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or dem Kanzleramt in Berlin ruht seit dem Ok- tober letzten Jahres eine neunzig Tonnen schwere Ei- senskulptur namens „Berlin“oder „Einheit“, geschaffen von Eduardo Chillida, dem berühmten baskischen Bild- hauer.
Chillida in Berlin erinnert daran, dass die iberische Halb- insel nicht nur von alten Tradi- tionen lebt, sondern auch Hei- mat namhafter Wegbereiter der Kunst der Gegenwart ist.
Jedermann fällt da Picasso ein, aber dann auch Miró oder Dalí, Tapies, Saura und andere Künstler. Es ist eine gute Idee, die berühmten Spanier an Ort und Stelle aufzusuchen, bei- spielsweise mit einer Reise von Madrid über Cuenca in der Mancha bis nach Valencia am Mittelmeer.
Madrid ist nicht nur die Me- tropole Spaniens, sondern be- sitzt auch mit dem National- museum Reina Sofia ein Zen- trum moderner Kunst. Wäh- rend dieses vorwiegend der jüngeren bis jüng-
sten Gegenwart ge- widmet ist, finden sich nahebei im Mu- seum Thyssen-Bor- nemisza Vertreter der klassischen Mo- derne. Im Reina So- fia begegnen uns ne- ben Chillida Miró und Dalí, Juan Gris, selbstverständlich Picasso mit seiner Guernica. Picasso hatte dieses Gemäl- de nach eigenem Bekunden im be- sten Museum Spani- ens ausstellen wol-
len. Nun hängt oder thront es im Reina Sofia.
Madrid beherbergt auch ei- ne Reihe vorzüglicher Galeri- en moderner Kunst (siehe Ka- sten)und alljährlich die Messe
für Gegenwartskunst „Arco“
(www.arco-online.ua.es). Ar- co hat inzwischen einen guten Ruf in der Branche, als Tor zu Iberien und zu Ibero-Ameri- ka. Die letzte Arco im Febru- ar dieses Jahres zählte fast 180 000 Besucher. Unter den 271 Galerien gab es immerhin 18 aus Deutschland. Spanien war mit 106 am stärksten vertreten. Bemer-
kenswert aber auch die Teilnahme von 22 Galeristen aus Lateinamerika. Die nächste Arco findet vom 14. bis 19. Fe- bruar 2002 statt; ein Schwerpunkt wird Kunst aus Australi- en sein. Arco-Ma- nagerin Rosina Go- mez-Baeza sieht Ar- co als Ausdruck des modernen Spanien,
als „ein Zeichen dafür, dass sich Spanien in den letzten zwanzig Jahren völlig verän- dert hat“. Und nun ein Sprung von Madrid quer durch Kastili- en Richtung Osten, nach Cuenca. Die alte Stadt liegt in einer wilden Felsen- landschaft auf ei- nem Sporn, wo sich zwei Flüsse treffen und Schluchten bil- den. Niemand würde hier ein Zentrum moderner Kunst ver- muten, und doch ist es so. Cuenca war während des Bür- gerkrieges ein Zu- fluchtsort von Künst- lern, die allenthal- ben in der Stadt ih- re Spuren hinterlas- sen haben, etwa mit modernen Fenstern in der mittelalterli- chen Kathedrale. In einem der Häuser, die vom Bergplateau in die Schlucht herunterhän- gen, ist das Museum für ab-
strakte Kunst untergebracht, das Kenner als das beste sei- ner Art in Spanien bezeich- nen (www.march.es). In ei- nem weiteren Museum, der Fundación Antonio Perez, findet man Vertreter der Mo- derne aus den Jahren 1970 bis 1990. Perez war mit vielen zeitgenössischen Künstlern befreundet; so trägt seine
Sammlung auch viele Züge des Persönlichen, wobei die Verbindungen zur politischen Linken hervortreten.
Weiter durch große leere Landschaften und über schnell zu befahrende Straßen an die Mittelmeerküste, nach Valencia. Vor zwei Jahrzehn- ten noch war das eine ver- staubt wirkende, leicht ver- schlafene Stadt, heute hat sich die Atmosphäre gewandelt:
Valencia ist eine Millionen- stadt mit pulsierendem Leben und – um beim Thema zu blei- ben – mit hervorragenden Beispielen der Gegenwarts- kunst. Zu nennen ist an erster Stelle das Institut für moder- ne Kunst, abgekürzt IVAM (www.ivam.es), untergebracht in einem großzügigen, moder- nen Bau und in einem ehema- ligen Klostergebäude in der
Altstadt. Vor allem Freunde der Typographie und der Fo- tografie kommen hier auf ihre Kosten. Hervorzuheben sind die großen Einzelausstellun- gen, so ab September Willem De Kooning, ab Oktober Louis Soutter und Claude Cahun, ab November Donald Judd. Dazu beeindruckt Va- lencia mit spektakulärer mo- derner Architektur von Santiago Cala- trava. Dieser baut eine ganze Stadt der Künste und der Wissenschaften, ein naturwissenschaftli- ches Museum ist be- reits fertig, eine Oper steht vor der Fertig- stellung. Das Ganze steht in einem ehe- maligen Flussbett.
Valencia hat den Río Turia, der früher die Stadt durchquerte, umgelei- tet. An seiner Stelle sind kilo- meterlange Parks und eben Calatravas neue Stadt ent- standen (www.comunitat-va- lenciana.com sowie: www.cac.
es). Über all der Gegen- wartskunst sei nicht verges- sen, dass Valencia ein Ort mit langer Geschichte ist, mit Baudenkmälern von der Rö- merzeit über die Gotik, den Barock bis zum Jugendstil – und nicht zuletzt, dass südliche Städte wie Valencia zu südli- chem Leben verführen. Nen- nen wir als Kronzeugen dafür gleichfalls einen Klassiker der Moderne, den Schriftsteller Ernest Hemingway, der einen
„dangerous summer“ am Strand von Valencia ver- bracht hat. Norbert Jachertz
Weitere Auskünfte:
Spanisches Fremdenverkehrs- amt, Grafenberger Allee 100, 40237 Düsseldorf, Telefon:
(02 11) 6 80 39 80 V A R I A
Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 30½½½½27. Juli 2001 AA1981
Kunst-Städte
Madrid, Cuenca, Valencia: „Contemporary Art“ und eindrucksvolle Landschaften
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Auussggeewwäähhllttee KKuunnsstt-- g
gaalleerriieenn iinn MMaaddrriidd Soledad Lorenzo
C/Orfila, 5 Tel. (34) 91-308 28 87
Helga de Alvear Doctor Fourquet, 12 Tel. (34) 91-468 05 06
Guillermo de Osma Claudio Coello, 4 Tel. (34) 91-435 59 36
Elvira Gonzalez General Castanos, 9 Tel. (34) 91-319 59 00
Fenster als Bilderrahmen, Land- schaft als Bildelement: Blick aus dem Museum für abstrakte Kunst in Cuenca
S PA N I E N , D E R M O D E R N E W E G E N
Feuilleton
Foto: privat