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Archiv "Therapie traumatischer Armplexusläsionen" (06.12.1996)

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D

ie häufigste Ursache einer traumatischen Armplexusläsi- on stellt in Europa die Traktion des Nervengeflechtes nach Zweiradunfällen dar, weniger häufig ist schwere Gewalteinwirkung im Sinne einer Quetschung zwischen Clavicula und Thorax. Die Variabilität der Ner- venverletzungen ist wegen der unter- schiedlichen Verletzungsmechanismen und Läsionsorte groß. Sie reichen von intraspinalen Nervenwurzelausrissen aus dem Halsmark über intra- oder ex- traforaminale Nervenwurzelabrisse in unterschiedlicher Anzahl bis hin zu Lä- sionen des peripheren Armplexus mit und ohne Kontinuitätsunterbrechung supra- und/oder infraklavikulär bis axillär. Traktionen erzeugen progno- stisch ungünstige langstreckige Fibro- sen der Nerven und oft auch infolge Arterienzerreißungen mit starker Hä- matombildung perineurales Narbenge- webe. Das gesamte Ausmaß der Schä-

digung ist trotz des Einsatzes aller mo- derner diagnostischer Möglichkeiten inklusive Kernspintomographie primär nicht zu erfassen.

Diagnostische Erfordernisse

Klinische Untersuchung Die neurologische Untersuchung zeigt in der Mehrzahl der Fälle nach

dem Trauma eine primär komplet- te Läsion des Armplexus mit Plegie der Muskulatur, Anästhesie, Analge-

sie und Anhidrose.

Ein Horner-Syn- drom ist Hinweis auf einen Nerven- wurzelausriß von C 8 oder Th 1. Auf- grund der Anato- mie der vegetati- ven Hautinnervati- on ist bei isolier- ten Wurzelausris- sen die Schweißse- kretion auf thermi- sche Reize erlo- schen, nach Gabe von Parasympathi- komimetika hinge- gen erhalten; sie ist

vollständig aufgehoben bei Läsi- onen im oder distal vom Grenzstrang- ganglion. Bei der Primäruntersu- chung sollte auf eine Raumforderung durch ein Hämatom oder ein Kno- chenfragment geachtet werden und deren rasche Beseitigung angestrebt werden. Im Verlauf von Wochen oder

Monaten können sich einzelne Antei- le des Armplexus spontan erholen.

Die klinische Untersuchung sollte in regelmäßigen, ein- bis zweimonatigen Abständen möglichst vom gleichen Untersucher durchgeführt werden, der für die einzelnen Muskeln die Pa- resegrade zum Untersuchungszeit- punkt festhält und so die Vergleich- barkeit der zeitlich gestaffelten Un- tersuchungsergebnisse herstellt.

Die theoretisch sehr unterschied- lichen Läsionsgrade und Regenerati- onsdistanzen für die Nervenfasern müssen berücksichtigt werden.

Ein wichtiges diagnostisches Kri- terium ist das Hoffmann-Tinel-Zei- chen. Durch Beklopfen der Nervenfa- sern werden Mißempfindungen in ihrem ehemaligen Versorgungsgebiet ausgelöst. Es ist wichtig, den Ort zu dokumentieren, an dem das Hoff- mann-Tinel-Zeichen zum Zeitpunkt der Untersuchung ausgelöst werden

kann, und herauszufinden, ob das Punctum maximum dieses Zeichens bei den folgenden Kontrolluntersu- chungen peripherwärts wandert.

Hieraus können Rückschlüsse auf spontane oder ausbleibende Regene- ration gezogen werden.

Neurophysiologie

Die wichtigste neurophysiologi- sche Zusatzdiagnostik ist das Elek-

Therapie traumatischer Armplexusläsionen

Anne Jürgens-Becker Götz Penkert Madjid Samii

Neurochirurgische Klinik (Direktor: Prof. Dr.

med. Dr. h. c. Madjid Samii), Krankenhaus Nordstadt, Hannover

Jeder Patient mit einer traumatischen Armplexusparese, bei dem es nicht zu einer spontanen Reinnervation aller geschädigter Anteile kommt, sollte rechtzeitig in einem mit diesen Schä- den vertrauten neurochirurgischen Zentrum vorgestellt werden, da ner- venchirurgische Möglichkeiten wegen des irreversiblen bindegewebigen Umbaus von denervierter Muskulatur einem zeitlichen Limit ausgesetzt sind. Ergänzend und zeitlich nicht li- mitiert sind die chirurgischen Ersatz- eingriffe und orthetischen Hilfsmittel.

Abbildung 1: Computertomogramm mit intrathekalem Kontrast- mittel: trotz Pseudomenigozele im rechten Foramen interverte- brale stellen sich die ventrale und dorsale Wurzel dar.

Abbildung 2: Gleicher Fall wie in Abbildung 1 nach diagnostischer Hemi- laminektomie: die sensible Hinterwurzel ist in Kontinuität, die motori- sche Vorderwurzel ist oberhalb des Neuroforamens intradural abgerissen.

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tromyogramm (EMG). Es ist frühe- stens drei Wochen nach dem Trauma aussagefähig, da erst zu diesem Zeit- punkt pathologische Spontanaktivität in den denervierten Muskeln nachge- wiesen werden kann. Gewertet werden muß das Ausmaß pathologischer Spon- tanaktivität und die Qualität und Quantität von Willkürpotentialen. Pa- thologische Spontanaktivität besagt, daß der untersuchte Muskel dener- viert, prinzipiell aber reinnervierbar ist.

Erloschene pathologische Spontanak- tivität ohne Willküraktivität zeigt einen inzwischen erfolgten irreversiblen fi- brotischen Muskelumbau an, eine Ner- venoperation ist dann nicht mehr sinn- voll. Ein solcher Befund kann aber auch bei einer direk-

ten Muskelschädi- gung, beispielswei- se verursacht durch ein Kompartment- Syndrom, erhoben werden.

Treten hinge- gen Willkürpotenti- ale auf, kann von ei- ner spontanen Rein- nervation ausgegan- gen werden, deren Ausmaß weiterhin quantifiziert werden sollte. Die Aussage- fähigkeit einer para- spinalen EMG-Ab- leitung zur Frage der Topik von Nerven- wurzelausrissen ist eingeschränkt, da

diese Muskeln plurisegmental ver- sorgt werden. Bei Wurzelausriß kann trotz Ausfalls der Sensibilität ein sen- sibles Nervenantwortpotential abge- leitet werden, da die Läsion proximal vom Spinalganglion liegt.

Neuroradiologie

Die neuroradiologischen Unter- suchungen sollten unter anderem die Frage nach Nervenwurzelausrissen beantworten. Die Kernspintomogra- phie kann als diagnostische Methode mit einer Treffsicherheit zwischen 50 und 85 Prozent angesiedelt werden.

Wichtig sind hier insbesondere axiale T2-gewichtete Bilder. Eine höhere Treffsicherheit hat nach unserer Er- fahrung zur Zeit die postmyelo-CT

(Abbildung 1)mit dünner Schichtung (mindestens 3 Millimeter) mit etwa 90 bis 95 Prozent. Ziel einer Untersu- chung muß sein, die dorsalen und ven- tralen Wurzeln und deren Kontinuität zum Halsmark darzustellen. Diskon- tinuität der motorischen Wurzel be- deutet den irreversiblen Verlust die- ser Nervenbahn. Peripher der Hals- wirbelsäule haben radiologische Un- tersuchungen zur Frage von Nerven- schäden keinen Aussagewert.

Diagnostische Hemilaminektomie

Um nicht Gefahr zu laufen, mit ei- ner in das Neuroforamen hineinziehen- den Wurzel operativ zu arbeiten, ohne zu wissen, ob sie intra- spinal Kontinuität zum Halsmark be- sitzt, kann diese dia- gnostische Unsicher- heit bisher nur über eine direkte intraspi- nale Exploration ge- klärt werden (Abbil- dung 2).

Über eine He- milaminektomie am fünften Halswirbel- körper (HWK) kann die fünfte und sechs- te zervikale Wurzel, über eine Hemila- minektomie am sieb- ten HWK kann die siebte und achte Wur- zel inspiziert werden. Letzte Unsicher- heiten bleiben aber wegen seltener ana- tomischer Varianten („Prä- und Post- fixation“ des Plexus). Wir beschränken die diagnostische Hemilaminektomie als Vorbereitung auf die periphere Frei- legung auf die Fälle, die nach Traktions- schädigung Ausrisse befürchten lassen und deren radiologische Befunde Fra- gen offengelassen haben.

Neurochirurgische Therapie

Operationszeitpunkt

Wenn spontane Reinnervation ausbleibt, liegt der günstigste Zeit- punkt für die periphere Freilegung

M E D I Z I N AKTUELL

Abbildung 3: Plexusstrukturen in Kontinuität, frakturierte Clavicula

Diagnostische und therapeutische Schritte

Krankengymnastische Therapie im gesamten Verlauf

1Ein- bis zweimal im Monat Durchführung einer

neurologischen Untersuchung 1Elektromyogramm (EMG) frühestens nach drei Wochen Vor Ablauf von sechs Monaten ist folgendes zu klären:

Ist eine klinisch erkennbare Reinnervation vorhanden?

1falls ja

– Elektromyogramm nicht mehr erforderlich, da keine praktische Konsequenz – keine Operation, weiter in- tensive Krankengymnastik 1falls nein

– qualifiziertes EMG:

pathologische Spontanaktivität?

Muskelaktionspotentiale (MAP)?

1falls keine MAP

– Vorstellung in einem ner- venchirurgischen Zentrum, Operation

1 falls vereinzelt MAP – engmaschige Verlaufskon- trollen (Zunahme der MAP?

Abnahme pathologischer Spontanaktivitäten?

Klinische Besserung?). Enge Zusammenarbeit mit nerven- chirurgischem Zentrum Präoperativ:

MRT, Myelographie und postmyelo-CT. Entschei- dung, ob diagnostische He- milaminektomie erforderlich Postoperativ:

weiter intensive Kran- kengymnastik, gezieltes Trai- ning reinnervierter oder nicht geschädigter Muskeln, die eventuell als plastischer Er- satz in Frage kommen könn- ten, sechs- bis neunmonatige neurologische/neurochirurgi- sche Verlaufskontrollen Bei ausbleibender

Reinnervation trotz Operation nach anderthalb bis zwei Jahren:

Planung möglicher Ersatzeingriffe

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des Armplexus wegen des vermehrt einsetzenden bindegewebigen Mus- kelumbaus zwischen drei und sechs Monaten nach dem Trauma. Eine frühere Operation ist dann indiziert, wenn bei primären Eingriffen wegen Gefäßzerreißungen Abrisse des Ple-

xus brachialis festgestellt wurden.

Ansonsten wartet man die spontane Regeneration einige Monate ab. Be- sonders kritisch wird die Entschei- dung dann, wenn während der Beob- achtungszeit im EMG gerade verein- zelt willkürliche Aktionspotentiale neben reichlicher Spontanaktivität abgeleitet werden können, wobei kli- nisch der Muskel noch plegisch scheint. In einem solchen Fall müssen kurzfristige klinische und elektro- myographische Untersuchungen er- folgen. Falls keine eindeutige Zunah- me von Willkürpotentialen und keine erkennbare Muskelaktivität einsetzt, soll nicht lange zugewartet werden. In einem solchen Falle ist es ein Ver- säumnis, den Patienten über drei bis sechs Monate hinaus nicht in einem nervenchirurgischen Zentrum vorzu- stellen.

Prinzipien der

operativen Behandlung

Ziel der oft umfangreichen Ex- ploration ist zunächst, zu klären, wel- che der aus den Wurzeln C 5, C 6, C 7 und C 8 entspringenden Nervenbah- nen Kontinuität haben oder unter- brochen sind (Abbildungen 3 und 4).

An Nervenbahnen mit erhaltener Kontinuität muß die Entscheidung getroffen werden, ob man aufgrund

des Inspektionsbefundes eine Rege- neration durch aussprossende Axone erwarten kann oder ob Vernarbun- gen dieses verhindern. In ersterem Fall kann man versuchen, die Rege- neration durch eine mikrochirurgi- sche perineurale Neurolyse zu be- günstigen. Im letzteren Fall muß man vernarbte Strukturen entfernen und durch so viele Transplan- tate ersetzen, wie ange- sichts Umfang und Länge der Defekte möglich sind.

Bei der Entscheidung hilfreich sind die intra- operative Ableitung sen- sibel evozierter Potentia- le an der Nervenwurzel und das intraoperative EMG. Ersteres erlaubt nur eine Aussage über die proximale Kontinuität sensibler Axone, letzteres nur über distale Axon- kontinuität bis zum Muskel. Moto- risch über dem Kortex evozierte Po- tentiale besitzen noch keine ausrei- chend sichere Aussagesignifikanz.

Prognostisch ungünstig sind be- sonders Traktionsschäden mit gleich- zeitiger Zerreißung der Arteria sub- clavia, die langstreckige intraneurale Fibrosen erzeugt haben, so daß die zu überbrückenden Nervendefekte sehr lang sind.

Das Vorgehen richtet sich nach der Zahl vorhandener intakter Ner- venwurzeln. Transplantate können

nur dort angeschlossen werden, wo ein Wurzelstumpf vorliegt (Abbil- dung 5), seine Kontinuität zum Hals- mark vorher gesichert wurde und sein Querschnitt keine intraneurale

Fibrose zeigt. Peripher darf eben- falls keine intraneurale Fibrose das spätere Einwachsen von Axonen be- hindern. Bei ausgedehnten Verlet- zungen ist man in Abhängigkeit von der Zahl existenter Wurzelstümpfe gezwungen, Prioritäten zu setzen.

Priorität hat die Ellenbogenbeugung (über den M. biceps beziehungswei- se alternativ oder additiv über den M. triceps nach dessen Umlagerung – siehe unten). An zweiter Stelle steht die Schulterabduktion und -außenrotation (über den M. deltoi- deus, M. supra- und infraspinatus).

Funktionen am Unterarm und an der Hand – sowohl sensibel wie mo- torisch – regenerieren am besten,

wenn sich die Nervenbahnen spon- tan oder nach Neurolyse erholen.

Rekonstruktionen der unteren Ple- xusstrukturen sind funktionell nach- teiliger, weil die lange Regenerati- onsdistanz und -zeit, verbunden mit Fehlaussprossungen, unüberwind- bare Hindernisse bilden.

Der Ausriß aller Halsmark- wurzeln stellt das größte Problem

dar: Hier kann keine direkte Rekonstruktion erfolgen, da die proximale Anschlußmöglichkeit für Transplantate fehlt. Über den Versuch einer so- genannten Neurotisation kann Schutzsensibilität durch Verbindungen sen- sibler Nerven – direkt oder unter Zwischen- schaltung eines Transplan- tates – erreicht werden (zum Beispiel von Plexus- cervicalis-Anteilen oder oberen Interkostalnerven mit dem N. medianus); motorische Funktion kann durch Verbindungen motorischer Nerven (N. accessorius- Äste, untere Interkostalnerven, N.

phrenicus) mit dem N. musculocuta- Abbildung 4: Supra- und infraklavikuläre Freilegung: Truncus medius

(aus C 7) und Truncus inferior (aus C 8 und Th 1) ausgerissen, Truncus superior (aus C 5 und C 6) in Kontinuität, aber supraklavikuläre Neu- romentwicklung

Wichtigste Kennmuskeln zervikaler Nerven C 5 M. deltoideus C 6 M. biceps brachii C 7 M. triceps brachii,

M. pectoralis

C 8 Kleine Handmuskulatur

Abbildung 5: Anschluß von Transplantaten am Wurzelstumpf C 5

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neus und N. suprascapularis wieder- erlangt werden. Die Erfolge solcher Nervenverbindungen sind begrenzter als die direkter Rekonstruktionen. In Abhängigkeit von der angetroffenen Situation können auch Kombinatio- nen direkter Rekonstruktion mit Neurotisation erfolgen. Ziel dieser zeitaufwendigen Operationen ist es, neben der Reinnervation wichtiger Muskeln auch die Basis für eine sich anschließende orthopädische, ortheti- sche oder plastisch-chirurgische Ver- sorgung zu bilden.

Durch die neurochirurgischen Möglichkeiten kann eine befriedi- gende bis gute funktionelle Wieder- herstellung des M. biceps (Abbil- dung 6) in etwa 70 Prozent erreicht werden, des M. triceps zusätzlich in etwa 45 Prozent.

Konservative Therapie

Die wichtigste konservative Be- handlungsmethode von Beginn der Verletzung an ist die Krankengymna- stik.

Passives Durchbewegen beugt der schon früh einsetzenden Gelenk- versteifung vor. Funktionell erhaltene Muskelgruppen sollten durch aktives Üben gestärkt werden, von Beginn an ist es auch sinnvoll, physiologische Mitbewegungen und Bewegungsmu- ster einzelner von der Plexusläsion nicht betroffener Schultermuskeln auszunutzen. Sobald Reinnervation – spontan oder postoperativ – einsetzt,

müssen die jeweiligen Muskelgrup- pen intensiv aktiv beübt werden. Ob die Elektrostimulation an den dener-

vierten Muskeln ihrer Atrophie und fibrotischen Umwandlung entgegen- wirkt, ist umstritten. Wenn diese The-

rapie angewandt wird, muß sie unter isometrischen Bedingungen, das heißt unter Gegenzug, erfolgen. Wenn durch Läsion des oberen Armplexus der Oberarmkopf nicht im Schulterge- lenk gehalten wer- den kann, ist eine Orthodese erforder- lich. Auch an den anderen Gelenken kann es sinnvoll sein, Orthodesen einzusetzen, um ei- ner Destabilisierung und Überdehnung später wieder funk- tionell wichtiger Sehnen entgegenzu- wirken. Eine geziel- te, individuell ange- paßte krankengym- nastische Behand- lung ist in der Regel über mehrere Jahre hilfreich. Dies gilt auch, wenn eine zeitgerechte Rein- nervation spontan oder auch trotz ope- rativer Rekonstruk- tion zunächst noch ausbleibt. Wir ha- ben überraschende Reinnervation noch nach Jahren verein- zelt beobachtet, ohne eine Erklärung anbieten zu können. Andererseits schafft die kontinuierliche Kran- kengymnastik auch den unerläßlichen Boden für die späteren Ersatzein- griffe, wie sie im folgenden beschrie- ben werden.

Chirurgische Ersatzeingriffe

Die Reinnervation ist in der Re- gel nach zwei bis drei Jahren so weit fortgeschritten, daß das erreichbare Maß der Kraftentwicklung beurteil- bar ist.

Wenn die Muskelkraft für die angestrebte Bewegung funktionell nicht ausreicht, sollte ein individuel- ler Plan für plastisch-chirurgische Behandlungen zur Verbesserung der Situation erstellt werden.

M E D I Z I N AKTUELL

Tabelle

Wichtige Ausfälle

bei oberer bei unterer

Armplexusläsion Armplexusläsion

(C 5 und C 6) C 7 (C 8 und Th 1)

Schulter Abduktion Adduktion keine Anteversion

Außenrotation

Ellenbogen Beugung Streckung keine Supination

Hand keine Streckung Beugung

radiale Beugung

Finger keine Streckung Beugung

Adduktion und Abduktion Trauma

Ja Nein

Management traumatischer Armplexusparesen

vor Ablauf von 6 Monaten zu entscheiden:

Klinische Besserung?

1-2 monatliche neurologische Untersuchungen EMG frühestens nach 3 Wochen

kein EMG mehr keine OP Krankengymnastik

keine MAP's pathologische Spontanaktivität

nervenchirurgisches Zentrum OP-Indikation

engmaschige Verlaufskontrolle in Zusammenarbeit mit nervenchirurgischem

Zentrum vereinzelte MAP's qualifiziertes EMG Grafik 1

(5)

Hier haben heutzutage dynami- sche Maßnahmen den Vorzug ge- genüber den Arthrodesen: möglich sind ein Transfer des Trapezius- ansatzes auf den Humerus, die Ein- flechtung der Trizepssehne in die Bi- zepssehne, gestielte oder freie Mus- keltransfers (zum Beispiel des M. la- tissimus dorsi) als Bizepsersatz, die Sehnenumsetzungen für die Ober- armaußenrotation, die Umsetzung der Unterarmflexoren auf den Hu- merus sowie eine große Zahl hoch- spezialisierter Eingriffe, die einer Verbesserung der Handfunktion die- nen für den Fall einer existenten Un- terarmmuskelinnervation.

Neben den bereits genannten plastisch-chirurgischen Möglichkei-

ten stehen auch orthetische Hilfen zur Verfügung. Insgesamt sollten die verschiedenen therapeutischen Möglichkeiten individuell auf die je- weils funktionell vorhandenen Aus- fälle, die Probleme und die Erwar- tungen des einzelnen Patienten und nicht zuletzt auch auf seine Persön- lichkeit abgestimmt werden.

Eine Amputation ist erst nach Jahren und erst nach Fehlschlag al- ler zur Verfügung stehenden Be- handlungsmöglichkeiten als ultima ratio zu verantworten, beispielswei- se, um einen prothesefähigen Arm- stumpf zu erzeugen.

Mit der Fortentwicklung steuer- barer Prothesen darf man rechnen, wenn das Problem des biotechni- schen Kontaktes überwunden wor- den ist. Die Amputation beseitigt keine Neurom- oder Phantom- schmerzen.

Schmerzbehandlung und offene Probleme

Offene Probleme mit gro- ßen therapeutischen Schwierigkeiten bleiben die im Einzelfall therapieresi- stenten persistierenden Schmerzsyn- drome nach Ausrissen dorsaler Wur- zeln aus dem Halsmark im Sinne von Phantomschmerzen und die Kausal- gie bei Entwicklung einer sympathi- schen Reflexdystrophie.

Diese können unabhängig von dem Ausmaß des Schadens und der motorischen und sensiblen Reinner- vation bestehen bleiben. Bei Ent- wicklung dieser genannten Schmerz- syndrome ist auf eine frühzeitige gezielte Schmerzbehandlung und physikalische The- rapie zu dringen, da diese Behand- lung den Patien- ten vor den lebens- langen, therapeutisch schwer beeinflußba- ren Schmerzen be- wahren kann. Wenn diese Schmerzphä- nomene nach der Ausschöpfung der medikmentösen Be- handlung mit Anal- getika und den übli- chen schmerzthera- peutischen Eingriffen dennoch fortbeste- hen, dann kommen spezielle neuro- chirurgische schmerztherapeutische Eingriffe als weitere therapeutische Möglichkeiten in Betracht.

Zu nennen sind hier die Implan- tation einer Pumpe zur kontinuierli- chen intrathekalen Opioid-Applika- tion, die epidurale Elektrostimulati- on (spinal cord stimulation, SCS) und die Läsion der Eintrittszone der Hin- terwurzeln (Dorsal-Root-Entry-Zo- ne-Läsion [DREZ-Läsion] oder Nas- hold-Operation).

Resümee

Die therapeutische Behandlung der traumatischen Armplexuspa- resen stellt sehr hohe Anforderun- gen an die Geduld und die Fachkom- petenz der interdisziplinär behan- delnden Ärzte.

Neben der adäquaten medizini- schen Versorgung geht es darum, den Patienten sinnvoll zu beraten, unan- gemessene Erwartungen zu korrigie- ren und ihn dahingehend zu motivie- ren, daß er mit großer Geduld die erforderlichen, oft jahrelangen Be- handlungs- und Rehabilitationsmaß- nahmen durchführt.

Eine optimale wirkungsvolle Therapie kann nur durch die inter- disziplinäre Zusammenarbeit zwi- schen den Neurologen, den Neuro- chirurgen, den plastischen Chirur- gen, den Orthopäden sowie den phy- sikalischen Therapeuten ermöglicht werden.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1996; 93: A-3262–3268 [Heft 49]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser.

Anschrift für die Verfasser:

Dr. med. Anne Jürgens-Becker Neurochirurgische Klinik Krankenhaus Nordstadt Haltenhoffstraße 41 30167 Hannover

Abbildung 6: Funktionelles Ergebnis trotz Ausriß aller Zervikalwurzeln durch Neurotisation zwischen einem Accessoriusnervenast und dem Nervus musculocuta- neus

C5 C6 C7 C8 Th1

N. suprascapularis Truncus superior

Truncus medius

Truncus inferior

N. thoracodorsalis N. axillaris

N. radialis N. musculocutaneus N. medianus N. ulnaris Nn. pecto-

rales Fasciculus posterior Fasciculus lateralis

Fasciculus medialis

N. thoracicus longus Clavicula

Vereinfachtes Schema des Plexus Brachialis Grafik 2

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