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V Mobilmachung der Forscher

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© 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 1617-9439/14/0707-3 Physik Journal 13 (2014) Nr. 7 3 M E I N U N G

Meinung von Prof. Roy Mac- Leod, University of Sydney. Der Wissenschaftshistoriker hat bei der DPG-Jahrestagung in Berlin den Max-von-Laue-Vortrag „The Scientists go to war: Questions, Contexts and Consequences, 1914 – 1918“ gehalten.

V

or hundert Jahren begann der gigantische Kampf, den Histo­

riker später „Großer Krieg“ nennen sollten. Vier Jahre später musste die Karte der Welt neu gezeichnet wer­

den, viele Gewissheiten waren zer­

stört. An den „wissenschaftlichen Krieg“ erinnern heute vor allem Bilder der geschundenen Erde der Schlachtfelder, von versenkten Schiffen, abgeschossenen Flugzeu­

gen und vom Gas vergifteten Sol­

daten. Doch die Geschichte reicht viel tiefer. Frei nach Clausewitz wandelte sich der Krieg zu einer Fortsetzung der Wissenschaft mit anderen Mitteln. Der erste Krieg, an dem sich alle Industrienationen beteiligten, mobilisierte die Natur­

wissenschaftler im nationalen Maßstab. Seitdem bestimmte die Anwendung der Wissenschaft das Schicksal der Nationen ebenso wie die Art ihrer Konflikte.

Die Zahl und Vielfalt neuer Waffen war beispiellos – Panzer, Granaten, Flammenwerfer, Giftgas, U­Boote und Flugzeuge waren nur die augenfälligsten. Die Wis­

senschaft trug nicht nur dazu bei, Krieg zu führen, sie verlängerte und verschlimmerte ihn sogar. So hat das Haber­Bosch­Verfahren, mit dem Deutschland das britische Nitrat­Embargo überstand, den Krieg wohl um zwei Jahre ver­

längert.

Indem die „dienstverpflichtete Wissenschaft“ sowohl neue Waf­

fen lieferte als auch Leben rettete, besann sie sich auf das doppelte Erbe der Aufklärung: Einerseits förderte sie das Streben nach Ver­

nunft, andererseits schadete sie der Humanität. Die Wissenschaftler ernteten Lob für den patriotischen Einsatz ihres Wissens und Tadel für ihren Anteil an den schrecklichen Folgen dieses Einsatzes. Sie hatten den „totalen Krieg“ nicht erfunden, aber seine Auswirkungen um vieles schrecklicher gemacht.

Auch die Forschergemeinde er­

lebte einen großen Wandel. In den kriegsführenden Ländern warfen die meisten Wissenschaftler ihr Bekenntnis zur Internationalität über Bord. Im Jahrzehnt nach dem ersten Nobelpreis 1901 hatten noch mehr internationale Kongresse stattgefunden als im ganzen 19.

Jahrhundert. Doch nun zerfiel die Welt in verfeindete Lager, und Freundschaften lösten sich auf:

Walther Nernst und Ernest Ru­

therford, Wilhelm Wien und J. J.

Thomson hatten noch 1913 bei der Solvay­Konferenz nebeneinander gesessen. Nun waren sie Feinde.

Wütend schlossen gelehrte Ge­

sellschaften ihre „verfeindeten“ Mit­

glieder aus oder drohten es an. Die französische Wissenschaft machte gleich von Anfang an mobil, ebenso die Royal Society of London, doch für viele begann der „Krieg der Wissenschaftler“ im Oktober 1914 mit dem berüchtigten Aufruf „An die Kulturwelt!“, den Max Planck und 92 andere führende deutsche Wissenschaftler unterzeichnet hat­

ten. Als Folge beschäftigten sich die

„Soldaten der Wissenschaft“ mit Feindortung, Funkkommunikati­

on oder Sprengstoffen. Der Krieg wurde nun zu einem Wettstreit der Köpfe genauso wie der Maschinen.

Als 1918 der Waffenstillstand geschlossen wurde, war die inter­

nationale Wissenschaft längst poli­

tisch geworden und hatte sich po­

litisiert. Neue Bündnisse zwischen Hochschule, Militär und Industrie hatten sich gebildet. Die Alliierten erkannten Grundlagenforschung nun als nationales Kapital, das von der Regierung unterstützt wer­

den musste. Damit war ein Sieg errungen, den Generationen von Wissenschaftlern zu Friedenszeiten vergeblich erstrebt hatten. Der Krieg war „die größte Chance, um die Forschung voranzubringen, die wir jemals hatten“, wie es ein

führender amerikanischer Forscher ausdrückte.

In Deutschland und Mittel­

europa saß der Schock tiefer, die Schäden waren größer. In Versailles wurden nicht nur die politischen Grenzen neu gezogen, sondern auch die der Wissenschaft. Die deutschen und österreichischen Mitglieder wurden aus internatio­

nalen Wissenschaftsorganisationen ausgeschlossen und fürchteten in den Folgejahren eine Krise der Wissenschaft. Mitten im in­

tellektuellen Aufruhr, der mit Quanten­ und Relativitätstheorie einherging, erhoffte sich die Gesell­

schaft moralische Führung, aber auch praktische Resultate von der Wissenschaft. 1927 warf der fran­

zösische Philosoph Julien Benda den Intellektuellen vor, Idealismus und Internationalismus verraten zu haben. In Reaktion darauf gewan­

nen Materialismus und Idealismus neue Anziehungskraft. Der Krieg veranlasste den aus Belgien in die USA geflohenen Wissenschaftler George Sarton, aus einem „wissen­

schaftlichen Humanismus“ heraus die Wissenschaftsgeschichte neu zu begründen. Solche Ansätze waren jedoch selten und nur von kurzer Dauer. Die Wissenschaft hatte zwar ein Bewusstsein entwickelt, aber noch kein Gewissen. In den Augen der Mehrheit hatte die Wissen­

schaft ihren Zweck erfüllt. Manche ahnten wohl bereits ihre Bedeutung für den nächsten Krieg, der nur zwanzig Jahre auf sich warten ließ.

Mobilmachung der Forscher

1914 zogen nicht nur die Industrienationen, sondern auch die Wissenschaftler in den Krieg.

Roy MacLeod

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