Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Psychopharmaka
pressiva beobachtete dämpfende Wirkung über dieses System er- folgt.
Dagegen ist die Dämpfung nach den Benzodiazepinen (Gruppe des Libriume, Valium®) vom soge- nannten limbischen System abhän- gig, das für die emotive Tönung ei- ner Handlung mitentscheidend zu sein scheint.
An der motorischen Hemmung durch die antipsychotischen Neuro- leptika ist ein drittes Hirnsystem maßgebend beteiligt, die extrapyra- midalen Anteile, wie man sowohl in der Klinik als auch im Tierversuch zeigen kann.
Die Erkenntnis, daß Dämpfung und Sedation durch Psychopharmaka neu rophysiologisch uneinheitlich sind, scheint mir Beispiel eines be- merkenswerten Erfolges der hirn- physiologischen Methode in der Pharmakologie.
Neue Methoden entwickeln
Alle Diskussionen über den Wert der Hirnphysiologie für die Ent- wicklung neuer Arzneistoffe sind aber „platonisch", solange es bei uns kaum Institute gibt, die appara- tiv und personell in der Lage wä- ren, dieses weite Feld der For- schung anzugehen. Ich habe oben nicht grundlos die Nationalität der Entdecker antipsychotischer Wir- kungen zitiert. Nicht um „Heimat- gefühle auszulösen", sondern um das Bewußtsein dafür wachzurufen, daß wir auf die Dauer in einem großen Forschungsgebiet nicht
„nassauern" können.
Mag die Psychiatrie in Deutschland noch ihren Anteil an den großen psychopharmakologischen Ent- wicklungen der letzten 25 Jahre haben, die Pharmakologie ist dar- an weitgehend unbeteiligt. Was aber auf diesem Gebiet an Kennt- nissen erarbeitet wurde, kommt überwiegend aus der Industrie. Es besteht bei uns eine Insuffizienz und auch eine gewisse Interessenlosig- keit, wenn es sich um die Testung
neuer chemischer Verbindungen überhaupt handelt. Es ist offenbar viel reizvoller für den in der The- matik seiner Arbeit freien Pharma- kologen, den Wegen der Bioche- mie und molekularen Biologie zu folgen. Neuen Methoden zur Ent- wicklung von Arzneimitteln nachzu- gehen und zu evaluieren überläßt man gern den „Pharmakographen"
in der Industrie.
Es wäre erfreulich, wenn es gelän- ge, die akademische Pharmakolo- gie wieder an die Entwicklung neu- er Arzneimittel zurückzuführen.
Dies würde auch die Arzneimittel- kontrolle aus ihrer Polarität zwi- schen Industrie und Staat befreien und die pharmakologische Wissen- schaft wieder in die klinische Medi- zin zurückführen. Vor allem aber brauchen wir außerhalb der Indu- strie dringend Ausbildungsstätten, um junge Pharmakologen, entspre- chend der Facharztordnung, auf den hohen internationalen Stan- dard der Arzneimittelentwicklung und -prüfung vorzubereiten. Beson- ders dringend ist dies auf dem Ge- biet der Psychopharmaka, deren Gebrauch immer mehr die Formen des Mißbrauchs annimmt, nicht zu- letzt auf Grund verbreiteter Un- kenntnis der pharmakologischen Grundlagen.
Anschrift des Verfassers:
Privatdozent Dr. med. Günther Stille 497 Bad Oeynhausen
Brandenburger Straße 25 a
Notizen
Keine Gefährdung durch Emaille-Pulver
Eine Strahlengefährdung durch uran- haltige Emaille-Pulver, insbe- sondere auch für Kinder, braucht nicht befürchtet zu werden, teilte jetzt die Pressestelle des Bundes*- gesundheitsamtes mit. Das Pulver wird beim Verarbeiten weder durch die Lunge noch durch den Ma- gen-Darm-Kanal aufgenommen.
Die Überprüfung ergab, daß nur
wenige Emaille-Farben radioaktive Substanzen enthalten; trotzdem ist es empfehlenswert, möglichst kein uranhaltiges Emaille-Pulver zu ver- wenden, um den Menschen so we- nig wie möglich mit Strahlen zu be- lasten. DÄ
Impfung bester Schutz vor Virusgrippe
Die Influenza, die echte Virusgrip- pe, ist als schwere Infektionskrank- heit anzusehen. Sie kann zwar mit dem grippalen Infekt einige Krank- heitssymptome gemeinsam haben, unterscheidet sich aber von ihm durch die plötzlich einsetzenden schweren Krankheitsbilder sowie häufiges Versagen von Herz und Kreislauf; auch bereits bestehende andere Leiden können durch sie verschlimmert werden. Im Gegen- satz zum grippalen Infekt führt die Influenza oft zum Tod.
In den letzten Jahren ist die Influ- enza immer wieder epidemisch oder pandemisch aufgetreten. Eine spezifische Therapie der Virusgrip- pe gibt es noch nicht. Die sicherste Prophylaxe ist nach wie vor die Schutzimpfung; ohne Auffrischung geht die Immunität nach etwa ei- nem Jahr verloren. Der gegen die Schutzimpfung erhobene Einwand, daß Patienten trotz Vakzination an
„Grippe" erkrankten, kann auf ei- ner Verwechslung von Influenza mit grippalem Infekt beruhen. Mit der Schutzimpfung kann nur die Gefahr einer Influenzainfektion ver- mindert werden.
Die Grippeschutzimpfung gehört zu den bestverträglichen Schutzimp- fungen überhaupt. Gelegentliche Röteln, leichte Infiltrationen der Impfstelle sowie Unbehaglichkeits- gefühl mit Kopfschmerzen sind un- gefährlich. Absolute Kontraindika- tion besteht allerdings bei Über- empfindlichkeit gegen Hühnerei- weiß. Die Schutzimpfung wird vom niedergelassenen Arzt in Betrieben und seiner Praxis durchgeführt; die Kosten tragen in der Regel die
Kassen. Dr. B.
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 45 vom 7. November 1974 3251