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Archiv "Syndromose — eine neue Krankheit der modernen Medizin" (23.10.1975)

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin DIE GLOSSE

Klinik: Während beim solitären Karzinoid mit einem Durchmesser zwischen 1,5 und 3,5 Zentimeter die Primärsymptomatik allenfalls in einer chronischen Lumenobstruk- tion beziehungsweise einer intesti- nalen Blutung bei Oberflächenexul- zeration besteht, löst nach einer Metastasierung eine Nahrungsauf- nahme, insbesondere Alkohol, Auf- regung sowie Palpation des Abdo- mens eine Flushsymptomatik mit Tränenfluß, Hypotonie und Tachy- kardie aus, die sich durch alpha- adrenerge Blocker verhindern läßt.

Auf der anderen Seite lassen sich diese Anfälle durch 10 ml konzen- trierten Alkohol, 15 bis 20 «g Nora- drenalin oder 5 bis 10 pg Adre- nalin provozieren (Grahame-Smith, 1974).

Die häufig profusen Durchfälle, die jedoch nur selten mit einer Malab- sorption einhergehen, lassen sich zumeist mit Methysergid (Deseril®), einem 5-HT-Antagonisten, oder Pa- rachlorophenylalanin, beherrschen.

Diagnose: Der Nachweis einer er- höhten Ausscheidung von 5-Hydro- xyindolessigsäure im Urin orien- tiert grob über eine gesteigerte 5- HT-Produktion, wobei der Patient kein Chlorpromazin und keine Ba- nanen zu sich nehmen sollte. Die quantitative Bestimmung von 5- HTP, 5-HT und 5-HIE oder Bradyki- nin ist entsprechenden Laboratori- en vorbehalten.

Prognose: Die Prognose hängt zum einen vom Ausmaß der Metastasie- rung, zum anderen von der kardia- len Beteiligung ab, wobei das Rechtsherzversagen häufig limitie- rend wirkt. Eine symptomatische Therapie ist mit Alpha-Methyldopa, das die 5-HT-Synthese hemmt, mit Alpha-Blockern, die eine 5-HT Frei- setzung verhindern, und mit Kalli- krein-Inhibitoren denkbar. Ein wechselnder Erfolg ist beim meta- stasierenden Karzinoid von einer Streptozotocin-Therapie zu erwar- ten.

Differentialdiagnose: Differential- diagnostisch muß ein Karzinoid des Bronchus und der Ovarien ausgeschlossen werden, die auch ohne Lebermetastasen eine klassi- sche Symptomatik hervorrufen können.

Ferner muß noch erwähnt werden, daß Karzinoide auch eine Reihe an- derer Hormone wie Kortison, ACTH, MSH, antidiuretisches Hormon (ADH) und Insulin zu produzieren vermögen.

Die hormonproduzierenden Tumo- ren des Verdauungstrakts stellen ein interessantes Spektrum der En- dokrinologie dar, bei dem mit im- mer neuen Überraschungen zu rechnen ist.

Die Weiterentwicklung von Radio- immunoassays und immunzytoche- mischen Untersuchungsmethoden läßt die Klärung mancher noch pa- thogenetisch unklarer Erkrankun- gen des Verdauungstrakts erwar- ten. So konnten Polak et al (1975) unlängst Somatostatin-produzieren- de Zellen in Pankreas und oberem Verdauungstrakt nachweisen. Die Anzahl der Hormonkandidaten und die vielen, in ihrer Funktion noch unklaren endokrinen Zellen im Ver- dauungstrakt, die möglicherweise alle ein Tumoräquivalent besitzen, läßt noch viel Raum für Spekula- tionen übrig.

Literatur bei den Verfassern

Anschrift der Verfasser:

Privatdozent

Dr. med. Wolfgang Rösch Prof. Dr. med. Ludwig Demling Medizinische Klinik mit Poliklinik der Universität Erlangen-Nürnberg 852 Erlangen

Krankenhausstraße 12

Syndromose —

eine neue Krankheit der modernen Medizin

Horst Jungmann*)

Die ersten Fälle wurden vor etwa 100 Jahren von Neurologen be- schrieben. Seither sind weit über 1000 bekannt und ihre Zahl wächst von Jahr zu Jahr, allein 1966 bis 1973 um etwa 250. Blanchard nann- te die Krankheit: „Taufsuchtssyn- drom" (Syndrome de baptöme).

Fischer hatte es 1931 noch relativ leicht, dieses infiltrierend wachsen- de Leiden der modernen Termino- logie zu beschreiben, heute stehen wir ziemlich fassungslos vor dem eindrucksvollen Werk, das Prof. Dr.

Leiber und Frau Dr. Olbrich in der Sammlung „Klinische Syndrome"

zusammengestellt haben. Ein Mi- krozensus in diesem Walhalla der Wissenschaftler läßt schätzen, daß etwa 1270 der aufgeführten Syndro- me mit Eigennamen belegt sind (genaues Zählen ist aus Zeitgrün- den nicht möglich, das Buch ent- hält 975 Seiten!). Die Autoren ge- ben selbst zu, daß die Zahl der Syndrome kaum noch zu überse- hen ist. Aber welcher Kollege soll- te es dann? Und was droht dem Staatsexamenskandidaten? Auf je- den Fall ist es ratsam, das Syn- drom zu kennen, in das, um einen modernen Ausdruck zu gebrau- chen, der Name eines der Prüfer involviert ist.

Überraschend ist die Lektüre des

„Leiber-Olbrich". Allein mit dem Schielen sind 66 Eigennamen ver- bunden. Angeborene Herzfehler haben 55 Eigennamen in der Welt- literatur verankert. Einen der Re- korde halten die Knochenverände- rungen. Nach dem Auszählen von 760 mit Eigennamen belegten Syn- dromen, die unter anderem mit Knochenveränderungen einherge- hen, tränten die Augen, der Ver- dacht auf eins der 66 mit Strabis- mus verbundenen Syndrome tauch- te auf und der Glosseur gab auf. >

*) Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 43 vom 23. Oktober 1975 2971

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin.

„Syndromose"

Nichts gegen den guten alten Dr.

Basedow oder Bechterew. Aber was soll der bemühte Kollege den- ken, wenn z. B. mit dem Na- men Wilson eine Stoffwechselstö- rung mit Leberzirrhose, ein Säug- lingsdurchfall, ein Megakolon, eine Nierenkrankheit, eine Erkran- kung des Rückenmarkes und eine EKG-Veränderung verknüpft sind.

Hinzu kommt, daß es nicht nur No- mensyndrome, sondern auch Pseu- do-Nomensyndrome gibt, zum Bei- spiel ein Crouzon-Syndrom und ein Pseudo-Crouzon-Syndrom.

Im Kongreßprogramm einer regio- nalen Internistengesellschaft wer- den gleich sechs Vorträge über solche nur durch Eigennamen ge- kennzeichnete Syndrome angekün- digt, ohne daß gesagt wird, ob es sich etwa um eine spezielle Form von Hämorrhoiden, eine Erkran- kung der Zirbeldrüse oder viel- leicht ein Aneurysma an einer be- sonders seltenen Stelle des Arte- riensystems handelt. Da sollte man sich überlegen, ob es lohnt, diesen Kongreß zu besuchen, oder ob die Experten besser unter sich bleiben.

Auch die Lektüre medizinischer Wochenschriften wird komplizier- ter. Die White-, Brown- und Black- oder wie immer die Erstbeschreiber hießen -Syndrome tauchen überall in den Überschriften auf. Bei Fremd- referaten hat man manchmal den Eindruck, der Referent wußte selbst nicht, was unter diesem „So- wieso-Syndrom" gemeint ist. Viel- leicht hatte er auch den „Leiber- Olbrich" nicht zur Hand, oder, durchaus denkbar, dieses Syndrom stand noch gar nicht drin. Nur ein Beispiel: In der Medical Tribune 10, Nr. 3 vom 17. Januar 1975 wer- den neue Befunde zum M. Wilson referiert, ohne zu erwähnen, wel- ches der sechs mit dem Namen Wilson geschmückten Syndrome gemeint ist. Oder ist es vielleicht ein siebentes?

Hier ein Tip: Wer seinen Namen in die Weltliteratur einschleusen möchte, der sammle drei Fälle (zwei reichen meist nicht aus) ei-

ner Symptomenkombination, sagen wir zum Beispiel Hühneraugen, Meteorismus und Stottern (ver- mutlich noch nicht als Syndrom be- schrieben) und versuche, diese zu veröffentlichen. Das gelingt meist leichter, wenn gleichzeitig auf neu entwickelte Therapeutika hingewie- sen wird, die in diesen Fällen er- folgreich angewandt wurden. Vor- sichtig sei man dagegen mit der Ätiologie, wenn man auch zeigen soll, daß man in der Syndromenli- teratur zuhause ist.

Jetzt kommt der entscheidende Schritt: Ein Freund, ein zu Dank verpflichteter früherer Assistent muß weitere Fälle vom ... Syndrom veröffentlichen und nun den Na- men des Erstbeobachters hinein- kombinieren, und schon ist es ge- schafft. Das Nomen-Syndrom wird zum Selbstgänger und wenn man Glück hat, wandelt sich sogar das ... Syndrom zum Morbus Aber Eile ist geboten. Einige Na- men, zum Beispiel Wilson, sind be- reits überbesetzt. Dagegen fanden sich die in Deutschland sehr häufi- gen Namen Meier oder Müller nur je dreimal im „Leiber-Olbrich".

Überhaupt scheinen englische Na- men für Syndrome besonders ge- eignet. Es zeugt von Großmut, wenn man bei weiteren Veröffent- lichungen auch den Namen des Zweitbeschreibers in das ... Syn- drom einschließt. Auch drei Namen klingen gut. Nur sollte man an er- ster Stelle stehen, denn die Spon- dylitis ancylosans heißt heute nicht mehr Morbus Bechterew, Strüm- pell, Piäre-Marie, sondern schlicht Morbus Bechterew, obwohl sie Strümpell 1885 als erster be- schrieb, Bechterew erst sieben Jahre später.

Leiber und Olbrich schließen ihre Syndromensammlung mit einem Vers aus Goethes Faust. Er sei hier zitiert:

Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,

durch die man zu den Quellen steigt,

und eh man nur den halben Weg erreicht,

muß wohl ein armer Teufel sterben.

Dieser arme Teufel ist der interes- sierte und in der Praxis stehende Kollege. Die „Syndronomose"

droht epidemische Formen anzu- nehmen. Es wird nur dann gelin- gen, sie einzudämmen, wenn die Redakteure medizinischer Zeit- schriften und die Veranstalter ärzt- licher Kongresse sich in Zukunft konsequent weigern, Arbeiten oder Vorträge anzunehmen, in deren Ti- tel ein nur mit Eigennamen be- zeichnetes Syndrom prangt. Im In- teresse von uns „armen Teufeln"

wird hiermit dazu aufgerufen.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. Horst Jungmann 2 Hamburg 20

II. Medizinische Klinik Martinistraße 52

Therapie in Kürze

Die Fallotsche Tetralogie ist ein Herzvitium mit großer Variabilität und kann daher nicht nach einem standardisierten Vorgehen korri- giert werden. Sind die Arteria pul- monalis und ihre Äste stark hypo- plastisch, muß mitunter immer noch zweizeitig operiert werden.

Es gilt zu beachten, daß die Ventri- kelinzision dem Verlauf der Kranz- arterien angepaßt wird. Die ge- ringste Rezidivrate hat der Ver- schluß des Ventrikel-Septum-De- fekts mit Dacron oder Teflon. Die Infundibulumstenose ist großzügig zu resezieren. Der rechtsventriku- läre Druck sollte nach dem Eingriff nicht mehr als zwei Drittel des links- ventrikulären Drucks betragen. Ist der Druck im rechten Ventrikel hö- her als der im linken, muß der Aus- flußtrakt plastisch rekonstruiert werden. Rund neun Zehntel der Pa- tienten überleben eine Korrektur der Fallotschen Tetralogie. Etwa 90 Pro- zent davon sind zu einem praktisch normalen Leben im Stande. cb (Klinner, W.: Herz/Kreisl. 7 [1975]

52-54) 2972 Heft 43 vom 23. Oktober 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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