mit einem längeren Überleben. In beiden Studien überlebten Patienten mit Lin- derung der Symptome um mehr als zwei Prozentpunkte auf der Lung-Cancer-Sub- Scale mit 8,1 Monaten län- ger als die Patienten, bei de- nen sich die Symptome nicht verringert hatten (3,7 Mona- te). Von den Patienten mit partieller Respons lebten 86 Prozent noch nach einem Jahr, von den Patienten ohne Progression des Tumors 44 Prozent, hingegen nur acht Prozent der Patienten mit Progression.
Enttäuschend in der Kombinationstherapie Inzwischen wurde der EGF- Rezeptorblocker in den Pha- se-III-Studien INTACT 1 und 2 (Iressa NSCLC Trial Assess- ing Combination Treatment) als Kombinationspartner in
der Firstline-Therapie ge- prüft. In beiden Studien er- hielten etwa 2 000 unbehan- delte Patienten mit den Stadi- en III und IV der Erkrankung sechs Zyklen einer Chemo- therapie aus Gemcitabin und Cisplatin (INTACT 1) oder Carboplatin und Paclitaxel (INTACT 2) und jeweils dazu bis zum Krankheitsstillstand Iressa oder Placebo.
Die Ergebnisse beider Stu- dien seien enttäuschend ge- wesen, betonte Manegold. Die Zugabe von Iressa zu einer platinbasierten Chemothera- pie erbrachte keinen Überle- bensvorteil in der Gesamt- gruppe. Dennoch könnten be-
stimmte Subgruppen von dem Therapieregime profitieren.
So lebten die Patienten der Gruppe mit Adenokarzinom, die länger als 90 Tage mit der Kombinationstherapie behan- delt wurden, im Durchschnitt etwa drei Monate länger als unter Placebo-Zusatz.
Als Erklärung für den feh- lenden Gesamtnutzen von Gefitinib vermuten Experten einen wechselseitigen Ein- fluss aller eingesetzten Sub- stanzen auf dieselben zel- lulären Targets, wodurch die Effekte von Iressa verschlei- ert werden. Weitere Studien sollen Kombinationen mit an- deren Therapiemodalitäten oder auch eine sequenzielle Gabe von Iressa zur Chemo- therapie prüfen.
Die klinische Wirksamkeit in der Monotherapie refrak- tärer Patienten mit fortge- schrittenem nichtkleinzelli- gen Bronchialkarzinom hat bereits zur Zulassung des EGF-Rezeptorblockers in Ja- pan geführt. Die viel ver- sprechenden Ergebnisse bei NSCLC, Mamma- und Pro- statakarzinom sowie die gute Verträglichkeit rechtfertigen bei Malignomen den weiteren Einsatz von Iressa. In den Stu- dien zeigten sich als haupt- sächliche Nebenwirkungen akneähnlicher Hautausschlag und Diarrhö in leichten Aus- prägungen (WHO-Grad 1 und 2). Es konnten weder ei- ne hämatologische Toxizität noch neuro-, kardio- oder nephrotoxische Effekte regi- striert werden. Siegfried Hoc
Pressegespräch „Iressa: Gute Aussichten für NSCLC-Patienten“ der Firma Astra Zeneca in München
V A R I A
Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 107. März 2003 AA649
EGF-Rezeptor-Blocker Gefitinib
Symptomlinderung bei Bronchialkarzinom
Röntgenbild eines Bronchial- karzinoms Foto: Archiv