Zur Fortbildung Aktuelle Medizin ÜBERSICHTSAUFSATZ
Diuretika gehören bei älteren Pa- tienten zu den am häufigsten ver- schriebenen Medikamenten (33)*).
Wegen der unter Diuretikaeinnah- me gesteigerten renalen Kalium- verluste und gelegentlich klinisch bedeutsamer Kaliummangelzu- stände werden in großem Umfang prophylaktisch orale Kaliumsub- stitutionspräparate oder kalium- sparende Diuretika verordnet (29).
In der neueren Literatur bestehen kontroverse Auffassungen dar- über, ob die diuretikainduzierte Hypokaliärnie eine ernsthafte und damit behandlungsbedürftige Be- drohung für den Patienten dar- stellt oder ob diese Form der Hy- pokaliämie bis zu einem gewissen Grenzwert als eine Laborabwei- chung ohne klinische Bedeutung tolerierbar ist (9, 12, 29).
Gerade bei älteren, diuretikabe- dürftigen Patienten, bei denen durch das Alter selbst (3) und durch die Grunderkrankung —z. B.
Herzinsuffizienz und Hypertonie — häufig eine Einschränkung des Glomerulumfiltrates besteht, ist die Anwendung von kaliumspa- renden Diuretika durch ein erheb- liches Hyperkaliämierisiko bela- stet (5, 8, 10, 19, 30, 32).
Angesichts der steigenden Ver- schreibungshäufigkeit dieser Sub- stanzen (9) möchten wir über fünf Patienten mit z. T. lebensbedrohli- cher Hyperkaliämie nach Einnah- me von Kaliumsparern berichten.
Über die wesentlichen klinischen Daten dieser Patienten unterrich- tet Tabelle 1.
Bei den fünf Krankheitsverläufen handelt es sich um Patienten, die in der Zeit von Juli 1981 bis Sep- tember 1982 wegen lebensbedroh- licher Hyperkaliämie in unserer Klinik behandelt wurden. Alle fünf Patienten waren über 70 Jahre alt, und bei allen bestand bei der Auf- nahme eine deutliche Einschrän- kung der Nierenfunktion (Erhö- hung des Serum-Kreatinin).
4 Patienten wurden mit Spirono- lacton (Aldactone®) in einer Dosie- rung von 50 mg bis 100 mg (Fall 1, 2, 3 und 5) und 1 Patient (Fall 4) mit Triamteren (Diucomb®) 50 mg behandelt.
Bei den Patienten 2 und 3 war eine Niereninsuffizienz bekannt. In Fall 4 und 5 waren keine genauen ana- mnestischen Angaben zu erhalten, im Fall 1 war 6 Monate vorher ein normaler Serum-Kreatininwert do- kumentiert.
Da unter der Einnahme von Spiro- nolacton (Aldactone®) eine Ver- schlechterung der Nierenfunktion bei älteren Menschen beschrieben worden ist (19), ist anzunehmen, daß diese Therapie bei Fall 1, 2, 3 und 5 zu einer Abnahme der Nie- renfunktion geführt hat. Die Pa- tienten 1, 2, 3 und 4 zeigten bei Aufnahme eine ausgeprägte kör- perliche Schwäche, und in 2 Fäl- len (3 und 4) fand sich eine erheb-
Die Therapie älterer Men- schen mit kaliumsparenden Diuretika ist durch ein hohes Hyperkaliämierisiko belastet.
Unter anderem kann sich die Nierenfunktion verschlech- tern. Insbesondere scheint ei- ne Kombination mit Antirheu- matika der Klasse der Prosta- glandinsynthesehemmer die Entstehung einer Hyperkali- ämie noch zu begünstigen.
liche Verwirrtheit. Patient 2 wies zusätzlich zu einer generalisierten Muskelschwäche eine komplette Lähmung des rechten Armes auf, die sich nach Normalisierung des Serum-Kaliums vollständig zu- rückbildete.
Udezue et al. (30) berichten über einen ähnlichen Fall einer reversi- blen, Spironolacton-induzierten und hyperkaliämischen Muskel- lähmung.
Die bei Spironolacton gelegent- lich beobachtete Hyponatriämie (8) war bei unseren Patienten nicht nachweisbar. Lediglich in dem Fall 5 fanden sich im EKG keinerlei Hyperkaliämiezeichen.
Bei den Fällen 1 bis 4 ließ das Aufnahme-EKG eine deutliche QRS-Verbreiterung und hohe, spitze T-Wellen erkennen.
Eine Bradyarrhythmie ohne Nach- weis von P-Wellen bestand bei den Patienten 1, 3 und 4, welche bei 2 Patienten (Fall 1 und 4) eine tem- poräre Reizsonde notwendig machte.
Die bradykarden Herzrhythmus- störungen bei Fall 1 sind zusätz- lich auf eine Digitalisüberdosie- rung (Digoxinspiegel 4,9 ng/ml) zurückzuführen. Ventrikuläre Ek- topien wurden nur beim Fall 1 be- obachtet. Bei diesem Patienten
*) Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis des Sonderdrucks.
Kaliumsparende Diuretika im Alter
Generell nicht gerechtfertigt
Thomas Eisenhauer, Matthias Leschke, Fritz Scheler
Aus der Medizinischen Klinik
und Poliklinik, Abteilung Nephrologie (Leiter: Professor Dr. med. Fritz Scheler), der Universität Göttingen
54 Heft 37 vom 16. September 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A
Fall 1 71 Jahre
Fall 5 70 Jahre Fall 2
74 Jahre
ph 7,34
Fall 4 9
93 Jahre Fall 3 9
84 Jahre Vorkrank-
heiten
Herzinsuffizienz bei KHK
Z. n. Hinterwandinfarkt Extrasystolie Diabetes melitus II
KHK Hypertonie Niereninsuffizienz (Kreatinin 3,0 mg-
%)
Herzinsuffizienz bei KHK,
Hypertonie Niereninsuffizienz (Kreatinin 2,0 mg-%)
Herzinsuffizienz Hypertonie
PCP, Herzinsuffi- zienz
V. a. nephrotisches Syndrom
Aufnahme- grund
Körperliche Schwäche Oberbauchbe- schwerden Bradykardie
Generalisierte Muskelschwäche Pseudoparese des rechten Armes
Verwirrtheit körperliche Schwäche
Kollaps Bradykard ie Verwirrtheit
Ausgeprägte Ödeme
Methyldigoxin 0,15 mg (Lanitop®)
ISDN 4 x 40 mg (Isoket®)
Pindolol 3 x 2,5 mg (Visken®)
Chlortalidon 50 mg (Hygroton®) jeden 2.
Tag
Chinidinhydrogensul- fat 4 x 250 mg (Opto- chinidin ret.e) Tolbutamid 1 g (Ra- stinon®)
Allopurinol 300 mg (Zy- loric®)
Diclofenac-Natrium 100 mg (Voltaren®) Spironolacton 100 mg (Aldactone®)
Methyldigoxin 0,2 mg (Lanitop®) Spironolacton 100 mg (Aldactone®) Furosemid 20 mg (Lasix®)
Digitoxin 0,2 mg (Di- gimerck®) Nitrofurantoin (Fu- radantin ret.®) 2 x 100 mg
Spironolacton (Al- dactonee) Xipamid 4 mg Reserpin 0,1 mg (Durotan®)
Naftid rofu rylhyd ro- genoxalat 3 x 1 (Dusodril®) Triamteren 50 mg (Diu- comb®) Bemetizid 25 mg
Indometacin 50 mg (Amuno®)
Piroxicam 2 x 10 mg (Felden®)
(3-Acetyldigoxin 0,2 mg (Novodigal®) Spironolacton 50 mg (Aldactone salt.®) Butizid 5 mg (Osyrol Lasix® )Spironolac- ton 50 mg*) Furose- mid 20 mg*) Triamcinolon 4 mg (Volon®) *) = unre- gelmäßig
Kalium (mval/I) Kreatinin (mg-%)
8,3-9,9 8,2 9,8 7,2 6,2
2,3 3,7 4,3 2,7 1,8
Digoxinspiegel (ng/ml)
4,9 0,4 0,8
QRS-Verbreite- rung hohe, spitze T- Wellen
Bradyarrhythmia ab- soluta
verbreiterter QRS- Komplex hohe, spitze T- Wellen
Bradyarrhythmia V. a. Sinusarrest QRS-Verbre ite- ru ng
hohe, spitze T- Wellen EKG-Zeichen AV-Block III
QRS-Verbreitung hohe, spitze T-Wellen
Komplika- tionen
Herzstillstand — Schrittmachersonde Rezidivierende Kam- me rtachyka rd ien Tod im Herz- und Kreislaufversagen
Schrittmacher- sonde
Therapeuti- sche Maßnahmen
Hämodialysebehand- lung
Resonium Fu rose m id (Lasix®) Glukose-Insulin Natriumbikarbonat Kalzium
Resonium Resonium
Furosemid (Lasix®) Furosemid (Lasix®) NaCI-Infusion Natriumbikarbonat
Furosemid (Lasix®) Resonium
Absetzen von Ka- liumsparern Furosemid (Lasix®)
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Kaliumsparende Diuretika
Tabelle 1: Klinische Daten
Ausgabe A DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 80. Jahrgang Heft 37 vom 16. September 1983 57
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin
Kaliumsparende Diuretika
bestand eine auch autoptisch nachgewiesene schwere koronare Herzerkrankung, die schließlich für den Tod des Patienten verant- wortlich war.
Bemerkenswert ist, daß bei 3 Fäl- len zusätzlich Antiphlogistika (Di- clofenac [Voltaren®] bei Fall 1, In- dometacin [Amuno®] bei Fall 4 so- wie Piroxicam [Felden®[ bei Fall 5) eingenommen worden waren.
Dies könnte ein begünstigender Faktor in der Entstehung der Hyperkaliämie sein, da bekannt ist, daß Indometacin durch Hem- mung der renalen Prostaglandin- synthese zu einer Abnahme der Nierendurchblutung sowie zu ei- nem hyporeninämischen Hypoal- dosteronismus führt (1, 6, 7, 23, 24, 28, 34).
Im Alter kommt es bekanntlich zu einer kontinuierlichen Abnahme der Nierenfunktion (20). Schon 1949 konnten Davis und Shock (3) zeigen, daß die glomeruläre Filtra- tion vom 70. Lebensjahr an bei ge- sunden Probanden deutlich abfällt und in der Altersgruppe der 80- bis 90jährigen um fast die Hälfte ver- mindert ist. Bei langjährigem Hy- pertonus ist mit einer zusätzlichen Beeinträchtigung der Nierenfunk- tion zu rechnen.
Zur Prophylaxe von Kaliumman- gelzuständen werden in zuneh- mendem Maße kaliumsparende Diüretika verordnet. So wurden in den USA im Jahre 1981 etwa 19 Millionen Rezepte für Kaliumspa- rer ausgestellt (9). Eine gefürchte- te Nebenwirkung dieser Substan- zen ist die Hyperkaliämie. Das Hy- perkaliämierisiko steigt deutlich bei eingeschränkter Nierenfunk- tion. Von etwa 800 hospitalisierten Patienten entwickelten 8,6 Pro- zent unter Spironolactoneinnah- me eine klinisch bedeutsame Hy- perkaliämie. Bei Harnstoffwerten über 50 mg/100 ml steigerte sich die Hyperkaliämiehäufigkeit auf 20,3 Prozent (8).
Aufgrund unserer Beobachtungen und einer kritischen Wertung der neueren Literatur (2, 12, 13, 17, 18,
19) sollte die Indikationsstellung von Kaliumsparern insbesondere bei älteren Menschen neu über- dacht werden. So führt die diureti- sche Behandlung nichtödematö- ser, hypertensiver Patienten lang- fristig nur ausnahmsweise zu ei- ner Senkung des Serum-Kaliums unter 3,0 mval/I (14, 15, 16).
Außer bei digitalisierten Patienten wurden bei diesen Kaliumwerten keine schwerwiegenden Neben- wirkungen beobachtet (14). Mor- gan und Davidson (17) fanden in ihrer Literaturanalyse einen über- raschend geringen Serum-Kalium- abfall zwischen 0,3 mval/1 und 0,6 mval/I bei Langzeiteinnahme von Furosemid bzw. Thiaziden in übli- cher Dosierung.
Andere Autoren konnten jedoch eine gesteigerte Rate ventrikulärer Ektopien schon bei Kaliumwerten unter 3,9 mval/I auch bei nichtdigi- talisierten Patienten beobachten (2, 4, 11, 12, 13, 22, 25). Basierend auf diesen Arbeiten wurde in den letzten Jahren eine aufwendige prophylaktische Behandlung mit Kaliumsubstitution und kalium- sparenden Diuretika betrieben. In- wieweit eine orale Kaliumsubstitu- tion eine diuretikainduzierte Hypo- kaliämie überhaupt ausgleichen kann, ist nicht belegt (18, 29). In einer Übersicht stellt Harrington (9) fest, daß lediglich bei digitali- sierten Patienten der Zusammen- hang zwischen Hypokaliämie und malignen ventrikulären Rhythmus- störungen gesichert ist (26, 27).
Owohl unter Hypokaliämie die ventrikuläre Ektopie gesteigert ist, liegen keine schlüssigen Beweise dafür vor, daß diese Rhythmusstö- rungen bedrohlich sind. Anderer- seits muß bei der Verordnung ka- liumsparender Diuretika beson- ders bei älteren und niereninsuffi- zienten Patienten mit einer Zunah- me lebensbedrohlicher Hyperka- liämien gerechnet werden.
Zusammenfassend ergibt sich un- seres Erachtens für die Praxis:
Bei älteren Patienten (> 70 J.) steigt das Hyperkaliämierisiko un-
ter kaliumsparenden Diuretika sprunghaft an. Deshalb sollte nur in Ausnahmefällen — Leberzirrho- se, schwere Herzinsuffizienz, Pa- tienten mit deutlicher Hypokali- ämie — und unter engmaschiger Kontrolle des Serumkaliums und der Nierenfunktion eine Behand- lung mit diesen Medikamenten durchgeführt werden.
• Die Kombination kaliumspa- render Diuretika mit Prostaglan- dinsynthesehemmern (Antirheu- matika) scheint zu einer Verstär- kung der Hyperkaliämiegefahr zu führen und bedarf deshalb einer besonderen Überwachung.
O Darüber hinaus ist eine pro- phylaktische Kaliumsubstitution oder der generelle Einsatz von ka- liumsparenden Diuretika selten gerechtfertigt. Eine Ausnahme bil- den digitalisierte Patienten und Patienten mit SerumKaliumwerten unter 3,0 mval/l.
Literatur
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Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Thomas Eisenhauer Medizinische Universitätsklinik Abteilung Nephrologie
Robert-Koch-Straße 40 3400 Göttingen 58 Heft 37 vom 16. September 1983 80. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A