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OMNIA DESIDERII

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Academic year: 2022

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(3)

DESIDERII ERASMI ROTERODAMI

RECOGNITA ET ADNOTATIONE CRITICA INSTRVCTA NOTISQVE ILLVSTRATA

ORDINIS QVINTI TOMVS SEXTVS

ELSEVIER

MMVIII ELSEVIER

AMSTERDAM - BOSTON - HEIDELBERG - LONDON - NEW YORK - OXFORD - PARIS - SAN DIEGO - SAN FRANCISCO - SINGAPORE - SYDNEY - TOKYO

(4)

rUNION ACADEMIQUE INTERNATIONALE

ET DE rACADEMIE ROYALE NEERLANDAISE DES SCIENCES ET DES SCIENCES HUMAINES

© 2008 ELSEVIER B.V.

All rights preserved. No part of this publication may be reproduced, stored in a retrieval system, or transmitted, in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, recording or

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Library of Congress Catalog Card Number: 71 89942

ISBN: - Tomus V, 6: 978-0-444-53134-6

CONSEIL INTERNATIONAL POUR rEDITION DES CEUVRES COMPLETES D'ERASME

Mme M.E.H.N. MOUT, Leyde, President; ].K. MCCONICA, Toronto, Vice-president; C.S.M.

RADEMAKER, ss. cc., Vleuten, Secretaire-generaIlTresorier; J. TRAPMAN, La Haye, Secritaire; C.

AUGUSTIJN, La Haye; R. BODENMANN, Berne; K.A.E. ENENKEL, Leyde; ].-C. MARGOLIN, Paris- Tours; ].-P. MASSAUT, Liege; G.H.M. POSTHUMUS MEYJES, Leyde; P.-G. SCHMIDT, Freiburgi.Br.;

H. VREDEVELD, Columbus OH; A.G. WEILER, Nimegue

COMITE DE REDACTION

F. AKKERMAN, Groningue; G.].M. BARTELINK, Nimegue; ]. DOMANSKI, Varsovie; A. VAN HECK, Leyde; C.L. HEESAKKERS, Leyde; H.]. DE ]ONGE, Leyde; Mme M.L. VAN POLL-VAN DE LISDONK, Vierpolders,Secritaire;J.TRAPMAN, La Haye,President

SECRETARIAT DU CONSElL Huygens Instituut

BOlte Postale90754, 2509IT La Haye, Pays-Bas

This volume has been printed on acid-free paper

Printed in the Netherlands

(5)

VORWORT

CHRISTIANI MATRIMONII INSTITVTIO ed. A.G. Weiler

APPENDIX

VIDVA CHRISTIANA ed. M. Cytowskat

ABKURZUNGSVERZEICHNIS INDEX NOMINVM

VII

1

249 253

333 351

(6)
(7)

Das vorliegende Buch ist der 36. Band der Amsterdamer Erasmi Opera omnia (ASD V, 6). Es enthalt die Institutio matrimonii christiani, herausgegeben von A. G. Weiler (Heelsum) und die Vidua christiana, herausgegeben von Maria Cytowska

t

(Warszawa).

Die beiden Schriften gehoren zum funften 'ordo' im Kanan der Schriften von Erasmus. Die Gliederung in 'ordines' hat Erasmus selbst in seinen Briefen an Botzheim und Boece fur die Herausgabe seiner Werke aufgestellt (c£ General Introduction, ASD I, I, pp. x, xvii-xviii, und C. Reedijk, Tandem bona causa triumphat. Zur Geschichte des Gesamtwerkes des Erasmus von Rotterdam. Vortrage der Aeneas-Silvius-Stiftung an der Universitat Basel, XVI, Basel/Stuttgart, 1980, p. 12sqq., 21-22).

Die Kommission mochte wiederum all den Bibliotheken danken, die Bucher, Photokopien, Mikrofilme und bibliographisches Material zur Verfligung gestellt haben.

Der Conseil international pourl'edition des reuvres completes d'Erasme hat den Verlust von zwei Mitgliedern zu bedauern: Charles Bene (t 19. November 2005) und Felix Heinimann (t 23. Januar 2006). Der Conseil und die Mitarbeiter der Erasmusausgabe haben ihrem Rat und ihrer Hilfe sehr vie! zu verdanken. Die Ver- storbenen sind uberdies selbst als Herausgeber in ASD aufgetreten. Professor Bene war Vorsitzender der Psalmenkommission, gab die Enarrationes in PsalmosIV,XIV und XXII heraus und schrieb auch die 'introduction generale' zu den Psalmkom- mentaren (ASD V, 3). Vorsitzender der Adagiakommission war dreissig Jahre lang Professor Heinimann; in Zusammenarbeit mit Dr. E. Kienzle hat er drei Adagien- bande herausgegeben (ASD II, 4-6). Der abschliessende Band ASD II, 9 (Adagi- orum Collectanea) gab er zusammen mit Dr. M. van Poll-van de Lisdonk heraus.

Als dieser Band schon im Druck war, erreichte uns die traurige Nachricht, dass Maria Cytowska, die Herausgeherin der Vidua christiana, am 14.November 2007verstorben ist. Professor Cytowska, Mitglied des Conseil von1979 bis1995, hat 1973 De pronuntiationeund De constructione (ASD I, 4) und 1998, zusam- men mit Dr. M. van Poll-van de Lisdonk, Adagia 501-1000 herausgegeben (ASD II, 2).

Der Conseil wird den Verstorbenen ein ehrenvolles Gedachtnis hewahren.

(8)

Instituut iibernommen und ist Mitglied der Redaktionskommission geworden.

Prof. Dr. J. Trapman ist amI.Januar 2007in Pension gegangen, wird aber Mit- glied des Conseil international und der Redaktionskommission bleiben.

Huygens Instituut Postbus90754 2509 LT Den Haag November 2007

Die Redaktionskommission

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ed.

A.G. WEILER

Hee1sum

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1. Historischer Hintergrund

1m August 1526ver6ffentlichte Erasmus von Rotterdam bei Froben in Basel ein umfangreiches Werk tiber die christliche Ehe. Anfangs, in der Manuskriptphase, nannte er seine Schrift Institutio coniugatorum. Das belegt die Aufschrift, die er auf dem von ihm selbst geschriebenen Text anbrachte, so wie er in der Hand- schrift Kopenhagen Gl. Kgl. Saml. 96 Fol. erhalten ist.I Moglicherweise hatte er dabei Ambrosius als Vorbild vor Augen, der einen Traktat mit dem Titel Institu- tio virginumschrieb.2 Offenkundig schwebte ihm noch ein anderer Titel vor: In einem Brief vom 13. Marz1526 spricht er tiber Praecepta connubialia, ein Werk, urn das ihn die Konigin von England gebeten hatte) Die Publikatian jedoch trug den Tite1: Christiani matrimonii institutio.4 Der Unterschied zwischen diesen Tite1n ist bemerkenswert. Der Tite1 der Handschrift verweist auf die Ehegatten, auf Personen; der zweite auf die christliche Ehe, die eine Institution ist. Der Titel lautete also zuerst: 'Unterweisung der Ehegatten', doch wurde er fur die Publika- tion abgeandert in 'Unterweisung tiber die christliche Ehe'.

Dass institutio tibersetzt werden muss mit 'Unterweisung', steht wahl fest. 1m Traktat kommt das Wort dreizehnmal auf signifikante Weise vor, u.a. in den Kom- binationen morum institutio, institutio pueritiae, institutio coniugis und institutio mariti (d.h. die Erziehung, die Unterweisung der Frau durch den Mann). Sehr genau werden die Zielsetzungen der institutio umschrieben als: "Est autem duplex institutionis cura, altera quae pettinet ad disciplinarum cognitionem, altera quae

I Hs.K. B. Kopenhagen, G1. Kgl. Saml. 96,£1-63v, 1. 28 und£64-68v. Siehe umen, S. 59, app_

crit. ad 1. I.

2. Vgl. Ambros. De institutione virginis, PI 16, 305-364-

3 ''Aggressurus eram Praecepta connubialia, quod a me flagitarat Regina Angliae, foemina tum pia tum erudita; sed eum laborem imerrupit praeter expectationem prouolans liber Lutheri, quo res- pondet meae Diatribae ... ", Ep. 1678, 11. 6-9.

4 Ed. Basel, Ioannes Frobenius, mense Aug. 1526, in 8° (Bezzel 344); Basel, Ioannes Frobenius, mense Aug. 1526, in fol. (Bezze! 343); Leiden/Lugd. Batauorum(LB),V,615 A-724 B.

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pertinet ad pietatem ac bonos mores."5 In eben diesem Geist hat Erasmus Schriften verfasst wie die Institutio principis christianiundDe pueris instituendis, das er auch De institutione puerorum nannte. In spezifischem Sinn von 'Unterricht' gebraucht Erasmus das Wort, wenn er tiber die Schulen spricht: "Illi publicam institutionem magis probant quam priuatam. Nunc omnis institutio publica rediit ad ludorum literariorum magistfos."6 Aus dieser Ubersicht geht hervor, dassinstitutio fur Eras- mus die Bedeutung hat von Erziehung und UntelWeisung. Diese Bedeutung passt ausgezeichnet zum ursprtinglichen Titel: Institutio coniugatorum.

Letztlich war Erasmus offenbar der Meinung, dass seine Schrift nicht allein tiber Erziehung und UntelWeisung der Ehegatten handelte, indem Empfehlun- gen fur eine gute Ehe gegeben werden. Zugleich bezweckte sie, das Wesen der Ehe und ihre Bedeutung als Sakrament darzulegen und klarzumachen, was das Kirchenrecht tiber die EheschlieBung sagt. Daher gab er dem Titel eine erwei- terte Bedeutung. Er entschied sich fur Christiani matrimonii institutio, d.h.

Unterweisung tiber die christlichen Ehe. Dazu gehort die religiose und morali- sche Unterweisung der Ehegatten.

Erasmus widmete sein Werk der englischen Konigin Katharina von Aragon.

Sein Schtiler und Schirmherr Lord William Mountjoy, seit1512Kammerherr der Konigin, hatte ihn 1525 gebeten, fur sie etwas tiber die Bewahrung der Ehe zu schreiben: de seruando coniugio.7 Erasmus beschaftigte sich derzeit mit anderen Themen und erfUllte die Bitte nicht unmittelbar. Er hatte auch nicht viel Lust dazu. Einen Monat nach der Veroffentlichung, im September1526, auBerte er sich mit Zuriickhaltung tiber derartige Abhandlungen: "Ich habe ab jetzt vor, mich von derartigen Themen fernzuhalten."8 Katharina zeigte sich tibrigens erst spat durch eine Gabe erkenntlich.9War das der Grund, dass er von derartigen Traktaten Abstand nehmen woHte oder wollte er sich ganz seinem eigentlichen wissenschaftlichen Werk widmen: Texteditionen und Kommentaren?

Es ist bitter, wenn man sich dartiber im klaren wird, dass Erasmus sein Trak- tat einer Frau widmete, die gezwungen wurde, sich von ihrem Gatten, Heinrich VIII. Tudor, Konig von England, zu trennen. Bis zuletzt straubte sich Katharina gegen die Scheidung. Heinrich konnte seinen Willen nur durchsetzen, indem er die englische Kirche am 23. Mai 1533 von Rom laste.

5 Siehe unten, S.231-232,

n.

58-59.

6 Siehe unten, S.232,11.65-67.

7 Ep. 1624,1.60;vgI. Ep.1513,1.1315; 1531,

n.

12-13.

8 Ep.1754,11. 15-1T"Est animus in posterum a talibus argumentis in totum abstinere." Dennoch folgte noch das TraktatDe vidua christiana. In der Widmungsbrief an Konigin Maria von Ungarn zu derVidua(Basel,c.Februar1529)nennt Erasmus einige Abhandlungen: "Ante complures annos Principem christianum dicaui Carolo, nunc caesari; nuper Paraphrasim in Iohannem principi Fer- dinando, nunc Hungariae Bohemiaeque regi, quibus et priuatim et publice debeo omnia. Nuper- ius etiam Christianum matrimonium inscripsimus materterae tuae reginae Angliae: non quod meis egerent monitis, sed vt illorum titulo si quid inesset illic fructus, omnibus commendaretur." Ep.

2100,11.17-24.Siehe unten, S. 331-332.

9 Epp.1804; 1816; 1960; 2040.

(13)

"'Am Ende seiner kurzen Einleitung des Traktats schreibt Erasmus: "Es ware ftir meinen Thema nicht unpassend gewesen, das Lob der Ehe zu singen; wer gelernt und behalten hat, wie groB die Wtirde und die Heiligkeit der Ehe ist, lebt in ihr mit grogerer Gewissenhaftigkeit (religiosius}.l0 Da ich dieses jedoch an anderer Stelle bereits ausreichend getan habe, wie mir und den meisten Menschen scheint - und nach dem Urteil mancher Kritikaster mehr als genug -, werde ich jetzt lediglich drei Punkte behande1n: Zuerst was das Eingehen einer glticklichen Ehe betrifft, dann was zu ihrer Bekraftigung und glticklichen Ftihrung notig ist, und schlieBlich das, was sich auf die Erziehung der Kinder bezieht." I I

In der Tat, Erasmus hatte schon frtiher tiber die Ehe geschrieben, und zwar im Enchiridion militis christiani (1503 und spater). Er verteidigte darin seine Auffas- sung, dass die Ehe eher durch Frommigkeit und den Konsens im Geiste als durch das korperliche Einswerden zustande kommt und dass eine reine Ehe der Jung- fraulichkeit sehr ahnlich ist.I2 Nach seinem Dafiirhalten gab es nur einen ganz kleinen Unterschied zwischen einem gewohnlichen zolibataren Leben (= unver- heiratet) und einer keuschen Ehe. Diese These stellte er zugleich in den Rahmen seiner Kritik an der Einhaltung des Keuschheitsgeliibdes von Monchen und Nonnen sowie am Zolibat der Priester. Das erregte groBen AnstoKI3

Daraufhin schrieb er sein Encomium matrimonii.14 Diese Abhandlung wurde in ein Buch aufgenommen, das bei Dirk Martens van Aalst am 30. Marz 1518 unter dem Tite!Declamationes aliquoterschien. Es enthielt dem Tite1blatt zufolge die folgenden Abhandlungen: Querimonia pacis vndique profligatae, Consolatoria de morte filii, Exhortatoria ad matrimoniumund schlieBlichEncomium artis medi- cae cum caeteris adiectis. Nach diesem Tite1blatt ist das, was spater Encomium matrimoniihieB, im Grunde eine Declamatio exhortatoria ad matrimonium. Die Eigenart dieser Schrift kommt zu Beginn der Abhandlung noch starker zum Aus- druck: Declamatio in genere suasorio, de laude matrimonii. Die Wahl des rhetori- schen Genres declamatioI5 bot Erasmus die Ge1egenheit, seine eigenen Gedanken darzulegen. 1m tibrigen war klar, dass dieses Modell die Argumentations- und Prasentationsweise des Stoffes beeinflusste.

Er entwarf diesedeclamatio, schreibt er 1523 an Johannes Botzheim, fur seinen Schwer William Mountjoy, dem er damals in Paris Rhetorikunterricht gab. Wil- liams eigenen Worten nach hatten ihn Erasmus' Argumente derart Uberzeugt,

10 "Religiosius enim in eo versatur qui didicit meminitque quanta sit dignitas sanctitasque coniu- gii." Siehe unten S.60, 11. 49-50.

II Siehe unten,ibid.,II.50-54.

12 Enchir. ed. Holhorn, S.14,11. 21-25:"Si quis impensius adhortetur,vtqui coniugio copulati sunt magis pietate et animorum consensu quam corporum complexu cohaereant et ita pure colant matrimonium,vtvirginitati quoad potest simillimum sit, in suspicionem vocatur, quasi cum Mar- cionitis omnem coitum spurcum ducat."

I) Ibid, S.19, 28-30:"lam vero quod ad castitatis votum attinet, non ausim explicare, quantulum intersit inter vulgarem caelihaturn et castum matrimonium."

14 Ed. Jean-Claude Margolin,ASDI, 5,S.332-417.

15 M.G.M. van der POel'De declamatio hij de humanisten. Bijdrage tot de studie van de fimcties van de rhetorica in de Renaissance,Nieuwkoop,1987.

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dass er heiratete.16Erasmus war zur Zeit der Abfassung noch jung, vix annos nati viginti.17 In der Declamatio gibt es allerdings keine einzige Anspielung auf Mountjoy. Es steht fest, dass Erasmus dieses Lob der Ehe zwischen April 1498 und April 1499 redigierte. Er arbeitete damals an De conscribendis epistolis,worin dieDeclamatioals einexemplum epistolae suasoriaeaufgenommen werden sollte.18 1m Mai 1499 und zwischen September 1500 und Januar 1501 Uberarbeitete er regelmaBig den Text De conscribendis epistolis.19 Spater, als die Kritik am Enco- mium matrimonii, in der Ausgabe von 1518, auskam, unterstrich Erasmus den rhetorischen Charakter seiner Lobrede noch einma!, indem er eine, vielleicht urn 1506 entstandene, kurze [Epistola] de genere dissuasoriohinzufugte.20

Jean-Claude Margolin hat in seiner Ausgabe der Opera OmniadasEncomium matrimonii einer gewissenhaften Analyse unterzogen und berucksichtigte den rhetorischen Charakter dieser Abhandlung tiber die Ehe. Margolin war sich zugleich bewusst, urn welch wichtige Frage es ging und zwar in kultureller, moralischer, sozialer, theologischer und religioser Hinsicht. 21 Er nimmt dabei mit Recht Abstand von der voreingenommenen Interpretation, die Emile V.

Telle tiber Erasmus' Eheauffassung bot. Telle sprach in diesem Zusammenhang von Erasmus' Antimonachismus, ja sogar von dessen fundamentalem Antichri- stianismus. 22 Seine Ideen sind inzwischen ausreichend widerlegt. Telles Werk wird daher im Folgenden nur nebenbei berticksichtigt. Obrigens meint Margo- lin, sich von Erasmus' Ideen sowie ihrer sprachlichen Umsetzung distanzieren zu mUssen.23

Erasmus und seine Kritiker

Ziemlich schnell traten Erasmus' Kritiker auf den Plan: Zuerst war es der Vize- kanzler Jan Briart von Ath, der am 21. Februar 1519 wahrend der Verleihung des Lizentiats an einen Karmeliter die Passagen desEncomium als ketzerisch qualifi- zierte, da Erasmus darin die Ehe tiber den Zolibat stelle.24 Der Konflikt wurde rasch beigelegt.25

16 Brief an Joh. Botzheim. Catalogus omnium Erasmi Lucubrationum, Basel, 30. Jan. 1523, Allen, I, S.18, 5-12.

17 Ibid.,1.16.

18 Ed. Jean-Claude Margolin,ASDI,2,S.400-429.

19 Margolin,Encom. matrum., S.338und Anm.I?und 18; Ep. 95,1.34; 130; 138; 145; 146.

20 De conscrib. ep., S.429-432 .

21 Margolin, Encom. matrim,S.339, 367-382.

22 EmileV. Telle, Erasme de Rotterdam etIeseptieme sacrement, Geneve, 1954; Margolin, Encom matrim., S. 368-369, 371Anm. 197. Vgl.A. Hyma, Erasmus and the Sacrament ofMatrimony, in:

ARG4812 (1957),S.145-164.

23 Margolin, Encom. matrim. S.339: "Nous avons deja dit, dans notre edition duDe conscribendis epistoLis,combien ses theses nous paraissent excessives.";De conscrib. ep., S. 196.

l4 Margolin,De conscrib. ep., S.194;Encom. matrim., S.370.Dber ihm Ep. 670, introduction, und Ep.998.

25 LBIX, 770 B-E; Rummel, Catholic Critics,I, S. 59-60; S.210,Anm. 64 und 66.

(15)

Als nachster auBerte sich Jacob Hoogstraten in seiner Destructio Cabale seu Cabalistice perfidie ab Joanne Reuchlin Capnione iampridem in lucem editae(Koln, Quentel, April 1519) kritisch tiber Erasmus' Auffassung tiber Ehe und Eheschei- dung, wie dieser sie in seinenAnnotationes in Nouum Jnstrumentum aus dem Jahr 1516 formuliert hatte. 26 Erasmus antwortete ihm in einem Brief vom II. August 1519 aus Antwerpen,27obwohl er inzwischen fast alles, was sich auf diese Angele- genheit bezog, in einem ausfiihrlichen Kommentar zumI.Brief an die Korinther, Kapitel 7, Vers 36ff. in der neuen Edition derAnnotationes in Nouum Testamen- tum (Basel, Johannes Froben, Marz 1519) zusammengetragen hatte.28 In seiner Destructio hatte Hoogstraten sich explizit gegen Erasmus' These gewandt, dass das Gesetz der Unauflosbarkeit der Ehe von der Kirche gemacht worden sei.29 Hoogstraten zitierte eine relativ lange Passage aus Erasmus'Annotationes in Mat- thaeum19,8aus dem Jahre 1516 (tibrigens 1519 getilgt), in der Erasmus vorgebracht hatte, wie sehr in Bezug auf Christi Gebote, nicht zu schworen, seine Feinde zu lieben und dergleichen mehr immer wieder Interpretationen gestattet wurden, wmrend dieses bei der Unauflosbarkeit der Ehe nicht toleriert wurde. Wenn bei den Juden Hartherzigkeit als Scheidungsgrund galt, wieso dann nicht auch bei den Christen, die genau so hartherzig seien? Bordelle waren dagegen sehr wohl gestattet. Die Juden30 durften nach der Scheidung eine zweite Ehe eingehen, wieso dann Christen nicht? Christus gestattete Scheidung im Falle des Ehe- bruchs, erwmnte aber kein Verbot einer zweiten Ehe. Erasmus suggerierte, dass die Unauflosbarkeit der Ehe von der Kirche festgesetzt worden war: "Ex hoc potissimum loco lex inducta apud Christianos ne dirimantur matrimonia", und darum auch aufgelost werden konnte.JI Erasmus bestritt, dass seine Auffassungen

2.6 Basel. Joh. Froben, Febr. 1516;LBVI; A. Reeve (Hrsg. ),Erasmus' Annotations on the New Testa- ment. The Gospels. Facsimile ofthe final Latin text(IS3S)with earlier variants(ISI6, ISI9, IS22andIS27), London, 1986; A. Reeve und M.A. Screech, Erasmus' Annotations on the New Testament. Acts - Romans~I andIICorinthians(Studies in the History of Christian Thought, 42), Leiden, 1990;

Annotationes in Novum Testamentum. Pars Prima,ed. P.E Hovingh,ASD VI, 5; Pars Secunda,ed. P.E Hovingh,ASD VI,6;Pars Quarta,ed. M.L. van Poll-van de Lisdonk,ASD VI,8; A.G. Weiler,Desi- derius Erasmus ofRotterdam on Marriage and Divorce,in: DRCH/NAKG84 (2004), S. 149-197.

2.7 Ep.1006.

2.8 Ep. 1006, 11. 202-205; ASDVI, 8, S. 142-191; Reeve, Annotations, S. 467-481. Siehe unten, S.6.

2.9 "Contra quem/am doctorem ostendit inseparabilitatem matrimonii non esse ex institutione Ecclesie."

P.S. Allen, Ep. 1006, n.r. 156.

J. Freisen, Geschichte des canonischen Eherechts bis zum Verfall der Glossenlitteratur, Paderborn, 18932., S. 92-100. Das EheschlieBungsrechts der Juden.

31 Reeve,Annotations,S. 78.'~dduriciem cordis." In der Fussnote der Text aus 1516: "Ex hoc potis- simum loco lex inducta apud Christianos ne dirimantur matrimonia, cum caetera Christi dogmata, de non iurando, de non resistendo, de in diem viuendo, de iuuandis ac diligendis inimicis, atque id genus per multa vel antiquare patiamur,vtinterpretatione commoda prorsus abrogemus, solum vrgemus de matrimonio. Atqui si id Iudaeis concessit Moses ob duriciem cordis, et par pene duri- cies sit in nobis, cur non idem conceditur, quibus conceduntur et lupanaria? Christus fornicatio- nem excepit, at apud nos nu11um tam obscoenum fornicationis genus, quod liberet alterutrum, cum olim post diuortium vtrique liberum fuerit nouum inire matrimonium.» Vgl.ASDVI, 5, S.

267, n.l. 888; der Text im kritischen Apparat, zu 11. 888-889.

(16)

aus einem einzigen Zitat abgeleitet werden konnten. Ihn trieb doch nur Mitleid mit denen, die einander in einer schlechten Ehe gefangen hielten. Und urn zu ihrem Heil beizutragen, hatte er vorgeschlagen, class die Kirche einer Auflosung solcher Ehen zustimmen konnte. Aber, besehwort er Hoogstraten, ieh greife niemandem vor; ieh verweise die ganze Saehe zuriiek an die Kirehe; "Nee ego cuiquam praeeo, rem omnem ad ecclesiam refero."32 Er hatte nur aus christlicher Liebe gesproehen, als annotator, nicht als dogrnatistes, und doeh betraehtete Hoogstraten seineannotatiuncula, die er zur Beuneilung die Kirche iiberlassen hatte, als eine Verhohnung der ganzen Kirehe.33 Es sei doch moglieh, dass die Kirehe die Gebote Christi urn des Heils der Menschen willen interpre- tien, im Einklang mit Zeit und Situation? Er verwies Hoogstraten schlieBlich auf seine Darlegungen in der neuen Edition der Annotationes aus clem Jahre

1519,34

AuBerdem gab es die englischen Theologen Edward Lee35 und Henry Stan- dish36. Lee (? 1482!I485-13. September 1544) studierte seit 1516 in Lowen Grie- chiseh und Latein, und don lernte er Erasmus kennen,37 Als dieser sieh1517-1518 mit der Vorbereitung einer neuen Edition seinesNouum Instrumentum beschaf- tigte, machte Lee sich daran, Erasmus zu kritisieren.

Aber aueh anderen liessen sich mit Erasmus in eine Debatte ein. Martin Lip- sius hatte ihm ein 'libellum sycopanticum' gesehiekt,38 In einem Antwortbrief von Jan. 1518 (?) an Martin LipsiuS39 stellte Erasmus einen der kontroversen Punkten dar. In seinenAnnotationeszu Mt. 1,19: nollet ljoseph} eam [Mariam} tra- ducerehatte Erasmus Petrus Lombardus angelastet, den Text falsch verstanden zu haben. Naeh Petrus wiirde traducerebedeuten 'Gesehleehtsverkehr haben': "quasi tum sponsus tradueat sponsum, cum rem habuerit cum illa."40 Er sehrieb in Sent. I~dist. 27, c.3§ f.: "Quidam tamen asserunt verum coniugium non con- trahi ante traductionem et carnalem copulam nee vere esse eoniuges aliquos, nisi intercedat commixtio sexus." Und etwas weiter: "Sed quia nondum traducta nee

32 Ep.1006,11.175-176.

33 Ibid.,186-187,und n.I.184.

34 Vgl. E. Iserloh und P. Fabisch (Hg.),Johannes Dietenberger OJ? Phimostomus scripturariorum.

KlflnI532,Munster,1985,S. LXXXII-LXXXIV:

35 Margolin,Encom. matrim.,S.370,Anm.190;M. O'Rourke Boyle, inContemporaries,11, S.311- 315;Rummel,Catholic Critics,I,S.95-120;R. Coogan,Erasmus, Lee and the Correction ofthe Vul- gate: The Shaking of the Foundations (Travaux d'Humanisme et Renaissance 261),GenE, 1992; C.

Asso,La Teologia efaGrammatica: La Controversia tra Erasmo ed Edward Lee,Florenz, 1993;Rum- mel, 'Introduction', inASD IX,4,S.1-19.Apologia qua respondet duabus inuectiuis Eduardi Lei,etc.

36 Telle, Sacrement,S.315-325;CWE71,S.86-88;D. Kinney, Thomas More CWIS,S. xxviii-xxxi.

37 Ep. 6°7,1.15.

38 Allen, Ep.750meint: "The 'libe11us' with which Erasmus here deals is probably the 'decem con- clusiones' of Ep. 834, 1. 17(c£ Ep. 76S,1. I), with which the conflict with Lee began." Rummel meint Lee sei nicht der Autor dieses Buchleins. 'Introduction' (wie in Anm. 35), S. 8-9. Siehe unten, S. 7, n.43.

39 Ep.750,Lowen, JanuarISI8?

ASDVI, 5, S. 80,II. 336-337. E. Rummel,Nameless Critics in Erasmus' Annotations on the New Testament,in: Bibliotheque d'Humanisme et Renaissance48 (1986),S. 41-57,hier: S.53-54.

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res vxoria intereesserat, id est: eoneubitus eoniugalis." Erasmus' Gegner war der Meinung, dass 'el nieht 'id est' bedeutete: coniunctionem et non esse interpretan- tis. So meinte er Petrus Lombardus zu verteidigen. Erasmus aber meinte, dass das hier doch der Fall war. Seiner Auffassung naeh verstand Petrus die Konjunktion 'ef in interpretativem Sinn. Und das war falseh. Wenn er traducere aufgefasst hatte als 'die Braut in das Haus des Brautigams fiihren', dann ware damit niehts tiber den Geschleehtsverkehr gesagt. Der Koitus kann sehliesslieh aueh ohne eine soIche Oberfiihrung stattfinden; und eine Frau, die in das Haus eines Mannes gefiihrt worden ist, wird nieht geradewegs fleisehlieh erkannt. So erging es der Mutter des Herrn. Die zwei Worte, carnalis copula und traducere bedeuten also nieht dasselbe. Andere sagen, dass traductioals deductioverstanden werden muss, welches den Konsens tiber das Zusammenleben implizieren wiirde. Doch das fand Erasmus erst recht absurd. Was ware eine Ehe ohne Zustimmung in das Zusammenleben? "Consensus eonglutinat matrimonium; coitus eonsummat;

traduetioni nullus est locus", sagt er in dem genannten Brief an Martinus Lipsius, in dem er diese Kontroverse darlegte. Petrus Lombardus selbst fasste das Wort traducere, wie es bei Matthaus steht, als coniunctio vxoria auf Aber selbstver- standlich heissttraducere: cum infamia dimittere.41Die Interpretation und Wider- legung von dieser Kritik an seiner Obersetzung nahm Erasmus in die zweite Edi- tion derAnnotationeszum Neuen Testament auf, deren Druck am 23. August 1518 abgeschlossen wurde. Aueh dort sagt er: "quod erit coniugium sine consensu domesticae eonsuetudinis?"42

Am 7.Mai 1518 sehreibt Erasmus erneut an Martin Lipsius, der ihm seinerseits ein kleines Schreiben (/ibellus) geschickt hatte, das sich gegen Erasmus' Uberset- zung des Neuen Testaments riehtete (damals verftigbar in einer zweiten Edition).

Ohne Lees Namen zu nennen, deutet Erasmus an, dass der Autor mit dem der obengenannten Decem conclusiones identisch ist.43 In 95 Punkten gibt Erasmus dem Autor des tam indoctum, tam ridiculum libellum gehorig Beseheid. Die Ehe kommt iibrigens nieht zur Sprache. Ebenso wenig ist dieses in der Kontroverse

41 Ep.750,11.15-37.

42 Annot. in NTadMt. I,19.ASDVI, 5,S. 80, 1.357. Zu dieser Frage siehe Rummel, Erasmus' Annotations,S.129-131.

43 Ep.843,11.1-18: " ... iste cuius libe11um ad me misisti ... testatus se antehac decem acutis con- clusionibus perstrinxisse suum sentimentum." Vg1. Ep.750introd. und765,1.1.Hovingh,ASDVI, 5, n.1.337-370. D. Kinney, Thomas More CW15,S. xxxvii-xxxix) meint, das betreffendelibellum konne Lee nicht verfasst haben, und es gebe keine Verbindung zwischen ihm und Ep. 843.Vg1.

Apologia Eduardi Led contra quorundam calumnias ... annotationum libri duo, alter in annotationes prioris aeditionis Noui llstamenti Des. Erasmi, alter in annotationes posterioris aeditionis eiusdem ... , Paris, Gilles de Gourmont. Zu dieser Kontroverse mit Lee siehe Hovingh,loco cit.,S.17,Anm.120, mit Literaturangabe; E. Rummel, New Perspectives on the Controversy between Erasmus and Lee, DRCH/NAK74-2 (1994),S. 226-232; Kinney, Thomas More CW15, S. xxxvii-xli. Der anonyme Kritiker des Erasmus und der Autor des verlorenen Pamphlets(libellus)wurde von ihm alsobscurus quidamangedeutet, der sich als erster gegen seineAnnotationesgeaufSert hatte. Ep. adJ.Botzheim, Allen, I, S. 23, 11. 15-17. Mit Ep. 843richtet Erasmus sich wiederum gegen diesen Anonymus, so Kinney, loco cit. Rummel, 'Introduction', S. 8-9,tritt diese Ansicht bei. "Itremains, however, to determine the real author or authors of the pamphlets."

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mit Leede sponso et sponsa(Mt.25,1-10)der Fall.44 Lee war notabene der Ansicht, dass Erasmus "vacillantius quam par est" tiber die Ehe dachte.45

Lee fasste seine Kritik zusammen in einem Manuskript, das er ca. 15. Februar 1520in Paris publizierte unter dem Tite!Annotationum libri duo ... in annotatio- nes ... Noui Testamenti Desiderii Erasmi.46 Erasmus schrieb schlid~licheineApo- logia Erasmi qua respondet duabus inuectiuis Eduardi Lei(Antwerpen, Mich. Hil- len, Marz 1520)47, und publizierte im April und Mai zwei weitere Antworten an Lee, die zusammen den NamenResponsio ad Annotationes Eduardi Leierhielten.48 Auch der Franziskaner Henry Standish (t 9. Juli 1535) war kein Freund von Erasmus. Jener protestierte heftig gegen die zweite Edition desNouum Testamen- tum.49Erasmus meinte in seinenAnnotationeszu Mt. 1,19,wie bereits oben deut- lich wurde, dass manche (quosdam) zu Unrecht sagen,'traductio' mtisse als Kon- sens tiber das Zusammenleben aufgefasst werden. Nach D. Kinney meinte Erasmus hier Standish und nicht Lee.5°

Erasmus'Annotatiozu1.Kor. 7,39 lfemina alligata) laste einen Angriff von Sei- ten des Dominikaners Johannes Dietenberger (ca. 1475-1537) aus. Dieser berief sich in seinem Phimostomus scripturariorum (Kaln, 1532)51 auf Erasmus' Edition aus dem Jahr 1519.52 Der Rotterdamer hatte dort die Ansicht geauBert, dass Ehe- scheidung und eine zweite Ehe unter bestimmten Umstanden gestattet waren.

Dabei berief er sich hauptsachlich auf Mt. 5,31 (wo steht, dass Scheidung nicht erlaubt ist) und Mk. 10,4 (wo Christus sagt, dass Moses den Juden die Scheidung aufgrund von Hartherzigkeit zugestanden hatte). "Erasmus bemiihte sich in Anlehnung an die ostkirchliche Theologie um eine Praxis, die mehr auf die menschlichen Schwachen Riicksicht nahm", sagen Iserloh und Fabisch.53 Von einer derartigen Anlehnung - was tibrigens von heutigen Theologen tatsachlich

44 ASDVI, 5, S. 316, 143-318, hier: 181 und Anm.; Edw. Lee, Annotationes in annotationes Noui Testamenti Desiderii Erasmi,Paris, 1520,Nr.15; Erasmus,Apologia qua respondet duabus inuectiuis Eduardi Lee, ed. Ferguson, S.246,1. 178;ed. Rummel,ASDIX,4, S. 28,1.146und n.; Resp. ad annot. Ed. Lei,ed. Rummel,ASDIX,4,S. ro4-ro6,11.888f£; Rummel, Catholic Critics,I, S.roo.

45 "Vacillantius quam par est, videtur mihi sentire de sacramento matrimonii." So Lee in dem Index zu seinenAnnotationes in annotationes, ed. Ferguson,Erasmi Opuscula, S. 280,Anm. 1055.

46 Ep.765,introd.; c£ Ep.750.Hovingh,ASDVI,5,S.18;Ferguson,Erasmi Opuscula,S.230. Fer- guson betrachtet die sogenanntenDecem conclusionesals eine Vorarbeit Lee's zu seinenAnnotationes.

Rummel, 'Introduction, S. 8, sieht diese Decem conclusionesals eine Vorarbeit zu einem Pamphlet eines anonymen Kritikers, zu dem Erasmus antwortete mit seinem Brief an Lipsius (Mai1518; Ep.

843). Siehe oben, S. 7,Anm.43. C£ Ep. 750,1.765 (mit kurzer Biographie Lee's von Allen), 843, introd. Ep. 1037. Allen identifizierte in seinerintroduction zu Ep. 843 den nicht genannten Autor eines 'libellus' (1. 12) und den Autor der friiher verfassten 'decem conclusiones'(L17)mit Edward Lee.

47 Ed. Ferguson, S. 236-3°3;ed. Rummel,ASDIX,4,S.21-70.

48 Ed. Rummel,ASDIX,4,S.73-335.

49 Ep. 384,1.46, n. In Ep. 481,11. 41-54,warnte Thomas More Erasmus vor einer Verschworung von Standish und anderen Franziskanern gegen ihn und seineAnnotationes.Kinney, Thomas More CW15,S.xxixund xxxviii.

Hovingh,ASDVI, 5, S. 81,n.ll.352-353;vgl. oben, Anm. 36und41.

51 Ed. E. Iserloh undP.Fabisch. Siehe oben, Anm.34

52 Rummel, Catholic Critics,II. I523-I536, S.25-26.

53 Loc. cit.(wie oben, Anm. 34),S. lxxxvi.

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befUrwortet wird54 - ist in Erasmus' Texten nicht viel zu spUren. Man konnte hochstens auf Erasmus' Interesse an der toleranten Einste11ung des Origenes zur Ehescheidung verweisen,55 Dietenberger setzte Erasmus entgegen, dass die Texte der Evangelien deutlich machten, dass Eheleute nach einer Trennung unverheira- tet bleiben so11ten, ebenso nach einer gesetzlichen Scheidung, wenn auch die Kir- che keine diesbezUglichen Regeln vorgegeben hatte. Seiner Meinung nach bedeu- tete divortium in der Bibel nicht Entbindung von der Ehe, sondern Trennung von Tisch und Bett; der Dispens rur die Juden war seinerzeit wegen der damals praktizierten Vielweiberei erlaubt. Heutzutage gibt es diesen Grund nicht mehr.

Das kirchliche Recht bestimmt, dass Wiederverheiratung nicht gestattet sei, wie das Decretum Gratianizeigt,56 In neun Thesen legt Dietenberger seine Erkennt- nisse tiber divortium und repudium dar. Er zitiert in seinem Traktat jeweils eine AuBerung von Erasmus, die er dann widerlegt.57

1m Herbst 1532 reagierte Erasmus mit einer Responsio ad disputationem cuius- dam Phimostomi de diuortio,58 Er legte noch einmal dar, was er mit derAnnotatio in I. Cor. 7 beabsichtigt hatte: Er wo11te den Kirchenruhrern die Gelegenheit geben, die Moglichkeit zu prUfen, ob es MaBnahmen gebe, dass Ehen nicht so leichtfertig geschlossen werden konnten, oder ob dergleichen leichtfertig geschlossene Ehen aus schwerwiegenden GrUnden durch kirchliche Richter auf- gelost werden konnten,59

Letztendlich rUhrten sich auch die Pariser Theologen Josse Clichtove (Propug- naculum ecclesiae aduersus Lutheranos, Mai 1526)60 und Noel (Natalis) Beda/Bedda (Annotationes Natalis Bedae [etc.], Paris, Mai 1526)61. Clichtove griff u.a. die in seinen Augen ketzerische Idee an, dass Priester heiraten konnen so11- ten, wie Erasmus in seinen Epistola de interdicto esu carnium vorgeschlagen hatte.62 Aber auch seinEncomium Matrimoniiwurde unter Beschuss genommen.

Entgegen Erasmus' Lob der Ehe empfahl Clichtove nachdriicklich das Zolibat.

Er hielt nichts von Erasmus' positiver Wertsch:itzung der natiirlichen Sexualit:it

54 Vgl. Concilium,6/5, 1970.Marriage as an institution.

55 ASDVI, 8,S.148-151,11.821-878;siehe umen,S.34.

56 Grat.Decr. II,C.32quo7C.5.Exconcilio Mileuitano[c.17]."Placuit, ut secundum euangelicam et apostolicam disciplinam neque dimissus ab yxore, neque dimissa a marito aIted coniugatur, sed ita maneant, aut sibimet reconcilientur. Quod si contempserint, ad penitenciam redigamur."

57 Ed. Iserloh und Fabisch,S.lxxxvi-lxxxix; Rummel, Catholic Critics,I,S.25-27, 77, 102.

58 Ed. E. Rabbie,ASDIX,4,S. 375-398.In der Textausgabe von Iserloh und Fabisch wird in den Anmerkungen Erasmus' Antwort besondere Aufmerksamkeit geschenkt.

59 "Confutaturus quae in prioris ad Corinthios epistolae cap. vii olim annotauimus non ob aIiud nisivtecclesiae primatibus occasionem praeberem dispiciendi si qua fieri possit, vt aut non temere coirem matrimonia, aut temere contracta grauibus de causis per ecclesiae iudices dirimerentur, ...

pars nostrae disputationis, quae id pro scopo habet,vtinfeliciter coniunctis quocunque modo con- sulatur, aut si fieri non queat, certe in posterum consulatur ne tam facile coeant matrimonia."ASD IX,4,S.376,11.15-28.

60 Te11e, Sacrement,S.334f£;Margolin,Encom. matrim.,S.373-375.

61 Margolin,Encom. matrim., S.375-376. Vgl. zum genannten Kritiker Rummel,Catholic Critics, I,S. 59;II, S.39und73-78.

6:t Ed. C. Augustijn,ASDIX,I,S.19-50;Einleitung, S. 9-10.

(20)

in der (keusehen) Ehe, jedoeh ebenso wenig von dessen Kritik am Klosterleben.

Erasmus' Entgegnung, dass dasEncomium lediglieh eine rhetorisehe Obung war - eine declamatio im teehnisehen Sinn des Wortes -, verwarf er angesiehts des behandelten Gegenstandes als unpassend. In seiner ersten Replik auf Cliehtoves Kritik63 formulierte der Rotterdamer Humanist aufs Neue seine Auffassung tiber die Priesterehe und betonte, wie sehr Cliehtove ihm Unreeht tat.64 1m Hinbliek auf das Encomiumwies er ein weiteres Mal daraufhin, dass es sieh dabei urn ein rhetorisehes Traktat handele, das nieht notwendigerweise die Meinungen des Autors widerspiegle.65 Erasmus sah offensiehtlieh nieht ein, dass es gefahrlieh war, einemdeclamatordie Behauptung in den Mund zu legen: "eerte hoc potest eecle- sia statuere, ne qui posthae fient saeerdotes aut monaehi, teneantur obligatione voti eontinentiae, si tentatis omnibus vineantur a earnis infirmitate." Er beharrte auf seiner Position: "In hac dedarabo me, nee de pudieitia eoelibatum profiten- tium, nee de matrimonio quiequam secus sentire quam sentit eedesia catho- liea."66 Sechs Jahre spater, in derDilutio eorum quae lodocus Clithoveus scripsif7, berief er sieh auf dieselben Argumente. Er erlauterte, dass er nicht das Klosterle- ben meinte, wenn er tiber coelibatumspraeh, sondern das uneheliehe Leben an sieh und dass er daher die Ehe empfahl. Aueh suehte er seine Ansicht tiber die Priesterehe noch einmal zu verdeutlichen. 68

Noel Beda69 kritisierte Erasmus' Interpretation in dessenParaphrasis in I. Cor.

7JIo-II und in Mt. 5J32: Qui dimissam duxerit, adulteratJo Nach Erasmus' Auf- fassung bedeuten die Texte, dass ein Mann, der seinen Korper einer anderen Frau schenkt, authort, ein verheirateter Mann zu sein, was umgekehrt aueh fur die Frau gilt(Propositio CXXX: MaritusJ qui sui corporis copiam fecit alienaeJ maritum esse desinit). Bei Ehebruch ist das ius coniugii hinfallig, und zwar aufgrund des conuictu domestico und alles, was dieses umfasst(vsum corporisJ lectum communemJ

mensam communem, fidem mutuam, omnium rerum societatem).71Wenn einer der

63 Er.Appendix de scriptis Iodoci Clithouei,zusammen mit denApologiaegegen Beda veroffentlicht (Basel, Froben, 1527),LBIX, Sn-SI4. Vgl. den Kommentar von C. Augustijn in der Einleitung zur Edition derIn Epistolam de delectu ciborum scholia, ASDIX,I,S. 59, Anm. 53.

64 Er.Appendix."Caeterum quod in Indice ponit, me vsum legis de continentia sacerdotali niti dis- suadere, si mecum pugnare voluisset, rectius ad hunc modum proposuisset: Erasmus, vt nunc habet res profitentium coelibatum, dubitat vtrum sit minus malum, ecclesiam indulgere vxores iis, qui ten- tatis omnibus tamen non continent, an sinere res in eo statu, in quo nunc sunt."LBIX,Sn-812F.

65 Er.Appendix. "Quin et in his, quae refert exEncomio matrimonii, cogor Hlius desiderare can- dorem. Nouit enim vt in bonis litteris oHm non infeliciter versatus, quid sitdeclamatio, nirnirum argumentum £lctum, quod exercendae dictionis gratia tractatur in vtrarnque partern."LBIX, 812F.

66 Er.Appendix. LBIX, 814 D.

67 Dilut. Clichthov.,ed. E. Telle, Paris, 1968,S.69-100.

68 Ibid., S.82, 97.

69 Vgl. V. Norskov Olsen, The New Testament Logia on Divorce, Ttibingen, 1971 (Beitrage zur Geschichte der biblischen Exegese 10), S. 30-33. Die Anmerkungen zuErasmus' Interpretation ofthe Divorce Textssind nicht irnmer korrekt, narnentlich auf S. 32.J.K.Farge, Orthodoxy and Reform in Early Reformation France. The Faculty of Theology ofParis, I50o-I543,Leiden, 1985, S. 186-196.

Er. Paraphr. in NTadEuang. Matthaei, c.5,32(LBVII, 32-33);Paraphr. in NT in Epist. Pauli ad Cor., L c.J, Io-II. Ibid, 880).

71 Er.Supputatio errorum N Beddae, LBIX, 652 F-653 C.

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Partner Ehebruch begeht, ist die Ehe gebrochen und besteht nicht mehr fur die unschuldige Partei. Dies war ftir Beda offene Ketzerei: Die Ehe ist unaufloslich, auch im Fall des Ehebruchs. Die Frau darf nicht erneut heiraten.

Erasmus unterstreicht in seiner Antwort an Beda7\ dass er sich in seinen Annotationes nicht gegen die Lehre und den Glauben der Kirche richtet, sondern dass er nur zur Diskussion tiber diesen schwierigen und fur viele unertraglichen Punkt anregen mochte. Doch halt er fest am Wort Christi, dass im Fall von Ehe- bruch Scheidung erlaubt ist.

Gegentiber der Pariser theologischen Fakultat, die sich seit Ende Juli 1526 ebenfaUs in die Kontroverse gemischt hane, behauptet er nach wie vor73 : Ein Mann, der Ehebruch begeht, ist kein Ehemann mehr; dasselbe gilt ftir die Frau.

Und wenn keine Ehe mehr besteht, ist eine zweite Ehe erlaubt. Doch seltsamer- weise formuliert er gegen Ende sehr zuriickhaltend: "Was ich tiber das Lasen einer Ehe und tiber die Scheidung sage, kann als Trennung von Ben verstanden werden; und ich behaupte nichts das ein Recht einschliessen wlirde aufs Neue zu heiraten."74

Durch das Erscheinen einer franzosischen Ubersetzung der Declamatio von Ritter Louis de Berquin, Declamation des louanges de mariage (1525), wurde die Diskussion weiter angeheizt.75

Die Priesterehe

Es ist nicht unwichtig zu erwmnen, dass Martin Luther am 13. Juni 1525 die ehe- malige Zisterziensernonne Katharina von Bora heiratete.76 Erasmus hatte bereits im Encomium von 1518 gesagt, dass es fur die gute Lebensfiihrung der Menschen keine schlechte Sache ware, Priestern und eventueU auch Monchen das Recht auf EheschlielSung einzuraumen.77 Auch in seiner Epistola de interdicto esu carnium vom April 1522 hatte er dafur pladiert, die Ehe von Priestern, die nicht in Ent- haltsamkeit leben woUten, zu ermoglichen.78Menschliche Vorschriften wie Fasten- regeln, Priesterzolibat und kirchliche Festtage soUten seiner Meinung nach ent- sprechend dem Wandel der Zeiten einer Anpassung unterzogen werden. Dieses

72. Er. Apologia ad notata per N Beddam in Paraphr. In Paulum, IB IX, 472E

73 Er. Declarationesadcensuras Iutetiae vulgatas sub nomine Facultatis Theologiae Parisiensis, IB IX, 843 B-844A, ausgelost dureh Erasmus'Paraphr. in Mt. Farge,Orthodoxy, S. 176-178, 186-196.

74 Ibid.,p.844.Tit. VI, in fine: " ... tamen ita tempero sermonem,vtquod dieo dirimi matrimo- nium ae fieri diuortium, de separatione thori possit intelligi, nee vllum admisceo verbum, quo ius faciam iterandi eoniugii".

75 Ed. E.V: Telle, Genf, 1976, Introd., S. 54-63; Margolin, De conscrib. ep., S. 195,Anm. 160;

Encom. matrim.,S. 354-358; 367-381.

76 Theol. Realenz. 21; 1991, S. 520--521.

77 "Mihi sane videtur non pessime consulturus rebus ac moribus hominum; qui sacerdotibus quo- que ac monachis, si res ita ferat; ius indulgeat coniugii."ASDI; 5, S. 402;1. 224-S. 404;1.226. In De conscrib. ep.wird diese These mit Entschiedenheit weiter ausgearbeitet.ASDI, 2, S. 418, 11. 3-10.

78 Ed. C. Augustijn;ASDIX,I;S. 9-50;hier S. 26,1.214-S. 28,1.268.

(22)

berurwortet er in derInstitutiowiederholt dort, wo es um kirchenrechtliche Rege- lungen der Verwandtschaftsgrade, der geistlichen Verwandtschaft und der alleinse- ligmachenden Kraft des gegenseitigen consensusrur die Ehe geht.79Was einst aus einer gewissen Frommigkeit heraus entstehen konnte,. kann zu einem Hindernis werden und bedarf der Revision, glaubt Erasmus.80

II. Erasmus zur Ehe in derRatio seu Methodus

Typisch flir die anhaltende Aufmerksamkeit, die Erasmus dem Thema Ehe wid- mete, ist dieRatio seu Methodus compendio perueniendi ad veram theologiam81, die im November Ip8 bei Dirk Martens in Lowen erschien und alsbald - bis ein- schliefSlich1523 - mehrere Male neu aufgelegt wurde. Aus einem eingeschobenen Text in der Edition von1523 geht seine theologische Stellungnahme zur christli- chen Ehe deutlich hervor. Eine Reihe von Themen, die in der Institutio bespro- chen werden, sind hier bereits kurz, aber in aller Scharfe aufgenommen. Weit mehr noch als das Encomium muss die Ratio als Erasmus' Ehetheologie in nuce betrachtet werden.

Er wendet sich mit unmissversdindlichen Worten gegen die Kanonisten und Theologen, die die Regel, dass die unauflosliche Ehe ausschliefSlich durch Kon- sens zustande komme, wie "eine kupferne Mauer" aufgestellt haben. Erasmus vermag nicht einzusehen, auf welche Argumente oder Bibelstellen sich dieser Lehrsatz stiitzen konnte. Was fur Fallstricke und Skrupel, fast unlosbare Schwie- rigkeiten sind daraus entstanden! Wie sehr wiirde das Christentum in die Irre gehen, wiirden wir zu den Auffassungen von luden, Griechen und Romern tiber das Zustandekommen einer giiltigen Ehe zurtickkehren! Doch die Rechtsgelehr- ten haben den Unterschied zwischenmatrimonium ratum und matrimonium con- summatum eingefiihrt, um auch einer verheirateten Person die Moglichkeit zu geben, die Kutte anzulegen, wenn trotz geschlossener Ehe kein Geschlechtsver- kehr stattgefunden hat. "Id fit, inquiunt, in fauorem religionis." 1st es jedoch reli- giosum, einer verheirateten Frau ein Unrecht anzutun? Darf man in der Ehe etwa nicht religiose vivere? Er kann verstehen, dass eine Ehe, die aufgrund von Betrug oder Irrtum geschlossen wurde, nicht aufgehoben werden muss, es sei denn, es handelt sich um einen Irrtum in Bezug auf die Person beziehungsweise auf die Existenzbedingungen der Person. Auch die Tauschung tiber den Besitz zahlt nicht als Scheidungsgrund. Aber ein wohlerzogenes Madchen zu zwingen, sein ganzes Leben mit einem Schwindler, einem Betrtiger, einem Kranken, der von Syphilis befallen ist, zu verbringen, kann doch wohl nicht rechtens sein. Und

79 Siehe unten, S.17.

80 Erasmus beharrte immer wieder auf dem Unterschied zwischen der Anfangszeit der Kirche und seiner eigenen Zeit, so inEne. Matrim., S.402,11.2II-215.

81 Ratio verae theologiae, ed. A. und H. Holborn, in: Desiderius Erasmus Roterodamus Ausgewiihlte WTerke, Miinchen,1933;unverand. Nachdr.1964,S.206-208.

(23)

doch billigen wir so etwas eher, als dass wir eindogma scholasticumbeiseite schie- ben. Wenn der Papst die Ehe auflosen kann, weil er die Gatten aufgrund seiner eigenen Autoritat alsinhabilesrur die Ehe erklart hat, warum kann er dann nicht auch so ein ungliickliches, betrogenes Madchen als inhabilis erklaren. Nun ja, schon seit Jahrhunderten scheint festzustehen: ein einfaches Gelobnis kann auf- gelost werden, ein feierliches jedoch nicht ... Und dann die Frage der cognatio spiritualis. Auch das ist doch bloB eine Sache des menschlichen Rechts; aber Theologen argumentieren so, als ob dieses auf keine andere Weise hatte geregelt werden konnen. Friiher gab es diese Regel doch nicht? Es ware vielleicht besser, diese Art von Bestimmungen abzuschaffen. Wenn nach Auffassung der Rechtsge- lehrten der Papst soviel selbst bestimmen kann, warum dann dieses nicht? Aber Erasmus wusste nur zu gut, dass manche Leute, die dem Papst soviel Macht zuschrieben, sich energisch widersetzen wiirden, sollte er probieren, ihre Geld- sucht oder ihren Ehrgeiz in die Schranken zu weisen.82

III. Erasmus uberdas Zjjlibat

Erasmus wusste, dass mit der Diskussion tiber seine Auffassung von der christli- chen Ehe nicht nur Probleme mit Kanonisten und Theologen entstehen musste, sondern letzten Endes auch mit der Kirche, besonders dann wenn er auch die Praxis des Zolibats von Priestern und Monchen zur Sprache bringen wiirde. Seit dem Ende des 15. und zu Beginn des 16.Jahrhunderts hatten Theologenl iiber die vorherrschende Meinung Zweifel geauBert, dass der Status der Jungfraulich- keit dem der Ehe weit iiberlegen sei. Mehrmals hatte Erasmus die Meinung ver- treten, dass die Jungfraulichkeit zwar lobenswert ist, aber nicht fiir jeden; falls die Ehe rein und keusch gelebt wird, ist sie fiir ihn eine sehr heilige Lebens- form.83 Doch konnte Erasmus dariiber nichts sagen, ohne zugleich scharfe Kri- tik an der tatsachlichen Lebensweise vieler Monche zu auBern. Der Ehe einen solchen Status zuzuerkennen, in dem man ein h6heres sittliches Leben finden kann als in vielen Klostern,84 war seinen Kritikern, namentlich den Monchen unter ihnen, ein Dorn im Auge. Sie betrachteten sein Encomium matrimonii als Angriff auf den kirchlichen Zolibat als solchem, von dem Erasmus zu behaupten gewagt hatte, dass das Christus von niemandem gefordert hat.85

82 "Sunt enim, qui corpus vniuersum ecclesiae in vnum contrahunt Romanum pontificem, quem vnum negant errare posse, quoties de moribus aut de fide pronuntiat, et huius vnius sementiae mundum vniversum in diuersa opinione consentientem debere credere, ni faciat, schismaticum esse censendum. Et tamen, qui tantum potestatis tribuunt Romano pomifici, quantum nee ipse agnos- cit, iidem minimum illi tribuant, si quid illorum vel quaestui vel ambitioni conetur obsistere: tunc exempta est sacrosancta religio, tunc illuminatus theologus praeponderat vniuersali concilio, tunc profertur ad synodum prouocatio." Rat. ver. theol., S.206,11.19-29.

83 Encom. matrim., S.402,1.218.

84 Encom. matrim., S.402,11.213-215;vgl. Ep.12II,11.456-459.

85 "Postremo ne praecipit quidem Christus v11i coelibatum, at idem diuortium palarn interdicit."

Encom. matrim., S.402,11.223-224.

(24)

Wie bereits erwahnt griff der Pariser Theologe Josse Clichtove Erasmus scharf an und rtickte dessen Ideen in die Nahe des Lutherschen Gedankenguts.

Dieses geht schon aus dem Tite! seines Propugnaculum Ecclesiae aduersus Lutheranos hervor.86 Zur gleichen Zeit, im Mai 1526, erschienen in Kaln bei

~ Quentel Noel Bedas Annotationes gegen Jacques Lefevre d'Etaples und Erasmus, die sich ebenfalls gegen Erasmus' Auffassung tiber Ehe und Zalibat richteten.87

Augerdem saUte man berucksichtigen, dass im Februar 1526 die letzte Edition von Erasmus' Colloquia erschien, die die neuen Texte der Colloquia Puerpera, Peregrinatio religionis ergo, 'IxflvQ(payia und Funus enthielten. 88 Diese Ausgabe wurde von den Zensoren der Sorbonne verurteilt; zu viele Leute hatten an Eras- mus' Art, mit kirchlichen Einrichtungen und gewissen Menschen umzugehen, Anstog genommen.89

In den Colloquia hatte Erasmus sich mehrfach zu Ehe und Jungfraulichkeit geaugert. In der Reihenfolge der Ausgabe handelt es sich um Proci et puellae, Virgo !u(]6yaflo~ und Coniugiumbeziehungsweise Vxorflcfl1.piyaflo~, aIle drei aus dem Jahr 1523, sowie Puerpera aus 1526; spater kam noch )1yaflo~ y6.flo~ siue Coniugium imparaus dem Jahr 1529 dazu.90InProci et puellaehatte er sich gegen die klandestinen Ehen verwehrt mit dem Hinweis auf die langfristigen Folgen eines schnell gegebenen Heiratsversprechens; "Sum tuus ... sum tUa",91 und die keusche Ehe empfohlen, die sich kaum yom Stand der Jungfraulichkeit unter- schied: "Castam puellam mihi cupio nubere, vt cum illa caste viuam. Magis erit animorum quam corporum coniugium. Gignemus rei publicae, gignemus Chri- sto. Quantulum aberit hoc matrimonium a virginitate? Et fortassis olim sic conuiuemus, quemadmodum vixit cum Maria loseph. Sed interim discemus vir- ginitatem. Non enim statim peruenitur ad summum."92Wenn Pamphilus darauf dringt, dass Maria die drei Worte des Ehegelabnisses sagen solI, sagt sie ihrer- seits, dass er sich mit seinen und ihren Eltern beratschlagen mage, damit die Angelegenheit dem beiderseitigen Willen entsprechend behandelt werden kann.

Sie weig nicht, ob sie diese drei Worte aussprechen kann: "mei iuris non sum."93 Hier verbirgt sich ein Thema, das nachher in dem grogen Traktat Christiani matrimonii institutio detailliert ausgearbeitet wurde. 1m Colloquium VirgoflUJO- yaflor;,94 das von einem 17jahrigen Madchen handelt, das sich zu einem Leben in

86 Analyse Margolin,Encom. matrim., S.373-375.

87 Margolin,loco cit., S.375.

88 Ed.L.Halkin,ASDI,3,S.451-551.

89 Ibid.,Introduction, S.II;Ep.1723.Adfacultatem Theologiae(Basel,23.Juni1526).

Ibid.,S.277-288, 289-297, 301-313, 453-469, 591-600.

91 Ibid, S.284, 248.

92 Ibid., 285, 286-29°; vgl. A.W Reese, Learning virginity: Erasmus' ideal of christian marriage, Bibliotheque d' Humanisme et Renaissance57 (1995),S. 551-567.

93 ASD I,3,S.287,1.363.

94 Ober die Umstande der Zusammensetzung dieses Kolloquiums und tiber die Zensur desselben ibid., S.289,n.1.I.

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NuIlus imperio gerendo censetur idoneus authore Platone, nisi qui coactus et inuitus suscipit imperium. Quisquis enim affectat principis munus, is aut stultus sit neeesse est, qui

Tu, qui vis i11i licere quicquid libet, qui tyrannum vis esse, non principem, qui voluptatibus exples, qui luxui prodis, qui cupiditatibus omni- bus seruum ac dedititium facis, [q

In der vierten Auflage von 1527 wurde auch der Vulgata-Text (wie Erasmus ihn kannte) mit abgedruckt, so dass nun der griechische Text, Erasmus' lateinische Version und der

900 Porro quod de eo scripsi illum ab omnibus esse laudatissimum nec vnquam tamen satis laudatum, hoc etiam ipsi theologi Louanienses cum risu legerunt. Lauda- batur enim

caesaribus stutzt -, dass die Turken zum ersten Mal in der Geschichte auftraten, als sie, ohne einen richtigen Anfuhrer, in Persien und Kleinasien einfielen, die Provinzen

Whereas the direct effect, as well as the overall effect, are negative, the feedback effect from capital accumulation may dampen or reinforce the standard partial equilibrium