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Das Märchen vom menschlichen Versagen. Michael St.Pierre Anästhesiologische Klinik Universitätsklinikum Erlangen

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Academic year: 2022

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(1)

Das Märchen vom

„menschlichen Versagen“

Michael St.Pierre

Anästhesiologische Klinik Universitätsklinikum Erlangen

(2)

»Des Kaisers neue Kleider«

(H.C. Andersen)

(http://susanne-smajic.de/?portfolio=des-kaisers-neue-kleider-2)

(3)

1. Es gibt kein „Menschliches Versagen“ („Human Error“) .

„Menschliches Versagen“ ist lediglich ein Urteil, das im Rückblick und im Wissen um den Ausgang des Geschehens gefällt wird.

2. Am Unfall beteiligtes Handeln macht Sinn, wenn man es aus der Perspektive des zum Unfallzeitpunkt vorhandenen Wissens, der verfügbaren Ressourcen und der vorherrschenden Zielkonflikte sieht.

3. „Menschliches Versagen“ ist systematisch mit den Ressourcen, den Aufgaben, und den Zielkonflikten der beteiligten Personen verbunden.

»Der Kaisers hat keine Kleider an«

6 Thesen zum „Menschlichen Versagen“

(4)

4. “Human Error“ findet man nur dann, wenn man sich entscheidet mit der Suche aufzuhören, sobald man ihn gefunden hat.

5. „Human Error“ zu zählen („80/20“) ist unsinnig und verhindert wirkliches Verstehen.

6. Wir haben kein „Human-Error-Problem“ in ansonsten sicheren Arbeitssystemen. Nicht der Mensch ist das Sicherheitsproblem, sondern die Komplexität der Arbeitswelt. Menschen können als Einzige Sicherheit schaffen.

»Der Kaisers hat keine Kleider an«

6 Thesen zum „Menschlichen Versagen“

(5)

Alltäglich und ubiquitär ...

... Fehler

... Ressourcenlimitationen

... Performancelimitierende Faktoren

... “Psycho-Logik“ des Handelns

„Menschliches Versagen“ („Human Error“) impliziert ...

... dass sich ein schwerwiegender Unfall / Patientenschaden ereignet hat

... dass ein besonderes, defizitäres Verhalten an den Tag gelegt wurde

... dass die resultierende Situation vermeidbar gewesen wäre , wenn ...

(mehr Mühe, Aufmerksamkeit, adäquates Situationsbewusstsein, bessere Teamarbeit, keine Nachlässigkeit...)

Alltägliches und Außergewöhnliches

Fehler und „Menschliches Versagen“

(6)

Alltäglich und ubiquitär ...

... Fehler

... Ressourcenlimitationen

... Performancelimitierende Faktoren

... “Psycho-Logik“ des Handelns

„Menschliches Versagen“ („Human Error“) impliziert ...

... dass sich ein schwerwiegender Unfall / Patientenschaden ereignet hat

... dass ein besonderes, defizitäres Verhalten an den Tag gelegt wurde

... dass die resultierende Situation vermeidbar gewesen wäre , wenn ...

(mehr Mühe, Aufmerksamkeit, adäquates Situationsbewusstsein, bessere Teamarbeit, keine Nachlässigkeit...)

Alltägliches und Außergewöhnliches

Fehler und „Menschliches Versagen“

(7)

http://images.medicaldaily.com/sites/medicaldaily.com/files/sty

Wir haben ein „Human Error-Problem“!

Sichere Systeme und sicherheitsgefährdende Menschen?

Alltägliches und Außergewöhnliches

Fehler und „Menschliches Versagen“

(8)

(http://www.familie.de/baby/baby-erste-schritte-511095.html)

(http://www.violinovermelho.com.br/blog/produzindo-excelencia)

Ohne Fehler kein Lernen

Die „Vitalität des Fehlers“

(9)

Ohne Fehler kein Lernen

Die „Vitalität des Fehlers“

Unentbehrlich für Lernen, Adaptation und Effizienzsteigerung

(10)

Fehler in einem speziellen Kontext sind sicherheitsrelevant

Ohne Fehler kein Lernen

Die „Destruktivität des Fehlers“

(11)

Ohne Fehler keine Effizienz

Handeln im Systemkontext

(12)

Fehlerfreies Handeln ...

... zu langsam und nicht systemgerecht

Fehlerfreies Denken ...

.... eine menschliche Unmöglichkeit („begrenzte Rationalität“)

Die Strategie: Kompromiss zwischen Effizienz und Gründlichkeit

(„Efficiency-Thoroughness-Tradeoff“; ETTO-Principle)

Das Ziel ist ...

... nicht Fehlerfreiheit, sondern: Situationskontrolle plus kognitive Reserven für Unvorhergesehenes

... nicht optimale Performance, sondern: mit geringstem Aufwand ein zufriedenstellendes Ziel erreichen („satisficing“)

Amalberti R (2013) Navigating safety. Necessary compromises and trade-offs – theory and practice. Springer Paris Hollnagel E (2009) The ETTO Principle. Why things that go right sometimes go wrong. Ashgate Burlington VT Simon HA (1982) Models of bounded rationality: Empirically grounded economic reason. MIT Press

Ohne Fehler keine Effizienz

Handeln im Systemkontext

(13)

linear Interaktivität komplex

lose Kopplung eng

Durchblick Was passiert gerade?

Reaktion Wieviel

Zeit habe

ich noch?

Handeln im Systemkontext

Normativität und Variabilität des Handelns

(Charles Perrow 1987)

(14)

Staudamm

Schienenverkehr

Fließband

Universität

Kernkraftwerke

linear Interaktivität komplex

lose Kopplung eng

Operative Medizin

Raumfahrt

Luftfahrt

Fotokopieren

Militärische Kampfhandlung

Autofahrt

Spezifizierbar

Normatives Handeln

Handeln im Systemkontext

Normativität und Variabilität des Handelns

(15)

Staudamm

Schienenverkehr

Fließband

Universität

Kernkraftwerke

linear Interaktivität komplex

lose Kopplung eng

Operative Medizin

Raumfahrt

Luftfahrt

Fotokopieren

Militärische Kampfhandlung

Autofahrt

Nicht spezifizierbar

Handlungsvariabilität

Handeln im Systemkontext

Normativität und Variabilität des Handelns

(16)

Wirtschaftlichkeit

Akzeptable Arbeitsbelastung Akzeptable

Systemperformance

Grenze sicheren Arbeitens

Organisationale Ebene Wirtschaftliche Konkurrenz Effizienzsteigerung

Ökonomieprinzip

Möglichst wenig Anstrengung Patientensicherheit

Bewusster Aufwand

„lege artis“

Leitlinien

SOPs

Nach: Cook R, Rasmussen J (2005) „Going solid“: a model of system dynamics and consequences for patient safety. Qual Saf Health Care 14:130-4

Handeln bei Zielkonflikten

Adaptation und „drift into failure“

(17)

1

2 3

5 4

Handeln

Equipment, Ressourcen, Aufgaben

Handeln bei Zielkonflikten

Adaptation und „drift into failure“

(18)

5

Handeln

Equipment, Ressourcen, Aufgaben

Handeln bei Zielkonflikten

Adaptation und „drift into failure“

(19)

Menschliches Versagen?

Erklärungsmodell: „Die 1. Geschichte“

(20)

Menschliches Versagen?

Die Geschichte hinter der „1. Geschichte“

a)

b)

(21)

Menschliches Versagen?

Erklärungsmodell: „Die 2. Geschichte“

(22)

Menschliches Versagen

Warum ist die “1. Geschichte“ so plausibel?

(http://susanne-smajic.de/?portfolio=des-kaisers-neue-kleider-2)

(23)

Technik und Automatisierung

Metaphern für menschliches Handeln

Industrielle Revolution(en)

Mensch und Maschine als Teile einer Prozesskette

„Scientific Management“

Menschen können wie Maschinen optimiert werden

„Fit the person to the task“

„One best standard“

„Accident Proneness“

Humanfaktor als Risikofaktor

Screening auf 'Defekte'

Frederik Winslow Taylor

(1856-1915)

(24)

Fehler durch Fehler erklären

Technisches Versagen ≈ Menschliches Versagen?

(25)

Fehler durch Fehler erklären

Mensch : Technik ≈ 80 : 20?

(26)

Menschliches Versagen

„Man-System-Mismatch“

(27)

Begrenzte Rationalität

(“bounded rationality“)

Menschen arbeiten mit einer „befriedigenden“ Lösung, anstatt die denkbar beste Möglichkeit zu suchen („satisficing“)

Simon HA (1957) Models of man; social and rational. John Wiley & Sons

Lokale Rationalität

(„local rationality“)

Am Unfall beteiligtes Handeln macht Sinn, wenn man es aus der Perspektive des zum Unfallzeitpunkt vorhandenen Wissens, der

verfügbaren Ressourcen und der vorherrschenden Zielkonflikte sieht

Woods D, Johannesen LJ, Cook RI, Sarter NB (1994) Behind Human error: cognitive systems, computers and hindsight. CSERIAC Columbus OH

Menschliches Versagen

Handeln in komplexen Arbeitswelten

(28)

Unfallursachen

„Was man als Ursache nach einem Unfall findet, hängt ganz davon ab, wann man mit der Suche aufhört“ (1987)

Stop-Regeln

Man hört mit der Ursachensuche auf, wenn…

… die Ursache auf einem kausalen Pfad rückwärts zu finden ist

… man nicht mehr weiter kommt, weil Informationen fehlen

… man findet, dass von einem Standard abgewichen wurde

… der Grund vertraut und damit als Erklärung annehmbar ist

… etwas dagegen getan werden kann

Rasmussen J (1987) The definition of human error and a taxonomy for technical system design. In: Rasmussen J et al. (Eds.) New technology and human error. Wiley & Sons p23-30 Rasmussen J (1990) The role of error in organizing behavior. Ergonomics 33;1185-99

Jens Rasmussen

Menschliches Versagen

Eine Konstruktion während der Analyse

(29)

Unfallursachen werden nicht gefunden. Sie sind eine (soziale) Konstruktion

Woods D, Dekker S, Cook R, Johannesen L, Sarter N (2010) Behind human error. Ashgate Publishing, Burlington VT

Die Frage sollte nicht sein:

„Wo lässt sich menschliches Handeln als fehlerhaft identifizieren?“

sondern:

„Warum war ein Verhalten, das im Rückblick gesehen zu einem Unfall beigetragen hat, für den Betreffenden stimmig und sinnvoll?“

Menschliches Versagen

Eine Konstruktion während der Analyse

(30)

75% „Human Error“

(31)

Menschliches Versagen

Warum ist die “1. Geschichte“ so plausibel?

(http://susanne-smajic.de/?portfolio=des-kaisers-neue-kleider-2)

(32)

Rückschaufehler

(„Hindsight bias“)

Kenntnis über den Ausgang einer Situation führt zur Überschätzung der Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit der Situation

Fischoff B (1975) Hindsight ≠ Foresight: The effect of outcome knowledge on judgment under uncertainty. J Exper Psychol 1:3, 285-99

Historikerirrtum

(„Outcome bias “)

Kenntnis über den Ausgang einer Situation beeinflusst Urteil über die Qualität der Entscheidung

Baron B, Hershey JC (1988) Outcome bias in decision evaluation. J Pers Soc Exper Psychol 54:4, 569-79

Die Plausibilität der „1.Geschichte“

Urteilsheuristiken

(33)

Unvollständiges Schlussfolgern

(“Counterfactual fallacy“)

Ereignisse werden als vermeidbar angesehen, wenn sie anders hätten ablaufen können

Miller DT, Turnbull W (1990) The counterfactual fallacy: confusing what might have been with what ought to have been. Soc Justice Res 4:1, 1-9

Attributionsfehler

(„Correspondence bias“)

Überschätzung persönlicher Faktoren, Unterschätzung situativer Einflüsse

Jones EE, Harris VA (1967) The attribution of attitudes. J Exp Soc Psychol 3:1-24

Die Plausibilität der „1.Geschichte“

Urteilsheuristiken

(34)

1. Es gibt kein separates, defizientes Verhalten, welches man als

„menschliches Versagen“ bezeichnen kann.

2. „Menschliches Versagen“ ist ein Urteil, das im Rückblick und im Wissen um den Ausgang des Geschehens gefällt wird. Dieses Urteil fühlt sich

aufgrund unserer (computer)technischen Metaphern für menschliches Denken und Handeln

und aufgrund von Urteilsheuristiken (z.b. Rückschaufehler)

„normal und stimmig“ an.

3. „Menschliches Versagen“ ist „human variability in an unkind environment“. Diese Variabilität ist (überlebens)notwendig.

Das Märchen vom „menschlichen Versagen“

Zusammenfassung

(35)

5. „Menschliches Versagen“ ist systematisch mit den Ressourcen, den Aufgaben, und den Zielkonflikten verbunden.

6. „Human Error“ zu zählen („80/20“) verhindert, die Entstehung von Unfällen zu verstehen, weil ...

dabei Mensch und System voneinander getrennt werden

Handlungen durch lokale Rationalität bestimmt werden und sich ohne Kontext diese Rationalität nicht rekonstruieren lässt

der Stop-Punkt einer Analyse willkürlich festgelegt wird

die Diagnose “Menschliches Versagen“ der Startpunkt, und nicht das Ende der Analyse sein muss.

7. Nicht der Mensch ist das Sicherheitsproblem, sondern die Komplexität der Arbeitswelt. Menschen schaffen Sicherheit.

Das Märchen vom „menschlichen Versagen“

Zusammenfassung

(36)

Danke für ihre Aufmerksamkeit

(http://susanne-smajic.de/?portfolio=des-kaisers-neue-kleider-2)

Referenzen

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