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Stellungnahmedes Deutschen Gewerkschaftsbundeszum Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Aus-bildung und Beschäftigung schwerbehinderter Men-schen (Referentenentwurf)17.09.2003

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Stellungnahme

des Deutschen Gewerkschaftsbundes

zum Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Aus- bildung und Beschäftigung schwerbehinderter Men- schen (Referentenentwurf)

17.09.2003

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Gesundheits- und alternsgerechte Arbeit Ein zentrales Ziel für eine Reform des SGB IX

Als Gesetz der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen enthält das SGB IX u.a. die wichtigsten arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen der Tertiärprävention.

Auf das Arbeitsleben bezogen sind das die Regeln, die Teilhabe trotz einer

Beeinträchtigung und dann, wenn eine Beeinträchtigung droht, sicherstellen sollen.

Dieses Thema des SGB IX hat unter zwei Gesichtspunkten ein sehr großes Gewicht:

- Das Ziel der Teilhabe hat aus der Sicht des Betroffenen einen sehr starken Bezug zu seinen Menschenrechten, so wie sie in den Artikeln 1 bis 14 GG festgelegt sind. Von Teilhabe hängt ab in welchem Grad sich das Persönlichkeitsrecht, das Recht auf Gleichheit, bürgerliche und berufliche Freiheiten und Eigentumsrechte überhaupt nur entfalten lassen.

- Gleichzeitig bedeutet gescheiterte Teilhabe des Einzelnen für die Allgemeinheit, öffentliche Hand und Sozialversicherungsträger den Verlust aktiver Beiträge und die Verpflichtung zu Kompensationsleistungen an die marginalisierten und

ausgeschlossenen Personen.

Ein Verfassungsstaat, der Teilhabe im Sinne des SGB IX nur unzureichend gewährleistet, erleidet dadurch Verluste an Legitimität und Gestaltungsfähigkeit.

Die Verluste, die Deutschland immer noch aufgrund nur weit unter dem eigentlich Möglichen gewährleisteter Teilhabe erleidet, sind enorm. Zum Teil bestehen sie aus den finanziellen Kompensationsleistungen im Rahmen der Lohnfortzahlung bei

Arbeitsunfähigkeit, Krankengeld, Arbeitslosengeld nach gesundheitsbedingtem Verlust des Arbeitsplatzes und frühzeitigen Rentenzahlungen.

Weniger klar erfasst, aber in ihrem Gesamtgewicht vermutlich weit massiver als die lohnersetzenden Leistungen wiegen Verluste an Produktivität, Arbeitskontinuität, Wissen, Fertigkeiten und Erfahrungen, die als Folge verweigerter Teilhabe entstehen.

1. Zentrale Zielvorgabe für eine Reform des SGB IX

Der DGB tritt dafür ein, die teilhabesichernden gesetzlichen Regeln und die Praxis aller relevanten Akteure so weiterzuentwickeln, dass sich binnen eines Zeitraums von vier Jahren eine Reduzierung gesundheitsbedingter Unterbrechungen und Beendigungen des Arbeitslebens um durchschnittlich ein Jahr pro Arbeitnehmer ergibt.

Unseres Erachtens gehört diesem Ziel eine hohe Priorität gegenüber anderen

Reformzielen, die die Arbeits- und Sozialbeziehungen betreffen. Es ist der hohe Grad, in dem Teilhabe in Deutschland scheitert, der vor allem mangelnde Stimmigkeit in unseren Regelwerken und Schwierigkeiten bei der Finanzierung der in ihm vorgesehenen

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Leistungen hervorruft. Reformen, die diesen Mangel nicht als Allererstes angehen, sind nicht nachhaltig. Oft wird durch sie unabsichtlich die Teilhabesituation weiter

verschlechtert, sodass vermeintliche Einsparungen durch unerwartete Kosten neuer Ausschließung und Marginalisierung überkompensiert werden.

2. Realistische Aussichten auf eine erhebliche Einschränkung gesundheitsbedingter Verkürzungen des Erwerbslebens

Das Ziel, das sich auch positiv als Verlängerung der tatsächlichen Lebensarbeitszeit um ein Jahr durch verbesserte Teilhabepraktiken (statt durch gesetzliche

Leistungskürzungen) bezeichnen lässt, ist erreichbar.

- Dies zeigen Reformerfolge in Schweden und den Niederlanden, wo das hier vorge- schlagene Projekt schon in den achtziger Jahren begonnen wurde und wo

inzwischen ein Teilhabegrad erreicht wurde, der dem unseren weit überlegen ist (z.B.

um ein Jahr höhere Lebensarbeitszeit und um mehr als ein Jahr höhere

Lebenserwartung als in Deutschland in Schweden). Schweden und die Niederlande halten zudem eine enorme Erfahrungsmasse bereit, aus der wir uns bedienen können, und zwar auf Grund sehr unterschiedlicher, aber komplementärer Ansätze:

erhöhte finanzielle Verantwortung der Arbeitgeber bei Invalidität und damit stärkeres wirtschaftliches Interesse an verbesserter Teilhabe in den Niederlanden, eine breite Humanisierungskampagne mit hervorragender Differenzierung nach Branche, besonders gefährdeten Berufsgruppen und spezifischen Gesundheitsbelastungen in Schweden.

- Ein immenses Gebiet für Teilhabeverbesserungen wird am Phänomen der krankheits- bedingten Kündigung von Arbeitsverhältnissen in Deutschland deutlich. Etwa jede dritte arbeitgeberseitige Kündigung in Deutschland ist krankheitsbedingt. Die absolute Zahl dieser Art von Kündigungen liegt über 500.000 pro Jahr. Fast alle knüpfen an längere vorausgegangene Arbeitsunfähigkeitszeiten an. Dem

Kündigungsrecht des Arbeitgebers steht keine Verpflichtung zur Prävention

gesundheitsbedingten Arbeitsplatzverlustes gegenüber. Diese ist bislang – allerdings ohne Rechtsfolge für den Fall der Verletzung – nur für eine kleine

Arbeitnehmergruppe vorgesehen (§ 84 SGB IX). Krankheitsbedingte Kündigungen sind oft der Beginn von Langzeitarbeitslosigkeit. In vielen Fällen stehen sie am Beginn eines endgültigen Ausstiegs aus dem Erwerbsleben.

- Einen anderen Einblick in das enorme Handlungspotenzial zugunsten breiterer Teilhabe eröffnet die Epidemiologie von Berufsgruppen mit besonders schlechtem Teilhabegrad: Arbeiter gegenüber Angestellten, Lehrerinnen und Lehrer gegenüber anderen Staatsbediensteten, Schichtarbeiter gegenüber dem Durchschnitt der Arbeiter, u.s.w.

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3. Primärprävention bleibt ohne Tertiärprävention wirkungsarm

Primärprävention, Früherkennung und Tertiärprävention gehören zusammen.

Verbesserungen in jedem dieser drei Elemente kommen den beiden Anderen zugute. Ein Unternehmen wird insbesondere wesentlich weniger Antrieb zur Förderung von Primär- und Sekundärprävention haben, wenn es für die Folge unterlassener Prävention auf den beiden ersten Stufen, nämlich einen weit höheren Bedarf an arbeits- und

sozialrechtlichen Leistungen zur Teilhabe im Sinne des SGB IX, nicht einzustehen braucht. Eine solche, alle drei Bedarfsstadien der Prävention umfassende

Verantwortung, fehlt aber gerade aufgrund des durch keine Vermeidungspflicht abgeschwächten Rechts der krankheitsbedingten Kündigung in Deutschland. Eine Verpflichtung, Arbeitsbedingungen gemäß den Bedürfnissen eines gesundheitlich belasteten oder gefährdeten Arbeitnehmers zu gestalten, käme zudem nicht nur den einzelnen Betroffenen zugute, sondern würde die Teilhabemöglichkeiten im Arbeitsleben insgesamt verbessern. Arbeitsplätze werden in der Regel nicht bei jedem Wechsel des Arbeitsplatzinhabers geändert. Vermehrte gesundheitsgerechte Gestaltung würde deswegen ein stabiles und wachsendes Angebot von gesundheitsgerecht gestalteten Arbeitsplätzen erzeugen und damit den gesamten Arbeitsmarkt für gesundheitlich beeinträchtige und ältere Arbeitnehmer zugänglicher machen.

Primärprävention im Betrieb hängt aufgrund der dort vorhandenen Kostenkalküle von realisierter Teilhabe im Sinne des SGB IX ab. Umgekehrt müssen aber Regeln zur Primärprävention von vornherein Personen, die Teilhabeleistungen benötigen, berück- sichtigen.

Unser Arbeitsschutzrecht trennt die im wesentlichen in diesem Rechtsgebiet

angesiedelte betriebliche Primärprävention zu scharf von den weiteren Stufen, auf denen Teilhabe sicherzustellen ist.

Am deutlichsten wird das in § 87 Abs.1 Nr.7 BetrVG, der auch deswegen so wichtig für den Arbeitsschutz ist, weil das staatliche und berufsgenossenschaftliche System der Überwachung im Arbeitsschutz viel zu weitmaschig ist, um Gestaltungsprozesse in den Betrieben im Sinne einer kontinuierlichen Verbesserung des Gesundheitsschutzes, wie sie § 1 des Arbeitsschutzgesetzes vorschreibt, zu begleiten. Der Hauptkontrollakteur unseres Arbeitsschutzrechtes ist die kollektive Interessenvertretung im Betrieb, eine wichtige Umsetzungsform die Vereinbarung der Partner im Betrieb.

§ 87 Abs.1 Nr.7 BetrVG hat aber eine ungute Konzentration der Betriebspartner auf Primärprävention begründet, weil das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates auf kollektive Regelungen beschränkt ist und er keine einzelfallbezogenen Maßnahmen durchsetzen kann. Teilhabeleistungen im Betrieb sind zwar nicht nur, aber doch zuallererst Maßnahmen der Anpassung eines konkreten Arbeitsplatzes und einer konkreten Arbeitsaufgabe an die Bedürfnisse eines konkreten Menschen. Betriebe sind mit der auch Fachjuristen oft überfordernden Kunst, aufgrund allgemeiner Regeln komplexe und unvorhersehbare Einzelfälle zu gestalten, völlig fehlbeansprucht. § 87 Abs.1 Nr. 7 BetrVG verschließt ihnen die ihnen gemäße Herangehensweise vom spezifischen Problem zur spezifischen Lösung.

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Aber auch unter der hypothetischen Annahme optimaler juristischer Begleitung würde die Erledigung der hier angesprochenen Aufgabe im Betrieb nicht leichter. Das liegt an der Einschränkung der Regelungskompetenz der Betriebspartner auf von Vorschriften vorgegebene, aber hinsichtlich der Einzelfallanwendung offene Gestaltungspflichten.

Eine für alle Arbeitnehmer geltende Gestaltungspflicht (eine gesetzliche Vorschrift oder Unfallverhütungsvorschrift, wie § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG sagt), die eine Anpassung des Arbeitsplatzes an die Bedürfnisse jedes einzelnen Arbeitnehmers mit Beeinträchtigungen im Sinne von § 2 Abs. 1 SGB IX verlangt, fehlt noch. Der Bezug zu „besonders

bedürftigen Beschäftigungsgruppen“ in § 4 Ziffer 6 ArbSchG meint offenbar etwas Generelleres als eine individuelle Anpassung der Arbeit. § 81 Abs. 4 SGB IX ist eine hervorragende individualrechtliche Norm. Ihr fehlt aber noch der entscheidende kollektivrechtliche Bezug. Ohne Mitbestimmung und ohne öffentlich-rechtlichen

Nachdruck lassen sich diese Individualrechte im Betrieb nicht durchsetzen. Aufgrund des Abhängigkeitsverhältnisses, das sich bei gesundheitlich beeinträchtigten Menschen eher verstärkt, bedarf es einer starken Durchsetzungshilfe, also einiger Zusätze zu dem natürlich auch notwendigen individuellen Rechtsanspruch.

4. Außergesetzliche Maßnahmen

Das Recht auf Teilhabe lässt sich nie als ein System sich von selbst erfüllender Normen denken. Die frühzeitige und hochwertige Intervention, um die es hier geht, setzt

Instrumente und Akteure der Früherkennung voraus. Sie benötigt zu ihrem Erfolg und zur Sicherung ihrer Wirtschaftlichkeit zugängliches Wissen, bezahlbare Technik,

handhabbare Verfahrensweisen, unterstützende Netzwerke und Einrichtungen. Unser Normensystem geht auch zum Thema der Beschäftigungssicherung noch weitgehend von der stillschweigenden Annahme aus, dass einmal am richtigen Ort und gegenüber den richtigen Adressaten etablierte Rechte und Pflichten schon irgendwie ihren Weg in die Wirklichkeit machen werden. Ein solcher Zauber, der Recht zu Wirklichkeit macht, lässt sich beim Recht der Teilhabe leider noch weniger als auf vielen anderen Gebieten finden. Fast könnte man an das Gegenteil glauben: einen die besten gesetzgeberischen Absichten vereitelnden Spuk.

Manchmal sind die Vereitelungsgründe banal:

- Krankenkassen und Unfallversicherung fehlen einfach die Mittel für eine jeden Einzelnen erreichende Prävention.

- In den Betrieben hat die Angst von Beschäftigten vor dem Verlust guter Eingruppie- rungen und Zulagen und des Arbeitsplatzes überhaupt vielfach die Beschäftigungs- sicherung genauso verhindert wie die arbeitgeberseitige Weigerung, Sorgfalt und Kosten, die mit teilhabesichernder Arbeitsgestaltung verbunden sind, auf sich zu nehmen.

Diese betrieblichen Befindlichkeiten dürften auch ursächlich dafür sein, dass nur wenige Betriebsärzte eine wirklich teilhabesichernde Arbeit leisten.

- Schwache Rechte und viele andere Aufgaben halten die betrieblichen Interessen- vertretungen der Arbeitnehmer oft davon ab, eine intensive Praxis der

Teilhabesicherung zu betreiben.

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Schwierige Interessenlagen, eingefahrene Praktiken und mangelnde Aufmerksamkeit bilden ein Erklärungsmuster für Unterlassungen. Ein anderes dürfte ein Mangel an Erfahrungen, Routinen und Gestaltungswissen sein, das sich gut mit dem Fehlen einer Praxis, die all dies hätte hervorbringen können, erklären lässt.

Unbestreitbar scheint uns aus diesen Gründen, dass neues Recht zum Thema der Teilhabesicherung ergänzt werden muss durch eine methodisch angelegte Suche nach den besten Umsetzungsweisen, an der möglichst viele Akteure beteiligt werden müssen.

Es geht u.a. um die Ausarbeitung und Umsetzung der besten Routinen, um die

Identifikation der größten gefährdeten Gruppen und der stärksten Risiken, aber auch um die Beobachtung der Kostenfolgen besserer Teilhabe im Interesse einer angemessenen Verteilung der Lasten, die mit einer intensivierten Teilhabepraxis verbunden sind.

Forschung über und Förderung der Umsetzung gesetzlicher Vorgaben zur Teilhabe- sicherung bedürfen eines angemessenen institutionellen Rahmens.

5. Mobilisierung der Betroffenen, Partizipation

Grundlage für Fortschritte ist vielleicht noch vor genauerem Recht und begleitender Beobachtung und Förderung der Umsetzung die Motivierung und Partizipation der Betroffenen, um deren jeweiliges Leben es ja in einschneidender Weise geht. Die Realisierung von Autonomie und Beteiligung der Arbeitnehmer im Arbeitsleben ist die ureigene Aufgabe der Gewerkschaften. Dies ist der Auftrag, den ihr die Mitglieder erteilt haben und die Erwartung der Vielen, die sich auf die Gewerkschaften verlassen, ohne ihnen beizutreten. Teilhabe ist ein Uranliegen der Gewerkschaften. Sie fördern sie u. a.

dadurch, dass sie vom Staat entsprechende Regeln, Institutionen und Leistungen verlangen. Ihr unmittelbares Betätigungsfeld ist aber der Betrieb und die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen durch Vereinbarungen mit den Arbeitgebern und ihren

Vereinigungen.

Die Gewerkschaften erwarten deswegen nicht nur vom Gesetzgeber, dass er die Voraussetzungen für Teilhabe verbessert. Sie sind gewillt, auch ihre unmittelbaren Mitgestaltungsmöglichkeiten im Betrieb und bei Tarifverhandlungen stärker als bisher zur Verbesserung frühzeitigen Schutzes vor gesundheitsbedingten Gefährdungen von

Beschäftigung einzusetzen. Es ist offenbar geworden, dass die vorhandenen Institutionen und Verfahren allein es nicht schaffen. Entscheidende Veränderungen brauchen einen neuen rechtlichen Rahmen, aber auch ständig neue Impulse und eine ständige partizipative Umsetzung an den Arbeitsplätzen. Dazu wollen die

Gewerkschaften mit ihren eigenen Mitteln einstehen. Sie verlangen allerdings vom Gesetzgeber, dass die Voraussetzungen für Erfolge, soweit sie vom Recht abhängen, auch tatsächlich geschaffen werden. Wir haben es nicht mit einem Thema zu tun, bei dem unauffällige Ajustierungen genügen. Wir brauchen neue und starke Instrumente und einen hohen Implementierungsdruck. Wenn nicht alle ihr Bestes tun, verspielen wir grundlegende Rechte von Millionen Menschen, Lebenschancen, Wirtschaftsleistung und Geldsummen in astronomischen Größenordnungen.

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6. Konkrete Vorschläge zur Novellierung des SGV IX und den damit zusammenhängenden Gesetzen

6.1 Die Rechte nach § 81 Abs. 4 und 5 SGB IX müssen allen behinderten Menschen im Sinne von § 2 Abs. 1 SGB IX zustehen, nicht nur Schwerbehinderten.

6.2 Für die Umsetzung dieser Rechte ist ein von Betriebsrat bzw. Personalrat gemeinsam mit der Schwerbehindertenvertretung auszuübendes

Mitbestimmungsrecht vorzusehen, das ein Initiativrecht umfasst.

6.3 Zudem ist ein Recht der Mitbestimmung über Regeln der betrieblichen Primär- und Tertiärprävention einzuführen, das gemeinsam mit den Kranken- und

Unfallversicherungen auch zur Implementierung von deren Präventionspflicht auszuüben und umzusetzen ist.

6.4 Der Kündigung jedes Menschen mit Behinderungen und jeder krankheitsbedingten Kündigung hat die Beteiligung einer gesetzlich zu bestimmenden Stelle vorauszu- gehen, die, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind, dem Arbeitgeber einen Vorschlag zur Beschäftigungssicherung macht, dessen Nichtbeachtung im Grundsatz die Unwirksamkeit der Kündigung nach sich zieht.

6.5 Die Fachkräfte nach dem Arbeitssicherheitsgesetz bereiten den ihr Fachgebiet betreffenden Teil dieser Vorschläge vor. Sie unterstützen die betriebliche Interessenvertretung und die Rehabilitationsträger bei der Ausübung der in 6.2 und 6.3 genannten Mitbestimmungsrechte.

6.6 Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe, die im Rahmen der beschäftigungs- sichernden Vorschläge der gesetzlich zu bestimmenden Stelle notwendig werden, haben im Rahmen des Zumutbaren der Arbeitgeber, im übrigen die

Rehabilitationsträger bzw. die Integrationsämter zu tragen.

6.7 Die Hausärzte werden zur Beteiligung an der Früherkennung von Rehabilitations- bedarf verpflichtet.

7. Förderung der Umsetzung

Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen sollten unter die Zielvorgabe, gesundheits- bedingte Verkürzungen des Arbeitslebens um durchschnittlich ein Jahr pro Arbeitnehmer binnen vier Jahren gestellt werden.

Zur Förderung und Kontrolle dieser Zielvorgabe und zur Evaluierung der Wirksamkeit der eingesetzten Instrumente schlagen wir Folgendes vor:

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7.1 Die Schaffung eines Beirats „Gesundheit, Humanisierung der Arbeit und

Beschäftigungssicherung“, dessen Aufgabe es ist, über Maßnahmen zu beraten, die der Realisierung des Novellierungszieles dienen. In ihm sollten die

Sozialpartner, die Rehabilitationsträger und die zuständigen Bundesministerien als Mitglieder und Vertreter auf diesem Gebiet tätiger Wissenschaftsinstitutionen als beratende Mitglieder vertreten sein.

Der Beirat verfügt über ein Budget, aus dem insbesondere finanziert werden:

7.2 Modellprojekte zur Weiterentwicklung betrieblicher Präventionsstrategien.

7.3 Begleitforschung zur Umsetzung des erneuerten Regelungsgefüges betrieblicher Prävention.

7.4 Gutachten zu Einzelfragen wie Ausarbeitungen zu Strategiemixen für spezifische Situationen und Akteure oder Akteursgruppen.

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1. Zielsetzung

Gegenüber sehr allgemein formulierten Zielsetzungen bevorzugen wir klare und genau quantifizierte Ziele.

Die Realisierung von Teilhabe behinderter Menschen ist ein vielschichtiger Prozess. Prognoseannahmen über die Wirksamkeit gesetzlicher Regelungen sind äußerst schwierig. Gesetzliche Regelungen bewirken darüber hinaus die Teilhabe niemals aus sich allein heraus. Es bedarf dazu zusätzlich geeigneter Formen der Aktivität einer Vielzahl von Akteuren und ihrer Zusammenarbeit.

Diese ist so kompliziert, situationsbezogen und stets ajustierungsbedürftig, dass sie sich einfach nicht durch allgemeine Regeln vorprogrammieren lässt.

Gerade auf dem Gebiet der Teilhaberegelungen haben wir häufig erlebt, dass hervorragende gesetzliche Zielvorgaben in der Realität nicht gegriffen haben.

Quantifizierte Vorgaben ermöglichen es, die Wirksamkeit des Gesetzes stets neu an einem präzisen Maßstab zu überprüfen und orientieren die Arbeit an der Verbesserung der Leistungen und der Zusammenarbeit der Akteure, die für die Umsetzung der gesetzlichen Bestimmung zuständig sind.

In das Gesetz gehören nicht nur Regeln, die sich unmittelbar auf die Förde- rung der Teilhabe zugunsten des in § 2, SGB IX definierten Personenkreises beziehen. Das Gesetz bekennt sich jetzt schon zum Ziel der Prävention. Prä- vention bedeutet hier auch, dass behinderungsbedingte Teilhabeverluste gar nicht erst entstehen sollen. Deswegen sind auch Regeln notwendig, deren Wirkung vor dem Eintritt einer Behinderung einsetzt. Dieser Notwendigkeit entspricht der Gesetzesentwurf mit seinem Vorschlag für § 84, Absatz 2, SGB IX. Im Interesse einer tiefen Wirkung des Gesetzes ist es notwendig, den Zeitpunkt, in dem Leistungen und Recht einsetzen, die gesundheitsbe- dingte Beschäftigungsgefährdung ausschließen sollen, denkbar früh zu

bestimmen. Die dazu notwendigen Instrumente sind im SGB IX zusammenge- fasst. Ihre Wirksamkeit darf auf gar keinen Fall dadurch geschmälert werden, dass sie auf einen engeren Personenkreis begrenzt werden.

Dies bedeutet nicht, dass der traditionelle Ansatz des Schwerbehinderten- rechts, für eine besonders belastete Personengruppe auch besonders starke Schutzregeln vorzusehen, zurückzustehen hat. Die Begriffsbestimmungen in

§ 2, SGB IX behalten also ebenso ihre Bedeutung, wie besondere Schutzbe- dingungen zu Gunsten schwerbehinderter Menschen. Es muss nur darauf geachtet werden, dass die Schutzregeln, die bisher Schwerbehinderten vor- behalten waren, die aber für einen viel breiteren Personenkreis notwendig sind, um das Gesamtziel des Gesetzes zu erreichen, künftig auch zu Gunsten dieses breiteren Personenkreises gelten.

Wir glaubten, mit der Fachabteilung des Ministeriums, schon über folgende quantifizierte Ziele eine Einigung erreicht zu haben:

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a) Sicherung beruflicher Ausbildung im Betrieb für 30.000 behinderte Jugendliche,

b) Verlängerung der durchschnittlichen faktischen Lebensarbeitszeit pro Arbeitnehmer um ein Jahr durch die Vermeidung gesundheitsbedingter Unterbrechungen oder Abbrüche des Erwerbslebens innerhalb eines Zeitrahmens von vier Jahren,

c) Erhöhung der Erwerbsbeteiligung für einige am Arbeitsmarkt beson- ders chancenarme Behindertengruppen, z. B. Sehbehinderte, Epilep- siekranke und psychisch kranke Personen.

Zur Kontrolle und Förderung dieser Ziele und der ihnen zugeordneten Aktivitä- ten halten wir sehr genau fokussierte Aktivitäten der zuständigen Stellen der öffentlichen Hand und der Sozialversicherungsträger für notwendig, aber auch ein neues Gremium, in dem mit diesen Stellen die maßgeblichen priva- ten Akteure, insbesondere die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, zusammenarbeiten.

Für die Gewerkschaften können wir sagen, dass sie sehr daran interessiert sind, dass die hier genannten Ziele erreicht werden. Sie haben unseres Erach- tens einen hohen Rang bei der Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedin- gungen aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. In der Realisierung der Ziele liegt gleichzeitig ein enormes Potential für die finanzielle Entlastung des Systems der sozialen Sicherung in Deutschland. Es liegt, bezieht man auch die Ziele zu a) und b) ein, weit über den 30 Milliarden € pro Jahr, die Profes- sor Kuhn von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin als Einsparungspotential möglichst frühzeitiger Intervention bei gesundheitsbe- dingter Gefährdung von Beschäftigung angegeben hat. Die Gewerkschaften sind selbst gewillt, ihre Mitgestaltungsrechte in den Betrieben und im Bereich der Tarifverträge zu Gunsten der drei genannten Ziele in die Waagschale zu werfen. Wir erinnern daran, dass Partizipation der Betroffenen und ihrer ge- wählten Vertreter in den Betrieben und in den bundesweiten Arbeitnehmeror- ganisationen eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass die Ziele erreicht werden können. Der gewerkschaftliche Beitrag wäre deswegen von großer Bedeutung, setzt aber voraus, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen stimmen.

2. Änderung des SGB IX Zu Ziffer 10

Die Verweigerung betrieblicher Ausbildung gegenüber behinderten Jugendli- chen findet in massiver und sich von Jahr zu Jahr steigernder Weise statt.

Soll dieses Verhalten korrigiert werden, so sind entsprechende Bestimmungen notwendig. Dem entspricht die vorgesehene Fassung für §72, Absatz 2, Satz 1 nicht.

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Es erscheint uns auch als unglücklicher Gedanke, die Pflicht nach Maßgabe der im Betrieb tatsächlich durchgeführten Ausbildung zu quantifizieren. Es besteht die Gefahr, dass diese Verpflichtung zum Vorwand genommen wird, berufliche Ausbildung überhaupt einzuschränken. Außerdem würde es sich um eine Verpflichtung im Rahmen einer freiwilligen Leistung handeln. Dies erscheint uns als sehr unstimmig. Sinnvoller ist es, an die absolute Zahl der Arbeitsplätze anzuknüpfen, über die ein Arbeitgeber verfügt und die für das Ziel, eine berufliche Ausbildung im Betrieb für mindestens 30.000 behinderte Jugendliche zu sichern und die notwendigen ca. 50.000 Pflichtplätze auf alle Unternehmen ab 100 Arbeitsplätzen umzulegen. Ursprünglich hatte das Mi- nisterium für den Fall der Verletzung der Verpflichtung die Verhängung eines Bußgeldes vorgesehen. Uns erscheint es als angemessener, den Anreiz ver- schuldensunabhängig auszugestalten, also eine schlichte Ausgleichsabgabe für den Verletzungsfall vorzusehen. Diese müsste in etwa den durchschnittli- chen jährlichen Kosten einer beruflichen Ausbildung entsprechen.

Zu § 83

Wir vermissen sehr die in früheren Eckpunkten des Ministeriums vorgesehe- nen Regelungen zur Durchsetzung von Integrationsvereinbarungen und zur Bestimmung eines Mindestinhalts für sie. Diese Vorschläge des Ministeriums selbst waren unbedingt notwendig, um dem Instrument der Integrationsver- einbarung zu höherer Wirkung zu verhelfen.

Zu Ziffer 18

Die vorgeschlagene Neufassung von § 84, Absatz 2 begrüßen wir. Sie bringt die Bewältigung eines sehr grundsätzlichen Problems ein Stück voran.

Wir glauben allerdings, dass zusätzlich weitergehende Regelungen zum Schutz vor gesundheitsbedingtem Arbeitsplatzverlust notwendig sind. Wir verweisen dabei auf das dieser Stellungnahme beigefügte Papier zum Thema gesundheits- und altersgerechte Arbeitsgestaltung im Rahmen des SGB IX.

Zu Ziffer 20

b. Für diesen Regelungsvorschlag haben wir überhaupt kein Verständnis.

Damit kann sich das Integrationsamt von lästigen Tätigkeiten einfach zu Lasten der Schwerbehinderten befreien. Die Gefahr, dass dies bald eine breite Praxis wird, ist groß. Es wird sofort ein Druck auf die Lan- desregierungen einsetzen, die Integrationsämter zum Nichtstun zu er- mutigen. Schon jetzt hören wir aus verschiedenen Bundesländern, dass die Integrationsämter äußerst stiefmütterlich behandelt werden, dass ihre Personalressourcen ständig sinken und sie mit ihren Aufga- ben überfordert sind. Die Bestimmung in ihrer vorgesehen Form ist ein versteckter Einstieg in die Abschaffung des Zustimmungsbedürfnisses.

Sie begründet zudem möglicherweise eine Behördenmoral, die allem, was Staatsbürger von den von ihnen finanzierten Ämtern verlangen können, widerspricht, nämlich die: Sei untätig. Die Betroffenen baden es aus.

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Zu Ziffer 21

Die Erleichterung der Hinzuziehung des stellvertretenden Mitglieds begrüßen wir, ebenso wie die ausdrückliche Erwähnung des Abstimmungsrechts. Die- ses Abstimmungsrecht sollte aber für alle Fragen der Koordination zwischen der Vertretung und stellvertretenden Mitgliedern bestehen, also insbesondere dann, wenn andere Mitglieder Vertretungsleistungen wegen der Befassung der Vertrauensperson mit anderen Aufgaben (§ 94, Absatz 1, Satz 1) zu leis- ten haben. Dieses Abstimmungsrecht ist für Schwerbehindertenvertretungen in kleineren Betrieben und ohne Freistellungsrecht noch notwendiger als überall sonst.

b. Ziffer 21 entspricht einer alten Forderung des DGB und früherer Rechts- sprechung Bundesarbeitsgerichten. Wir begrüßen sie sehr.

Zu Ziffer 30

Die Änderungen des § 125 lehnen wir ab. Sie nützen niemandem und scha- den in vielen Fällen.

Artikel 4, Arbeitssicherheitsgesetz

Die hier geplante Änderung ist eine sinnvolle Ergänzung. Sie wird aber wenig an der Praxis der Betriebsärzte ändern. Beschäftigungssicherung, so wie sie jetzt im Entwurf von § 84 des SGB IX skizziert ist, ist ein konfliktreiches Ge- schäft. Die Betriebsärzte ziehen sich gern aus solchen Feldern zurück. Es be- darf stärkerer Ansätze, um sie zu dieser sehr wesentlichen Tätigkeit zurück- zuführen. Auch in soweit verweisen wir auf das beigefügte Papier.

Zu Ziffer 9 (§ 71, SGB IX)

Die Beibehaltung der abgesenkten Pflichtquote ist unangebracht. Die Absen- kung war als Erprobungsmaßnahme eingeführt worden, um die Arbeitgeber zu einem besseren Einstellungsverhalten zu motivieren. Die Erprobung ist misslungen. Die statistischen Erfolge bei der Zahl arbeitslos gemeldeter Schwerbehinderter während der ersten drei Jahre nach Inkrafttreten des Ge- setzes zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter waren zu über 2/3 auf andere Abgänge als solche in Arbeit zurückzuführen. Selbst diese teilweise auf intensivierte Kontakte der Arbeitsämter zu den Schwerbehinder- ten zurückzuführenden statistischen Verschönerungen sind sehr schnell nach einer Verschlechterung der Konjunkturlage verschwunden.

Der Gesetzesentwurf erlaubt zahlreiche neue Mehrfachanrechnungen und außerdem die Anrechnung von nicht schwerbehinderten Auszubildenden auf Pflichtplätze. Auch deswegen halten wir es für notwendig, wieder zur alten Pflichtquote zurückzukehren.

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Stärkung der Integrationsfachdienste

Wird die Verlagerung der Strukturverantwortung für die Integrationsfach- dienste von der Bundesanstalt für Arbeit auf die Integrationsämter in der Weise durchgeführt, dass diese sie nun allein ausüben sollen, bedeutet dies einen Verlust an Eingliederungschancen für behinderte Menschen. Die Bun- desanstalt hat das größte Vermittlungspotential und die besten Fertigkeiten auf diesem Gebiet. Sie sollte einbezogen bleiben.

Integrationsfachdienste kommen nicht dafür in Frage, die Gesamtheit des Vermittlungsgeschehens und beschäftigungssichernder Maßnahmen zu über- nehmen. Sie sind als ergänzende Institutionen, die zu Gunsten besonders belasteter Schwerbehinderter wirken, konzipiert. Mehr können sie auch nicht leisten.

Die Konzentration von Ausgleichsabgabemitteln auf die Integrationsämter ist aus unserer Sicht äußerst riskant. Die Länder haben die Integrationsämter in den letzten Jahren personell immer weiter zurückgeführt. In manchen Län- dern existieren sie nur noch virtuell. Durch die Kombination der Strukturver- antwortung der Integrationsämter und der erweiterten Aufgaben der Integra- tionsfachdienste verdoppelt sich die Gefahr, dass sich Integrationschancen gegenüber dem jetzigen Zustand verschlechtern.

Burkhard von Seggern Ulrike Wheeler

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