• Keine Ergebnisse gefunden

Arsenicum:Die «alten» Patienten

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Arsenicum:Die «alten» Patienten"

Copied!
1
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Wahrscheinlich sind sie das Beste in unserem Beruf: die Patienten, die man seit Jahren betreut. Weil man als alteingesessener Hausarzt so viel Neues verarbeiten muss, besteht die Gefahr von Stress, Überforderung und Burn-out. Ständig auf dem Laufenden bleiben, die aktuellsten Lehrmeinun- gen kritisch durchdenken, neue Dia - gnose- und Therapiemethoden ler- nen, das zehrt. Was man gelernt hat, ist obsolet oder hat man vergessen, und den letzten Stand der Kunst beherrscht man nicht mehr. Man ist zum dummen alten Arzt geworden, als Folge der eigenen Bequemlichkeit oder der zu grossen Arbeitslast. Mit zunehmendem Dienstalter wird die Liste der Fehler, die man in Diagnos- tik, Therapie und ärztlichem Verhalten im Berufsleben gemacht hat, immer länger. Dabei wollte man doch ein guter, menschlicher Arzt werden, doch immer häufiger zweifelt man, ob man sich noch seinen Patienten zu- muten kann.

Mit den alten Patienten ist das alles anders. Man kennt sie gut, und sie kennen einen. Man weiss, was sie haben, wer sie sind, wie ihr soziales Umfeld ist, was sie vertragen und was nicht. Man hat ihnen schon oft gehol- fen – und sie glauben fest daran, dass man es immer können wird. Sie sind ein Geschenk, die alten Patienten: auf der Beziehungsebene wie auf der fachlichen Seite. Für sie nimmt man sich gerne Zeit. Kostet die jahrelange Vertrautheit aus. Versteht sich ohne viele Worte. Man kennt seine Pappen- heimer, die Introvertierten und die Extravertierten. Man weiss, was sie von einem erwarten. Ihren biografi- schen Rucksack kennt man und fragt sich oft, woher sie die Kraft nehmen, ihn ein Leben lang zu schleppen. Hier

in der Praxis ist der Ort, wo sie ihn kurz abstellen können, Kraft schöpfen und dann wieder weiterschleppen. Ge- spräche mit langjährigen Patienten sind ein Mix aus Vertrautem und Neuem. Weil man sie so gut kennt, merkt man sofort, wenn etwas nicht stimmt. Der fröhliche Schwerenöter, der so viele Krankheiten und Operatio- nen mit einem Lachen hinnahm, hört sich auf einmal anders an. Seine Spässchen wirken aufgesetzt, auch seine Mimik hat sich verändert. Als alter Hausarzt fasst man nach, fragt intensiver, lässt nicht locker. Und dann bricht es aus ihm heraus. Die neu ent- deckte Krebserkrankung der Ehefrau.

Der Drogenkonsum des Sohnes. Finan- zielle Sorgen der ganzen Familie. Und Symptome, die der Patient als begin- nende Impotenz empfindet. «Woher haben Sie gewusst, dass es uns gar nicht gut geht?», fragt er erstaunt.

Man sagt es ihm offen: «Ich kenn Sie doch!» Und kann ihm Hoffnung geben.

Zwar hat man fachlich-sachlich kei- nerlei Trümpfe in der Hand. Aber jede Menge gemeinsame Geschichte. Man ist doch der Hausarzt, der immer hel- fen konnte. Der Patient erinnert sich daran, wie man zusammen mit ihm im Privatwagen zur Klinik raste, die fast schon tote Ehefrau mit dem aku- ten Klappenversagen wegen Endokar- ditis auf dem Rücksitz, und so lange auf der Notfallstation herumschrie, bis ein kompetenter Kardiologe kam.

Er erzählt einem, wie beruhigt er war, als man ihm versicherte, dass die gro- tesken Ödeme und das nephrotische Syndrom seines damals achtjährigen Sohnes sich in Minne auflösen wür- den. «War ja dann auch so, gäll?!», fragt er. Man nickt. Er geht mit Hoff- nung nach Hause. Und weiss glück - licherweise nicht, wie sehr sich der Hausarzt um ihn und seine Familie

sorgt. Bei langjährigen Patienten muss man seine Worte nicht auf die Goldwaage legen, denn sie wissen, dass man sich klar ausdrückt. Manch- mal auch zu klar.

Sie haben Vertrauen zu einem, auch wenn man es manchmal eigentlich nicht verdient hat, wenn man zu müde oder zu träge war, um sein Bestes zu geben. «Die Oma war so froh, dass Sie sie bis zum Schluss behandelt haben», dankt einem die Bauernfamilie. Man befürchtet ins geheim, dass die Oma noch froher gewesen wäre, wenn man bei ihr die koronare Herzkrankheit früher erkannt und sie ihren Stent eher bekommen hätte. Aber, in der Tat – man war immer da, hat Haus - besuche gemacht, und sie hat es stets geschätzt. Bei anderen langjährigen Patienten passiert einem das nicht.

Man merkt sofort, dass der Nävus, den man seit Jahrzehnten kennt, jetzt anders aussieht. «Wie haben Sie das gemerkt?», staunt der Dermatologe, der die Tumorbiopsie machte. Die

«alten» Patienten geben einem das Gefühl, etwas Sinnvolles, Humanes zu leisten und die Geschicke ihrer Familien zum Guten mit hingewendet zu haben. «Dr. B. wollte mich weiter- behandeln!», empörte sich die Dreis- sigjährige, als Erzrivale Dr. B. während meiner Ferien wieder mal «wilderte».

«Herr Doktor, sie haben meine ent- zündeten Mandeln mit fünf Jahren, meine Akne mit fünfzehn, meinen Scheidenpilz mit zwanzig kuriert – ich bleibe doch immer bei Ihnen!» Ja, die

«alten» Patienten – sie sind lebende Beweise, dass man als Arzt etwas taugt. Ab und zu etwas richtig macht.

Man hat in sie all den Idealismus und die Begeisterung gesteckt, die man hatte und weswegen man Arzt wurde – und sie danken es einem reichlich.

248

ARS MEDICI 52015

Arsenicum:

Die «alten» Patienten

MEDIEN, MODEN, MEDIZIN

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Anlagen, die noch in 2011 installiert würden, wer- fen Renditen von deutlich mehr als fünf bis zu neun Prozent ab, und das gilt auch für 2012, weil von der Bundesregierung

Konkret spüren sie häufiger Zwei- fel an ihrer fachlichen Kompetenz, fühlen sich öfter eher als Dienstleis- ter denn als Therapeut, haben häufi- ger den Eindruck, Patienten an an-

„In unserer Gesellschaft ist Schichtar- beit sicher nicht vermeidbar, den- noch sollten chronobiologisch an- gepasste Arbeitszeitmodelle, also eine Rotation von Früh- über Spät-

Geschäftsstelle Bonn Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller Ubierstraße 71-73 53173 Bonn www.bah-bonn.de Berlin (9. Oktober 2017) – Patienten sind immer interessier-..

Für den langjährigen Hausarzt ist Kommunikation zudem weit mehr als nur ein Erlernen von Kommuni- kationstechniken: „Es ist eine Frage der ärztlichen Haltung gegenüber dem

renden Schenkelblockbildern besteht (34), ist die Situation bei Patienten mit komplettem Schenkelblock und klinischen Zeichen wie Schwindel, Präsynkopen oder Synkopen nicht so

Leider wissen wir natür- lich auch nicht, welches eine Patentlösung für unser krän- kelndes Gesundheitswesen sein könnte, es schmerzt aller- dings schon, wenn die

Sie ist zugleich Ansprechpartner für viele, die im Gesundheitswesen tätig sind: für niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten, für Vertreter von Selbsthilfeorganisationen, für