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Utopien pflastern den Weg

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Eine kurze Geschichte der Energie

Utopien pflastern den Weg

Während man sich in den 1950er-Jahren atomaren Fantasien hingab, haben heutzutage Fukushima und der Klimawandel den Traum vom solaren Zeitalter populär gemacht. Beide – Atom- kraft und Regenerative – verbindet die Hoffnung auf eine neue Ära der energetischen Sorglosigkeit. Dabei lehrt die Geschichte:

Wenn es um Energie geht, gibt es keine Patentlösung.

Als der Naturwissenschaftler Wilhelm Ostwald kurz nach Beginn des 20.

Jahrhunderts ein Landhaus in Großbothen bei Leipzig kaufte, waren seine neuen Nachbarn irritiert. Grund war der Name des neuen Hauses: „Energie“ – ein Wort, mit dem man nichts Rechtes anzufangen wusste. War das vielleicht der Name der Ehe- frau? Oder eine politische Bewegung? Im sächsischen Dialekt klang der Begriff schließlich so ähnlich wie „Anarchie“.

Energie war um 1900 noch ein Fachbegriff, dem Pennäler im Physikunterricht begegneten, der aber kaum im Alltagsgespräch in der mitteldeutschen Provinz gän- gig war. Dass sich das in dieser Zeit änderte, war nicht zuletzt dem Wirken Ostwalds zu verdanken, der eifrig über die einschlägigen Themen redete. Dennoch wäre derlei wohl folgenlos geblieben, wenn das neue Wort sich nicht mit einer Zeiterfahrung getroffen hätte – erstmals war „Energie“ auf Knopfdruck verfügbar: Die Elektrizität Von Frank Uekötter

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war im späten 19. Jahrhundert zum populären Faszinosum in den Großstädten des Kaiserreichs geworden, und das nicht nur weil das elektrische Licht die Nacht zum Tag machte, sondern auch weil es so wunderbar leicht zu nutzen war. Bis dahin hat- te sich Energieverbrauch stets mit persönlichen Anstrengungen verbunden: Man musste erst einmal Holz sammeln, Kohlen schleppen und Petroleum in Öllampen füllen, bevor man diese Energiequellen nutzen konnte. Dass solche Mühen nun ob- solet waren, konnte man kaum anders denn als große Befreiung empfinden.

Dabei war der Ort der Stromproduktion zunächst noch wohlbekannt. Überall wurden in den Großstädten der Jahrhundertwende große Elektrizitätswerke gebaut, die als Kathedralen des technischen Fortschritts kaum zu übersehen waren, allerdings auch bald für ihren Ausstoß von Rauch und Ruß notorisch wurden. Vom Schuften der Heizer unter dem Kessel hatten die Stadtbürger(innen) jedoch bald nur noch eine dunkle Ahnung, und darin bestand ein Bruch in der menschlichen Geschichte, dessen Tragweite kaum zu überschätzen ist. Das neue Wort Energie brachte es auf den Punkt: Energie war anonym, gesichtslos, abstrakt. Man musste sich nicht groß um sie bemühen. Energie gab es einfach.

Kein Grund für Unbekümmertheit

Die Entwicklung setzte sich nach dem Ersten Weltkrieg fort. In den 1920er-Jahren entstanden die ersten Großkraftwerke, die durch großräumige Netzwerke verbunden waren, und so wusste bald niemand mehr, wo der eigene Strom produziert wurde – und man musste es ja auch nicht wissen. Das war umso folgenreicher, als auch andere Energieträger in ähnlicher Weise anonymisiert wurden. Auch das Stadtgas kam zunehmend aus einem Gewirr von Leitungen und nicht mehr aus dem örtlichen Gaswerk, und Erdöl, der große Aufsteiger im Energiesystem des 20. Jahrhunderts, kam aus fernen Ländern. Nur die Steinkohle hatte vorerst noch ein Gesicht: Man dachte an verrußte Gesichter, revolutionär gesinnte Arbeiter und urbanen Wildwuchs – aber auch daran, dass man glücklicherweise nicht selbst im Ruhrkohlenbezirk leben musste.

Dennoch war Energie zunächst kein Synonym für Unbekümmertheit. Die komplexen Versorgungsnetzwerke erwiesen sich nämlich schon bald als keineswegs krisensicher.

Schon die turbulente Aufeinanderfolge von Kriegen, politischen Umschwüngen und

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wirtschaftlichen Krisen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sorgten immer wieder für Probleme – und natürlich musste man die Energie auch dann, wenn sie frei verfügbar war, immer noch bezahlen. Hinzu kam insbesondere beim Erdöl eine nagende Unsicherheit, wie lange die verfügbaren Reserven wohl reichen würden.

Der Direktor der amerikanischen Bergbaubehörde schätzte zum Beispiel 1919, dass die Ölförderung in den USA innerhalb von zwei bis fünf Jahren seinen Höhepunkt erreicht haben würde – eine Schätzung, mit der er ziemlich genau ein halbes Jahr- hundert daneben lag.

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg begann die große Zeit der Sorglosigkeit. Für gut zwei Jahrzehnte schien Energie das geringste aller Probleme zu sein: Die Wirtschaft boomte, Strom kam aus der Steckdose und die nachgewiesenen Ölreserven wuchsen noch schneller als der im Zuge der Automobilisierung rasant steigende Verbrauch.

Es gab noch nicht einmal eine Energiepolitik, die den Namen verdiente. Wozu auch, wenn Energie doch für jeden in nahezu jeder gewünschten Menge verfügbar war?

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass die Regierungen des Westens ausgerechnet in dieser Zeit der Sorglosigkeit viel Geld investierten, um eine neue Energiequelle mit ungewissem Potenzial und Folgen zu erschließen: die Kraft des friedlichen Atoms. Man kann die frühe Geschichte der nuklearen Energie auch als Lehrstück lesen, was alles so passieren kann, wenn eine große Gruppe von Experten vor sich hin plant, während sich der Rest der Gesellschaft gelangweilt abwendet. Schon damals wäre es nicht schwergefallen, die Merkwürdigkeiten des Wegs in den Atomstaat zu erahnen: die Atomeuphorie zu einer Zeit, als es noch nicht ein einziges funktionierendes Atomkraftwerk gab; die Geringschätzung der Sicherheitsprobleme im Schatten der Bombe; die Träume von atomar betriebenen Lokomotiven und Flug-

Die frühe Geschichte der nuklearen Energie gilt als Lehrstück, was alles so passieren kann, wenn Experten vor sich hin planen, während sich der Rest der Gesellschaft gelangweilt abwendet.

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zeugen. Es war eigentlich leicht, in den 1950er- und 1960er-Jahren kritische Fragen zur Atomkraft zu stellen, und einige taten das auch tatsächlich. Nur hielt man sich in dieser Hinsicht besser zurück, wenn man zur entstehenden Kaste der Atomexper- ten gehören wollte. Für die Vorkämpfer des Atomzeitalters ging es schließlich um weitaus mehr als eine neue Methode zum Erhitzen von Wasser, die dann am Ende aller Mühen stand. Das friedliche Atom galt als die Schlüsseltechnologie schlecht- hin, auf deren Beherrschung kein zivilisiertes Land würde verzichten können.

Kollektive Lernerfahrungen

Als die vermeintliche Elite der Zukunft konnte die atomare Gemeinschaft auch ein Zukunftsszenario lancieren, das ihren Interessen diente: die Annahme, westliche Gesellschaften steuerten auf eine fatale Energielücke zu. Ausgerechnet in jener Zeit, in der Energie so leicht verfügbar war wie nie zuvor und danach, argumentierten die Atomexperten mit einem rasanten Wachstum des Stromverbrauchs in der nahen Zukunft, auf den man sich mit dem massenhaften Bau von Reaktoren vorbereiten musste. Am Ende konnten sich die Energiekonzerne bei den Demonstrant(inn)en bedanken, die die Ausbauprogramme der 1970er-Jahre torpedierten. Wenn man die projektierten Reaktoren tatsächlich gebaut hätte, wäre das auf eine gigantische Fehlinvestition hinausgelaufen.

So kann man die Geschichte des Umweltprotests seit den 1970er-Jahren auch als Geschichte des langsamen Abschieds von der abstrakten Energie schreiben. Nach und nach wurde deutlich: Energieproduktion war kein anonymer Prozess, sondern im Gegenteil ein ungemein folgenreiches Unterfangen – Strom kam halt doch nicht einfach aus der Steckdose. Energie hatte einen Preis, und dieser spiegelte sich in den gängigen Marktpreisen nur sehr unvollständig wider.

Die Anti-Atom-Bewegung entstand nicht zufällig dort, wo die Atomkraft ein kon - kretes Gesicht hatte: mit Großkraftwerken in Wyhl und Brokdorf und Wiederaufar- beitungsprojekten in Gorleben und Wackersdorf. Plötzlich merkten die betroffenen Regionen, dass das Atomzeitalter nicht nur eine theoretische Vision war, sondern auch ein Bauprogramm mit Folgen. Es drohten Kühltürme, die die Weinberge des Kaiserstuhls einnebelten, Unfälle mit unabsehbaren Folgen und neue industrielle Strukturen, die das Gefüge der ländlichen Regionen zu erschüttern drohten. Und all

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das war für die Menschen dieser Regionen wichtiger als abstrakte Träume von unbe - grenzter Energie.

So war der Atomprotest auch eine kollektive Lernerfahrung. Man merkte, dass sich hinter der Fassade der sauberen nuklearen Energie ein extrem komplexes tech - nisches System mit neuartigen Risiken verbarg. Wenn man sich nämlich in die technischen Details vertiefte, verflog der Nimbus der nuklearen Elite ziemlich rasch.

Die frühe Geschichte der Kernenergie ist voller Unfälle und Beinahe-Havarien, und mehr als ein Reaktor musste nach kurzer Laufzeit als Totalverlust abgeschrieben werden. Was theoretisch eine gute Idee gewesen war, der in den ersten Nachkriegs- jahrzehnten jeder fortschrittsoptimistische Mensch begeistert zustimmte, erwies sich in der Praxis als unkontrollierbarer technologischer Alptraum.

Es war freilich nicht nur der Atomkonflikt, der Energie wieder zu einem konkreten Thema machte. Abgase aus Automobilen, Schwefel aus Großkraftwerken, Land- schaftszerstörung durch Kohlenbergbau – nach und nach lernten die Wohlstands- bürger(innen), was sich alles hinter der abstrakten Energie verbarg. Der tiefste Schock war wohl die Ölkrise vom Herbst 1973. Schlagartig merkten die Energiekon- sument(inn)en, dass die Lieferländer des wichtigsten aller Energieträger einen ausge - prägten Eigensinn besaßen, der sich nicht länger ignorieren ließ. Die Ökonomien des Westens spürten die Folgen eines raschen Preisanstiegs in einer ungewohnten Kombination von wirtschaftlicher Stagnation und Inflation. Und dass sich das Szenario beim zweiten Ölpreisschock 1979/80 wiederholte, wirkte nicht eben beruhigend auf die Nerven der Zeitgenoss(inn)en.

Erneuerbare: Aufgeladen mit zu hohem Anspruch

Die 1970er-Jahre waren freilich nicht das Ende energetischer Utopien. Das zeigte sich allem voran im populären Traum eines solaren Zeitalters mit regenerativen Ener- gien. Was sich seit den 1970er-Jahren als Gegenentwurf zur atomaren Stromer - zeugung enormer Popularität erfreute, war tatsächlich den atomaren Fantasien der 1950er-Jahre nicht ganz unähnlich: in der Hoffnung auf eine neue Zeit energetischer Sorglosigkeit, aber auch in der Abgehobenheit von konkreten technologischen Ent- wicklungen. Es ist durchaus möglich, dass sich die regenerativen Energien in den vergangenen Jahrzehnten besser entwickelt hätten, wenn sie sich zunächst in

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bestimmten Marktnischen hätten bewähren können und nicht gleich mit dem Anspruch aufgeladen worden wären, den Weg in ein neues Zeitalter weisen zu müssen.

So kann man die Energiegeschichte der jüngsten Zeit wiederum als eine große Lernerfahrung schreiben. Langsam bekamen auch die regenerativen Energien ein konkretes Gesicht, und es war mehr als die freundlich lächelnde Sonne der einschlä- gigen Plakate. Es gab auch hier gewisse Nebenwirkungen: Windanlagen gefährden Vögel und „verspargeln“ Landschaften, Energiepflanzen fördern die Monokultur – eigentlich simple Einsichten, die dennoch ihre Zeit brauchten, um ins allgemeine Bewusstsein zu dringen. Oder sind sie das überhaupt? Es ist bestürzend, wie ein - dimensional nach Fukushima wiederum das Zeitalter der regenerativen Energien beschworen wurde – als sei dieses eine Patentlösung, die alle Sorgen obsolet macht, wenn man sie nur intensiv genug will. Dabei bietet das 20. Jahrhundert in dieser Hinsicht eine ziemlich klare Lektion: Wenn es um Energie geht, gibt es keine Patent- lösungen. Es gibt nur bessere und schlechtere Wege.

Vielleicht steckte in der Nervosität von Wilhelm Ostwalds Nachbarn doch eine tiefe Weisheit: Wer abstrakt und allgemein von „Energie“ spricht, den sollte man erst ein- mal verdächtig finden. 100 Jahre Geschichte der Energie sind auch eine Mahnung, über Energie stets so konkret wie möglich zu reden.

Was hält Sie auf Hoch- spannung?

Aktuell vor allem die Frage, was als Erstes das Licht der Welt erblickt: dieser Beitrag oder meine Tochter?

Zum Autor

Frank Uekötter, geb. 1970, ist Dilthey-Fellow am Forschungsinstitut des Deutschen Muse- ums und LMU-Fellow am Rachel Carson Cen-

ter in München. Im August erschien sein Buch

„Am Ende der Gewissheiten. Die ökologische Frage im 21. Jahrhundert“.

Kontakt

PD Dr. Frank Uekötter Rachel Carson Center Leopoldstr. 11a D-80802 München

Fon ++49/(0)89/218 07 23 52

E-Mail Frank.Uekoetter@carsoncenter.lmu.de

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