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Archiv "Präimplantationsdiagnostik: Der Bundestag braucht Zeit" (10.01.2011)

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A 20 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 1–2

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10. Januar 2011

KOMMENTAR

Norbert Jachertz

M

an mache sich nichts vor, die

„Liste“ kommt, wenn die Prä- implantationsdiagnostik (PID) zuge - lassen wird. Entweder offen wie in Großbritannien oder kaschiert wie in Frankreich. Beide kennen einen Kata- log der Indikationen. Der englische kann bei der HFEA, der Human Fertili- sation and Embryology Authority, ein- gesehen werden. Die Franzosen spre- chen lieber von einer Aufstellung der für PID verfügbaren Tests. In der Pra- xis läuft’s auf dasselbe hinaus: Beim Verdacht auf die aufgelisteten Erkran-

kungen oder Behinderungen ist PID zulässig. Ob sie dann auch durchge- führt wird, hängt vom Einzelfall ab.

Dafür haben beide Länder sehr kom- plizierte Verfahren entwickelt. Sie glei- chen sich in den großen Zügen: Der Gesetzgeber lässt PID prinzipiell zu, regelt aber keine Details. Damit be- auftragt er eine Agentur. Die erstellt und aktualisiert die Liste, lizenziert ei- nige wenige „Zentren“, schreibt das Zusammenspiel der Experten – Gene- tiker, Morphologen, Fertilisationsmedi- ziner, Psychologen, Ethiker – vor und legt das Beratungsprozedere für die Paare fest.

Der extrem hohe Aufwand für rela- tiv wenige Betroffene – 182 Paare in Großbritannien, 278 in Frankreich, je- weils 2008 – deutet schon darauf hin, dass PID alles andere als „normal“ ist.

Der Selektionscharakter ist auch den Anwendern bewusst. Sie reden nur nicht gern davon, sondern lieber von ihren organisatorischen Vorkehrungen.

Immerhin hat der französische Ethikrat einmal darüber beraten, ob PID als

„eugenisch“ anzusehen ist. Man konn- te sich nicht einigen.

Der Deutsche Ethikrat hat diese ethische Grundsatzfrage, die ja in Deutschland weder einfach zu stellen

noch gar zu beantworten ist, bisher ausgespart. Stattdessen informierte er sich am 16. Dezember 2010, wie PID anderswo praktiziert wird und wohin die Reise geht. Das beschrieben Emely Jackson von der HFEA, Patrick Gau- dray vom französischen Ethikrat, Paul Devroey, ein belgischer PID-Protago- nist, und Luca Gianaroli von der Euro- pean Society of Human Reproduction and Embryology. Alle ausgewiesene Experten, die wissen, was läuft. Und glaubt man ihnen, dann läuft mit PID alles bestens.

Der Ethikrat hatte freilich keine Kriti- ker eingeladen. Erstaunlich. Doch auch ohne Gegenmeinungen, die Anhörung ließ so viele Fragen zurück, dass der Deutsche Bundestag sich gut überlegen sollte, ob er die PID eilends gesetzlich regeln sollte. Er muss zwar irgendwann tätig werden, nachdem ihm der Bun- desgerichtshof das Kuckucksei ins Nest gelegt hat, aber er könnte Zeit gewin- nen, indem er PID erneut und diesmal eindeutig untersagt. Bis auf weiteres.

Eile ist nicht geboten. Durch Abwar- ten wird niemand geschädigt. Einige Paare müssten zwar ihren Kinder- wunsch verschieben oder aufgeben.

Das ist bitter. Doch ihnen geschähe damit kein Unrecht. Andererseits steht mit PID ethisch viel auf dem Spiel. Das Expertenhearing bestätigte nämlich einmal mehr:

PID geht einher mit hohem „Em- bryonenverbrauch“ sowie steter Aus- weitung der „Selektion“. Das liegt dar - an, dass die Methode nicht allein dazu dient, Paaren ein gesundes Kind zu be- scheren, sondern vor allem auch die (bisher bescheidenen) Implantations - chancen zu verbessern – optimaler Embryo, optimale Chance.

Die Liste der Indikationen wird lang und länger. Klinisch relevant sind

derzeit 30 bis 40 Tests, darunter so umstrittene wie die auf einzelne Krebs- arten, künftig möglich etwa hundert.

Gesucht wird nicht nur nach monogenetischen Defekten, sondern weit mehr noch – 61 Prozent aller Testungen – nach chromosomalen Anomalien.

Um den einen einzigen tadello- sen Embryo herauszufinden, der er- folgversprechend transferiert werden kann, müssen zuvor viele Embryonen getestet werden. Zurzeit stammen die Zellen von Embryonen des zweiten und

dritten Tages, demnächst häufiger auch von Blastozysten; sie liefern mehr Zellgewebe.

Die Zahl der Embryonen muss für PID weitaus höher sein, als in Deutschland bisher erlaubt ist. Sieben und mehr, statt drei. Pro Zyklus. Macht bei drei Zyklen 21, bei fünf oder sechs, die für Frauen ab circa 30 Jahren an- gestrebt werden, 35 und 42 oder mehr.

Verdächtige Embryonen werden vernichtet, gute (im Idealfall ein einzi- ger) implantiert, gute überschüssige eingefroren und für eine spätere Im- plantation bei wem auch immer oder für andere Zwecke aufgehoben. Sofern diese erlaubt sind.

PID ersetzt nicht PND (Präna - taldiagnostik). Vielfach wird in der Schwangerschaft vorsichtshalber zu- sätzlich mit PND „nachgetestet“, ob- wohl der implantierte Embryo an sich gut aussah. In Frankreich zum Bei- spiel sind die Zahlen der Pränatal - diagnosen (29 779) und der darauf- folgenden Spätabtreibungen (6 876, jeweils für 2008) hoch und leicht stei- gend, trotz der relativ großzügigen PID-Praxis.

Fazit: Der deutsche Gesetzgeber sollte nüchtern die Realitäten prüfen und wissen, worauf er sich einlässt.

PRÄIMPLANTATIONSDIAGNOSTIK

Der Bundestag braucht Zeit

P O L I T I K

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