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Gericht. Entscheidungsdatum. Geschäftszahl. Spruch. Text BVwG L L /4E IM NAMEN DER REPUBLIK!

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Gericht BVwG

Entscheidungsdatum 10.03.2017

Geschäftszahl L521 2135785-1

Spruch

L521 2135785-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter MMag. Mathias KOPF, LL.M. über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, 1090 Wien, Pulverturmgasse 4/2/R1, sowie Dr. Lennart BINDER, LL.M., Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2/12, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.09.2016, Zl. 1072071408-150613153, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte im Gefolge seiner schlepperunterstützten illegalen Einreise in das Bundesgebiet am 04.06.2015 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der niederschriftlichen Erstbefragung am 04.06.2015 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion Burgenland gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen und Staatsangehöriger des Irak zu sein. Er sei XXXX in Bagdad geboren, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und der islamischen Glaubensrichtung sowie geschieden. Außer seinen Eltern habe er einen Sohn, drei Brüder und zwei Schwestern. Er habe von 1990 bis 1997 die Grundschule besucht. Zuletzt sei er als Arbeiter tätig gewesen.

Im Hinblick auf seinen Reiseweg brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, den Irak am 15.01.2015 legal mit dem Flugzeug von Bagdad ausgehend nach Istanbul verlassen zu haben, wo er zwei Monate verblieben sei. Er sei schlepperunterstützt am Seeweg nach Griechenland gelangt, wo er von der Polizei erkennungsdienstlich behandelt worden sei. Nach einer einmonatigen Anhaltung sei er erneut am Seeweg nach Athen gereist, wo er sich etwa zwei Wochen aufgehalten habe. Anschließend sei er - ebenfalls schlepperunterstützt - unter Verwendung von verschiedenen Fahrzeugen über Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich gelangt.

Zu den Gründen seiner Flucht aus dem Heimatland befragt, führte der Beschwerdeführer aus, dass er Sunnit und seine ehemalige Gattin Schiitin seien. Scheidungsgrund sei ihre unterschiedliche Religionszugehörigkeit gewesen. Seine ehemaligen Schwiegereltern hätten ihm mit der Ermordung gedroht, wenn er sich nicht scheiden lassen würde. Sonstige Ausreisegründe hätte er keine. Im Falle der Rückkehr fürchte er getötet zu werden.

2. Nach Zulassung des Verfahrens am 26.06.2015 ergab eine von der belangten Behörde erfolgte Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, dass der Beschwerdeführer - nach Verlassen der Unterkunft ohne Angabe einer

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weiteren Anschrift - von seinem letzten Wohnsitz im Bundesgebiet abgemeldet wurde und bislang keine aufrechte Meldung im Bundesgebiet bestehe, worauf das Asylverfahren laut Aktenvermerk der belangten Behörde vom 15.10.2015 gemäß § 24 Abs. 2 AsylG 2005 eingestellt wurde.

3. Mit E-Mail der belangten Behörde vom 04.11.2015 wurde der Beschwerdeführer über die Fortsetzung seines Asylverfahrens informiert.

4. Am 01.02.2016 urgierte der Beschwerdeführer per Telefax eine Entscheidung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Des Weiteren schilderte der Beschwerdeführer, dass am letzten Wochenende bewaffnete Truppen sein Haus gestürmt und die Anwesenden gezwungen hätten, alle Wertgegenstände herauszugeben. Zudem habe er ständig Probleme mit der Familie seiner ehemaligen Gattin, da diese seiner Familie nach dem Leben trachten würde. Schließlich wohne er in einem überwiegend schiitischen Bezirk, wodurch seine Familie ebenfalls gefährdet sei.

Dem Schreiben ist zur Bescheinigung seines Vorbringens - in Kopie - ein Konvolut an -großteils unleserlichen - Unterlagen angeschlossen.

5. Der Beschwerdeführer wurde am 16.03.2016 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Burgenland, im Beisein einer geeigneten Dolmetscherin in arabischer Sprache niederschriftlich einvernommen. Zuvor wurde mit dem Beschwerdeführer ein Datenblatt ausgefüllt.

Zur Person und den Lebensumständen befragt gab der Beschwerdeführer an, den Namen XXXX zu führen. Er sei XXXX in Bagdad geboren, Angehöriger der arabischen Volksgruppe, sunnitischen Glaubens und geschieden.

Sein minderjähriger Sohn, seine Eltern, zwei Schwestern, ein Bruder und seine ehemalige Gattin befänden sich im Irak. Ein Bruder sei in Kanada, ein Bruder in Deutschland und ein Neffe in Österreich aufhältig. Er habe in Bagdad von 1990 bis 1997 die Grundschule besucht. Des Weiteren habe er als Polizist gearbeitet. Er habe vor seiner Ausreise in Bagdad gemeinsam mit seinen Eltern, seinem Sohn und dem mittlerweile in Deutschland aufhältigen Bruder gelebt. Bis zu seiner Scheidung Ende 2011 war er mit seiner ehemaligen Gattin und seinem Sohn an einer anderen Adresse wohnhaft. Die Eheschließung erfolgte Anfang 2007. Er habe telefonischen Kontakt zu seinen Familienangehörigen. Seine Eltern würden eine Pension beziehen und sein Bruder arbeite als Taxifahrer im Irak. Seine Schwestern seien verheiratet.

In der Folge wurden dem Beschwerdeführer Fragen bezüglich seines Privat- und Familienlebens in Österreich gestellt.

Zum Ausreisegrund befragt gab der Beschwerdeführer zunächst an, den Irak verlassen zu haben, weil er Polizist sei. Er habe bei der Passbehörde gearbeitet und einen Versetzungsbescheid für ein Unruhegebiet in Bagdad erhalten. Sein Dienstausweis sei im Jahr 2013 abgelaufen und habe man diesen erst nach der Versetzung verlängern wollen. Von der Versetzung wären 40 Personen betroffen gewesen, wobei diese - ihn eingeschlossen - 30 Personen verweigert hätten. Er würde nicht desertieren und flüchten, sondern es gehe ihm vielmehr darum, dass es sich um eine politische Angelegenheit handle, die zum Scheitern verurteilt sei. Im Falle einer Weigerung im polizeilichen Dienst werde man laut Gesetz dem Militärgericht vorgeführt werden. Wenn man dem Dienst nicht nachgehe, werde man 20 Tage später dem Gericht vorgeführt. Den Bescheid habe er selbst nicht gesehen.

Als er von diesem Bescheid erfahren habe, habe er noch zwei Tage Dienst gemacht und eine Woche nach Erhalt dieser Information das Land verlassen. Er habe gewusst, dass er entweder versetzt oder im Falle der Weigerung verurteilt werden würde.

Des Weiteren habe es Schwierigkeiten mit den ehemaligen Schwiegereltern wegen seines Sohnes gegeben. Es sei vor Gericht mit seiner ehemaligen Gattin vereinbart gewesen, dass sein Sohn - im Falle einer Heirat seiner ehemaligen Gattin - wieder zu ihm kommen würde. Das Kind sei daher etwa eineinhalb Jahre bei seiner ehemaligen Gattin gewesen. Aufgrund ehelicher Probleme sei das Kind hauptsächlich bei seiner ehemaligen Gattin und den Schwiegereltern gewesen. Die Probleme seien vor allem durch die Geschwister seiner ehemaligen Gattin, die Schiitin sei, entstanden. Deren Geschwister seien bei den schiitischen Milizen und hätten diese wegen seiner sunnitischen Religionszugehörigkeit auch die Scheidung bewirkt. Nach der neuerlichen Heirat seiner ehemaligen Gattin habe er das Kind wieder zu sich nehmen wollen. Seine ehemaligen Schwager würden seine ehemalige Gattin aber insoweit beeinflussen, als sie sich nicht an die Vereinbarung halten solle. Er habe die Angelegenheit friedlich zu regeln versucht, was jedoch nicht funktioniert habe. Ein von seinen ehemaligen Schwagern gesandter Mann - vermutlich ein Angehöriger einer Miliz - habe ihm mitgeteilt, dass das Kind bei seiner ehemaligen Gattin bleibe. Er habe diesem die Vereinbarung gezeigt, worauf dieser das Schriftstück zerrissen und ihm angeboten habe, das Kind für ein bis zwei Monate - die erste Zeit nach der Eheschließung - bei ihm zu lassen. Dann würde das Kind wieder zu seiner ehemaligen Gattin kommen. Das Hauptproblem sei, dass es sich bei der Familie seiner ehemaligen Gattin um Kriegs- und Milizsympathisanten

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handle und er nicht wolle, dass sein Kind einmal zur Waffe greife. Dann hätten die Drohanrufe seitens der Brüder seiner ehemaligen Gattin begonnen. Seine Eltern seien gemeinsam mit seinem Kind umgezogen. Er habe seinen Verwandten erzählt, dass er das Kind auf die Flucht mitnehmen würde und damit bezweckt, dass seine ehemalige Gattin dies auch erfährt. In Wahrheit sei das Kind aber bei seinen Eltern geblieben und sei die neue Adresse seiner ehemaligen Gattin und deren Familie nicht bekannt. Diese Drohanrufe seien gleichzeitig mit der bevorstehenden Versetzung gewesen. Nach seiner Ausreise habe sein Vater die Anrufe erhalten, wonach diese Personen ihn holen würden.

Die Fragen, ob er jemals in Haft gewesen bzw. jemals festgenommen worden sei, es sonst jemals Probleme mit der Polizei oder einem Gericht oder den Behörden gegeben habe, er Mitglied einer Partei sei, jemals wegen seiner politischen Überzeugung oder wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit verfolgt worden sei, verneinte der Beschwerdeführer.

Nachgefragt zu Details gab der Beschwerdeführer unter anderem an, dass er von 2007 bis eine Woche vor seiner Ausreise Polizist gewesen und Uniform getragen habe. Er sei Wachpersonal bei der Passbehörde gewesen. Zu Beginn der Ehe habe es keine Probleme mit den Schwiegereltern gegeben. Diese sei nach den Konfessionskriegen zwischen Sunniten und Schiiten - etwa im Jahre 2009 - entstanden. Über die Existenz des Versetzungsschreibens sei er vom Vorgesetzten informiert worden. Von den anderen 40 Personen seien drei Sunniten und der Rest Schiiten gewesen. Man habe versucht, aus den verschiedenen Behörden eine eigene Armee in dem Unruhegebiet zusammenzustellen, dort einzumarschieren und gegen den Islamischen Staat zu kämpfen. Er habe in der Türkei erfahren, dass fünfzehn Tage nach Ausstellung des Versetzungsbescheids die Versetzung erfolgen solle. Bei der Ausübung seines Dienstes habe er sich mit dem abgelaufenen Ausweis ausgewiesen. Die Ausstellung eines neuen Ausweises dauere aufgrund der Bürokratie etwa eineinhalb Jahre. Er habe nicht mit seinem Vorgesetzten darüber gesprochen, dass er nicht versetzt werden wolle. Dies hätte nichts gebracht. Wenn er sich geweigerte hätte, wäre nämlich vermutet worden, dass er Sympathisant des Islamischen Staates sei. Es habe aber auch Schiiten gegeben, die die Versetzung ablehnten. Als ihnen die Versetzung mitgeteilt worden sei, seien sie etwa 30 Personen - darunter er mit zwei Sunniten - gewesen. Sie hätten gesagt, dass sie nicht in diesen Bezirk wollen, woraufhin ihnen mitgeteilt worden wäre, dass sie müssten und es Vorschrift wäre. Seine ehemaligen Schwager würden der Mahdi Armee beziehungsweise Asa’ib Ahl Al Haq angehören. Der von seinen ehemaligen Schwagern gesandte Mann sei einmal Ende 2014 bei ihm gewesen. Diese Person namens XXXX sei mit der Familie seiner ehemaligen Gattin verschwägert. Diese Person habe ihn aufgesucht und ihm mitgeteilt, dass seine ehemalige Gattin bald heirate und ihm das Kind dann ein bis zwei Monate gelassen werden würde. Zum Zeitpunkt seiner Ausreise sei das Kind ohnehin schon bei ihm gewesen.

Seine Eltern seien mit dem Kind nach seiner Ausreise umgezogen. Die Drohanrufe hätten etwa einen Monat vor seiner Ausreise begonnen. Nach anfänglich friedlichen Gesprächen habe man ihn überzeugen wollen, dass das Kind bei der Mutter bleibe. Aufgrund seiner ablehnenden Haltung hätten sie gemeint, dass das Kind ohnehin zu ihnen kommen würde. Es seien drei bis vier Anrufe gewesen. Einmal der ehemalige Schwiegervater, dann die ehemalige Schwiegermutter und dann die ehemaligen Schwager, die die Drohungen ausgesprochen hätten. Eine Anzeige gegen die Familie seiner ehemaligen Gattin würde zu nichts führen, da diese auch mit den Behörden arbeite. Der Aufenthaltsort seiner Eltern und seines Sohnes sei der Familie seiner ehemaligen Gattin nicht bekannt. Diese seien der Meinung, dass er mit dem Sohn den Irak verlassen hätte.

Bei einer Rückkehr in den Irak sei sein Leben einerseits durch seine Dienstbehörde und andererseits durch die Milizen in Gefahr. Am wichtigsten sei ihm die Sicherheit seines Sohnes. Was ihm im Irak geschehe, sei ihm egal.

Dem Beschwerdeführer wurde im Übrigen eine vierwöchige Frist eingeräumt, um den irakischen Staatsbürgerschaftsnachweis, die irakische Scheidungsurkunde und den irakischen Arbeitsvertrag im Original in Vorlage zu bringen.

Der gegenständlich relevante Teil der Einvernahme gestaltete sich ausweislich der Niederschrift wie folgt:

" [ ]

AUSREISEGRUND

F: Warum haben Sie den Irak verlassen und stellten in Österreich einen Asylantrag?

A: Ich verließ den Irak, weil ich Polizist bin. Ich arbeitete bei der Passbehörde. Es kam ein Schreiben, dass ich versetzt werden soll in ein Gebiet wo es viele Unruhen gibt. Wir waren 40 Personen, die von der Versetzung betroffen gewesen wären. Mein Dienstausweis lief 2013 ab und wollten sie diesen erst verlängern nach der Versetzung. Als ich diesen Versetzungsbescheid bekam, weigerten sich 30 von diesen 40 Personen. Ich war

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einer von den 30 Personen. Jene die nämlich dorthin gegangen wären, würden nicht mehr zurückkommen. Im Falle einer Weigerung im polizeilichen Dienst wird man laut Gesetz dem Militärgericht vorgeführt werden. Es ist nicht so, dass ich nicht mein Land nicht verteidigen will und desertiere und flüchte, es geht vielmehr darum, dass es eine politische Angelegenheit ist, die zum Scheitern verurteilt ist. Man kommt aus der Sache nicht heil heraus. Wenn man dem Dienst nicht nachgeht, wird man 20 Tage später dem Gericht vorgeführt. Ich sollte in den Bezirk XXXX von Bagdad versetzt werden. Den Bescheid sah ich selber nicht. Als ich von diesem Bescheid erfuhr, habe ich eine Woche später das Land verlassen. Nachdem ich von diesem Bescheid erfuhr, machte ich noch zwei Tage Dienst. Ich wusste, dass ich entweder versetzt werde oder im Falle der Weigerung verurteilt werde. Ich kenne die Gesetze im Irak und weiß, dass es keinen Ausweg gibt. Ich verließ dann eine Woche später den Irak. Für die Türkei braucht man kein Visum.

Weiters möchte ich noch angeben, dass ich Probleme mit den Schwiegereltern hatte bezüglich meines Sohnes.

Die Vereinbarung war, dass mein Sohn bei meiner Ex-Frau bleibt so lange sie nicht wieder heiratet. Im Falle einer Heirat würde der Sohn zu mir kommen. Das war mit dem Einverständnis meiner Ex-Frau und auch mit dem Gericht so vereinbart. Das Kind blieb etwa eineinhalb Jahre bei meiner Ex-Frau und hat sie dann wieder geheiratet. Seit der Geburt ist das Kind hauptsächlich bei meiner Ex-Frau. Weil wir oft eheliche Probleme hatten, war das Kind oft mit ihr bei meinen Schwiegereltern. Meine Ex-Frau ist Schiitin. Unsere Probleme entstanden hauptsächlich durch Ihre Geschwister, die bei den schiitischen Milizen sind. Sie bewirkten auch die Scheidung, weil ich Sunnite bin, obwohl meine Mutter Schiitin ist. Nachdem meine Ex-Frau wieder geheiratet hat, wollte ich mein Kind wieder zu mir nehmen. Grundsätzlich wäre es mir egal gewesen, ob mein Kind bei meiner Ex- Frau oder meiner Mutter ist, aber die Brüder meiner Ex-Frau beeinflussen sie stark, dass sie das Kind behalten und sich nicht an unsere Vereinbarung halten soll. Ich versuchte friedlich mit ihnen zu reden, dass wir die Sache außergerichtlich regeln und dass mir das Sorgerecht zusteht. Es funktionierte aber nicht. Die Brüder meiner Ex- Frau schickten mir einen Mann, der vermutlich einer Miliz angehört. Bei den Brüdern meiner Frau liegen im Haus überall Waffen herum. Dieser Mann sprach mit mir als wäre er das Gesetz und sagte, dass das Kind bei meiner Ex-Frau bleibt, ob mit gerichtlichen Bescheid oder ohne. Ich zeigte ihm die Vereinbarung, welche er zerriss. Er sagte, dass sie das Gesetz sind und das gemacht wird was sie wollen. Meine Ex-Frau war frisch verheiratet. Dieser Mann bot mir an mir meinen Sohn für ein bis zwei Monate zu geben bis die erste Zeit nach der Eheschließung meiner Frau vorbei ist und dann würde das Kind wieder zu meiner Ex-Frau kommen. Mein Hauptproblem ist nicht, dass das Kind bei der Mutter bleibt, sondern dass die Familie meiner Ex-Frau Kriegssympathisanten und Milizensympathisanten sind und möchte ich nicht, dass mein Kind einmal zur Waffe greift. Meine Ex-Frau hat einen 16-jährigen Bruder und spielt dieser mit Waffen auf der Straße. Dann begannen die Drohanrufe seitens der Brüder meiner Ex-Frau. Meine Eltern zogen um gemeinsam mit meinem Kind. Ich sagte meinen Verwandten, dass ich das Kind mit auf die Flucht nehme und bezweckte damit, dass meine Ex- Frau dies auch erfährt. In Wahrheit blieb mein Kind aber bei meinen Eltern und ist die neue Adresse meiner Ex- Frau und deren Familie nicht bekannt. Diese Drohanrufe waren gleichzeitig mit der bevorstehenden Versetzung.

Nachdem ich ausreiste, bekam mein Vater die Anrufe, dass sie mich holen werden. Wenn sie nicht an mich herankommen, dann kommen sie an meinen Sohn heran. Wenn sie an diesen nicht herankommen, dann kommen sie an meinen Bruder heran. Mein Bruder zog anschließend auch um und mein Kind ist seit neun Monaten bei meinen Eltern eingesperrt und kann nicht hinausgehen. Es geht ihnen darum, dass mein Kind in keinem sunnitischen Haushalt aufwächst.

F: Gibt es sonst noch Gründe für Ihr Verlassen vom Irak bzw. gibt es sonst noch Gründe für Ihre Asylantragstellung bzw. Gründe, die Sie an einer Rückkehr hindern?

A: Nein.

F: Haben Sie den Dolmetsch bisher einwandfrei verstehen können und haben Sie das Gefühl, dass dieser Ihre Angaben richtig und vollständig wiedergibt?

Wenn dies der Fall ist, dann bestätigen Sie dies mit Ihrer Unterschrift!

F: Waren Sie jemals in Haft oder wurden Sie festgenommen?

A: Nein.

F: Gab es sonst jemals Probleme mit der Polizei oder einem Gericht oder den Behörden?

A: Nein.

F: Sind Sie Mitglied einer Partei?

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A: Nein.

F: Wurden Sie jemals wegen Ihrer politischen Überzeugung verfolgt?

A: Nein.

F: Wurden Sie wegen Ihrer Volksgruppenzugehörigkeit verfolgt?

A: Nein.

F: Von wann bis wann waren Sie als Polizist tätig?

A: Von 2007 bis eine Woche vor meiner Ausreise.

F: Trugen Sie eine Uniform?

A: Ja.

F: Welche Tätigkeiten führten Sie als Polizist aus?

A: Ich war Wachpersonal bei der Passbehörde.

F: Waren Ihre Schwiegereltern mit der Heirat einverstanden?

A: Ja, am Anfang gab es keine Probleme.

F: Wann begannen dann die Probleme mit den Schwiegereltern?

A: Nach den Konfessionskriegen zwischen Sunniten und Schiiten etwa im Jahre 2009.

F: Woher wussten Sie von der Existenz dieses Schreiben, dass Sie versetzt werden sollen?

A: Wir wurden vom Vorgesetzten informiert.

F: Waren die anderen 40 Personen Schiiten oder Sunniten?

A: Von den 40 waren 3 Sunniten und der Rest Schiiten.

F: Was hätten Sie in dem Bezirk XXXX machen müssen?

A: Sie versuchten eine eigene Armee aus den verschiedenen Behörden zusammenzustellen und in XXXX einzumarschieren und dort gegen den IS zu kämpfen.

F: Wann wären Sie versetzt worden?

A: In der Türkei erfuhr ich, dass 15 Tage nach Ausstellung des Versetzungsbescheids die Versetzung nach XXXX sein soll.

F: Wie konnten Sie bis zur Ausreise den Dienst versehen, wenn Ihr Dienstausweis bereits im Jahre 2013 abgelaufen ist?

A: Ich wies mich mit dem abgelaufenen Ausweis aus. Die Ausstellung eines neuen Ausweises dauert etwa eineinhalb Jahre aufgrund der Bürokratie.

F: Bekamen Sie mittlerweile den Versetzungsbescheid?

A: Nein.

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F: Gibt es überhaupt Beweise für Ihre Angaben?

A: Nein.

F: Warum verließen Sie den Irak ohne Ihren Sohn?

A: Ich wusste nicht wie es in der Türkei weiter geht. Als ich mich in der Türkei entschloss über das Meer weiter zu fahren, wollte ich das Leben meines Sohnes nicht riskieren.

F: Sprachen Sie mit Ihrem Vorgesetzten, dass Sie eigentlich nicht nach XXXX gehen wollen?

A: Nein. Es hätte nichts gebracht. Wenn ich mich weigerte, wäre nämlich vermutet worden, dass ich Sympathisant der IS bin. Es gab aber auch Schiiten, die die Versetzung ablehnten. Als uns diese Versetzung mitgeteilt wurde, waren wir etwa 30 Personen, darunter ich mit den zwei Sunniten. Wir sagten, dass wir nicht nach XXXX möchten, jedoch wurde uns gesagt, dass wir müssen und es Vorschrift wäre.

F: Was teilten Sie der Dienststelle mit, warum Sie nicht mehr zum Dienst kamen?

A: Ich hatte zwei Tage frei.

V: Sie waren aber eine Woche nicht beim Dienst?

A: Drei Tage.

V: Sie gaben von sich aus, dass Sie eine Woche später ausgereist wären nachdem Sie von dieser Versetzung erfuhren. (Anmerkung: Dem AW wird die diesbezügliche Passage vorgehalten)

A: Ich meinte cirka eine Woche. Ich arbeitete zwei Tage und hatte danach zwei Tage frei.

F: Bei welchen schiitischen Milizen sind die Brüder der Ex-Frau?

A: Asaeb Al Haq und Mahdi.

F: Wann war dieser Mann bei Ihnen, der vermutlich einer Miliz angehört?

A: Ende 2014.

F: Kam dieser nur einmal zu Ihnen?

A: Ja.

F: Kannten Sie diesen?

A: Ich weiß nur, dass er mit der Familie meiner Ex-Frau verwandt ist.

F: Wie heißt dieser?

A: XXXX . Er hat in die Familie hinein geheiratet.

F: Wann war die neuerliche Eheschließung Ihrer Frau?

A: Verlobt hat sie sich im Jahre 2014. Als dieser XXXX zu mir kam, sagte er mir, dass meine Ex-Frau bald heiratet und würde mir das Kind dann ein bis zwei Monate gelassen werden.

F: Also war Ihr Kind noch nicht diese ein bis zwei Monate bei Ihnen?

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A: Das Kind war ohnehin schon bei mir bis ich ausreiste.

F: Wann zogen Ihre Eltern um gemeinsam mit Ihrem Kind?

A: Nachdem ich ausreiste.

F: Wann begannen die Drohanrufe seitens der Brüder Ihrer Ex-Frau?

A: Etwa einen Monat vor meiner Ausreise.

F: Was wurde Ihnen am Telefon mitgeteilt?

A: Am Anfang waren es noch friedliche Gespräche und wollten sie mich überzeugen, dass das Kind bei der Mutter bleibt. Als sie sahen, dass ich es nicht einsehe, meinten sie, dass das Kind ohnehin zu ihnen kommen werde ob ich will oder nicht. Der Anrufer lachte auch immer, weil er meinte, dass er das Gesetz ist und zu allem herankommt. Es waren direkte Drohungen.

F: Wie viele Drohanrufe bekamen Sie?

A: Drei bis vier Mal. Einmal rief mich der Schwiegervater an, dann die Schwiegermutter und dann die Brüder, die die Drohungen aussprachen.

Anmerkung: Dem AW wird eine Frist von vier Wochen gegeben, um den Staatsbürgerschaftsnachweis bzw. die Scheidungsurkunde und den Arbeitsvertrag in Original vorzulegen.

F: Warum ließen Sie für Ihren Sohn einen Reisepass im Jahre 2012 ausstellen?

A: Damals war es leicht einen Reisepass zu beantragen.

F: Warum sollte dieser überhaupt einen Reisepass haben?

A: Weil es damals leicht war einen Reisepass ausgestellt zu bekommen. Auch mein Bruder und seine Kinder beantragten einen Reisepass.

F: Warum erstatteten Sie keine Anzeige gegen die Familie Ihrer Ex-Frau aufgrund der Bedrohung?

A: Das würde zu nichts führen. Sie arbeiten ja auch mit den Behörden.

F: Warum zogen Sie nicht in ein Gebiet, wo die Sunniten die Mehrheit stellen?

A: Das Problem ist die Versetzung. Im Falle einer Weigerung würde ich vom Gericht verurteilt werden. Wenn ich mit meinem Kind woanders wohne und es dort in der Schule anmelde, würde in weiterer Folge auch mein Aufenthaltsort festgestellt werden.

F: Warum erwähnten Sie das Problem mit der bevorstehenden Versetzung bei der Erstbefragung mit keinem Wort?

A: Ich sollte mich kurz halten und reduzierte mein Vorbringen damit, dass ich von den Milizen bedroht werde.

V: Eine Bedrohung durch die Milizen geht aus der Erstbefragung aber nicht hervor, sondern nur das Problem mit der Frau, weil diese Schiitin ist.

A: Ich ging nicht ins Detail und sollte nur allgemein den Fluchtgrund sagen und mich kurz halten.

F: Wann telefonierten Sie das letzte Mal mit Ihrer Familie?

A: Ich telefoniere jeden Tag.

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F: Wurde der Aufenthaltsort Ihrer Eltern bzw. Ihres Sohnes bereits in Erfahrung gebracht durch die Familie Ihrer Ex-Frau?

A: Nein. Sie sind der Meinung, dass ich mit dem Sohn den Irak verlassen habe.

F: Ist es richtig, dass Sie am 15.01.2015 ausreisten?

A: Ja.

F: Warum wurde Ihnen dann am 04.02.2015 ein Reisepass ausgestellt?

A: Der Reisepass wurde mir vorher ausgestellt. Die Kopie wurde mir aus dem Irak geschickt. Ich arbeitete bei der Passbehörde und kann mir immer einen Reisepass ausstellen lassen.

V: Die Kopie des vorgelegten Reisepasses wurde am 04.02.2015 ausgestellt und passt dies aber nicht mit dem heutigen Vorbringen zusammen, wenn Sie am 15.01.2015 ausreisten.

A: Ich weiß es nicht. Ich bin mir aber sicher, dass mit dem Reisepass mit dem ich ausreiste alles in Ordnung war.

F: Welche Blutgruppe haben Sie?

A: Glaublich 0+.

F: Was würde Ihnen im Falle einer Rückkehr passieren?

A: Mein Leben ist in Gefahr einerseits durch meine Dienstbehörde und andererseits durch die Milizen.

F: Ich beende jetzt die Einvernahme. Haben Sie alle Gründe vorgebracht, die Sie bewogen haben, Ihr Heimatland zu verlassen?

A: Ja. Ich möchte nur noch angeben, dass mir die Sicherheit meines Sohnes am wichtigsten ist. Was mir im Irak passiert, ist mir egal, vielmehr geht es mir um die Sicherheit meines Sohnes. Ich würde auch meinen Sohn bei der heute anwesenden Vertrauensperson lassen und auch ausreisen, nur damit er in Sicherheit ist.

[ ]"

Im Rahmen der Einvernahme brachte der Beschwerdeführer des Weiteren einen irakischen ID-Nachweis im Original, einen irakischen Polizeidienstausweis im Original, einen irakischen Reisepass in Kopie, einen irakischen Staatsbürgerschaftsnachweis in Kopie, eine irakische Scheidungsurkunde in Kopie, einen irakischer Arbeitsvertrag in Kopie, eine irakische Meldekarte in Kopie, einen irakischen Essensbon in Kopie, eine irakische Meldekarte seines Vaters in Kopie, einen irakischen ID-Nachweis seines Sohnes in Kopie, einen irakischen Reisepass seines Sohnes in Kopie und einen irakischen Staatsbürgerschaftsnachweis seines Sohnes in Kopie in Vorlage.

6. Im weiteren Verlauf des Asylverfahrens übermittelte der Beschwerdeführer an die belangte Behörde einen irakischen Staatsbürgerschaftsnachweis im Original, eine irakische Arbeitsbestätigung im Original [Übersetzung: AS 157], eine - teilweise nicht lesbare - irakische Scheidungsurkunde im Original [Übersetzung:

AS 155] und eine Namensliste der Polizeischulde des irakischen Innenministeriums in Kopie [Übersetzung: AS 159, 161].

7. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.09.2016 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 FPG 2005 erlassen und gemäß § 52 Absatz 9 Fremdenpolizeigesetz 2005 unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Irak gemäß § 46 FPG 2005 zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG 2005 wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige

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Ausreise des Beschwerdeführers vierzehn Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Begründend führte die belangte Behörde nach der Wiedergabe der Einvernahme des Beschwerdeführers und den Feststellungen zu dessen Person aus, es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer im Irak einer begründeten Furcht vor asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt gewesen sei beziehungsweise einer solchen gegenwärtig ausgesetzt wäre. Des Weiteren wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer eine gegenwärtige Rückkehr in den Irak möglich und zumutbar sei, zumal keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr einer Verfolgung im Sinne des § 8 AsylG ausgesetzt sei. Was das Privat- und Familienleben betrifft, so wurde festgestellt, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers einzig und allein aufgrund der Asylantragstellung legalisiert sei. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer über familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich verfüge. Er befinde sich in der Grundversorgung und finanziere seinen Lebensunterhalt fast ausschließlich aus der staatlichen Unterstützung. Er sei nicht selbsterhaltungsfähig und besuche einen Deutschkurs. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl legte seiner Entscheidung ferner Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zugrunde (vgl. die Seiten 11-46 des angefochtenen Bescheides).

Beweiswürdigend erwog die belangte Behörde, dass es sich beim Vorbringen bezüglich der Bedrohung durch schiitische Milizen und der Schwierigkeiten aufgrund eines Versetzungsbescheides um eine Steigerung des Vorbringens gegenüber den Aussagen in der Erstbefragung handle. Zudem sei das Datum seiner Ausreise nicht mit dem Ausstellungsdatum seines Reisepasses vereinbar und erscheine es auffällig, dass der Beschwerdeführer - nach Ablauf seines Dienstausweises im Jahr 2013 - noch bis Jänner 2015 im Polizeidienst gewesen sei will, wobei es auch nicht nachvollziehbar sei, dass die Ausstellung eines neuen Dienstausweises eineinhalb Jahre dauern solle. Ebenso deute die legale Ausreise darauf hin, dass der Beschwerdeführer seitens der staatlichen Behörden keine Verfolgung befürchte. Darüber hinaus fänden sich auch Ungereimtheiten in den Angaben des Beschwerdeführers bezüglich der Frage, ob seine ehemalige Gattin eine neue Ehe eingegangen sei und wo sich der gemeinsame Sohn im Zeitraum nach der Scheidung aufgehalten habe. Ferner sei nicht nachvollziehbar, weshalb sich die Brüder seiner ehemaligen Gattin - statt einem persönlichen Kontakt - mit telefonischen Drohungen gegen seine Person begnügen hätten sollen. Letztlich erscheine es unplausibel, dass der Beschwerdeführer nicht in ein mehrheitlich sunnitisches Gebiet verzogen sei, wenn er tatsächlich Angst vor der schiitischen Familie seiner ehemaligen Gattin gehabt habe.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, der Beschwerdeführer habe keine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft gemacht, sodass kein internationaler Schutz zu gewähren sei. Dem Beschwerdeführer sei der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, da er im Irak über genügend Anknüpfungspunkte verfüge und keine reale Gefahr einer Verletzung in elementaren Rechten sowie keine Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts drohe. Dem Beschwerdeführer sei schließlich kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen.

8. Mit Verfahrensanordnung vom 08.09.2016 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Absatz 1 BFA-VG amtswegig ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren beigegeben.

9. Gegen den dem Beschwerdeführer am 13.09.2016 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet sich die im Wege der gewillkürten Vertretung fristgerecht eingebrachte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

In dieser werden unrichtige Feststellungen, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung des angefochtenen Bescheids moniert und beantragt, dem Beschwerdeführer Asyl, allenfalls subsidiären Schutz zu gewähren, allenfalls den angefochtenen Bescheid aufzuheben und zur Verfahrensergänzung an die belangte Behörde zurückzuverweisen, aufschiebende Wirkung zu gewähren, einen landeskundigen Sachverständigen zu beauftragen, der sich mit der aktuellen Situation im Irak befasse, zu recherchieren, ob die Fluchtgründe des Beschwerdeführers der Wahrheit entsprechen und die vorgelegten Beweismittel des Beschwerdeführers und dessen Angaben im Irak zu untersuchen, eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen, in der der Beschwerdeführer die vorgeworfene Kritik an seinem Vorbringen widerlegen könne, allenfalls eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären, allenfalls einen Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen und allenfalls festzustellen, dass die Abschiebung in den Irak unzulässig sei.

In der Sache bringt der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, aus religiösen bzw. politischen Gründen bzw.

wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe im Irak verfolgt worden zu sein. Der Beschwerdeführer habe als Polizist gearbeitet und hätte versetzt werden sollen, um gegen den Islamischen Staat vorzugehen, was er aus Gewissensgründen abgelehnt habe. Der Beschwerdeführer befürchte, dass ihm wegen

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seiner Weigerung der Kriegsdienstleistung eine politische Gesinnung unterstellt würde. Außerdem sei der Beschwerdeführer Todesdrohungen seitens radikal-schiitischer Milizen ausgesetzt gewesen, da die Familie seiner ehemaligen Gattin das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn gefordert habe. Mangels Schutzfähigkeit und -wiligkeit der irakischen Behörden habe der Beschwerdeführer nach Österreich flüchten müssen.

Im Hinblick auf die Beweiswürdigung sei zu entgegnen, dass der Beschwerdeführer die fluchtauslösenden Ereignisse durchaus nachvollziehbar - mit einer ausführlichen und konkreten Schilderung von Details, wie Zeit- und Ortsangaben oder Wahrnehmungen und Emotionen - dargestellt habe und sei er in anderen Landesteilen des Irak nicht sicher. Des Weiteren seien die Bemerkungen der belangten Behörde bezüglich der Arbeitstätigkeit im Polizeidienst höchst widersprüchlich, insoweit dem Beschwerdeführer einerseits abgesprochen werde, Polizist gewesen zu sein, und andererseits die von ihm vorgelegten Beweismittel nicht in erkennbarer Weise beurteilt werden würden. Hinsichtlich der Vorwürfe bezüglich angeblicher Widersprüche in der Einvernahme vor der belangten Behörde gegenüber der polizeilichen Erstbefragung sei festzustellen, dass diese gesetzlich nicht einmal dazu gedacht sei, die Ausreisegründe erschöpfend darzustellen. Auch sei darauf hinzuweisen, dass die von der belangten Behörde herangezogenen Länderberichte, die Bedrohung des Beschwerdeführers sehr eindrücklich schildern würden. Die Befürchtungen des Beschwerdeführers seien daher nicht spekulativ, sondern realistisch und würden durch die Länderberichte bestätigt werden. Zum Vorwurf der legalen Ausreise sei darauf zu verweisen, dass er aus dem Irak geflüchtet sei, bevor seine unerlaubte Entfernung aus dem Staatsdienst bekannt geworden und ihm der neue Reisepass erst später zugesandt worden sei. Ebenso falsch sei die Behauptung, dass der Dienstausweis schon abgelaufen sei. Das darauf verzeichnete Gültigkeitsdatum habe keinen direkten Zusammenhang mit der Frage, ob er weiterhin beschäftigt sei, sondern sei lediglich eine Formalität. Obwohl der Beschwerdeführer seinen Polizeidienst nachgewiesen habe und auch aus den Berichten hervorgehe, dass Polizisten zum Kampf gegen den Islamischen Staat eingezogen werden würden, habe das Bundesamt keine erkennbaren Erwägungen getroffen, welche legalen und extralegalen Bestrafungen der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Irak zu erwarten hätte.

Zur Asylrelevanz der Verfolgung des Beschwerdeführers sei festzustellen, dass nach ständiger Judikatur auch einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung Asylrelevanz zukommen könne, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage sei, diese Verfolgungshandlungen zu unterbinden.

Dies treffe auf den Beschwerdeführer zu, da die irakische Regierung nicht in der Lage sei, gegen die schiitischen Milizen vorzugehen, zumal die irakische Regierung im Kampf gegen den Islamischen Staat auf deren Unterstützung angewiesen sei.

Des Weiteren wird unter Hinweis auf die Analyse des amerikanischen Informationsdienstes Stratfor vorgebracht, dass der Bürgerkrieg im Irak nach der Niederlage der Milizen des Islamischen Staates aufgrund der tiefen Spaltung der regierungstreuen Gruppierungen und Milizen erst beginnen werde und der irakische Staat zunehmend von schiitischen Milizen unterwandert werde, sodass der Konflikt auch konfessionelle Dimensionen angenommen habe. Die allgemeine Situation im Irak sei daher weiterhin und möglicherweise verschärft instabil, sodass eine Abschiebung des Beschwerdeführers unverantwortlich sei. Der Beschwerdeführer unterliege im gesamten Staatsgebiet asylrelevanter Verfolgung, da die irakischen Behörden zumindest nicht fähig seien, ihre Bürger zu beschützen.

Zur allfälligen Gewährung subsidiären Schutzes sei festzustellen, dass auch die allgemeine Sicherheitslage im Irak, speziell der unverändert tobende Bürgerkrieg, eine Rückkehr nicht zulasse. Scheinbar seien die behördlichen, angeblich "notorischen" Länderberichte überhaupt nicht in die Beurteilung des Falles einbezogen worden.

Was das Privat- und Familienleben in Österreich betrifft, so sei es dem Beschwerdeführer - abgesehen vom Erwerb der deutschen Sprache - gelungen, ein starkes Netz sozialer Kontakte aufzubauen, welches ihm bei seiner weiteren Integration behilflich sein werde. Überdies führe der Beschwerdeführer mit seiner österreichischen Lebensgefährtin ein Familienleben und sei praktisch der Stiefvater für deren Kinder.

Abschließend stelle es eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens dar, dass es die belangte Behörde verabsäumt habe, sich mit der konkreten Situation des Beschwerdeführers und der aktuellen Situation im Irak auseinanderzusetzen.

Die Verpflichtung, ein amtswegiges Ermittlungsverfahren durchzuführen, bedeute, dass die konkrete und aktuelle Situation untersucht werde. Dies sei in diesem Fall verabsäumt worden, insbesondere dadurch, dass der belangten Behörde als Spezialbehörde ausreichend Material vorliegen müsste, aus dem die Verfolgungssituation erkennbar sei.

Der Beschwerde sind mehrere Unterstützungsschreiben zum Beleg der Integration des Beschwerdeführers angeschlossen.

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10. Die Beschwerdevorlage langte am 27.09.2016 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Die Rechtssache wurde in weiterer Folge der nun zur Entscheidung berufenen Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts zugewiesen.

11. Am 29.09.2016 übermittelte die belangte Behörde im Rahmen einer Nachreichung zur Beschwerdevorlage zahlreiche Fotografien, die den Beschwerdeführer bei Freizeitaktivitäten mit verschiedenen Personen zeigen, an das Bundesverwaltungsgericht. Ein Vorbringen kann der Eingabe nicht entnommen werden.

12. Mit Telefax der gewillkürten Vertretung vom 11.01.2017 urgierte der Beschwerdeführer eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beziehungsweise ersuchte um die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Verfahrensbestimmungen

1.1. Zuständigkeit, Entscheidung durch den Einzelrichter

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG idF BGBl. I Nr. 106/2016 erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1 BFA-VG idF BGBl. I Nr. 25/2016 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 24/2017, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels anderweitiger gesetzlicher Anordnung liegt im gegenständlichen Fall somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

1.2. Anzuwendendes Verfahrensrecht und Prüfungsumfang

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017, geregelt.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4 VwGVG) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3 VwGVG) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gegenständlich lagen die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vor; der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist seitens der belangten Behörde im Rahmen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens vollständig erhoben worden.

2. Feststellungen:

2.1. Der Beschwerdeführer führt den im Spruch angegebenen Namen, ist Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung. Er wurde am XXXX in Bagdad geboren und lebte dort mit seinen Eltern, seinem Sohn und einem Bruder an einer gemeinsamen Wohnadresse. Seine Eltern, sein Sohn, zwei Schwestern und ein Bruder leben weiterhin in Bagdad. Ein Bruder ist in Kanada, ein Bruder in Deutschland und ein Neffe in Österreich aufhältig. Der Beschwerdeführer ist geschieden. Seine Eltern beziehen eine Pension und sein im Irak befindlicher Bruder arbeitet als Taxifahrer.

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Der Beschwerdeführer besuchte von 1990 bis 1997 die Grundschule in Bagdad. Anschließend absolvierte er eine Ausbildung zum Polizisten und war bis Ende Jänner 2013 als Polizeibeamter beruflich tätig.

Der Beschwerdeführer verließ den Irak im Jahr 2015 legal im Luftweg von Bagdad ausgehend nach Istanbul und reiste in weiterer Folge schlepperunterstützt nach Österreich, wo er am 04.06.2015 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

2.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise von Familienangehörigen seiner ehemaligen Gattin oder schiitischen Milizen aufgrund eines Sorgerechtsstreites bedroht wurde.

Es kann ebenso wenig festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer als Polizist in Bagdad in einen Unruhebezirk versetzt wurde oder hätte versetzt werden sollen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat einer individuellen Gefährdung oder Verfolgung in seinem Herkunftsstaat durch staatliche Organe oder durch Dritte ausgesetzt war oder er im Falle einer Rückkehr dorthin einer solchen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgesetzt wäre.

Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die Todesstrafe droht. Ebenso kann keine anderweitige individuelle Gefährdung des Beschwerdeführers festgestellt werden, insbesondere im Hinblick auf eine drohende unmenschliche Behandlung, Folter oder Strafe sowie kriegerische Ereignisse oder extremistische Anschläge im Irak.

2.3. Der Beschwerdeführer ist ein gesunder, arbeitsfähiger Mensch mit Berufserfahrung sowie mit bestehenden Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und einer - wenn auch auf niedrigerem Niveau als in Österreich - gesicherten Existenzgrundlage.

Der Beschwerdeführer verfügt über ein irakisches Ausweisdokument und eine Wohnmöglichkeit im Familienverband.

2.4. Der Beschwerdeführer hält sich seit etwa Anfang Juni 2015 in Österreich auf. Er reiste rechtswidrig in Österreich ein, ist seither Asylwerber und verfügt über keinen anderen Aufenthaltstitel.

In Österreich lebt ein Neffe des Beschwerdeführers als Asylwerber. Der Beschwerdeführer befindet sich in einer Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin und pflegt normale soziale Kontakte in seiner Wohnsitzgemeinde.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich noch keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen und bezieht Leistungen der Grundversorgung für Asylwerber. Er ist als voll erwerbsfähig anzusehen, etwaige gesundheitliche Einschränkungen des Beschwerdeführers sind nicht aktenkundig. Er besucht einen Kurs zum Erwerb der deutschen Sprache und ist der deutschen Sprache in alltagstauglicher Weise mächtig. Anderweitige Integrationsschritte hat der Beschwerdeführer nicht ergriffen.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

2.5. Zur Lage im Herkunftsstaat Irak:

Zur aktuellen Lage im Irak wird auf die länderkundlichen Feststellungen der belangten Behörde im bekämpften Bescheid verwiesen, die auch der gegenständlichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde gelegt werden. Insbesondere wurden nachstehende länderkundliche Feststellungen (unter Heranziehung der im angefochtenen Bescheid im Detail angeführten und nachstehend abgekürzt zitierten Quellen) getroffen:

1. Politische Lage

Die letzten nationalen Wahlen, die im April 2014 stattfanden, gewann der ehemalige Premierminister Nouri al- Maliki. Da es auf Grund seines autoritären und pro-schiitischen Regierungsstils massive Widerstände gegen

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Maliki gab, trat er im August 2014 auf kurdischen, internationalen, aber auch auf innerparteilichen Druck hin zurück (GIZ 6.2015). Es wird ihm unter anderem vorgeworfen, mit seiner sunnitisch-feindlichen Politik (Ausgrenzung von sunnitischen Politikern, Niederschlagung sunnitischer Demonstrationen, etc.) deutlich zur Entstehung radikaler sunnitischer Gruppen wie dem IS beigetragen zu haben (Qantara 17.8.2015). Maliki‘s Nachfolger ist der ebenfalls schiitische Parteikollege Haidar al-Abadi (beide gehören der schiitischen Dawa- Partei an), der eine Mehrparteienkoalition anführt, und der mit dem Versprechen angetreten ist, das ethno- religiöse Spektrum der irakischen Bevölkerung wieder stärker abzudecken (GIZ 6.2015). Allerdings gelang es Abadi bislang nicht, politische Verbündete für seine Reformpläne (insbesondere die Abschaffung des konfessionell-ethnischen Proporzes) zu finden. Er hat mit dem besonders Iran-freundlichen Ex-Premier Maliki (nunmehr Vorsitzender der Dawa-Partei) einen starken Widersacher innerhalb seiner Partei. Ein Problem Abadis ist auch die Macht der schiitischen Milizen, von denen viele vom Iran aus gesteuert werden. Diese Milizen - eher lose an die irakische Armee angeschlossen - sind für Abadi einerseits unverzichtbar im Kampf gegen den

"Islamischen Staat" (Standard 5.1.2015), gleichzeitig wird deren Einsatz von der sunnitischen Bevölkerung aber als das "Austreiben des Teufels mit dem Beelzebub" gesehen. Die Sunniten fürchten das skrupellose Vorgehen dieser Milizen - einige betrachten den IS sogar als das geringere Übel und dulden die Extremisten daher in ihren Gebieten (ÖB Amman 5.2015). In der Tat unterscheiden sich einige der mit der Zentralregierung in Bagdad verbündeten schiitischen Milizen hinsichtlich ihres reaktionären Gesellschaftsbildes und ihrer Brutalität gegenüber Andersgläubigen kaum vom IS (Rohde 9.11.2015). Die US-Regierung (sowohl die Bush-, als auch die Obama-Regierung), die auch mit der Badr-Miliz zusammengearbeitet hat, hat vor den Gewaltexzessen der schiitischen Milizen gegenüber der sunnitische Bevölkerung die Augen verschlossen, und hat damit den Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten angetrieben (Reuters 14.12.2015). Die aufgestaute Wut der Sunniten - auch darüber, dass sie niemanden mehr in der Regierung haben, der mit machtvoller Stimme für sie sprechen könnte, trägt in Kombination mit dem Vorgehen der schiitischen Milizen dazu bei, dass sich viele Sunniten radikalisieren oder sich einfach aus Mangel an Alternativen unter die Kontrolle des IS begeben (Qantara 17.8.2015).

Zwölf Jahre nach dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 ist der Irak ein Staat ohne Gewaltmonopol, ohne Kontrolle über große Teile seines Territoriums oder seiner Grenzen, dessen Souveränität zunehmend vom Iran ausgehöhlt wird (Standard 4.12.2015). Nach 2003 ist der Irak (gemeinsam mit Syrien) zum Spiel- und Schlachtfeld konkurrierender regionaler und globaler Interessen zwischen Iran, Saudi-Arabien, der Türkei, den USA und neuerdings auch Russland geworden (Rohde 9.11.2015), wobei sich das Kräfteverhältnis der beiden wichtigsten Verbündeten der irakischen Regierung - die USA auf der einen Seite und der Iran auf der anderen - zunehmend zu Gunsten des Iran verschiebt. Der eher schwache Premierminister Abadi versucht es beiden Verbündeten recht zu machen: Damit die USA ihn aus der Luft unterstützen, muss er versuchen, die iranisch- assoziierten schiitischen Milizen vom Schlachtfeld fernzuhalten (Standard 4.12.2015).

Unter großem öffentlichem Druck und nach Demonstrationen tausender Menschen vor dem schwer bewachten Regierungsviertel in Bagdad hat Abadi Ende März 2016 angekündigt, sein altes Kabinett durch eine Regierung unabhängiger Technokraten zu ersetzen. Bisher waren alle Minister mit politischen Gruppen verbunden. Die neuen sollen nun laut Abadi auf Basis von Professionalität, Effizienz und Integrität ausgewählt werden (Spiegel 31.3.2016). Jedoch scheint das neue Kabinett zu zerbröckeln, bevor es überhaupt zur Abstimmung kommt. Die meisten Parteien stemmen sich gegen den drohenden Machtverlust (SK 8.4.2016).

Quellen:

- GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (6.2015): Irak – Geschichte und Staat, http://liportal.giz.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 17.12..2015

- Österreichische Botschaft Amman (5.2015): Asylländerbericht Irak

- Qantara (17.8.2015): Der Irak ist irreversibel gespalten, https://de.qantara.de/inhalt/der-aufstieg-des-is- und-der-zerfall-des-irak-der-irak-ist-irreversibel-gespalten, Zugriff 14.1.2016

- Rohde, Achim (9.11.2015): Konfliktporträt: Irak, veröffentlicht von BPB

http://www.ecoi.net/local_link/315594/454291_de.html, Zugriff14.1.2016

- Der Standard (4.12.2015): Der Irak wird zum Spielfeld für ein neues Match,

http://derstandard.at/2000026971833/Der-Irak-wird-zum-Spielfeld-fuer-ein-neues-Match, Zugriff 14.1.2016

- Der Standard (5.11.2015): Iraks Premier Abadi fährt seinen Reformkarren an die Wand,

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http://derstandard.at/2000025096956/Iraks-Premier-Abadi-faehrt-seinen-Reformkarren-an-die-Wand , Zugriff 14.1.2016

- Reuters (14.12.2015): Torture by Iraqi militias: the report Washington did not want you to see, http://www.reuters.com/investigates/special-report/mideast-crisis-iraq-militias/, Zugriff 9.3.2016

- Der Spiegel (31.3.2016): Proteste im Irak: Regierungschef nominiert Technokraten-Kabinett, http://www.spiegel.de/politik/ausland/irak-regierungschef-haider-al-abadi-nominiert-technokraten- kabinett-a-1084907.html, Zugriff 6.4.2016

- Standard Kompakt (8.4.2016): Irak: Reformkabinett stolpert vor dem Start

1.1. Kurdische Autonomieregion (Kurdistan Region-Iraq: KRI)

Innerhalb der autonomen Kurdenregion im Norden Iraks verhärten sich die politischen Fronten. Die Feindseligkeiten zwischen den drei großen irakisch-kurdischen Parteien Kurdish Democratic Party (KDP), Goran und Patriotic Union Kurdistan (PUK) nehmen zu. Grund dafür ist unter anderem die Wirtschaftskrise und die weit verbreitete Korruption und Vetternwirtschaft, die im Kurdengebiet vorherrschen (Reuters 26.10.2015).

Die kurdische Regionalregierung ist seit längerer Zeit nicht mehr in der Lage die Gehälter der Beamten und Peschmerga auszubezahlen, oder tut dies mit monatelangen Verspätungen (Rudaw 20.10.2015, vgl.

Deutschlandfunk 8.12.2015). Darüber hinaus sorgt der Streit um die Präsidentschaft Masoud Barzanis für Spannungen, dessen (bereits außertourlich verlängerte) Amtszeit im August 2015 abgelaufen ist, sich aber nach wie vor im Amt befindet (Reuters 26.10.2015, vgl. Ekurd 16.1.2016, Ekurd 14.2.2016). Darüber hinaus haben die Waffenlieferungen des Westens und anderer Verbündeter an die Kurden den Effekt, dass die kurdische Politik insgesamt zwar an Bedeutung gewinnt, sich jedoch dadurch die Spannungen zwischen den kurdischen Fraktionen erhöhen. KDP und PUK, jene beiden kurdischen Parteien, die in den 1990iger Jahren bewaffnete Konflikte gegeneinander austrugen und erst in der jüngeren Vergangenheit zu einer friedlichen Koexistenz und gemeinsamen Regierungsbildung gefunden haben, sind durch ihre jeweiligen Bündnisse mit mächtigen - teilweise gegensätzlichen - Partnern gespalten: Die KDP mit Masud Barzani, dem Präsidenten der KRG (Kurdish Regional Government) wird vorrangig vom Westen unterstützt und steht der Türkei nahe, während die PUK vorrangig vom Iran unterstützt wird und der türkischen PKK, sowie der irakischen Regierung in Bagdad nahesteht. Beide Parteien haben ihre jeweils eigenen Militäreinheiten (Peschmerga), die im Kampf gegen den IS oftmals in einem starken Konkurrenzverhältnis zueinander stehen. (Crisis Group 12.5.2015). Die Newcomer- Partei Goran, die erst seit Juni 2014 mit in der kurdischen Regionalregierung sitzt, und mit dem Versprechen angetreten ist, gegen den Nepotismus und die Korruption der beiden Altparteien vorzugehen, besitzt keine eigenen Militäreinheiten und ist auch wirtschaftlich nicht gut vernetzt, sodass sie auf Grund fehlenden Einflusses ihre Versprechen nicht umsetzen kann, und in der gegenwärtigen Situation - obwohl zweitstärkste Partei hinter der KDP – politisch und insbesondere militärisch keine herausragend große Rolle spielt (Bauer 2015).

Im Oktober 2015 verschärfte sich die innerkurdische Krise und es kam in mehreren Städten der Autonomiegebiete zu Protesten gegen Barzani und die KDP (Standard 13.10.2015). Der Premierminister der kurdischen Regionalregierung (ein Neffe des Präsidenten der Region Kurdistan) Nechirvan Barzani (KDP) entließ fünf Goran-Minister aus der Regierung. Der der Goran angehörende Parlamentspräsident Yussuf Mohammed wurde mit einer Gruppe Goran-Abgeordneter auf seinem Weg ins Parlament nach Erbil von Sicherheitskräften gestoppt. Goran-Mitglieder beschuldigten die KDP eines "Putsches gegen Rechtsstaat und Demokratie". Die PUK kritisierte das KDP-Vorgehen gegen Goran. Die KDP wirft ihrerseits Goran vor, Demonstranten aufgehetzt zu haben, die die KDP-Büros stürmten und in Brand setzten. In Suleymaniya war es im letzten Quartal des Jahres 2015 zu Protesten gegen die Regionalregierung und Ausschreitungen mit mehreren Toten gekommen, der direkte Anlass waren die oben erwähnten ausstehenden Gehälter. Insbesondere die zweitstärkste Partei Goran hatte sich bei diesen Protesten gegen die Regionalregierung (insbesondere gegen die KDP) gewandt. (Standard 13.10.2015).

Das Verhältnis zwischen der von der KDP dominierten kurdischen Regionalregierung mit Sitz in Erbil und der irakischen Zentralregierung in Bagdad ist gleich durch mehrere Themenbereiche stark belastet: Der Konflikt um die sogenannten "umstrittenen Gebiete" südlich der KRI, die sowohl die Kurden, als auch die irakische Zentralregierung für sich beanspruchen, hat sich durch die Übernahme der Kontrolle über die ölreiche Stadt Kirkuk durch die Kurden im Juni 2014 noch einmal intensiviert. Damit verbunden ist auch der Öl-Streit, bei dem es darum geht, wer die Rechte zur Ausbeutung der Ölressourcen in der KRI hat. Die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden und die von der Zentralregierung als provokant erachtete Unabhängigkeitsrhetorik Masud Barzanis tragen auch nicht zur Besserung der Stimmung zwischen Bagdad und Erbil bei (Bauer 2015).

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Zusätzlich gibt es noch einen Konflikt zwischen dem irakischen Präsidenten Abadi und der Türkei betreffend der Wiedererrichtung/des Ausbaus türkischer Militärbasen im Nordirak. Diese hat Masud Barzani, der mit dem türkischen Präsidenten Tayyip Erdogan befreundet ist, der türkischen Regierung zugebilligt (Standard 13.12.2015).

Quellen:

- Bauer, Sebastian (2015): ‘Kurdish Political Parties in Iraq’ veröffentlicht in ‘Regiones et res Publicae – The Kurds, History-Religion-Language-Politics’, Taucher, Wolfgang; Vogl, Mathias; Webinger, Peter, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1447760239_bfa-regiones-et-res-publicae-the-kurds-2015.pdf, Zugriff 14.1.2016

- Deutschlandfunk (8.12.2015): Schwierige Lage im Nordirak, http://www.deutschlandfunk.de/kampf- gegen-den-is-schwierige-lage-im-nordirak.724.de.html?dram:article_id=339229 , Zugriff 19.1.2016

- Ekurd (16.1.2016): Tensions caused by Massoud Barzani remaining after term: Iraqi Kurdistan parl’t speaker, http://ekurd.net/massoud-barzani-tensions-remaining-2016-01-16, Zugriff 19.1.2016

- Ekurd (14.2.2016): Kurds protest against Massoud Barzani’s participation in Munich Security Conference, http://ekurd.net/kurds-protest-barzani-munich-2016-02-14, Zugriff 8.3.2016

- International Crisis Group (12.5.2015): Arming Iraq’s Kurds:

Fighting IS, Inviting Conflict,

http://www.crisisgroup.org/~/media/Files/Middle%20East%20North%20Africa/Iraq%20Syria%20Lebanon/Iraq/

158-arming-iraq-s-kurds-fighting-is-inviting-conflict.pdf, Zugriff 14.1.2015

- Qantara (17.8.2015): Der Irak ist irreversibel gespalten, https://de.qantara.de/inhalt/der-aufstieg-des-is- und-der-zerfall-des-irak-der-irak-ist-irreversibel-gespalten, Zugriff 17.12.2015

- Reuters (26.10.2015): Von der Leyen berät im Irak über Fluchtursachen,

http://de.reuters.com/article/domesticNews/idDEKCN0SK0FN20151026, Zugriff 23.12.2015

- Rudaw (20.10.2015): KRG says delayed salaries to be paid this month, http://rudaw.net/english/kurdistan/201020151, Zugriff 19.1.2016

- Standard (13.10.2015): Kurdenpräsident Barzani entlässt Minister, www.derstandard.at/2000023681349/KurdenpraesidentBarzani-entlaesst-Minister, Zugriff 14.1.2016

- Standard (13.10.2015): Barzani-Partei wirft Gegner aus Regierung und Parlament,

www.derstandard.at/2000023698931/Barzani-Partei-wirft-Gegner-aus-Regierung-und-Parlament, Zugriff 14.1.2016

- Standard (13.12.0215): wist zwischen Ankara und Bagdad:

Nonchalante Eskalation,

http://derstandard.at/2000027441750/Zwist-zwischen-Ankara-und-Bagdad-Nonchalante-Eskalation, Zugriff 14.1.2016

1.2. "Islamischer Staat"

Der IS (der "Islamische Staat") baut innerhalb seiner Einflussgebiete pseudo-staatliche Strukturen auf. So gibt es beispielsweise einen "Diwan" (vergleichbar mit einem Ministerium) für natürliche Ressourcen, einschließlich der Verwertung von Antiquitäten. Ein anderer Diwan behandelt die "Verwertung" von Kriegsbeute, einschließlich SklavInnen (The Daily Star 29.12.0215). Unterstützung bekommt der IS von einigen ehemaligen Mitgliedern der Baath-Partei. Die Organisation Jaysh Rij?l a?-?ar?qa an-Naqshabandiya (Army of the Men of the Naqshbandi Order, auch Naqshabandi Order genannt - kurz JRTN) und andere ähnliche Ex-Baathistische Gruppen stimmen zwar nicht mit der Ideologie des IS überein, unterstützen diesen zum Teil aber als eine Organisation, die die irakische Regierung bekämpft (CRS 9.2015). Frühere Geheimdienstagenten, Kommandanten von Spezialeinheiten und Parteifunktionäre des Saddam-Regimes zählen zu den führenden Mitgliedern des IS und waren auch maßgeblich bei seinem strategischen Aufbau beteiligt (Qantara 13.7.2015).

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Es gibt eine strenge Religionspolizei (Welt 21.9.2015), ein IS-Regierungskabinett, den IS-Militärrat sowie den Schura-Rat, in dem die IS-Kleriker sitzen, die gleichzeitig als oberste Richter fungieren. Eine Trennung zwischen Religion und Staat existiert nicht. Die IS-Ideologie ist offizielle Staatsdoktrin. Der IS hat seine Gebiete in Provinzen aufgeteilt, diese wiederum in Bezirke. Jede Provinz wird von einem IS-Gouverneur regiert. Dabei nutzt der IS die ihm unterstellte zivile Verwaltung, einen eigenen Sicherheitsapparat samt Geheimdienst sowie eigene Gerichtshöfe. Die Bezirke haben ebenfalls eigene Verwaltungs- und Sicherheitsorgane sowie Richter. Der Islamische Staat bezeichnet Abu Bakr al-Baghdadi als seinen Kalifen und Anführer. Zumindest nach außen ist Baghdadi das Gesicht der Organisation. Die Finanzierung des IS findet über viele verschiedene Quellen statt.

Die wichtigsten sind:

Zwangspfändungen, Versklavung, Zwangsprostitution, Lösegeld, Einkommensteuer, Zoll, Kulturraub, Ölschmuggel sowie die Übernahme von Strom- und Wasserversorgern. Teilweise zahlt die irakische Regierung die Gehälter der in IS-Gebiet lebenden Staatsbediensteten noch aus – wovon der IS profitiert (Spiegel 2.12.2015). Teilweise setzt der Staat die Zahlungen der Gehälter aber aus, und versucht damit dem IS zu schaden, macht damit aber gleichzeitig die dort lebende Bevölkerung erst recht vom IS abhängig (Al Arabiya 23.12.2015).

Die Anführer des IS haben langjährige Erfahrung im Untergrund. Während der US-Besatzungszeit mussten sie sich verstecken und sie wissen daher auch, wie man die Überwachungsmethoden der US-Amerikaner austrickst (Spiegel 2.12.2015).

Quellen:

- Al Arabiya (23.12.2015): Despair, hardship as Iraq cuts off wages in ISIS cities,

http://english.alarabiya.net/en/business/economy/2015/10/02/Despair-hardship-as-Iraq-cuts-off-wages-in-ISIS- cities.html, Zugriff 23.12.2015

- CRS - Congressional Research Service, Iraq (9.2015): Politics and Governance, https://www.fas.org/sgp/crs/mideast/RS21968.pdf, Zugriff 27 10. 2015

- The Daily Star (29.12.2015): Seized documents reveal Daesh’s departments of war spoils, http://www.dailystar.com.lb/News/Middle-East/2015/Dec-29/329313-seized-documents-reveal-daeshs- departments-of-war-spoils.ashx , Zugriff 14.1.2016

- Die Welt (21.9.2015): Küssen, Schuhe anschauen und enge Jeans verboten,

http://www.welt.de/politik/ausland/article146637319/Kuessen-Schuhe-anschauen-und-enge-Jeans- verboten.html, Zugriff 15.1.2015

- Qantara (13.7.2015): The strategists of terror, https://en.qantara.de/content/interview-with-der-spiegel- reporter-christoph-reuter-the-strategists-of-terror, Zugriff 19.1.2016

- Rohde, Achim (9.11.2015): Konfliktporträt: Irak,

http://www.ecoi.net/local_link/315594/454291_de.html, Zugriff14.1.2016

- Spiegel (2.12.2015): Terrormiliz IS - So funktioniert der "Islamische Staat",

http://www.spiegel.de/politik/ausland/islamischer-staat-alles-wichtige-zum-is-a-1042664.html#sponfakt=1, Zugriff 23.12.2015

- Die Zeit (18.11.2015): "Dies ist kein Konflikt der Kulturen", http://www.zeit.de/wirtschaft/2015- 11/islamischer-staat-paris-attentat-david-romano-militaer-strategie/seite-2, Zugriff 14.1.2016

2. Sicherheitslage

Seit der US-Invasion in den Irak im Jahr 2003 ist ein starker Anstieg der Todeszahlen zu beobachten, der sich insbesondere ab dem Jahr 2012 noch einmal verstärkt.

Im Jahr 2014 war der Konflikt im Irak der zweit-tödlichste (nach Syrien) weltweit. Es wurden laut der österreichischen Botschaft in Amman 21.073 Todesopfer verzeichnet. Damit haben sich die Opferzahlen im Irak verglichen zu 2013 (9.742 Todesopfer) mehr als verdoppelt. Auch die Anschlagskriminalität im Irak erreichte, vor allem durch die Taten des IS, 2014 einen Höhepunkt. Die Anzahl der IrakerInnen, die 2014 Opfer von

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Anschlägen wurden, erreichte ein Ausmaß wie zuvor nur in den berüchtigten Bürgerkriegsjahren 2006/2007:

über 12.000 tote und 23.000 verletzte ZivilistInnen (ÖB Amman 5.2015).

Im Jahre 2015 wurden 12.740 Iraker getötet, 7.515 davon waren Zivilisten (inklusive Zivilpolizei). 14.855 Zivilisten (inkl. Zivilpolizei) wurden verletzt. UNIRAQ wurde bei der Erfassung der Opferzahlen behindert, die Zahlen sollten daher als Minimumangaben gesehen werden. Sofern man anhand dieser Zahlen auf die Sicherheitslage im Irak schließen kann, hat sich die diese im Jahr 2015 gegenüber dem Vorjahr 2014 gebessert.

Verglichen mit dem Jahr 2013 war die Sicherheitslage im Jahr 2015 schlechter.

Für den Monat Februar 2016 berichtet UNAMI, dass zumindest 670 Iraker getötet und 1.290 verletzt wurden.

Darunter waren 410 getötete Zivilisten (einschließlich Bundespolizei, Sahwa Zivilschutz, Leibwächter, Polizei für den Schutz von Gebäuden und Anlagen, sowie Feuerwehr) und 1.050 verletzte. Die Provinz Bagdad war (im Monat Februar 2016) mit zumindest 277 getöteten Zivilisten dabei am stärksten betroffen, ebenfalls stark betroffen waren Diyala (40 getötete Zivilisten), Nineweh (42 getötete Zivilisten) und Kirkuk (29 getötete Zivilisten). Auf Grund der unübersichtlichen und volatilen Sicherheitslage können laut UNAMI die zu Anbar dokumentierten Zahlen (4 getötete und 126 verletzte Zivilisten) besonders stark von den tatsächlichen Zahlen abweichen (UNAMI 2.2016). Im März 2016 wurden nach der Zählung von Iraq Body Count (IBC) 1.073 Zivilpersonen getötet. Nach der UN Assistance Mission for Iraq (UNAMI) gab es 575 zivile Todesopfer und 1.196 Verletzte im März 2016. Weiter wurden 544 Mitglieder der irakischen Armee, Peshmerga-Kämpfer und andere Verbündete (ohne Opferzahlen der Anbar-Operationen) getötet und 365 verletzt. Die am stärksten betroffene Provinz war im März abermals Bagdad mit 1.029 (259 Tote, 770 Verletzte) zivilen Opfern. In der Provinz Nineweh gab es 133 Tote und 89 Verletzte, in der Provinz Babil 65 Tote und 141 Verletzte, in der Provinz Kirkuk 34 Tote und 57 Verletzte, in der Provinz Diyala elf Tote und in der Provinz Salahuddin sechs Tote und einen Verletzten (Mindestzahlen) (BAMF 4.4.2016).

Am 27.2.2016 kam es zu einem Doppel-Selbstmordanschlag im schiitisch dominierten Viertel Sadr City (Bagdad) mit 70 Todesopfern. Der Islamische Staat bekannte sich zu dem Doppelanschlag (Reuters 29.2.2016).

Bei einem weiteren – ebenfalls vom IS verübten – Selbstmordanschlag am 6.3.2016 südlich der Stadt Bagdad starben 47 Menschen (National 6.3.2016).

Die am meisten gefährdeten Personengruppen sind neben religiösen und ethnischen Minderheiten auch Berufsgruppen wie Polizisten, Soldaten, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte, Mitglieder des Sicherheitsapparats, sogenannte "Kollaborateure", aber auch Mitarbeiter von Ministerien (AA 18.2.2016, s. auch Abschnitt 8).

Insgesamt kann die Sicherheitslage im Irak im Jahr 2015 als weiterhin höchst instabil bezeichnet werden. Die Kampfhandlungen konzentrierten sich weitgehend auf die Provinzen Anbar, Ninewah und Salah al-Din. Die irakische Regierung und die KRG konzentrierten sich weiterhin darauf, territoriale Fortschritte gegen den IS zu machen (UN Security Council 26.10.2015).

Der Aufstieg der zahlreichen konfessionellen Milizen und sonstigen bewaffneten Organisationen und Gruppen geht insbesondere auf den Bürgerkrieg von 2005 bis 2007 zurück. Heute stehen sich v.a. der aus Al-Qaida hervorgegangene "Islamische Staat", die schiitischen Milizen und die kurdischen Peschmerga gegenüber. Die schiitischen Milizen in ihrer Gesamtheit werden als militärisch stärker als die irakische Armee eingeschätzt (Standard 18.11.2015), und einige davon machen sich massiver Menschenrechtsverletzungen schuldig (RSF 18.4.2015, vgl. HRW 20.9.2015, vgl. Rohde 9.11.2016). Neben deren gewaltsamen Übergriffen auf Teile der sunnitischen Bevölkerung gibt es auch schiitische Milizen, die - ähnlich wie islamistische sunnitische Gruppen - gegen (nach deren Definition) "un-islamisches" Verhalten vorgehen und z.B. Bordelle, Nachtclubs oder Alkoholgeschäfte attackieren (Washington Post 21.1.2016). Die Peschmerga kämpfen zwar an der Seite der Zentralregierung, beschränken sich jedoch auf die Verteidigung der kurdischen Gebiete gegen den IS (Rohde 9.11.2015), gleichzeitig befinden sie sich aber auch in einem gespannten Verhältnis zu den schiitischen Milizen (Deutschlandfunk 5.12.2015). All diese Akteure sind mit externen Mächten liiert, allen voran Iran, Saudi- Arabien, Türkei oder den USA (Rohde 9.11.2015). Die USA sind mit einigen tausend US-Soldaten im Irak präsent und haben vor, ihre Präsenz mit weiteren Bodentruppen auszubauen. (Spiegel 2.12.2015, vgl. FAZ 24.10.2015, vgl. Focus 9.3.2016). Die von den USA angeführte Koalition gegen den IS hat im Irak seit Beginn ihrer Luftangriffe im August 2014 mehr als 6.800 Luftschläge durchgeführt.

Laut einer Untersuchung des in den USA ansässigen Instituts IHS Jane's habe der IS im Jahr 2015 in Syrien und Irak insgesamt mehr Land eingebüßt als erobert. Insgesamt soll die Miliz etwa 14 Prozent ihres Territoriums eingebüßt haben. Zu den Verlusten im Irak zählten die Stadt Tikrit und die Raffinerie von Baiji. Zudem haben die Extremisten die Kontrolle über einen Teil einer Schnellstraße zwischen Raqqa in Syrien und Mossul im Irak verloren, was logistische Schwierigkeiten mit sich bringe. Erobert hat der IS im Irak die Provinz Anbar, sowie deren Hauptstadt Ramadi [letztere wurde in der Zwischenzeit wieder zurückerobert] (Standard 22.12.2015).

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