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Archiv "Grundsätzliche Rechtsfragen bei Zulassungsentziehungen" (19.03.1982)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Jürgen Zwanzig

I. Einleitung

Zur Beantwortung der aufgewor- fenen Rechtsfragen wurde in er- ster Linie die zu §§ 368 a Abs. 6, 368 b Abs. 5 der Reichsversiche- rungsordnung (RVO) und § 97 Abs. 1 Nr. 4 des Sozialgerichtsge- setzes (SGG) ergangene Recht- sprechung des Bundessozialge- richts (BSG) überprüft und ausge- wertet. Auf die ältere Rechtspre- chung des BSG wurde nur inso- weit zurückgegriffen, als sie nach wie vor als gefestigt anzusehen ist, oder für das Verständnis späterer Entscheidungen von Bedeutung ist. Die Rechtsprechung der Tatsa- chengerichte wurde insoweit be- rücksichtigt, als sie nicht im Ge- gensatz zu den Urteilen des BSG steht und zur Veranschaulichung dient. Die einschlägige Literatur hat nur insoweit Eingang in die Darstellung gefunden, als sie der Erläuterung der maßgeblichen Rechtsprechung dient oder Lö- sungsmöglichkeiten für Probleme enthält, die von der Rechtspre- chung bisher offengelassen wurden.

II. „Gröbliche Verletzung kassenärztlicher Pflichten"

Dieses entscheidende Tatbe- standsmerkmal des § 368 a Abs. 6 RVO ist nach der ständigen Recht- sprechung des BSG erfüllt, wenn der Kassenarzt durch die in Rede stehende Pflichtverletzung seine Eignung als Kassenarzt verloren hat. Nur unter dieser Vorausset- zung kann die Kassenzulassung entzogen werden (vgl. BSG, Urteil vom 30. März 1977, BSGE 43, 250 ff.), denn eine Zulassungsent- ziehung wegen gröblicher Pflicht-

verletzung sei nicht Sanktion für strafwürdiges Verhalten, sondern eine Maßnahme der Verwaltung, die allein dazu diene, das System der kassenärztlichen Versorgung vor Störungen zu bewahren und damit funktionsfähig zu erhalten.

Wegen dieses objektiven Siche- rungszwecks rechtfertigen nach Ansicht des BSG selbst gröbliche Pflichtverletzungen eine Entzie- hung der Kassenzulassung — als den letzten und schwersten, nicht selten die wirtschaftliche Existenz berührenden Eingriff in den Kas- senarztstatus — nur, wenn die be- gangenen Verstöße den Arzt unge- eignet für die weitere Teilnahme an der kassenärztlichen Versor- gung machen. Denn nur dann sei die Entziehung zur Sicherung der Versorgung der Versicherten not- wendig und seien disziplinarische Maßnahmen nach § 368 m Abs. 4 RVO nicht ausreichend.

Ob ein Kassenarzt durch eine gröbliche Pflichtverletzung seine Eignung verloren hat, wird in aller Regel davon abhängen, ob das Vertrauensverhältnis zur Kassen- ärztlichen Vereinigung und zu den Krankenkassen so schwer gestört ist, daß diesen eine weitere Zu- sammenarbeit mit ihm nicht zuge- mutet werden kann (vgl. BSGE aaO, 254). Das wird im allgemei- nen der Fall sein, wenn der Kas- senarzt vorsätzlich nicht erbrachte Leistungen abgerechnet hat.

Denn sowohl die Kassenärztliche Vereinigung, bei der die Leistun- gen abzurechnen sind, wie die zahlungspflichtigen Krankenkas- sen, müssen sich wegen der gro- ßen Zahl von Abrechnungsfällen, die sie — solange keine konkreten Verdachtsgründe vorliegen — nicht Selbstmord

schichte der Terminologie spre- chen dafür, daß es so bleiben wird, zumal die romanischen Sprachen und das Angloamerikanische die Vokabel sogar in ihre Allgemein- sprachen übernommen haben.

So bleibt am Ende nur die Frage, wie sich die deutsche Fachspra- che künftig verhalten soll. Nach dem Grundsatz, Wissenschaft ist international, und daher haben sich deutsche Termini technici möglichst eng an die internationa- len anzulehnen, müßten auch wir

„Selbstmord" beibehalten. Daß schon heute das Diskriminierende innerhalb der Fachwelt kaum noch empfunden wird, läßt sich voraussetzen; denn schon früher haben aufgeklärte Geister „Selbst- mord" gesagt, ohne noch in den alten Vorstellungen befangen zu sein.

So schreibt Moritz August von Thümmel, ein vielgelesener Reise- schriftsteller, bereits in der zwei- ten Hälfte des 18. Jahrhunderts von „der Ehre des Selbstmordes, die der Mensch dem Tier voraus hat". Mag der Satz auch ironisch gemeint sein, schon hier ist das Wort nur noch die Schale für ei- nen neuen Inhalt. Außerdem blie- be eine weitere Regel der medizi- nischen Fachsprache gewahrt, wonach der Terminus konstant bleibt, während seine Deutung und Definition jeweils dem neue- sten Wissensstand angepaßt wer- den. Sonst aber bliebe nur das lan- ge Warten auf die „Selbsttötung", die sich seit nunmehr reichlich drei Jahrhunderten nicht durchzu- setzen vermochte und — für die gehobene Allgemeinsprache oh- nehin verfügbar — das Wort „Frei- tod", sofern man sich bewußt bleibt, daß es sich hier um einen Euphemismus für das tatsächliche Geschehen handelt. Übrigens ist gerade die medizinische Fach- sprache sehr reich an beschöni- genden Bezeichnungen.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Markwart Michler Ernst-Putz-Straße 36

8788 Bad Brückenau

THEMEN DER ZEIT

Grundsätzliche Rechtsfragen bei Zulassungsentziehungen

Ausgabe A/B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 11 vom 19. März 1982 65

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Zulassungsentziehungen

im einzelnen auf ihre Richtigkeit überprüfen können, auf die unbe- dingte Ehrlichkeit und Gewissen- haftigkeit des abrechnenden Arz- tes verlassen (vgl. BSG, Urteil vom 18. August 1972 — 6 RKa 28/71 —, BKK 1973, 70, 71).

Daß die Abrechnung nicht ausge- führter Leistungen als eine beson- ders schwerwiegende Pflichtver- letzung anzusehen ist, hat das BSG darüber hinaus in einer Reihe weiterer Entscheidungen unter- strichen (vgl. BSG, Urteil vom 24.

Oktober 1961, SozR Nr. 23 zu

§ 368 a RVO; Urteil vom 28. Febru- ar 1963, SozR Nr. 24 zu § 368 a RVO). Beispielhaft sei angeführt, daß der betroffene Arzt in dem der Entscheidung vom 24. Oktober 1961 zugrunde liegenden Fall zu- gegeben hatte, Leistungen in 14 Fällen für nicht oder nicht in der angegebenen Weise durchgeführ- te Behandlungen abgerechnet zu haben.

In einem Urteil des Landessozial- gerichts Berlin ging es ebenfalls um die Abrechnung nicht erbrach- ter Leistungen, jedoch mit der Be- sonderheit, daß die Falschabrech- nung möglicherweise auf einer nicht ordnungsgemäßen Kartei- führung beruhte.

Auch in diesem Fall hielt das Ge- richt die Entziehung der Zulas- sung für gerechtfertigt. „Denn Verstöße gegen die Verpflichtung einer ordnungsgemäßen Kartei- führung und einer wirkungsvollen Überwachung der Hilfskräfte stö- ren das Abrechnungsverfahren in einem so hohen Maße, daß sie ei- ne gröbliche Pflichtverletzung darstellen" (vgl. LSG Berlin, Urteil vom 6. Dezember 1974 — L7 Ka 8/70

—). Im gleichen Sinne hat auch das Sozialgericht Frankfurt ent- schieden.

Bemerkenswert ist insbesondere, daß dieses Gericht eine gröbliche Pflichtverletzung bereits darin er- blickte, daß Kontrollen bewährter und qualifizierter Angestellter über einen Zeitraum von zwei Quartalen unterblieben. Dadurch

werde das Abrechnungssystem gefährdet (vgl. SG Frankfurt, Urteil vom 23. 2. 1977 — S 5 Ka 38/76 —).

Aus der dargestellten Rechtspre- chung ergibt sich, daß bereits ob- jektive Verstöße gegen eine pein- lich genaue Leistungsabrechnung eine gröbliche Pflichtverletzung im Sinne des § 368 a Abs. 6 RVO und der entsprechenden Vor- schriften der Zulassungsordnun- gen darstellen und zur Zulas- sungsentziehung führen können.

Das gilt selbst für zahlenmäßig re- lativ geringfügige Verstöße. Her- vorzuheben ist ferner, daß die Fra- ge nach der individuellen Schuld nicht im Rahmen der Prüfung, ob eine gröbliche Pflichtverletzung vorliegt, sondern im Rahmen des Ermessens, ob eine Entziehung stattzufinden hat, vorzunehmen ist. Dies hat das BSG in seinem Urteil vom 28. Februar 1963 (SozR Nr. 24 zu § 368 a RVO) ent- schieden.

III. Die Bedeutung der individuellen Schuld

Der Frage nach der Bedeutung der individuellen Schuld kommt ins- besondere dann Bedeutung zu, wenn die Falschabrechnung bei- spielsweise auf einem entschuld- baren Tatbestandsirrtum beruht.

Bereits in den zitierten Entschei- dungen sind die Begriffe des Vor- satzes bzw. der groben Fahrlässig- keit wiederholt aufgetaucht, ohne jedoch in ihrer Bedeutung für das Entziehungsverfahren eindeutig beschrieben worden zu sein. Be- sonderer Anlaß zu einer diesbe- züglichen Untersuchung besteht auch deshalb, weil zu dem ange- sprochenen Problem unterschied- liche Auffassungen vertreten werden.

Heinemann/Liebold vertreten in ih- rem Kommentar zum Kassenarzt- recht (5. Auflg., 6. Lieferung, Stand 1980 zu § 368 a RVO) mit dem LSG Berlin (Urteile vom 24.

Mai 1957 und vom 13. Mai 1955) die Ansicht, daß die gröbliche Ver- letzung kassenärztlicher Pflichten mit dem „wichtigen Grund" zur

Lösung eines Dauerschuldverhält- nisses gleichzusetzen sei, der ebenfalls kein Verschulden des Vertragspartners voraussetze. Die- ser Auffassung kann im Hinblick auf die jüngere Rechtsprechung des BSG jedoch nicht beigetreten werden.

in dem bereits zitierten Urteil vom 28. Februar 1963 (SozR Nr. 24 zu

§ 368 a RVO) hat das BSG ent- schieden, daß das Vorliegen glaubhaft vorgebrachter Entschul- digungsgründe die Annahme ei- ner gröblichen Pflichtverletzung zwar nicht ausschließe. Die Ent- schuldigungsgründe seien aber im Rahmen der Ermessensent- scheidung über die Entziehung zu berücksichtigen. Daß auch subjek- tive Komponenten Bedeutung ge- winnen könnten, hat das BSG fer- ner in seinem Urteil vom 18. Au- gust 1972 hervorgehoben (BKK 1973, 70 ff.). Allerdings hat das BSG in einem früheren Urteil vom 19. Februar 1960 (— 6 RKa 26/58 —) ausgeführt, daß die objektive In- teressenlage den Vorrang habe, soweit bei den Entziehungstatbe- ständen subjektive Verschuldens- momente eine Rolle spielen würden.

Diese Aussage bezog sich aber auf die Frage, ob es beim Vorliegen von Entschuldigungsgründen be- reits an dem Tatbestandsmerkmal der gröblichen Pflichtverletzung fehlen könne. Da das BSG auch in späteren Entscheidungen nicht von dem Urteil des 6. Senats vom 28. Februar 1963 abgewichen ist, bleibt festzuhalten, daß die Ent- schuldigungsgründe jedenfalls im Rahmen der Ermessensentschei- dung zu berücksichtigen sind.

IV. Das Ermessen

bei Entziehungsentscheidungen Schon nach dem Wortlaut des

§ 368 a Abs. 6 RVO ist den Zulas- sungsinstanzen ein Handlungser- messen eingeräumt. Dementspre- chend hat das BSG in zahlreichen Entscheidungen ausgeführt (vgl.

BSGE 7, 129; 7,183; 10, 292, 294 f, 300; 15, 177, 180, 183 f; 28, 80, 83;

66 Heft 11 vom 19. März 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe NB

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Zulasssungsentziehungen

BSGSozR Nr. 24 zu § 368 a RVO), die Gerichte hätten bei der Nach- prüfung der Entziehungsbeschei- de nur noch zu prüfen, ob der Be- rufungsausschuß die rechtlichen Grenzen seines Ermessens über- schritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermes- sensermächtigung nicht entspre- chenden Weise Gebrauch ge- macht hat. In diesem Zusammen- hang ist eine weitere Entschei- dung des BSG bedeutsam, in der ausgeführt wurde, daß die Gerich- te der 1. und 2. Instanz ihre Ermitt- lungen von Amts wegen auf alle von ihnen als erheblich angesehe- nen Umstände — also auch auf ge- gebenenfalls vorhandene Ent- schuldigungsgründe — zu erstrek- ken haben (Urteil vom 21. April 1959, BSGE 9, 277).

Allerdings hat das BSG in einem späteren Urteil vom 28. Mai 1968 (SozR Nr. 30 zu § 368a RVO) ent- schieden, daß für den Fall, daß die Nichteignung eines Kassenarztes zur Ausübung der Kassenpraxis erwiesen sei, das Ermessen der Zulassungsinstanzen regelmäßig dahin eingeschränkt sei, daß die Zulassung entzogen werden müs- se. Die Ermessensreduzierung auf

„Null" stellt aber keine rechtliche Besonderheit dar, sondern bein- haltet lediglich das Ergebnis der eingehenden Prüfung in tatsächli- cher und rechtlicher Hinsicht.

V. Die Berücksichtigung des späteren Wohlverhaltens In einem grundlegenden Urteil vom 28. März 1958 (BSGE 7, 129) hat das BSG entschieden, daß für Anfechtungsklagen bei noch nicht vollzogenen Verwaltungsakten mit Dauerwirkung, also bei Entzie- hungsbeschlüssen, nicht nur der Sach- und Rechtsstand bei Erlaß des angefochtenen Verwaltungs- aktes maßgebend sei. Für den Fall, daß die Entziehung noch nicht wirksam geworden sei, weil An- fechtungsklage erhoben und die sofortige Vollziehung nicht ange- ordnet worden sei, hätten die Ge- richte des 1. und 2. Rechtszuges bei ihrer Entscheidung vielmehr

grundsätzlich eine Änderung der Sachlage zu berücksichtigen. In der Literatur wurde diese Rechts- auffassung für bedenklich gehal- ten (so z. B. Gunkel, Ärztliche Mit- teilungen 1963, 2401) und auch von verschiedenen Landessozial- gerichten nicht geteilt. So hat das LSG Stuttgart in einem Urteil vom 26. Februar 1959 (Ärztliche Mittei- lungen 1959, 501) ausgeführt, daß bei Anwendung der BSG-Recht- sprechung zu befürchten sei, daß Ärzte, die schon bisher nur zwecks Hinausschiebung des Vollzugs Rechtsbehelfe eingelegt hätten, dies in Zukunft noch häufiger tun würden, in dem Glauben, die Eig- nungsfrage durch Zeitablauf zu ih- ren Gunsten beeinflussen zu können.

Auch das LSG Schleswig (Urteil vom 22. Mai 1970 — L 3 Ka 19/68 —) hat sich kritisch mit der Recht- sprechung des BSG zum nach- träglichen Wohlverhalten ausein- andergesetzt. Der in jener Recht- sprechung enthaltene Kompensa- tionsgedanke sei nicht gerechtfer- tigt; denn es sei eine Selbstver- ständlichkeit, daß der von einer Entziehung betroffene Arzt nach der Aufdeckung einer fehlerhaften Abrechnungsweise seine kassen- oder vertragsärztlichen Pflichten nunmehr ordnungsgemäß erfülle und keinen Anlaß zu weiteren Be- anstandungen gebe.

Trotz dieser Kritik hat das BSG an seiner grundsätzlichen Auffas- sung weiterhin festgehalten. Es hat diese Auffassung allerdings in jüngeren Entscheidungen modifi- ziert: „Ein Wohlverhalten während des Prozesses habe weniger Ge- wicht als das vorwerfbare Verhal- ten in der Zeit vor der (nicht vollzo- genen) Zulassungsentziehung.

Würde ein Wohlverhalten während des Rechtsstreits nämlich genü- gen, um der Anfechtungsklage zum Erfolg zu verhelfen, so hätte das Entziehungsverfahren für den Arzt praktisch keine Folgen" (vgl.

BSG, Urteile vom 19. Oktober 1971, SozR Nr. 35 zu § 368 a RVO und vom 30. März 1977, BSGE 43, 250 ff.).

Vl. Aufschiebende Wirkung der Rechtsbehelfe und Rechtsmittel Zu einer Abwägung zwischen dem Gewicht des vorwerfbaren Verhal- tens und dem des späteren Wohl- verhaltens können die Gerichte aber nur gelangen, wenn der Ent- ziehungsbescheid noch nicht voll- zogen worden ist. Er kann nicht vollzogen werden, wenn der be- troffene Arzt Widerspruch erhebt (vgl. § 368 b Abs. 4 RVO). Auf- schiebende Wirkung hat auch die gegen den Bescheid des Beru- fungsausschusses gerichtete Kla- ge (§ 97 Abs. 1 Nr. 4 SGG) und für die Revision gemäß § 165 i. V. m.

§ 154 Abs. 1 SGG. Der vom Entzie- hungsbescheid betroffene Arzt kann seine Kassenpraxis also un- eingeschränkt fortführen bis der Entziehungsbescheid — oftmals erst nach mehreren Jahren — rechtsverbindlich geworden ist.

Diese Situation ist natürlich auch den Zulassungs- bzw. Berufsaus- schüssen bekannt, weshalb auf seiten der kassenärztlichen Selbstverwaltung ein erhebliches Interesse daran besteht, den Ent- ziehungsakt nicht ins Leere gehen zu lassen, sondern von der Mög-

lichkeit des § 368 b Abs. 5 RVO Gebrauch zu machen und die so- fortige Vollziehung anzuordnen.

VII. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung

durch den Berufungsausschuß Der Berufungsausschuß kann nach pflichtgemäßem Ermessen, aber nur im öffentlichen Interesse, die Vollziehung seiner Entschei- dung anordne (§ 36 b Abs. 5 RVO).

Dann haben Rechtsbehelfe gegen den Entziehungsbescheid keine aufschiebende Wirkung. Das öf- fentliche Interesse ist nach An- sicht des BSG stets gegeben, wenn der eingelegte Rechtsbehelf

„offensichtlich aussichtslos" ist.

Sofern die einem Entziehungsbe- scheid zugrundeliegende Auffas- sung aber weder von vornherein als offenbar richtig oder rechts- widrig angesehen werden könne, verdiene das private Interesse des Ausgabe A/B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 11 vom 19. März 1982 69

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Zulassungsentziehungen

Betroffenen an der Aussetzung der Vollziehung den Vorzug, so daß in diesen Fällen ein Vollzie- hungsbeschluß ausgesetzt wer- den müsse (BSG, Beschluß vorn 30. November 1956, BSGE 4, 151).

Die Folgen der Vollziehung eines Entziehungsbescheides sind für den betroffenen Kassenarzt so schwerwiegend, daß die Gründe für den Erlaß der Vollziehungsan- ordnung eindeutig überwiegen müssen (so auch LSG Berlin, Ur- teil vom 4. Mai 1959 = DOK 1960, 159).

Gegen diese Rechtsprechung ist in der Literatur Kritik laut gewor- den. So hat Martens (DOK 1976, 93) ausgeführt: „Für den Beru- fungsausschuß ist die Frage, ob er den Vollzug der Entziehung an- ordnet, der eigentliche Prüfstein für die Richtigkeit seiner Entschei- dung nach § 368 a Abs. 6 RVO, ob nämlich die durch gröbliche Pflichtverletzunen erwiesene Un- zuverlässigkeit und Ungeeignet- heit des Kassenarztes zur Entzie- hung der Zulassung führen soll.

Eine Entziehung ohne Vollzie- hung, die einen ungeeigneten Kassenarzt für die Dauer des so- zialgerichtlichen Verfahrens wei- terarbeiten läßt, ist ein Messer oh- ne Klinge". Diese Kritik ist bei den Gerichten aber auf taube Ohren gestoßen. Sie sind, insbesondere im Hinblick auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juli 1975 (BVerfGE 40, 1979 = NJW 1975, 1457), bei der Meinung verblieben, daß eine sofortige Vollziehung nur gerechtfertigt sei, wenn die Abwägung ergäbe, daß dem öffentlichen Interesse gegen- über dem existenzgefährdenden Eingriff der Vorrang gebühre.

VIII. Die vorläufigen Entscheidungen

im sozialgerichtlichen Verfahren Hat der Berufungsausschuß die sofortige Vollziehung angeordnet, so kann das Sozialgericht auf An- trag des betroffenen Kassenarztes nach Anhörung der übrigen Betei- ligten die angeordnete Vollzie- hung aussetzen (§ 97 Abs. 3 SGG).

Voraussetzung hierfür ist, daß zu- nächst Anfechtungsklage erhoben wurde und die Sache rechtshän- gig ist. Das Gericht wird bei seiner Ermessensentscheidung diesel- ben Grundsätze anwenden, die zur Abwägung zwischen dem öf- fentlichen und dem privaten Inter- esse beschrieben worden sind (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, Rdnr.

17 zu § 97). Offenbare oder ernstli- che Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahmen sprechen für eine Aussetzung, der wahrscheinliche Mißerfolg des Rechtsbehelfs indessen dagegen.

Zu beachten ist, daß das Gericht die Vollziehung auf Antrag der üb- rigen Beteiligten auch anordnen darf, wenn der Berufungsaus- schuß die sofortige Vollziehung selbst nicht angeordnet hatte. Hat das Sozialgericht die vom Beru- fungsausschuß angeordnete Voll- ziehung auf Antrag des Kassenarz- tes nicht ausgesetzt oder hat es die sofortige Vollziehung selbst angeordnet, so erhebt sich die Frage, wie gegen diese Beschlüs- se des Sozialgerichts vorzugehen ist.

Das LSG Mainz und das LSG Mün- chen haben entschieden (Be- schlüsse vom 6. April 1978 bzw.

vom 10. Mai 1977 — Breithaupt 1977, 1044-1046), daß weder den betroffenen Ärzten noch den Kas- senärztlichen Vereinigungen oder den Krankenkassen die Beschwer- de zustehen würde. Die Beschlüs- se der Sozialgerichte könnten nur mit der Entscheidung über die Hauptsache angefochten werden, das heißt nur im Rahmen eines Berufungsverfahrens. Dies ergäbe sich unmißverständlich aus § 97 Abs. 3 Satz 2 SGG, der darauf hin- weise, daß § 97 Abs. 2 Satz 4 SGG entsprechend gelte.

Führende Kommentatoren vertre- ten dagegen die Ansicht, daß die Beschwerde gegen Beschlüsse, mit denen die Aussetzung der Vollziehung abgelehnt worden ist, gegeben sei (vgl. Meyer-Ladewig, SGG Rdnr. 19 zu § 97 unter Bezug- nahme auf Peters/Sautter/Wolff, Anm. 11 zu § 97 und Rohwer-Kahl-

mann, Anm. 86 zu § 97). Im Hin- blick auf diese Meinungsverschie- denheiten erscheint eine Überprü- fung der bisherigen Rechtspre- chung angezeigt, insbesondere auch deshalb, weil durch den Aus- schluß der Beschwerde das öffent- liche oder das private Interesse für einen nicht unerheblichen Zeit- raum zurücktreten muß. Unbestrit- ten ist jedoch die Ansicht, daß das Sozialgericht seinen eigenen Be- schluß —sei es auf Antrag oder von Amts wegen — wieder aufheben kann, wenn es im Laufe des An- fechtungsprozesses aufgrund ver- änderter Ermittlungsergebnisse erkennt, daß es an der bisherigen Entscheidung nicht mehr festhal- ten kann.

IX. Zusammenfassung

Die Zulassungsentziehung ist kei- ne Sanktion für ein strafwürdiges Verhalten des Kassenarztes. Sie ist nur gerechtfertigt, wenn der Kassenarzt durch die jeweils in Rede stehende Pflichtverletzung seine Eignung als Kassenarzt ver- loren hat. Die Entziehungsmaß- nahme dient nur dazu, das System der kassenärztlichen Versorgung vor Störungen zu bewahren und damit funktionsfähig zu erhalten.

Im Hinblick auf diesen objektiven Sicherungszweck sind bereits ob- jektive Verstöße gegen eine pein- lich genaue Leistungsabrechnung eine gröbliche Pflichtverletzung im Sinne des § 368 a Abs. 6 RVO.

Daraus folgt zwar einerseits, daß der individuellen Schuld und dem späteren Wohlverhalten nur einge- schränkte Bedeutung zukommt, andererseits aber auch, daß die sofortige Vollziehung einer Zulas- sungsentziehung nur dann ge- rechtfertigt ist, wenn das öffentli- che Interesse (objektive Gefähr- dung der Versicherten und der Funktionsfähigkeit des kassen- ärztlichen Systems) eindeutig überwiegt.

Anschrift des Verfassers:

Rechtsanwalt Jürgen Zwanzig Goethestraße 29

4000 Düsseldorf 1 72 Heft 11 vom 19. März 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A/B

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