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Archiv "Arzthonorare— politökonomisch gesehen" (22.08.1974)

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71. Jahrgang / Heft 34 22. August 1974 Postverlagsort Köln

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Dieselstraße 2 Ruf: (0 22 34) 70 11 -1 Fernschreiber 8 89 168 Verlag und

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Dieselstraße 2 Ruf: (0 22 34) 70 11 -1 Fernschreiber: 8 89 168

Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

Arzthonorare

politökonomisch gesehen

Es ist das erklärte Ziel vieler „Gesundheitsreformer", die Ärzte- schaft auch einkommenspolitisch an die Kandare zu nehmen. Die Veröffentlichung eines als wissenschaftlich apostrophierten Gut- achtens mit dem unverfänglich klingenden Titel „Der Wandel der Stellung des Arztes im Einkommensgefüge", für dessen Abfassung ein 16köpfiger Ausschuß der Gesellschaft für Sozialen Fortschritt e. V. verantwortlich zeichnet, liefert — gewollt oder ungewollt — dazu neue Munition. Das unter der Ägide des Bochumer Sozial- wissenschaftlers Professor Dr. Theo Thiemeyer in über dreijähriger Arbeit zustande gekommene Gutachten scheint jedenfalls das zu bestätigen, was die Ärztekritiker nicht müde werden zu wiederho- len: Das Arzthonorar ist aus dem Spiel der freien Marktwirtschaft herausgenommen und wächst mit einem Effekt doppelter Dynamik.

Die ärztliche Einkommenspolitik wird hier in den Gesamtzusammen- hang von Krankenversicherungs- und Gesundheitspolitik gestellt und zugleich auf ihre volkswirtschaftliche Legitimation hin über- prüft. So wird konstatiert: „Im gegebenen System der gesetzlichen Krankenversicherung ist die Honorierung der ärztlichen Leistung . . . weitgehend aus dem privatwirtschaftlich-marktwirtschaftlichen Lenkungsmechanismus herausgenommen, so daß sie sich weitge- hend einer marktwirtschaftlichen Betrachtungsweise entzieht. Zu- gegeben wird: Man befindet sich bei der Beurteilung von Honorie- rungsfragen auf dem Feld der „Nicht-Markt-Ökonomik" und des Dienstleistungssektors. Erstaunlicherweise sind aber viele der Schlußfolgerungen und Forderungen des Gutachtens ausschließ- lich aus dem Instrumentenkasten des Nationalökonomen und öko- nomischen Puristen entlehnt, die keineswegs aber der diffizilen Thematik der ärztlichen Honorarpolitik gerecht werden.

Dreh- und Angelpunkt des Schriftwerkes sind die bereits im ver- gangenen Jahr veröffentlichten Kostenstrukturerhebungen für das Jahr 1971, die das Statistische Bundesamt (Wiesbaden) bei ins- gesamt 1890 Ärzten (gleich 3,7 Prozent aller praktizierenden Ärzte) durchgeführt hat. Ohne die statistische Basis überhaupt unter die Lupe zu nehmen, werden die von dem Wiesbadener Amt herausgegebenen Durchschnittswerte unkritisch übernommen, um damit dem Gutachten (Schein-)Objektivität zu verleihen.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 34 vom 22. August 1974 2453

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Obwohl der Ausschußvorsitzende Professor Thiemeyer vor der Pres- se in Sonn erklärte, daß die Verfas- ser von Anfang an die absolute Höhe der ärztlichen Einkommen unbewertet lassen wollten, wird festgestellt: Die Durchschnittsein- nahmen im Jahre 1971 betrugen pro Praxis 178 538 DM (ermittelt nach dem sogenannten arithmeti- schen Mittel). Dieser Wert ermäßigt sich allerdings auf rund 163 000 DM pro Praxis, wenn man den so- genannten statistischen Zentral- wert (Median) zugrunde legt, der besagt, daß 50 Prozent der Praxen unter und 50 Prozent über dem arithmetischen Mittel liegen (vgl.

hierzu: DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 24/1974, Seite 1782 ff.).

Der Reinertrag der niedergelasse- nen Ärzte (Ertrag nach Abzug der Praxiskosten) belief sich damals auf durchschnittlich 113 500 DM (

=

zu versteuerndes Bruttoeinkom- men).

Zukunftsvorsorge vergessen Bei dieser Durchschnittszahl han- delt es sich - wie gesagt - um das zu versteuernde Bruttoeinkom- men, aus welchem der Arzt noch zu einem erheblichen Umfang Bei- träge für die Zukunftsvorsorge (Al- ter, Invaliditäts- und Krankheitsvor- sorge, Unfallversicherung, Urlaubs- vertretung usw.) abzweigen muß.

Aber alle diese Kostenbrocken, die der freipraktizierende Arzt wie je- der andere Freiberufler erst durch seinen Arbeitseinsatz erwirtschaf- ten muß, interessierten die Verfas- ser wenig, obwohl den Experten des sozialen Fortschritts einschlä- gige Berechnungen über die tat- sächlichen Aufwendungen für die Zukunftsvorsorge von Freiberuflern eigentlich hätten bekannt sein müssen. So haben versicherungs- mathematische Gutachten (z. B.

das von Prof. Dr. Georg Heubeck) ergeben, daß eine der Beamten- pension vergleichbare Alterssiche- rung je nach Eintrittsalter in den Beruf zwischen 47 Prozent des Bruttoeinkommens bei 30jährigen und bis zu 73 Prozent bei 50jähri-

gen kostet. Davon ist in dem Gut- achten aber ebensowenig die Rede wie von den tatsächlichen Kosten der Praxisausstattung, den laufenden Personalkosten, den Mietkosten oder etwa den Darle- henszinsen. Statt dessen wird eine leicht zu durchschauende Milch- mädchenrechnung aufgemacht. So heißt es: Während die ärztlichen Reineinkommen (nur niedergelas- sene Ärzte, ohne angestellte und beamtete Ärzte) 1959 das 5,46fache der Arbeitnehmereinkommen aus- machten, verschob sich diese Re- lation bis 1971 zugunsten der Arzt- einkommen auf das 6,52fache. Den naheliegenden und allein sinnvol- len Vergleich zu den übrigen Selb- ständigeneinkommen (die in der gleichen amtlichen Kostenstruk- turerhebung ausgewiesen sind) sucht man in der ganzen Expertise allerdings vergeblich.

Ein leichtes also, hier bereits ein- zuhaken und die statistische Ver- gleichsbasis anzuzweifeln. Denn ein Gutachten, das den Anspruch erhebt, die Ärzteschaft im Einkom- mensgefüge darzustellen, hätte a priori das Arzteinkommen in Bezie- hung zu den Einkommen der übri- gen Selbständigengruppen (Apo- theker, Zahnärzte, Wirtschaftsprü- fer, Steuerberater, Rechtsanwälte, Architekten, Einzelhändler usw.) setzen müssen, aber auch zu deren Arbeitszeiten und zur jeweiligen Nachfrage. Sinnvoll wäre überdies nur ein Nettoeinkommensvergleich unter Berücksichtigung der Auf- wendungen für die Zukunftsvorsor- ge, der zudem auf Lebenseinkom- men abgestellt sein müßte, denn nur dieser sagt etwas aus.

Durchsichtige Zahlenspielereien Der krampfhafte Versuch, das Arzt- einkommen mit anderen volkswirt- schaftlichen Maßgrößen in Bezie- hung zu setzen, ist zudem sehr vor- dergründig. So wird ohne jegliche Erläuterung und erkennbaren Zu- sammenhang vorgerechnet:

~ Zwischen 1959 und 1971 seien die Ausgaben der Krankenkassen

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für die ärztliche Behandlung von 1,67 Milliarden DM auf 6,8 Milliar- den DM, das heißt um 308,5 Pro- zent gestiegen, während das Brut- tosozialprodukt im gleichen Zeit- raum nur um 185,3 Prozent zu- nahm.

~ Die Pro-Kopf-Ausgaben für ärzt- liche Behandlung seien (den glei- chen Berechnungen zufolge) von 63,52 DM (1959) auf 216,49 DM (1971) gestiegen, also um rund 241 Prozent.

Solche Zahlenspielereien, die z. B.

auch in den bekannten Büchern von Joseph Scholmer zu finden sind, münden in ein Fazit, das un- mißverständlich an die Adresse der ärztlichen "Honorarstrategie" und

"Honorarpolitik" gerichtet ist: "Die starke Expansion in der ambulan- ten ärztlichen Versorgung hat zu einem überproportionalen Einkom- mensanstieg bei den niedergelas- senen Ärzten geführt. Für die Zu- kunft dürfte weiterhin mit einem überproportionalen Anstieg zu rechnen sein. Sein Ausmaß hängt nicht zuletzt von den Entscheidun- gen und Verhandlungsergebnissen aller ab, die für die Entwicklung der ärztlichen Einkommen Verant- wortung tragen."

Spekulationen

und empirisches Vakuum

Angesichts dieser eindeutigen Aus- sage verwundert es, daß sich die Diskussion um Honorarhöhe und Honorarpolitik streckenweise auf dem Feld der bloßen Spekulatio- nen und in einem weitgehenden statistischen Vakuum bewegt. Daß die Expertise eher ein bißchen Wi- schiwaschi ausfiel, ist offenbar auch der pluralistischen Zusam- mensetzung des Gremiums zu ver- danken (Vertreter der Krankenkas- sen, Sozialpartner, der Wissen- schaft und Ministerialbürokratie und auch der Ärzteschaft mußten sich in der Meinungsbildung zu- sammenraufen).

Es ist durchsetzt von fast 100 (ein- hundert!) Minderheits- und Mehr-

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heitsvoten; das Einerseits und An- dererseits läßt vermuten, wie schwierig der interne Abstim- mungsprozeß zwischen den unter- schiedlichen Interessenvertretern gewesen sein muß. ln wichtigen Detailfragen, wie beispielsweise der Frage Kostenerstattung kontra Sachleistung, der Einführung einer Selbstbeteiligung, der Anwendung einer "Orientierungsregel" bei der ärztlichen Honorierung oder bei der Bewertung der medizinischen Versorgung ("Gibt es einen Zwei- Klassen-Standard?") kontrastieren die von den Interessengruppen ge- prägten Mehrheits- und Minder- heitsvoten ganz deutlich.

Außerökonomische Motive prägen das ärztliche Handeln

Die Studie nennt folgende außer- ökonomische Motive und Verhal- tensweisen, die bei der ärztlichen Berufsausübung eine wichtige Rol- le spielen:

~ Die gesellschaftliche Anerken- nung des Kollegen und Patienten (Sozialprestige);

~ die ärztliche Ethik, das ärztliche Selbstverständnis und die innere Befriedigung;

~ Ausbildung und Erfahrungen, so- ziale Kontrollmechanismen (z. B.

fachliche Beurteilung durch Kolle- gen);

~ persönliche Beziehungen zwi- schen den Patienten und dem Arzt usw.

Das "Gutachten" stellt lapidar fest:

"Die Bedeutung der ökonomischen und sozialen Einflußgrößen dürfte von Arzt zu Arzt unterschiedlich sein." Insgesamt sei jedoch davon auszugehen, daß mit zunehmen- dem Einkommensniveau bei der Ärzteschaft wie bei allen anderen Berufen die Bedeutung der ökono- mischen Einflußfaktoren abnimmt und die sozialen Determinanten stärkeres Gewicht erhalten. Inso- fern müsse auch davon ausgegan- gen werden, daß die ökonomi-

sehen Lenkungsmechanismen an Wirksamkeit verlieren.

Verwiesen wird auf die Tatsache, daß bei der Wahl des Tätigkeitsbe- reiches durch den ausgebildeten Arzt (Niederlassung, Krankenhaus- tätigkeit, Tätigkeit im öffentlichen Gesundheitswesen) in zunehmen- dem Maße Fragen der beruflichen Entfaltungsmöglichkeiten, der Si- cherheit, der Arbeitszeitbelastung usw. einen berufmotivierenden Ein- fluß ausüben.

ZITAT

Lachhaft

"Ich bin der Auffassung, daß das chinesische Dorf im Durchschnitt heute besser versorgt wird als viele Dörfer in der Bundesrepublik." (Lau- tes Gelächter)

Joseph Scholmer (und das Publikum im Studio) bei der ARD-Fernsehsendung "Pro und Contra - Planung der ärztlichen Versorgung"

Der Einfluß der Honorierungssysteme

Welchen Einfluß die geltenden Ho- norierungssysteme auf das Lei- stungsangebot und die ärztliche Berufsausübung überhaupt haben, skizziert das Elaborat so:

~ Das Zusammenwirken von Pau- schalhonorierungssystem und mo- difiziertem Einzelleistungshonorie- rungssystem hat zur Folge, daß das ärztliche Honorar je Leistung bei kurzfristig steigender Morbidität bzw. kurzfristig steigendem Lei- stungsbadart (in Zeiten ärztlicher Spitzenbelastung) sank. Diese Kon- sequenz wird vom Ausschuß als

"nicht wünschenswert" apostro- phiert.

Ein echtes Pauschalhonorierungs- system für die ambulante ärztliche

Versorgung habe es in der Bundes- republik Deutschland nie gegeben.

Vielmehr habe es eh und je im ln- nenverhältnis zwischen Kassen- ärztlicher Vereinigung und Kassen- arzt - je nach dem angewand- ten Verteilungsmaßstab - eine Mo- difikation in Richtung eines abge- wandelten Einzelleistungshonorie- rungssystems oder eines modifizier- ten Pauschalhonorierungssystems gegeben. Daraus folgern die Auto- ren: "Allen Honorierungssystemen ist gemeinsam, daß sie aus be- stimmten Gründen nicht am Be- handlungserfolg selbst orientiert sind, obwohl das der ,Philosophie der Marktwirtschaft' entsprechen würde." Weil das so sei, könne nach Meinung einiger Ausschuß- mitglieder mit dem Honorierungs- system auch kein direkter Einfluß auf den Behandlungserfolg genom- men werden. Die Verbindung zwi- schen Honorierung und Behand- lungserfolg werde vielmehr über das ärztliche Ethos und die ärztli- che Qualifikation hergestellt.

Interessant auch die Feststellung eines (gewerkschaftlichen?) Aus- schußmitgliedes, das postuliert, daß:

"immer dann, wenn eine Orientie- rung des Entlohnungssystems am Handlungserfolg nicht möglich ist, eine Orientierung an der gearbeite- ten Zeit gewählt wird (Zeitlohn).

Das ist zum Beispiel bei den Ärzten im Krankenhaus der Fall. Hinsicht- lich der niedergelassenen Ärzte ist dieses Problem noch nicht gelöst."

Mit anderen Worten: Wenn es nach dieser Außenseitermeinung ginge, wäre es angebracht, sämtliche frei- beruflichen Ärzte in Zukunft zu Zeitlöhnern zu stempeln. Dabei wurde leider vergessen zu erwäh- nen, daß eine solche Maßnahme den Steuerzahler nicht nur teuer zu stehen käme (nachweisbar teuerer als ein beitragsfinanziertes Sy- stem), sondern auch alle Nachteile eines im Zeitlohndenken erstarrten Systems mit sich bringen würde (vgl. hierzu: Der Kaufpreis der Freiheit, in Berliner Ärzteblatt, Heft 9/1971, Seite 459 ff.).

ln der Frage, ob in Zukunft Ein- heitshonerare oder nach wie vor

DEUTSCHES ARZTEBLATr

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Differenzierungen zulässig sein sollen, konnte das Gutachten kei- nen Konsensus herstellen. Die Be- fürworter einer nach wie vor diffe- renzierten von der Tarifhoheit der KVen getragenen Honorierung ar- gumentierten so:

..,.. "Die Vertragsfreiheit der Ärzte impliziert unterschiedliche Honora- re. Dabei ist es legitim, wenn sich das Honorar auch danach richtet, was dem Patient die Sache wert ist (Abschöpfung der Konsumenten- rente)."

..,.. Durch die unterschiedlichen Ho- norare zwischen Kassen- und Pri- vatpraxis und zwischen den Privat- patienten wird ein sozialer Aus- gleich durchgeführt, der auch heu- te noch sinnvoll und legitim ist. Die höheren Honorarforderungen der Ärzte gegenüber den Ersatzkassen sind in erster Linie mit den höhe- ren Gehältern der Ersatzkassenmit- glieder begründet. Die unterschied- lichen Honorarverträge erfüllen mithin eine Art indirekten Finanz- ausgleich zwischen den einzelnen Krankenkassen mit ihrer unter- schiedlichen wirtschaftlichen Lei- stungsfähigkeit.

Vornehmlich von den Vertretern der RVO-Kassen wurde genau um- gekehrt argumentiert:

..,.. Honorarunterschiede zwischen Privat- und Kassenpraxis seien sachlich nicht mehr gerechtfertigt.

..,.. Soziale Ausgleichsfunktion ha- be heute ausschließlich die sozia- le Krankenversicherung übernom- men, der über 90 Prozent der Be- völkerung angehören. Daraus lei- ten die Autoren ein simples Postu- lat ab: "Der Arzt sollte nach dem Grundsatz ,gleicher Lohn für glei- che Leistungen' honoriert werden."

Empfohlen wird im übrigen:

..,.. Eine stärkere Betonung der Ge- bührenordnungspositionen für die

"eigentlichen ärztlichen" Leistun- gen, wie Beratung, Untersuchung, Hausbesuch usw., nötigenfalls

auch auf Kosten einer Senkung der Gebührenordnungspositionen für die medizinisch-technischen Lei- stungen.

Der Vorschlag eines Leistungs- komplex-Honorars, der weit über den Rahmen der in den Vertrags- gebührenordnungen vereinbarten strukturellen Änderungen hinaus- gehen würde (ein Vorschlag, der von den Gewerkschaften angeprie- sen wird), würde an die Stelle der Einzelleistungsvergütung "Lei- stungskomplexe" setzen.

Dieses Leistungskomplex-Honerar würde eine völlig neue Gebüh- renordnung erforderlich machen.

Voraussetzung wäre, daß sich in der ärztlichen Praxis eine begrenz- te Anzahl von üblichen Leistungs- komplexen abgrenzen läßt. Die Schwierigkeiten liegen vor allem darin, daß bei gleichen Krankheits- arten in verschiedenen Stadien die Behandlungsbedürftigkeit unter- schiedlich hoch ist. Der Katalog der Leistungskomplexe müßte da- her sowohl nach Krankheitsarten als auch zumindest nach zwei Krankheitsstadien - dem akuten und dem chronischen - differen- ziert werden. Dies dürfte aber eine Sisyphusarbeit ohnegleichen wer- den, auch bei Einsatz der EDV!

Honorarpolitik auf Kollisionskurs mit den Ärzten

Weitgehend auf Kollisionskurs mit der Ärzteschaft gerät die Aus- schußmehrheit hinsichtlich ihrer honorarpolitischen Postulate und Normen: Aus gesundheitspoliti- schen Gründen wird eine von der Bundesregierung auf Grund gesetz- licher Ermächtigung zu erlassende Gebührenordnung weiterhin für notwendig erachtet. Der Staat ha- be hier eine allgemeine gesund- heitspolitische Ordnungsfunktion zu übernehmen. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit gestatte die Ein- führung und Fortentwicklung einer besonderen Vertragsgebührenord- nung für den Bereich der kassen- ärztlichen Tätigkeit.

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Allerdings gab es einen Dissens in der Frage, ob die amtliche GO.Ä oder aber die Vertragsgebühren- ordnungen die "Führungsrolle"

(Prävalenz) übernehmen sollten.

Die Bundesärztekammer präferiert bis jetzt verständlicherweise erste- res, während die Krankenkassen und zum Teil auch die Kassenärzte neuerdings letzteres bevorzugen.

Um eine zu starke Auseinanderent- wicklung von amtlicher Gebühren·

ordnung und Vertragsgebühren·

ordnung zu vermeiden, wird nun vom Ausschuß folgender Modus vorgeschlagen:

..,.. Zur Beratung der Bundesregie- rung bei der Fortentwicklung der amtlichen Gebührenordnung ist eine ständige Kommission unter Hinzuziehung von Verhetern der Ärzte und der zur Zahlung der Ent- gelte Verpflichteten zu bilden. Die Kommission soll die Entwicklung im Vertragsbereich berücksichti- gen, um eine divergierende Ent- wicklung von amtlicher Gebühren- ordnung und Vertragsgebühren- ordnung zu vermeiden.

..,.. Die im Rahmen der Reichsversi- cherungsordnung tätigen Schieds- ämter sollen in Zukunft eine rechtlich klarere Grundlage für die Beurteilung der wirtschaftlichen Si- tuation der Krankenkassen erhal- ten. Vor allem sei eine Konkretisie- rung der jetzt sehr vagen Begriffe der Reichsversicherungsordnung (§ 368 g RVO) wie beispielsweise

"wirtschaftliche Lage der Kranken- kassen" und "Angemessenheit" er- forderlich .

..,.. Dazu wird eine gesetzlich fest- gelegte Orientierung bzw. Bindung der ärztlichen Einkommen (soge- nannte gesamtwirtschaftliche Ori- entierungsregel) nach den folgen- den Modalitäten vorgeschlagen:

"Durchschnittlicher nomineller Ein- kommensanstieg je Erwerbstätigen minus durchschnittlicher Anstieg der abgerechneten Leistungen je Kassenarzt (sogenannter Lei- stungsbedarf) ist gleich Orientie- rungswert für die durchschnittliche Erhöhung der Einzelleistungsver- gütung."

(5)

ZITAT

Auf dem Wege zur Planwirtschaft?

Über die geplante Änderung des Kassenarztrechtes (Steue- rung der Niederlassung) schreibt Walter Kannengießer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Auszug):

„Nur Illusionisten können glau- ben, mit Zulassungssperren, die das Grundrecht der freien Berufsausübung berühren, kön- ne die ärztliche Versorgung ver- bessert werden. Solange der Staat die Ärzte nicht zu Beam- ten machte, könnte er sie nicht zwingen, sich an Orten nieder- zulassen, in die sie nicht wollen.

Die Zulassungssperre würde vor allem die praktischen Ärzte tref- fen, denn hier ist der Mangel am größten. Was wird die Folge sein? Zunächst einmal werden die betroffenen Ärzte versuchen, in andere Zulassungsbezirke, wo es noch keine Sperre gibt, auszuweichen. In den unterver- sorgten Gebieten würde der

Mangel damit nur noch fühlba- rer. Schon bald müßte daher die Sperre auf das ganze Bundes- gebiet ausgeweitet werden. Den jungen Medizinern würde der Beruf des praktischen Arztes nur noch mehr verleidet. Sie ha- ben die Wahl, am Krankenhaus zu bleiben oder sich nach weite- rer Ausbildung als Facharzt nie- derzulassen. Für die ärztliche Versorgung wäre nichts gewon- nen, was nur die Erfahrung be- stätigen würde, daß ein bißchen Planung und ein bißchen Diri- gismus nichts hilft. Wer diesen Weg einschlägt, wird am Ende den ganzen Berufsstand verpla- nen, Schlüsselzahlen für prakti- sche Ärzte und Fachärzte, für Krankenhausärzte und nieder- gelassene Ärzte festlegen müs- sen. Am Ende stünde dann der staatliche Gesundheitsdienst.

Nicht nur die Ärzte, auch die Patienten wären dann schlech- ter dran."

Die „doppelte Dynamisierung"

Durch diese Patentformel soll die angebliche doppelte Dynamisie- rung der ärztlichen Einkommen vermieden und ausschließlich nach gesamtwirtschaftlichen und bun- desweiten, eindeutig definierten statistischen Daten orientiert wer- den (Produktivität, Einkommens- entwicklung). Die erforderlichen Informationen soll das Statistische Bundesamt liefern. Die Orientie- rungsdaten sollen flexibel in den

„Honorarverhandlungen" gehand- habt werden. „Doppelte Dynamisie- rung" der ärztlichen Einkommen nennt der Ausschuß den Effekt, daß sowohl die Werte der Gebüh- renordnung linear oder strukturell angehoben werden als auch Pro- duktivitätssteigerungen (durch Ra- tionalisierungsinvestitionen und durch Mehrarbeit!) in der ärztli- chen Praxis erzielt werden, mit de- ren Hilfe eine ständig wachsende Zahl von Behandlungsfällen und von Leistungen je Einzelfall bewäl- tigt werden können. Solche Pro- duktivitätssteigerung habe indes- sen außer der technischen Moder- nisierung vor allem den vermehrten Einsatz von ärztlichem Hilfsperso- nal zur Voraussetzung gehabt.

II> Daß die Mehreinkommen auch durch eine Ausdehnung der Ar- beitszeit in vielen Fällen erzielt worden sind (die durchschnittliche Wochenarbeitszeit des Kassenarz- tes betrug nach jüngsten Ermittlun- gen 60,7 Stunden), will der Aus- schuß nicht gelten lassen. Zudem blieb unerwähnt, daß in fast allen Kassenarztbereichen die Zahl der Behandlungsfälle in den letzten Jahren ständig gestiegen ist.

Dies geht eindeutig aus zahlrei- chen Strukturanalysen der Kassen- ärztlichen Vereinigungen hervor.

Die von dem Ausschuß beklagte Steigerung des Leistungsumfanges ist also in erster Linie durch die gestiegene Morbidität der Patien- ten und die häufigere Inanspruch- nahme des Arztes — also durch die Notwendigkeit echter Mehrlei- stungen — begründet.

Die Auswirkungen der von dem Ausschuß anvisierten Honorarpoli- tik liegen auf der Hand: Würden sich dessen Absichten durchset- zen, so wäre die ärztliche Honorar- politik weitgehend der Selbstver- waltung von Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen entzogen.

Aufhebung der Tarifautonomie in dieser höchst einseitigen ho- norarpolitischen Orientierungsre- gel wurde von den ärztlichen Gut- achtern denn auch mit Recht eine einseitige Benachteiligung der Ärz- teschaft erblickt, zumal dann, wenn die allgemeine Lohnpolitik nicht an denselben straffen Zügel genom- men würde.

Zudem würden die honorarpoliti- schen Vorstellungen — die im übri- gen auffallend ideeverwandt mit dem „Reformpapier" der Orts- und Betriebskrankenkassen sind — nicht zu übersehende Fernwirkun- gen haben: Die sonst so hochge- haltene Tarifautonomie, die Selb- ständigkeit von Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigun- gen, die soziale Selbstverwaltung und nicht zuletzt die Gliederung des gesamten Systems sozialer Si- cherung würden leichtfertig aufs Spiel gesetzt oder gar über Bord geworfen. Damit wäre aber keinem gedient, weder den Krankenkas- sen noch den Gewerkschaften, noch den Arbeitgebern, noch den Ärzten, am wenigsten aber den Pa- tienten. Dr. rer. pol. Harald Clade

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