Max von Thielmann.
Ein Nacliruf.
Von Friedrich Rosen.
Am 2. Mai 1929 verschied im 82. Lehensjahr in Berlin
Staatsminister Frhr. Max von Thielmann, nachdem er
kurz vorher das Ehrenamt des Vorsitzenden der Deutschen
Orientgesellschaft niedergelegt hatte, das er seit 1906 hekleidete.
Frhr. von Thielmann war nicht im eigentlichen Sinne des Wortes
Orientalist, sondern hat den größten Teil seines Lebens der
diplomatischen Laufbahn unter Bismarck angehört.
In seinem großen Wissensdrang jedoch hat er sich schon
in seiner Jugend für orientalische Sprachen interessiert und
hatte es in Heidelberg bei Prof. Lefmann soweit gebracht,
daß er 1870 von Sedan aus an seinen Lehrer eine Postkarte
auf Sanskrit schreiben konnte, die dieser damals veröffentlicht
hat. Das Sanskrit hat er übrigens während seines ganzen
Lebens weiter betrieben. Er überraschte mich vor nicht langer
Zeit in Berlin durch ein hübsches Zitat aus Nai und Damayanti,
das er in der ßückert'schen Übersetzung sowohl wie im Original
kannte. Vom Türkischen, Persischen und Arabischen hatte er
genug Kenntnis, nm ihm einen allgemeinen Überblick über das
weite vorderasiatische Kulturgebiet zu ermöglichen. In den
meisten europäischen Sprachen war er vollständig zu Hause,
darunter auch im Russischen, dessen Kenntnis ihm nicht nur
bei seinem zweimaligen Aufenthalt in Petersburg, sondern auch
später in Sofia sehr zugute gekommen sein muß.
Von Petersburg aus unternahm Thielmann seine große
Reise durch Vorderasien, die ihn zu Schiff von Odessa nach
Rion führte, von wo aus er den Kaukasus ausgiebig bereist
Fr. Rosen, Mai von Thielmann 263
hat. Im Süden war er bis zum Ararat, im Norden his an den
Terek vorgedrungen nnd hatte bei Petrowsk das Kaspische
Meer erreicht. Nach einer kurzen Seereise über Derbend und
Baku nach Astara an der russisch-persischen Grenze unter¬
nahm er den langen Ritt quer durch Persien von Ardebil über
Tebris nach Mosul und von da auf dem Kelek, einem Floß
aus aufgeblasenen Häuten, bis Bagdad. Der beschwerlichste
und zugleich wissenschaftlich ergiebigste Teil dieser Reise war
wohl der lange Wüstenritt über Hilleh und Palmyra nach
Damaskus. Die hierfür henutzte Fährte war bis dahin von
Europäern so gut wie gar nicht begangen und auch nicht genau
geographisch festgelegt worden. Der Abschluß dieser Reise
führte durch bekannte Gegenden, Beirut, Jaffa, Ägypten.
Frhr. von Thielmann hat diese Reise in einem höchst an¬
sprechendem Werke unter dem Titel „Streifzüge im Kaukasus,
in Persien und in der Asiatischen Türkei" beschrieben. Das
Buch ist 1875 in Leipzig bei Duncker & Humblot erschienen.
Sein Wert hesteht neben dem Genuß, den die anschauliche
Schilderung bereitet, in der großen Genauigkeit seiner Angaben
und in der ganzen Behandlung des Gegenstandes auf Grund
ausgedehnter geographischer und geschichtlicher Kenntnisse
des Verfassers. Einige wenige Irrtümer, die ihm unterlaufen
sind, hat er selbst später in seinem Handexemplar, das mir
vorliegt, korrigiert.
Seine diplomatische Laufbahn führte ihn u. a. nach Kopen¬
hagen, Brüssel, Washington, Paris (Botschaftsrat), Konstan¬
tinopel. 1886 wurde er auf das politisch wichtige General¬
konsulat nach Sofia entsandt. Danach bekleidete er drei Posten
in Deutschland: Darmstadt, Hamburg und München. Nachdem
er 1893—94 die Verhandlungen des Deutsch-Russischen Han¬
delsvertrages geleitet hatte, wurde er 1895 zum Rotschaf ter
in Washington ernannt. Zwei Jahre später wurde er nach
Deutschland auf den schwierigen Posten des Staatssekretärs
des Reichsfinanzamts berufen, den er sechs Jahre lang be¬
kleidet hat. Daß er zu dieser ganz anders gearteten Tätigkeit
üherhaupt befähigt war, hängt vielleicht mit seiner außer¬
ordentlichen Begabung für Mathematik zusammen. In seinen
264 Fr. Rosen, Max von Thielnnann
Mußestunden pfiegte er sich nämlich außer anderen Lieb¬
habereien mit der Lösnng schwieriger Aufgaben aus dem Ge¬
biete der höheren Mathematik zu beschäftigen.
Amerika, besonders das mittlere und südliche, bildete
neben dem Orient ein zweites Gebiet seines wissenschaftlichen
Interesses. Hier hatte er in den Jahren zwischen 1875—80
dank dem aufgeklärten Interesse seines Chefs von Schlözer
Zeit und Gelegenheit zu ausgedehnten Reisen gefunden, die
er nachher in einem größeren "Werke: „Vier Wege durch
Amerika" eingehend geschildert hat. Es war ihm vergönnt,
bei guter Gesundheit und Frische bis in ein hohes Alter seinen
geistigen Interessen zu leben, unter denen der Orient nunmehr
wieder im Vordergrunde stand. Als Vorsitzender der DOG.
hat er sich um die deutsche Orientforschung bedeutende Ver¬
dienste erworben und sich den Dank nicht nur der Fachleute,
sondern überhaupt aller Gebildeten erworben, die an den
Funden aus den Heimstätten der ältesten menschlichen Kultur
ein Interesse nehmen. Dieser Dankbarkeit Ausdruck zu geben,
ist der Zweck dieser Zeilen.
Bücherbesprechungen
Bibliotheca Islamica, im Auftrage der Deutschest
Morgenländischen Gesellschaft herausgegeben von
H. Ritteb. Ia: Die Dogmatischen Lehren der An¬
hänger des Islams von Abu I-Hasan 'All Ibn Ismä'il
al-ÄS'ari, herausgegeben von H. Rittee. 1. Teil.
(27 + 300 Seiten arabischer Text.) Stambul und Leip¬
zig 1929.
Durch das Entgegenkommen des Herrn Ministers für
Wissenschaft, Kunst und Volksbildung nnd der Notgemein¬
schaft der Deutschen Wissenschaft ist es der Deutschen
Morgenländischen Gesellschaft möglich geworden, eine neue
Serie von Veröffentlichungen islamischer (arabisch — persischer
— türkischer) Texte unter dem Titel „Bibliotheca Islamica"
zu begründen. Die Herausgabe dieser Bibliotheca Islamica
ist H. Rittee übertragen worden. Der erste Band dieser
Bibliotheca Islamica liegt nnnmehr fertig vor, es ist der erste
Teil der Makäiät al-Islämijin wa-Ihtiläf al-Musallin, heraus¬
gegeben von H. Ritter selber. Der zweite Teil dieses
Werkes ist im Druck und wird außer dem Schluß des Textes
besondere Indices bringen über die dogmatischen Probleme,
die in dem Werke behandelt sind, und über die Schulhäupter,
die darin zitiert werden. Das Werk ist in der Staatsdruckerei
in Konstantinopel gedruckt, die Ausstattung ist vorzüglich.
Die D. M. G. kann das Werk den Mitgliedern zu einem Sub¬
skriptionspreise von RM. 12.— anbieten, während der all¬
gemeine Ladenpreis bis auf weiteres auf RM. 15.— fest¬
gesetzt ist.
Der berühmte Imäm Abu 1-Hasan 'Ali Ibn Ismä'il al-
Aä'ari (f 324/935) ist der Begründer der orthodoxen Scholastik.
Sein Werk über die verschiedenen Sektenbildungen im Islam