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Stellungnahme
des Deutschen Gewerkschaftsbundes
zum Entwurf eines Gesetzes zur
Reform des Rechts der Arbeitslosenhilfe (Arbeitslosenhilfe-Reformgesetz -
AlhiRG)
- Drucksache 13/2898 -
Vorbemerkung
Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf ist beabsichtigt, 2,1 Mrd.DM mit Wirkung 01.04.1996 einzusparen. Dieser Summe hinzugerechnet werden müssen die Einschnitte aus dem Asylbewerber-Leistungsgesetz, durch den Wegfall der originären Arbeitslosenhilfe. Die Gesamteinsparungen für den Bund summieren sich auf Jahresbasis auf über 3 Mrd.DM.
Die Bundesregierung begründet die
Leistungseinschränkungen mit der starken Zunahme der Arbeitslosenhilfeleistungen. Diese starke Zunahme ist ausschließlich durch die höhere Zahl der
Leistungsberechtigten verursacht, die wiederum die hohe Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland widerspiegelt.
Allein in Ostdeutschland hat sich die Zahl der Langzeitarbeitslosen, die länger als zwei Jahre arbeitslos sind, mehr als verdreifacht.
Andererseits ist das durchschnittliche Leistungsniveau gesunken. In Westdeutschland betrug der
durchschnittliche Leistungssatz im Jahre 1994
1.008,00 DM, das waren 6,1 % weniger als im Jahre 1993.
In Ostdeutschland ist auch auf dem niedrigeren Niveau noch eine Absenkung erfolgt, von 795,00 DM im Jahre 1993 auf 782,00 DM im Jahre 1994.
Tatsächlich ist die starke Steigerung der
Arbeitslosenhilfe zum Stillstand gekommen. Während in den Jahren 1991 bis 1993 die Ausgaben für die
Arbeitslosenhilfe sich mehr als verdoppelten, steigt sie seit 1994 nur noch geringfügig an.
Eine weitere Absenkung der Arbeitslosenhilfe ist deswegen sozial- und arbeitsmarktpolitisch nicht zu rechtfertigen. Vielmehr müssen die Initiativen zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit intensiviert werden.
Der vorgelegte Gesetzentwurf zielt insbesondere darauf ab, den Bund zu Lasten der Arbeitslosenhilfeempfänger und der Sozialhilfeträger sowie der
beitragsfinanzierten Arbeitsmarktpolitik in
Milliardenhöhe zu entlasten. Der Gesetzentwurf sollte - ungeachtet einiger weniger sinnvoller Elemente -
zurückgezogen werden. Die vorgesehenen Regelungen dienen insgesamt nicht der besseren Integration der Arbeitslosenhilfeempfänger, sondern ausschließlich der Entlasung des Bundes. Der Titel "Arbeitslosenhilfe- Reformgesetz" ist deswegen nicht gerechtfertigt. Es werden keine Reformen vorgenommen, sondern es werden lediglich Sozialleistungen gekürzt.
Abteilung Arbeitsmarktpolitik und Intern.Sozialpolitik
Zu den vorgesehenen Regelungen
•••• Erhöhung des Anteils von Arbeitslosenhilfebeziehern in Maßnahmen der Arbeitsbeschaffung und der produktiven Arbeitsförderung (§§ 242s, 249h AFG)
Die in § 93 vorgesehene Regelung sieht vor, daß nur noch Arbeitslose zugewiesen werden können, die mindestens 12 Monate in den letzten 18 Monaten vor der Zuweisung arbeitslos gemeldet waren. Diese Regelung zielt darauf ab, den Anteil der
Arbeitslosenhilfebezieher an diesen Maßnahmen weiter zu erhöhen. Der Bund entlastet sich zu Lasten der Bundesanstalt für Arbeit und damit der
beitragsfinanzierten Arbeitsmarktpolitik. Bereits heute werden Arbeitslosenhilfeempfänger in stärkerem Maße in ABM zugewiesen als es ihrem Anteil an den Arbeitslosen entspricht.
Zwischenzeitlich stellen die Langzeitarbeitslosen einen Anteil von 66 % im Westen und 50 % im Osten.
Nach Berechnungen der Bundesanstalt für Arbeit führt die vorgesehene Gesetzesregelung zu einer
Mehrbelastung des BA-Haushaltes im Jahre 1996 in Höhe von 422 Mio.DM, in den Folgejahren 888 Mio.DM.
Um diese Summe entlastet sich der Bundesfinanz- minister zu Lasten der Beitragszahler.
Da lediglich Ausnahmen für fünf Prozent der zugewiesenen Arbeitnehmer möglich sein sollen, befürchtet der DGB, daß viele Projekte mit
Arbeitslosen gefährdet werden, insbesondere auch Projekte, die der Eingliederung Jugendlicher dienen.
Projekte für Langzeitarbeitslose sind auch deshalb gefährdet, weil arbeitslose Sozialhilfe-empfänger - die keine Arbeitslosenhilfe erhalten -, generell von arbeitsmarktpolitischen Hilfen der Arbeitsämter ausgeschlossen werden und auch das erforderliche Anleiterpersonal vielfach nicht mehr über ABM beschäftigt werden kann.
Der DGB hat sich bisher für einen Anteil von 60 % Langzeitarbeitslosen an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen eingesetzt, diese Zahl halten wir weiterhin für sachgerecht. Da auch im kommenden Jahr kaum eine Aufstockung der Haushaltsmittel für ABM erfolgen wird, wird für die anderen arbeitsmarktpolitischen Zielgruppen, die bislang an der Vergabe von ABM partizipiert haben, eine Zuweisung nur noch in
begründeten Einzelfällen möglich sein. Damit bleiben wichtige Zielgruppen der Arbeitsmarktpolitik
ausgeklammert.
1994 entfielen z.B. bei allen Teilnehmern in AB- Maßnahmen 7 % auf die Gruppe der Schwerbehinderten, 19 % auf die der Jugendlichen ohne Berufsausbildung
und weitere 8 % auf die der gesundheitlich
Beeinträchtigten. Die angestrebte Begrenzung der ABM auf Langzeitarbeitslose bedeutet praktisch, daß die anderen arbeitsmarktpolitischen Zielgruppen vor dem Aus stehen. Die Berücksichtigung ausschließlich der Personengruppe der Langzeitarbeitslosen bedeutet, daß jegliche Ansätze von vorausschauender und ver- antwortlicher Arbeitsmarktpolitik ad adsurdum geführt werden. Durch mehrere Untersuchungen ist belegt, daß eine Integration in den regulären Arbeitsmarkt umso besser gelingt, je kürzer die in Arbeitslosigkeit verbrachte Zeit ist. Die geplante Verschlechterung der Zugangsvoraussetzungen ist keinesfalls arbeitsmarktpolitisch, sondern
ausschließlich fiskalpolitisch begründet, um den Bund auf Kosten der beitragsfinanzierten
Arbeitsmarktpolitik zu entlasten.
•••• Einführung von Trainingsmaßnahmen für
Arbeitslosenhilfebezieher unter Weiterzahlung der Arbeitslosenhilfe
Es wird bezweifelt, daß mit den vorgesehenen Trainingsmaßnahmen die Integrationschancen der Arbeitslosen verbessert werden. Vielmehr sollte an die gleichartigen Maßnahmen nach § 41a AFG ange- knüpft und der Rechtszustand wie vor 1993 wieder hergestellt werden.
Die Teilnehmer an Maßnahmen nach § 103b AFG war bis- lang auf freiwilliger Basis möglich. Im
Gesetzentwurf ist jetzt vorgesehen, die
Arbeitslosigkeit zu überprüfen , und zwar mit
entsprechenden Sanktionen. Ziel der Reform ist hier offenbar weniger die Hilfestellung für
Arbeitslosenhilfeempfänger, sondern vielmehr eine Kontroll- und Ausgrenzungsfunktion.
Trainingsmaßnahmen, die vor allem deswegen
eingesetzt werden, um die Arbeitsbereitschaft der Arbeitslosen zu testen, werden die Eingliederung in den Arbeitsmarkt keinesfalls verbessern.
Die Trainingsmaßnahmen unter Weiterzahlung der
Arbeitslosenhilfe durchzuführen, halten wir für pro- blematisch, es sollte wie bei den übrigen FuU-
Maßnahmen ein Unterhaltsgeld gezahlt werden.Zudem werden für die Trainingsmaßnahmen keine
ausreichenden Qualitätsmaßstäbe formuliert.
•••• Erschließung zumutbarer Beschäftigungsmöglichkeiten insbesondere für jüngere Arbeitslosenhilfebezieher durch Einführung einer Arbeitnehmerhilfe
Dieses Vorhaben wurde bereits 1994 aufgegriffen, ist dann allerdings im Vermittlungsausschuß von
Abteilung Arbeitsmarktpolitik und Intern.Sozialpolitik
den Tag gewährt werden, an dem der Arbeitnehmer mindestens sechs Stunden beschäftigt ist. Der Gesetzentwurf sieht vor, daß dieser Betrag bei der Bewertung der Zumutbarkeit angerechnet werden muß.
Die Aufstockung durch die vorgesehene
Arbeitnehmerhilfe macht Billiglöhne im Saisongewerbe künftig "zumutbarkeitsgerecht" und "sperrzeitfähig".
Wer zweimal eine zumutbare Beschäftigung ablehnt, der hat keinen Anspruch mehr auf Arbeitslosenhilfe.
Dadurch leistet die Bundesregierung einem staatlich geförderten Niedriglohnsektor Vorschub. Der Druck auf Arbeitslose, niedrig bezahlte Beschäftigung - möglicherweise unter Tarif - anzunehmen, wird erhöht.
Es sollte bei der heutigen Regelung bleiben, wonach der Arbeitslosenhilfebezieher eine Beschäftigung dann ablehnen kann, wenn das gesamte Netto- Arbeitsentgelt den Arbeitslosenhilfebetrag un- terschreitet. Die Tatsache, daß jede Arbeit angenommen werden muß, führt zu einer
Dequalifizierung und zu einer Fehlsteuerung von Arbeitskräften. Auch Arbeitslosenhilfebeziehern sollte die Gelegenheit gegeben werden, in ihrem Beruf eine Arbeit zu finden.
•••• Verlängerung der Fristen, innerhalb deren ein Arbeitsloser eine selbständige Tätigkeit ohne Nachteile bei der
Arbeitslosenhilfe ausüben kann, um zwei Jahre.
Die Erhaltung des Arbeitslosenhilfeanspruchs bei Übergang in eine selbständige Tätigkeit von 12 auf 24 Monate wird begrüßt. Diese Regelung kann dazu beitragen, Arbeitslose zu ermutigen, eine selb- ständige Tätigkeit aufzunehmen.
•••• Verlängerung der Fristen, innerhalb deren ein Arbeitsloser sein Recht auf Arbeitslosenhilfe nicht verliert, wenn er wegen der Berücksichtigung von Einkommen oder Vermögen nicht bedürftig war, um zwei Jahre.
Der DGB unterstützt ebenso die Verlängerung des Anspruches, wenn die Arbeitslosenhilfe wegen der Anrechnung von Einkommen oder Vermögen oder wegen Einkommen des Ehepartners nicht gezahlt wird.
•••• Pauschalierende jährliche Anpassung des für die Arbeitslosenhilfe maßgeblichen Arbeitsentgelts.
Eine jährliche Pauschalabsenkung des für die
Arbeitslosenhilfe maßgebenden Arbeitsentgelts wird vom DGB entschieden abgelehnt. Die zur Zeit gezahlte Arbeitslosenhilfe ist ohnehin so niedrig, daß eine weitere Absenkung zur Erhaltung des Arbeitsanreizes nicht erforderlich ist. Zur Zeit erhalten nur 2,7 % aller Arbeitslosenhilfeempfänger im Westen mehr als 1.800,00 DM, in den ostdeutschen Bundesländern sind es nur 0,3 %.
Auch die vorgesehene Untergrenze von 50 % der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV ist nicht akzeptabel.
In diesem Fall bekommt ein Arbeitsloser in der Leistungsklasse C in Westdeutschland nur 215,00 DM wöchentlich, in Ostdeutschland nur noch 175,00 DM wöchentlich. Dieser Betrag liegt unter der zur Zeit gezahlten durchschnittlichen Sozialhilfe, so daß weitere Arbeitslose auf die Sozialhilfe angewiesen sein werden. Der DGB bezweifelt, daß das angestrebte Niveau dem durchschnittlichen Tariflohn der
untersten Lohngruppen in der Wirtschaft und dem öffentlichen Dienst entspricht. Die
Abstandskriterien, die bei der Sozialhilfe zugrundegelegt werden, sind bei weitem
überschritten. Dies ist nicht gerechtfertigt.
Die geplante Stichtagsregelung wird gleichfalls abgelehnt; sie würde zu solch einschneidenden Härten führen, daß ein Arbeitsloser, der im März erstmals Arbeitslosenhilfe erhält, im April durch die
Abgruppierung bereits weniger Geld vom Arbeitsamt erhält.
Der Bundesarbeitsminister hat gegenüber der Presse vor Bekanntwerden des Gesetzentwurfes die Auffassung vertreten, daß die Absenkung nur wirksam werden solle, wenn vorher angebotene Integrationsmaßnahmen abgelehnt wurden. Sollte dies die Auffassung des Ministeriums sein, ist diese Regelung im
Gesetztesentwurf nicht enthalten. Eine
Einzelfallentscheidung, die von Integrations- maßnahmen abhängig gemacht wird, ist nicht erkennbar. Vielmehr sieht der Gesetzentwurf die automatische Absenkung jährlich vor.
Eine ähnliche Auffassung hat auch der Vorsitzende der CDA, der Bundestagsabgeordneter Rainer
Eppelmann, vertreten. Wörtlich heißt es:
"Arbeitslose, die durch eigene Vermittlungsversuche und die Bereitschaft, sich an Qualifizierungsmaß- nahmen zu beteiligen, zeigen, daß sie an einer Arbeitsaufnahme interessiert sind, müssen von einer Absenkung der Arbeitslosenhilfe ausgenommen werden".
Abteilung Arbeitsmarktpolitik und Intern.Sozialpolitik
schlägt vor, nach spätestens 6-monatiger Arbeitslosigkeit einen individuellen
Eingliederungsplan zu entwickeln bzw. nach
zweijähriger Arbeitslosigkeit einen Rechtsanspruch auf arbeitsmarktpolitische Maßnahmen im Gesetz zu verankern. Arbeitslose durch Absenkung der
Unterstützungsleistungen unter Druck zu setzen, bleibt so lange wirkungslos, wie die Arbeitsplätze nicht vorhanden sind.
•••• Einführung eines finanziellen Anreizes für den Ehegatten des Arbeitslosen, eine Erwerbstätigkeit weiter auszuüben oder aufzunehmen, durch einen zusätzlichen Freibetrag.
Auch die Einführung eines zusätzlichen Freibetrages bei Anrechnung von Erwerbseinkommen des Ehepartners ist sinnvoll. Damit trägt die Bundesregierung dem Grundsatz Rechnung, daß derjenige, der arbeitet, mehr haben soll als derjenige, der staatliche Unterstützungsleistungen bezieht.
•••• Schnellstmögliche Verrentung
Das Bundesarbeitsministerium hat in den letzten Jahren die starke Anzahl von Rentnern wegen
Arbeitslosigkeit beklagt. Jetzt wird durch diese Ge- setzesveränderung dem Trend noch weiter Vorschub geleistet.