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Archiv "Durch Zecken übertragen: Die Lyme-Krankheit" (08.06.1984)

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Aktuelle Medizin

Zur Fortbildung

Durch Zecken übertragen:

Die Lyme-Krankheit

Epidemiologie, Ätiologie, Klinik und Therapie einer „neuen" Infektionskrankheit

Peter Herzer und Nepomuk Zöllner Aus der Medizinischen Poliklinik

(Vorstand: Professor Dr. med. Nepomuk Zöllner) der Universität München

L

yme ist eine kleine Gemein- de im amerikanischen Bun- desstaat Connecticut. 1975 kamen dort durch die Initiative zweier Einwohnerinnen Rheuma- tologen auf die Spur einer bisher nicht erkannten klinischen Entität.

Auffällig häufig traten bei in un- mittelbarer Nachbarschaft leben- den Kindern in Lyme Arthritiden auf. Mit der von den behandeln- den Ärzten zunächst gestellten Diagnose „juvenile chronische Polyarthritis" wollten sich die Ein- wohnerinnen nicht zufrieden ge- ben. Sie wandten sich daher an das State Health Department und an Rheumatologen der Yale-Uni- versität. A. C. Steere, S. E. Malawi- sta und Mitarbeiter von der Yale- Klinik erkannten sofort, daß diese endemische Arthritis, die sie „Ly- me-Arthritis" nannten, mit keinem der in der Rheumatologie bekann- ten Krankheitsbilder in Einklang zu bringen war (18, 19)*). Bei ei- nem Teil der Patienten war der Arthritis eine Hauterkrankung vor- ausgegangen, die mit dem in Eu- ropa schon Anfang dieses Jahr- hunderts beschriebenen Erythe- ma chronicum migrans identisch war. Die Beobachtung vereinzelt auftretender neurologischer und kardialer Manifestationen erwei- terte das klinische Spektrum der

Die Lyme-Krankheit ist eine 1976 in den USA erstmals be- schriebene nosologische En- tität. Sie kommt jedoch nicht nur in Nordamerika vor. Er- stes Symptom ist meist das Erythema chronicum migrans.

Nach einer langen Latenzzeit können kardiale und neurolo- gische Manifestationen sowie Arthritiden folgen. Ursache der Erkrankung ist eine Spiro- chäteninfektion. Sie wird durch Zecken übertragen. Ei- ne frühzeitige Antibiotika- therapie verhindert die manch- mal schweren Spätfolgen.

dann als „Lyme-Krankheit" be- zeichneten klinischen Entität (20).

Die weitere Erforschung der Ly- me-Krankheit kann als Musterbei- spiel effizienter klinischer For- schungsarbeit dienen. Der exak- ten klinischen Beschreibung folg- ten geradezu generalstabsmäßig Untersuchungen zur Epidemiolo- gie und Pathogenese und schließ- lich die Aufklärung der Ätiologie.

Anzunehmen ist, daß die gleiche Krankheit in Europa schon länger existierte, bis dahin aber nicht in

vollem Umfang erkannt worden war (11). Das Erythema chronicum migrans sowie damit oft assoziier- te neurologische Manifestationen waren in Europa im Gegensatz zu Amerika schon lange vor der Erst- beschreibung der Lyme-Krankheit bekannt. Arthritiden und kardiale Manifestationen als Teil dieser Entität waren jedoch in Europa nicht bemerkt worden. Inzwi- schen zeigen Fallbeschreibungen aus der Bundesrepublik Deutsch- land (1, 12, 31), der Schweiz (9), Frankreich (6, 13, 15) und Austra- lien (28), daß die Lyme-Krankheit keine „amerikanische Krankheit"

ist.

1. Epidemiologie

Aufgrund des endemischen Auf- tretens der Lyme-Krankheit in ei- ner ländlichen, waldreichen Ge- gend, der jahreszeitlichen Häu- fung des Krankheitsbeginnes im Sommer und im Herbst sowie der Identifikation der Hautmanifesta- tion als Erythema chronicum mi- grans, war von Anfang an eine durch Arthropoden übertragene Infektion als Krankheitsursache

*) Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis des Sonderdrucks.

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 23 vom 8. Juni 1984 (55) 1859

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Abbildung 1 (oben): Klinische Manife- stationen bei 43 Patienten mit Lyme- Krankheit (Steere, A. C., u. Mitarb., Am.

J. Epidemiol. 108 [1978] 312-321)

Abbildung 2 (links): Erythema chroni- cum migrans. (Die Abbildung verdan- ken wir der Dermatologischen Klinik der Technischen Universität München, Vorstand: Prof. Dr. Dr. Borelli.)

relien oder Treponemen wird dis- kutiert. Immunserologische Be- funde von Ackermann (2) in der Bundesrepublik Deutschland wei- sen daraufhin, daß es sich um Bor- relien handelt.

3. Klinik

Die ersten Beobachtungen ließen annehmen, daß vorwiegend Kin- der von der Lyme-Krankheit be-

troffen sind. Bald zeigte sich je- doch, daß die Erkrankung in je- dem Lebensalter auftreten kann.

Frauen und Männer werden gleich häufig betroffen.

Der Erkrankungsbeginn liegt na- hezu ausnahmslos zwischen Mai und November.

Leitsymptom der Erkrankung ist das Erythema chronicum migrans, das gewöhnlich wenige Tage, Lyme-Krankheit

vermutet worden. Epidemiologi- sche Untersuchungen zeigten dann, daß Zecken Krankheits- überträger sind (21, 22, 29). Die in Amerika als Vektoren identifizier- ten Zecken (Ixodes dammini und Ixodes pacificus) gehören der gleichen Gattung an, wie der Überträger des Erythema chroni- cum migrans in Europa (Ixodes ri- cinus — „Holzbock"). Die meisten Patienten können sich jedoch nicht an einen vorausgegangenen Zeckenbiß erinnern, was zum Teil durch die lange Latenzzeit bis zum Auftreten von Spätmanifesta- tionen der Erkrankung erklärt werden kann. Andererseits halten wir es für wahrscheinlich, daß auch Stechfliegen (Stomoxys cal- citrans) die Krankheitserreger übertragen können (12). Eine Auf- klärung des Infektionsspektrums und der Infektkette über Vektoren wird durch die Identifikation des Krankheitserregers möglich sein.

In Amerika wurden inzwischen weitere endemische Gebiete der Lyme-Krankheit festgestellt (22).

Epidemiologische Untersuchun- gen in Europa liegen nicht vor.

2. Ätiologie

Burgdorfer und Mitarbeiter (5) konnten aus Zecken Spirochäten isolieren, die bei Kaninchen dem Erythema chronicum migrans ähnliche Hauterscheinungen ver- ursachten und im indirekten Im- munfluoreszenztest mit Antikör- pern aus Serum von Patienten mit Lyme-Krankheit reagierten. Durch Isolierung morphologisch und im- munologisch gleicher Spirochä- ten aus Blut, Hautläsionen und Li- quor cerebrospinalis von Patien- ten mit Lyme-Krankheit wurde die Annahme einer Spirochäten-Ätio- logie erwiesen (4, 25).

Spirochäten wurden auch in Zek- ken (Ixodes ricinus) aus der Schweiz (5) und der Bundesrepu- blik Deutschland (2) gefunden. Ei- ne exakte Klassifizierung der Spi- rochäten steht noch aus, die Zu- gehörigkeit zur Gattung der Bor-

1860 (56) Heft 23 vom 8. Juni 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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aber auch bis zu 5 Wochen nach einem Zeckenbiß auftritt. Dem Erythema chronicum migrans können Wochen und Monate spä- ter neurologische sowie kardiale Krankheitsmanifestationen und oft noch später Arthritiden folgen.

Die relative Häufigkeit der Beteili- gung von Haut, Gelenken, ZNS/

peripherem Nervensystem und Herz bei 43 Patienten einer epide- miologischen Studie ist in Abbil- dung 1 dargestellt (21 ). Keine der Krankheitsmanifestationen ist ob- ligat. Auch das Leitsymptom der Erkrankung, das Erythema chroni- cum migrans, ist in einigen Fällen nicht vorhanden.

3.1 Frühe Krankheits- manifestationen (Tabelle 1) ..". Das Erythema chronicum mi- grans ist typischerweise ein sich von einem kleinen zentralen Ery- them oder einer Papel peripher- wärts ausbreitendes, ringförmiges Erythem {Abbildung 2), dessen Zentrum sich im Verlauf rötlich-li- vide verfärbt oder abblaßt. Das Erythem ist überwärmt, die Pa- tienten verspüren oft Brennen, Schmerzen oder Juckreiz im Be- reich der Hautläsion. Neben dem initialen Erythem können auch multiple weitere Ringerytheme auftreten. Das Erythem heilt ohne Therapie innerhalb von Tagen bis mehreren Monaten ab, wobei in- termittierendes Wiederauftreten möglich ist. Diffuse urtikarielle Ex- antheme, Wangenerytheme, peri- orbitale Ödeme und Konjunktivi- den traten bei einigen Patienten gleichzeitig mit dem Erythema chronicum migrans auf.

..". Im frühen Krankheitsstadium können multiple unspazifische Symptome vorhanden sein. Die subjektiven Beschwerden der Patienten haben typischerweise schnell intermittierenden und wechselnden Charakter. Allge- meines Krankheitsgefühl, Abge- schlagenheit, Kopfschmerzen, Fieber, Nackensteifigkeit, Arthral- gien, Myalgien sowie Lymphade-

nopathien wurden am häufigsten beobachtet. Die Arthralgien und Myalgien dauern oft nur Stunden und wandern schnell. Während der ersten Wochen der Erkran- kung sind Arthritiden selten. Übel- keit, Erbrechen, Gewichtsverlust in Verbindung mit rechtsseitigen Oberbauchschmerzen und der Befund einer Hepatomegalie las- sen an eine entzündliche Mitreak- tion der Leber denken. Hais- schmerzen, Husten und Thorax- schmerzen sind mögliche Sym- ptome von seiten des Respira- tionstraktes (26).

Erythema chronicum migrans Urtikarialies Exanthem, Wangenerythem, periorbitales

Ödem, Konjunktivitis

Lymphadenopath ie

Kopfschmerzen, Nackenstei- figkeit, Photophobie, schmerzhafte Augenmotilität Arthralgien, Myalgien, Arthriti- den (selten im Frühstadium) Übelkeit, Erbrechen, Gewichtsverlust, Oberbauchschmerzen, Diarrhö

Hepatomegal ie

Halsschmerzen, Husten, Thoraxschmerzen Tabelle 1:

Frühe Krankheitsmanifestationen

3.2 Späte Krankheits- manifestationen (Tabelle 2)

..". Kardiologische Manifestatio- nen. Die Herzbeteiligung bei der Lyme-Krankheit ist relativ selten. Sie tritt meist vor dem Abklingen des Erythema chronicum migrans auf und dauert wenige Tage bis ei- nige Wochen. Am häufigsten fin- den sich atrioventrikuläre Überlei- tungsstörungen bis zum komplet- ten AV-Biock. Der Grad der AV- Biockierung kann sich im Verlauf der Erkrankung schnell ändern.

Weitere Befunde der Herzbeteili- gung sind Veränderungen des 1862 (58) Heft 23 vom 8. Juni 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

ST-T-Segmentes, Vorhofflimmern und ventrikuläre Extrasystolen. Szintigraphische Untersuchungen ergaben Zeichen einer ei nge- schränkten Funktion des linken Ventrikels. Auch Perikarditis und Kardiomegalie wurden beobach- tet. lnfolge der genannten Abnor- malitäten kommt es zu Herzklop-

fen, pektanginösen Beschwerden,

Zeichen der Herzinsuffizienz und zu Synkopen (24).

..". Neurologische Manifestatio- nen. Die Erstbeschreibung der Meningopolyneuritis (oder Radi- kulomyelomeningitis) in Assozia- tion mit dem Erythema chronicum migrans geht auf Garin und Buja- doux in Frankreich 1922 (8) und Bannwarth in Deutschland 1941 (3) zurück. Ausführliche Arbeiten über diese Erkrankung finden sich auch später im deutschen Schrifttum (14, 17). Neurologische Untersuchungen im Zuge der Er- forschung der Lyme-Krankheit ha- ben in Ergänzung zu dem bekann- ten Krankheitsbild insbesondere auf das Vorkommen auch enze- phalitiseher Erscheinungen hin- gewiesen.

Die Beteiligung des Nervensy- stems ist außerordentlich vielsei- tig, es kann zu Zeichen einer Me- ningitis, Enzephalitis, kranialen Neuritis, motorischen und senso- rischen Radikuloneuritis, Mono- neuritis multiplex, Myelitis und möglicherweise zu Hemiparesen kommen. Auch die neurologi- schen Manifestationen können über viele Monate intermittierend auftreten (16).

Streng zu trennen von neurologi-

schen Symptomen bei der Lyme- Krankheit ist die ebenfalls durch Zecken übertragene Frühsom- mer-Meningoenzephalitis, bei der es sich um eine Viruserkrankung handelt.

..". Lyme-Arthritis. Die Lyme-Ar- thritis ist charakterisiert durch akuten Beginn und intermittieren- den Verlauf. Die einzelnen Attak- ken dauern oft nur wenige Tage und alternieren mit wochenlan-

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gen Remissionen. Sie ist monarti- kulär oder oligoartikulär, bevor- zugt sind große Gelenke befallen. Am häufigsten kommt es zu Knie- gelenksarthritiden mit massiver Schwellung und Überwärmung, z. T. mit Baker-Zysten, die ruptu- rieren können. Der attackenförmi- ge Verlauf der Lyme-Arthritis hält Monate und Jahre an, der Über- gang in chronisch erosive Arthriti- den der Kniegelenke ist möglich. Schnell wandernde Arthralgien sind ebenfalls charakteristisch für die Gelenkbeteiligung bei der Lyme-Krankheit (19, 20, 23).

4. Laborbefunde

Die häufigsten pathologischen La- borbefunde bei der Lyme-Krank- heit sind beschleunigte Blutsen- kung und erhöhte Serum-lgM- Spiegel. Im Differentialblutbild kommt eine Linksverschiebung bei normaler oder erhöhter Leuko- zytenzahl vor. Anämie, hohe Leber- transaminasen, Proteinurie und Mikrohämaturie sind seltenere, passagere Befunde (26).

Der Nachweis von Kryoglobulinen und zirkulierenden Immunkom- plexen mit niedrigen Werten der Komplementkomponenten C3 und C4 deutet auf immunpathogeneti- sche Mechanismen der Erkran- kung hin (1 0, 20). All diese Laborbe- funde sind jedoch nicht obligat vorhanden und können sich ent- sprechend dem intermittierenden Verlauf der Erkrankung schnell ändern.

Synoviaanalysen von Kniegelenks- arthritiden ergeben erhöhte Leu- kozytenzahlen um 26 000 Zellen/

mm3, wobei es sich vorwiegend um Granulozyten handelt (19). Bei Pa- tienten mit klinischen Zeichen ei- ner Meningitis zeigen Liquorun- tersuchungen Iymphozytära Pleo- zytose, verminderten Glukosege- halt und erhöhte Proteinwerte (16). Durch den Nachweis des Krankheitserregers ergibt sich jetzt auch die Möglichkeit, die Ly- me-Krankheit immunserologisch nachzuweisen.

....

Kardiologische

Manifestationen: Perikarditis Myokarditis

....

Neurologische

Manifestationen: Meningitis Enzephalitis kraniale Neuritis

motorische und sensorische Radikulaneuritis

Mononeuritis simplex Myelitis

....

Lyme-Arth ritis:

Monarthritis Oligoarthritis Tabelle 2:

Späte Krankheitsmanifestationen

5. Therapie

Eine frühe antibiotische Therapie des Erythema chronicum migrans führt zu einem schnelleren Ab-

klingen der Hautsymptomatik und

unterbindet weitgehend die Ent- wicklung schwerwiegender später Krankheitsmanifestationen.

Aufgrund einer Untersuchung von Steere und Mitarbeitern (27) ist Tetracyclin (4 x 250 mg/die) das Antibiotikum erster Wahl. Nach ei- ner Behandlung von 88 Patienten mit Erythema chronicum migrans traten in keinem Fall schwere Spätmanifestationen (Myokar- ditis, Meningoenzephalitis, rezidi- vierende Arthritis) auf. Dagegen wurden bei 3 von 40 mit Penicillin (4 x 250 mg Phenoxymethyi-Peni- cillin/die) und bei 4 von 29 mit Ery- thromycin (4 x 250 mg/die) be- handelten Patienten diese schwe- ren Spätmanifestationen beob- achtet. Zu sogenannten leichte- ren Spätsymptomen (überwie- gend Arthralgien, weniger als zwei Wochen dauernde Arthriti- den und Kopfschmerzen, aber auch sehr seltene Fazialisparesen und supraventrikuläre Tachykar- dien wurden hinzugezählt) kam es trotz antibiotischer Therapie bei

Lyme-Krankheit

nahezu der Hälfte cier behandel- ten Patienten. Die Anti:Jiotika- Therapie wurde über 10 Tage durchgeführt und bei Persistenz der Hautsymptomatik oder einem Rezidiv 10 Tage wiederholt. Wäh- rend der ersten 24 Stunden der Therapie kam es bei einigen Pa- tienten zu einer der Herxheimer- Jarisch-Reaktion-ähnlichen Sym- ptomatik. ln weiteren Untersu- chungen muß noch geklärt wer-

den, ob durch eine höher dosierte

Antibiotika-Therapie des Erythe- ma chronicum migrans das Auf- treten von späten Krankheitsma- nifestationen völlig verhindert werden kann. Offene Fragen zur Therapie der kardialen und neuro- logischen Symptome sowie der Arthritiden sind verknüpft mit der ungeklärten Pathogenese dieser Manifestationen. Wird die Krank- heit durch eine Persistenz des Er- regers in Gang gehalten, so müßte erneut mit Antibiotika behandelt werden. Eine erfolgreiche antibio- tische Therapie neurologischer Spätmanifestationen wurde in einzelnen Fällen berichtet (30), wobei die Wertigkeit dieser Beob- achtung bei einer Erkrankung mit einem solchen variablen Verlauf an größeren Fallzahlen noch überprüft werden muß.

Denkbar wäre auch, daß die Spät- manifestationen Folge eines in- zwischen vom Erreger unabhängi- gen Autoimmunprozesses sind, der bereits im frühen Krankheits- stadium initiiert worden ist. Die therapeutische Konsequenz wäre dann eine antiphlogistische und immunsuppressive Therapie. Kor- tikosteroide haben einen schnel- len therapeutischen Effekt auf kardiale Komplikationen (24), ebenso supprimieren sie neurolo- gische Symptome (16). ln einem Fall wurde über die erfolgreiche Behandlung einer chronischen Lyme-Arthritis mit Hydroxychloro- quin berichtet (7). Diese Erfahrun- gen sprechen zwar für die Annah- me immunpathogenetischer Me- chanismen, schließen jedoch die gleichzeitige Bedeutung persi- stierender Erreger für die Krank- heitsaktivitätnicht aus. Sowohl ei- Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 23 vom 8. Juni 1984 (59) 1863

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ne antiphlogistische (symptomati- sche) als auch antibiotische (kau- sale) Therapie könnte gerechtfer- tigt sein.

6. Kommentar

Durch die Beschreibung der Lyme-Krankheit als nosologische Entität wurden bereits bekannte dermatologische und neurologi- sche Krankheitsbilder Teil eines klinischen Spektrums, das nun auch in der Pädiatrie, Inneren Me- dizin, Orthopädie und Allgemein- medizin Berücksichtigung finden muß. Die frühe Therapie des Ery- thema chronicum migrans mag die Bedeutung anderer als der- matologischer Aspekte zurück- drängen, andererseits lassen sich auf Grund der bisher vorliegen- den Therapieerfahrungen nicht al- le Spätmanifestationen verhin- dern. Da auch 'das Leitsymptom der Erkrankung, das Erythema chronicum migrans, nicht obligat ist, muß mit der Möglichkeit des primären Auftretens später Krank- heitsmanifestationen gerechnet werden.

Während die Diagnose einer klas- sischen Lyme-Krankheit klinisch gestellt werden kann, müßten sol- che Verlaufsformen der Erkran- kung mit Hilfe serologischer Me- thoden gesichert werden. Über die Häufigkeit dieser ohne voraus- gehendes Erythema chronicum migrans auftretenden Krankheits- formen kann noch keine Aussage gemacht werden. Aufmerksam- keit sollte z. B. häufig vorkom- menden ungeklärten Arthritiden geschenkt werden, wobei mit Be- rücksichtigung eines intermittie- renden Verlaufes vor allem an die oft unbefriedigenden Diagnosen

„Hydrops intermittens" und „pa- lindromer Rheumatismus" ge- dacht werden muß. Ebenso wie die genetische Prädisposition des Empfängers die Schwere des Krankheitsverlaufes determinie- ren mag (23), wäre zu diskutieren, ob unterschiedliche Spirochäten verschiedene Krankheitsausprä- gungen bedingen.

Die ätiologische Abklärung der Lyme-Krankheit wird sicher die Suche nach einer Infekt-Ätiologie anderer immunvermittelter Er- krankungen stimulieren. Die Übertragung von Erregern durch ubiquitär vorkommende Vektoren wäre denkbar. In diesem Zusam- menhang ist das Auftreten einer

„essentiellen Kryoglobulinämie"

mit Purpura, Arthritis, Perikarditis und Pleuritis in zeitlichem Zusam- menhang mit einem Insektenstich (eigene Beobachtung) erwäh- nenswert.

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Md. 99 (1983) 22-26

Das vollständige Literaturver- zeichnis befindet sich im Sonder- druck, zu beziehen über die Ver- fasser.

Anschrift der Verfasser:

Dr. med. Peter Herzer Professor Dr. med.

Nepomuk Zöllner Medizinische Poliklinik der Universität

Pettenkoferstraße 8a 8000 München 2

Myokardinfarkt bei normalen Koronargefäßen

Die eigentlichen Ursachen von Myokardinfarkten bei Patienten mit koronarangiographisch unauf- fälligen Gefäßen sind bislang nicht völlig geklärt.

In einer retrospektiven Untersu- chung wurden 20 Patienten nach durchgemachtem transmuralen Infarkt ohne Koronarveränderun- gen über einen Zeitraum von 5 Jahren beobachtet. Diese Patien- tengruppe wurde verglichen mit einem Kollektiv von 20 Infarktpa- tienten, die angiographisch gesi- cherte Koronarstenosen aufwie- sen. Es zeigte sich, daß sich in der Gruppe der Infarktpatienten ohne Koronarsklerose mehr Frauen be- fanden (Verhältnis 12:2). Risiko- charakter scheinen für die Infarkt- entstehung ohne Koronarsklerose auch Vorhofarrhythmien (z. B.

Vorhofflimmern) zu haben.

Insgesamt tritt bei diesen Patien- ten vor dem Infarkt seltener Angi- na pectoris auf. Beide Gruppen unterschieden sich hinsichtlich der heute allgemein anerkannten Risikofaktoren Hypertonie-Hyper- lipoproteinämie und Zigaretten- rauchen nicht. Auch Mitralklap- penprolaps-Syndrome waren in beiden beobachteten Patienten- gruppen gleich häufig.

Auffallend war jedoch, daß bei den Infarktpatienten ohne Koro- narsklerose viel häufiger eine Migräne und ein Raynaud-Phäno- men auftraten. Dies bestätigt frü- here Befunde, die zeigen, daß die Migräne, das Raynaud-Phänomen und die vasospastische Angina pectoris pathophysiologisch Ge- meinsamkeiten haben. dem

Ciraulo, D. A.: Breshnahan, G. F.: Franke!, P. S.

et al.: Transmural myocardial infarction with normal coronary angiograms and with single vessel coronary obstruction, Chest 83 (1983) 192-202, Daniel Freeman Medical Center, In- glewood, Canada

1866 (62) Heft 23 vom 8. Juni 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

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