Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 106|
Heft 40|
2. Oktober 2009 A 1951 nur Zytostatika. Alle Patienten wur-den dann operiert, bestrahlt und an- schließend, entsprechend der ur- sprünglichen Randomisierung, mit Zytostatika allein oder in Kombina- tion mit Hyperthermie behandelt.
Die Kombination aus präoperati- ver Hyperthermie und Chemothera- pie erzielte Ansprechraten (Verklei- nerung des Tumors) bei 28,8 Prozent der Patienten im Vergleich zu 12,7 Prozent unter Chemotherapie allein. 76 Prozent in der Hyperther- mie-Gruppe blieben innerhalb von zwei Jahren ohne lokales Rezidiv, 61 Prozent waren es im Chemothera- pie-Arm (Hazard-Ratio [HR]: 0,58).
Das krankheitsfreie Überleben be- trug 32 Monate im Durchschnitt nach lokaler Hyperthermie und 18 Monate unter Chemotherapie allein.
„Die Unterschiede waren statistisch hochsignifikant“, berichtete Issels.
Im Gesamtüberleben gebe es derzeit Unterschiede lediglich in der Grup- pe, die die lokoregionäre präoperati- ve Hyperthermie genau nach Proto- koll erhalten habe (269 Patienten):
Die Mortalität sei bei diesen Teilneh-
mern um 44 Prozent reduziert gewe- sen. „Dass Hyperthermie mit Ra- diotherapie synergistisch wirkt, war schon in früheren Phase-III-Studien belegt worden, der entsprechende Nachweis für die Kombination mit Chemotherapie ist nun erst er- bracht“, sagte Issels. Er empfiehlt Patienten mit lokal fortgeschritte- nem Weichteilsarkom ohne Fern- metastasen, aber hohem Risiko, sich an einem Zentrum, das Hyper- thermie anbietet, beraten zu lassen (München, Berlin, Erlangen, Tü- bingen, Mannheim, Düsseldorf).
Ein Paradigmenwechsel könnte bei der Therapie des fernmetastasier- ten Mammakarzinoms bevorstehen:
Die Entfernung des Primärtumors wirkt offenbar lebensverlängernd.
Häufig wird palliativ behandelt ohne Entfernung des Primärtumors. Dr.
med. Jetske Ruiterkamp (Herzogen- busch, Niederlande) hat Daten einer großen retrospektiven Studie vor - gestellt, die einen günstigen Effekt der Resektion nahelegt. Rui terkamp und Kollegen haben 728 Patientin- nen (Erstdiagnose: Brustkrebs, Sta-
Die Standortbestimmung zur Situation der Onko- logie in Europa hatte einen durchaus kritischen Tenor. „Europa hat keine gemeinsame Vision bei der Bekämpfung von Krebs und keine einheitli- chen Strategien der Krebsforschung. Stattdessen ist die onkologische Forschung traditionell stark von Partikulartinteressen geprägt: angefangen bei denen der Grundlagenwissenschaftler und klinisch-forschenden Ärzte oder der nationalen Wissenschaftspolitik bis hin zu Aufsichtsbehörden und Geldgebern“, stellte der Präsident des Euro- päischen Krebskongresses, Prof. Dr. med. Alexan- der Eggermont aus Rotterdam, Niederlande, fest und fügte hinzu: „Wir sollten auf internationaler Ebene die in der Onkologie ausgeprägte Frag- mentierung und Redundanz der Forschung über- winden und sicherstellen, dass der Patient die Motivation für unsere Arbeit ist. Die Verbesserung und Verstetigung der Lebensqualität des Krebs- kranken muss im Vordergrund stehen.“
Eggermont ist auch Präsident der European Cancer Organisation (ECCO), die den von 15 000 Teilnehmern besuchten Kongress zu- sammen mit der Europäischen Gesellschaft für Medizinische Onkologie (ESMO) ausgerichtet
hat. Auf dem Weg zum Ziel einer besseren Ver- sorgung von Krebspatienten hat die ECCO jetzt die Europäische Akademie für Krebswissen- schaften gegründet. Sie soll vor allem die Politik beraten, die Interessen der Krebspatienten auf nationaler und europäischer Ebene vertreten und politische Entscheidungen verhindern, die die Onkologie behindern. Um die Forschung besser zu bündeln, haben sich die europäischen Krebszentren vernetzt (Organisation of European Cancer Institutes). Ein Schwerpunkt: multimoda- le Behandlungskonzepte zu optimieren, die, be- ginnend mit der Diagnostik, die Besonderheiten des Tumors, aber auch genetische Charakteris- tika des Patienten mit Einfluss auf Effektivität und Sicherheit einer Therapie berücksichtigen und die Belastbarkeit des Patienten in den Mit- telpunkt stellen.
Von einigen Forschern aber wird ein Un- gleichgewicht bei der Verteilung öffentlicher Gelder für die Krebsforschung angemahnt: zu- gunsten der Molekularbiologie und neuer Me- dikamente. „Der Fokus der staatlich finanzier- ten Krebsforschung muss sich verschieben hin zu Studien mit Fragestellungen aus der Chirur-
gie, der Pathologie, der Radiotherapie und der bildgebenden Diagnostik“, forderte Prof. Dr.
med. Richard Sullivan (London, Großbritannien).
Einer aktuellen Analyse zufolge würden von den 14 Milliarden Euro, die die EU-Länder jährlich aus Staatshaushalten in die Krebsforschung steckten, 74 Prozent für Molekularbiologie und Entwicklung neuer Medikamente ausgegeben.
Hier sei eine „absolute Schieflage der For- schungsförderung“ entstanden, auch weil öf- fentliche Gelder umso reichlicher flössen, je mehr und je rascher ein Forscher publiziere.
„Wir haben keinen Mangel an Medikamenten, die es durch die Pipeline in die Klinik schaffen, der Bereich der Wirkstoffforschung ist gesund.
Nur drei Prozent der in die Krebsforschung in- vestierten öffentlichen Mittel der EU-Länder werden zum Beispiel in chirurgische Forschung investiert, in Deutschland lediglich 1,2 Prozent.
Trotz der methodischen Schwierigkeiten, aus- sagekräftige Studien in der Chirurgie zu konzi- pieren – sie sind möglich und notwendig, auch weil Operationen und Radiotherapie global ge- sehen die wichtigsten Ansätze sind, Maligno- me zu behandeln“, sagte Sullivan. nsi
FORSCHUNGSFÖRDERUNG MIT SCHIEFLAGE
dium IV) über mehr als zehn Jahre nachbeobachtet. Bei 40 Prozent der Frauen war der Primärtumor rese- ziert worden, um Symptome zu kontrollieren oder auf Wunsch der Frauen.
Die Operation erhöhte das Fünf- jahresüberleben (24,5 Prozent versus 13,1 Prozent bei den Nichtoperierten, p = 0,0001), durchschnittlich lebten Frauen mit reseziertem Primär tumor 31 Monate, ohne Operation 14 Mo- nate länger. Selbst nach einer Berei- nigung aller Daten um Einflussfak - toren wie Alter, Diagnosezeitraum, Zahl der Metastasen und Behand- lungsmethoden blieb die Frage, ob der Primärtumor entfernt worden war oder nicht, ein unabhängiger Progno- sefaktor (HR: 0,62). Ruiterkamp dis- kutierte mehrere Erklärungsmög- lichkeiten: „Vielleicht ist durch den Eingriff die Zahl der zirkulierenden Tumorzellen reduziert, vielleicht aber auch das Immunsystem reakti- viert worden.“ Eine kontrollierte, prospektive Studie sei geplant, um das Ergebnis zu überprüfen. ■
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze